Ausgabe: 1/2021
Pivot to Power: Australien als kreative Regionalmacht
Die 25-Millionen-Einwohner-Nation Australien, relativ isoliert und inmitten von „Freunden und Fischen“ gelegen, hat sich in den vergangenen Jahren als globale Mittelmacht positioniert. Die nationalen strategischen Interessen fokussierten sich verteidigungspolitisch bislang auf den Kontinent selbst; die weitergehenden ökonomischen und außenpolitischen Aktivitäten waren global ausgerichtet. Hier hat sich nun eine Präzisierung und eine Verschiebung des Selbstbildes zur „kreativen Regionalmacht“ ergeben: Während sich der sicherheits- und verteidigungspolitische Blick insbesondere auf den Südpazifik und Südostasien erweitert, nimmt die australische Außenpolitik den Indopazifik ins Visier. Dieser bislang nicht einheitlich definierte Raum zwischen Delhi und Tokio hat in den vergangenen Jahren politische Bedeutung gewonnen – neben Australien besonders in Japan, den USA und Indien, allesamt wichtige Verbündete. In jüngster Zeit haben auch europäische Staaten wie Deutschland, Frankreich und die Niederlande der Bedeutung dieser Region stärker Rechnung getragen. Im September 2020 veröffentlichte die deutsche Bundesregierung ihre „Leitlinien zum Indo-Pazifik“ und betonte darin die Notwendigkeit von diversifizierten Beziehungen, insbesondere zu Wertepartnern wie Australien. Australien verfestigt mit seiner strategischen Neuausrichtung sowohl seine Bindungen an westliche und gleichgesinnte Partner als auch die Integration in das asiatische Umfeld.
Arena der Großmächte: Der Indopazifik zwischen Washington und Peking
Zu den Ursachen für die Neuausrichtung der australischen Politik zählt ohne Zweifel die zunehmende Systemrivalität im Indopazifik. Während sich die USA unter Präsident Donald Trump zu einem instabilen Bündnispartner entwickelten, versucht China mit diplomatischen und paradiplomatischen Mitteln, seinen Status als neue Supermacht zu festigen und seinen Einfluss auszubauen. Chinas territoriale Ansprüche und die militärische Aufrüstung unter anderem im Südchinesischen Meer haben die Vormachtstellung der USA in der Region in den vergangenen Jahren immer wieder herausgefordert. Neben Territorialkonflikten befeuert die geoökonomische (und -politische) Initiative der Neuen Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI) der Volksrepublik die Rivalität der beiden Großmächte. Mit dem Megaprojekt eines globalen Handelsnetzwerks von Guangzhou nach Rotterdam stellt China insbesondere kleineren Staaten im Indopazifik (und darüber hinaus) wirtschaftliche Anreize in Aussicht. Die Volksrepublik verspricht sich durch das Kernprojekt der chinesischen Außenpolitik aber vor allem eine Neuausrichtung der internationalen Ordnung gemäß eigenen Vorstellungen. Oft als Loan-to-own-Finanzierungsmodell beschrieben, ist die Neue Seidenstraße nur ein Beispiel für die Verflechtung chinesischer Handels-, Außen- und Sicherheitspolitik. Die USA, europäische Akteure und andere Hüter regelbasierter Ordnungsprinzipien haben es bislang nicht geschafft, eine überzeugende Alternative zur Neuen Seidenstraße zu bieten.
Als traditionelle Bündnispartner halten die USA und Australien ihre Allianz stets hoch. Trotz holprigem Start der bilateralen Beziehungen während der Amtszeit Trumps blieben diese auch unter dem 45. US-Präsidenten im Vergleich zu anderen Wertepartnern positiv – jedoch ebenso von abwertender Rhetorik begleitet. Nicht erst seit dem Rückzug aus der Trans-Pacific Partnership seitens Trumps ist der amerikanische Einfluss in der australischen Nachbarschaft allerdings deutlich gesunken – eine Lücke, in die China offensiv gestoßen ist. Trotz rhetorischer Volatilität steht die US-australische Allianz aber auf festem Fundament – beim G20-Gipfel 2018 durch Donald Trump beschrieben als „eine unserer ältesten und eine unserer besten“. Bei den Australia-United States Ministerial Consultations, zu denen Australiens Außenministerin Marise Payne und die damalige Verteidigungsministerin Linda Reynolds inmitten der Pandemie als Zeichen der Verbundenheit nach Washington flogen, wurden die gemeinsamen Werte bekräftigt. Gleichzeitig machte Payne allerdings deutlich: „Wir treffen unsere eigenen Entscheidungen, fällen unsere eigenen Urteile im nationalen Interesse Australiens.“
