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Hat das Recht ein Geschlecht?

von Dr. Katja Gelinsky

Bericht zum zweiten Panel des Berliner Jahresrückblicks auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 2018

Hat das Recht ein Geschlecht?, so lautet zugespitzt die Kernfrage, die das Bundesverfassungsgericht vergangenes Jahr in einem Verfahren zu Anforderungen des deutschen Personenstandsrechts beschäftigte – eine Frage, die nach der Karlsruher Entscheidung zum „dritten Geschlecht“ auch in der Öffentlichkeit heftig diskutiert wurde.

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Professor Anne Sanders von der Universität Bielefeld, Referentin auf dem zweiten Podium „Rechtlich relevante Identität: Hat das recht ein Geschlecht?“ bestätigte, ja, das Recht habe derzeit ein Geschlecht oder besser zwei. Das Personenstandsrecht fordere die Registrierung des Geschlechts in der Geburtsurkunde und später immer wieder die Angabe des Geschlechts in verschiedenen Formularen. Wenn das Recht dem Geschlecht eine so große Bedeutung beimesse, so die Folgerung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 10. Oktober 2017, dann dürften sich nicht nur Männer und Frauen in den zur Auswahl stehenden Kategorien wiederfinden. Sanders zeigte sich mit diesem Ergebnis „sehr, sehr einverstanden“. Etwas zurückhaltender, aber in der Sache zustimmend, äußerte Korreferent Professor Christian von Coelln, mit der Entscheidung werde man „in den großen Linien leben können“.

 

 

Herausforderungen an den Gesetzgeber

Probleme sehen beide Rechtswissenschaftler allerdings bei der Umsetzung der Karlsruher Vorgaben. Sanders nannte vier Optionen: 1) Die Aufgabe des Geschlechts als rechtliche Kategorie. 2) Die Möglichkeit freier Entscheidung, welcher Kategorie sich eine Person zugehörig fühlt. 3) Die Eröffnung einer dritten Option neben der Zuordnung als weiblich oder männlich. 4) Die Möglichkeit, den Geschlechtseintrag offen zu lassen.

 

Jede Option schafft allerdings neue Probleme. Die Aufgabe des Geschlechts als rechtliche Kategorie könnte zum Beispiel zu Problemen im Passrecht und im internationalen Privatrecht führen, gab Sanders zu bedenken. „Keine andere Rechtsordnung hat bisher auf das Geschlecht verzichtet.“ Mit Abweichungen sollte man deshalb sehr vorsichtig sein.

 

Wie sollte im Übrigen der Schutz vor geschlechtsbezogener Diskriminierung gewährleistet werden, wenn man auf den Geschlechtseintrag verzichte, skizzierte von Coelln eine der vielen Fragen, die der Gesetzgeber bei einer Neuregelung erwägen muss. Angeblich gibt es rund 1300 Rechtsnormen, bei denen die Unterscheidung zwischen Mann und Frau eine Rolle spielt. Sicher ist nach dem Beschluss aus Karlsruhe nur, dass das Personenstandsgesetz geändert werden muss. Aber was passiert mit den anderen geschlechtsbezogenen Normen? Wäre die Einführung einer dritten Geschlechts-Kategorie die Lösung? Eine Verwässerung der bisherigen Kategorien „männlich“ und „weiblich“ befürchtet von Coelln nicht. „Eher stellt sich das Problem, dass sich nicht alle Betroffenen in der Kategorie wiederfinden.“ Theoretisch denkbar wären die Bezeichnungen „anders“, „divers“, „inter“ oder „nicht-binär“. Aber wird die jeweilige Bezeichnung den Betroffenen und der Vielfalt innerhalb ihrer Gruppe gerecht? Europaweit wäre die Neureglung ein Novum, weltweit gibt es nur wenige Länder, die dritte Kategorie kennen.

 

 

Vorsicht bei Rechtsvergleichen

Der hilfesuchende Blick des deutschen Gesetzgebers auf Regelungen anderer Länder hilft nach Einschätzung beider Referenten nicht wirklich weiter. Eine dritte Geschlechtskategorie sei in Europa die absolute Ausnahme. Manche amerikanische und kanadische Bundesstaaten hätten solche Regelungen getroffen. Aber beim Rechtsvergleich sei zu bedenken, dass nicht alle Länder ein Personenstandsrecht wie das deutsche haben. „Man muss also sehr vorsichtig sein, ob sich die Regelungen auf Deutschland übertragen lassen“, mahnte Sanders. „Der Rechtsvergleich bringt uns nur ein Stück weiter.“ Die Bielefelder Professorin regte an, grundsätzlich zu fragen, „wie wichtig uns die Kategorie Geschlecht ist“. Langfristig stelle sich die Frage, ob der Gesetzgeber das Geschlecht rechtlich ordnen müsse. Zugleich warnte sie allerdings vor Schnellschüssen, diese Zuordnung aufzuheben.

 

 

„Es geht nicht um reines Empfinden“

Zu den vielen ungeklärten Problemen gehört auch die Frage, wessen Sichtweise für den Geschlechtseintrag maßgeblich ist. Es gehe bei der Einordnung auch um eine Frage des Selbstverständnisses und der Selbsteinordnung und insoweit um eine sehr subjektive Angelegenheit, bemerkte Sanders. Aber folgt daraus die Freiheit eigener individueller Geschlechtsbestimmung? Von Coelln betonte, das Bundesverfassungsgericht öffne Freiraum bei der Zuordnung von Geschlecht „mit Maß und Mitte“. So verweise es ausdrücklich auf Anknüpfungspunkte wie Varianten der Geschlechtsentwicklung. „Es geht nicht um reines Empfinden.“

 

 

„Der Gesetzgeber ist nicht zu beneiden“

Bundesverfassungsrichter Andreas Paulus, Mitglied des Ersten Senats, bestätigte, „dem voluntativen Element sind gewisse Grenzen gesetzt“. „Aber man wird auch nicht ganz darauf verzichten können.“ Deshalb werde der Gesetzgeber um Kompromisslösungen wohl nicht herumkommen. Dabei stellten sich zweifellos schwierige Fragen: „Wie viele Geschlechter können und sollen es sein?“ Und was bringt ein Personenstandsregister, wenn die Angaben in der Beliebigkeit verschwimmen können? „Der Gesetzgeber ist um seine Aufgabe nicht zu beneiden“, fasste Paulus zusammen.

 

 

Herausfordernde Fristsetzung

Von Coelln hätte sich wegen der komplizierten Aufgabe „mit Blick auf die Interessen der Betroffenen und mit Blick auf die Rechtsordnung insgesamt“ gewünscht, dass das Verfassungsgericht dem Gesetzgeber mehr Zeit für eine Neureglung gelassen hätte. „Die Frist bis Ende 2018 erscheint einigermaßen herausfordernd.“ Er riet dringend davon ab, mit Blick auf die Kürze der Zeit auf einen Geschlechtseintrag komplett zu verzichten, weil das eine vermeintlich einfache Lösung sei. „Auf eine mit Augenmaß gefällte Entscheidung, sollte der Gesetzgeber mit Augenmaß reagieren.“

 

Professor Christoph Ohler von der Universität Jena warnte davor, bei den Überlegungen zur Neuregelung nicht die soziale Wirklichkeit aus dem Blick zu verlieren. Für das Zusammenleben spiele das biologische Geschlecht in großen Teilen eine Rolle. „Wir werden niemals dem biologischen Geschlecht entkommen können. Dort, wo das biologische Geschlecht nicht eindeutig ist, entstehen zusätzliche Probleme. Aber dadurch verliert doch nicht das biologische Geschlecht an Bedeutung.“ Auch von Coelln warnte vor einer Neuregelung, der die soziale Bodenhaftung fehle. Wenn der Gesetzgeber sage, er verzichte auf die Rechtskategorie Geschlechtlichkeit, „besteht die Gefahr, dass ein Großteil der Bevölkerung sagt, ‚jetzt spinnen Sie total!‘“

 

 

Mitschnitt des zweiten und dritten Panels des Berliner Jahresrückblicks 2018

 

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