Hingegen befinden sich die Beziehungen zwischen Australien und China als wichtigstem Wirtschaftspartner spätestens seit Beginn des Jahres 2020 mehr oder weniger im freien Fall. Während die australische Regierung seit Längerem offen Kritik an der territorialen Expansion Chinas und der Militarisierung des Südchinesischen Meeres übt und bereits 2018 den chinesischen Telekommunikationsanbieter Huawei vom Ausbau des 5G-Netzwerkes ausschloss, wurden weitergehende kritische Töne aus handelspolitischen Motiven zunächst unterlassen. Zu Beginn der COVID-19-Pandemie verhärteten sich die Fronten, ausgelöst durch die Forderung der australischen Regierung, eine unabhängige internationale Untersuchung zum Ursprung des neuartigen Coronavirus in China vorzunehmen. Die Volksrepublik reagierte unter anderem mit drastischen Einfuhrbeschränkungen auf die wichtigen australischen Exportprodukte Getreide und Fleisch. Eine weitere Stufe der Spannungen wurde erreicht, als Premierminister Morrison auf das neue Sicherheitsgesetz für Hongkong mit Visaerleichterungen und vereinfachten Einbürgerungsverfahren für in Australien lebende Hongkonger reagierte sowie das Auslieferungsabkommen mit der Sonderverwaltungszone aussetzte. Die Folge waren starke Einbrüche für australische Kohle, wichtigstes Exportprodukt des Landes, auf dem chinesischen Absatzmarkt – vermutlich wurden staatlich kontrollierte Kraftwerksbetreiber und Stahlhersteller in China angewiesen, keine Kohle mehr aus Australien zu kaufen. Ferner verdächtigt Australien die Volksrepublik zunehmender Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen. Im November 2020 überreichte ein chinesischer Diplomat australischen Medienanstalten eine Beschwerde mit 14 Missständen, in denen Canberra „die Vergiftung bilateraler Beziehungen“ vorgeworfen wird. Premierminister Morrison zeigte sich unbeeindruckt und verdeutlichte mit seiner Reise zum japanischen Amtskollegen Yoshihide Suga die Bestrebungen Australiens, gemeinsam mit Wertepartnern für die regelbasierte, freiheitlich-demokratische Ordnung einzustehen. Zusätzlich zu handelspolitischen Instrumenten wendet China auch Methoden an, über die keine Welthandelsorganisation urteilen kann: Mit dem Tweet einer Fotomontage etwa, die einen australischen Soldaten zeigt, der einem afghanischen Kind (angeblich) ein Messer an die Kehle hält, provozierte die Kommunistische Partei ein Statement des australischen Premierministers, der auf die umfassende Aufklärung von Kriegsverbrechen in demokratischen Staaten verwies und eine Entschuldigung Pekings forderte.
Eine neue Ära: Australiens neue Sicherheits- und Verteidigungsstrategie
Australien befindet sich in einer dynamischen, hochkomplexen und von verschiedenen Unsicherheiten und Konfliktherden geprägten Umgebung. Das hat zur Folge, dass Regionalkonflikte und die amerikanisch-chinesische Rivalität im indopazifischen Raum unmittelbaren Einfluss auf die Stabilität und Sicherheit des Landes haben. Damit ändern sich Risiken, gegen die sich die nationale Verteidigungspolitik wappnen muss. Neben direkten Bedrohungen geht es immer mehr um Antworten auf die Schwächung einer regelbasierten Ordnung und das Aufkommen von sogenannten grey zone activities, darunter Cyberangriffe, Einmischung von außen, wirtschaftliche Zwänge und Desinformationskampagnen. Aufgrund dieser explosiven Dynamik der Region hat Australien in den vergangenen Jahren kontinuierlich strategische Anpassungen seiner Sicherheits- und Verteidigungspolitik vorgenommen, die sich nicht zuletzt in einer Erhöhung des Verteidigungsetats und weiterer Aufrüstung niedergeschlagen haben.
„Wir müssen uns auf eine Post-COVID-Welt vorbereiten, die ärmer, gefährlicher und ungeordneter ist.“ Mit diesen Worten leitete Premierminister Morrison die Vorstellung des 2020 Defence Strategic Update der australischen Regierung ein und verglich die aktuelle Dimension der globalen strategischen und wirtschaftlichen Ungewissheit mit dem Kollaps der internationalen Ordnung in den 1930er Jahren. Die Coronapandemie wird Australien und sein Wirtschaftswunder – ein Land, das in den vergangenen 30 Jahren keine Rezession erlebt hatte – vor nie dagewesene Folgen stellen. Die Anspielung auf 1930 symbolisiert den Ernst der Lage: Eine Rezession gepaart mit einem erhöhten Risiko militärischer Konflikte erfordert eine Neuausrichtung der Verteidigungspolitik und eine Positionierung hin zu regional einsetzbaren Streitkräften.
„Der Indopazifik ist das Epizentrum des zunehmenden strategischen Wettbewerbs“ – ein weiterer Kernsatz des australischen Premierministers, den er nicht nur bei der Vorstellung des Strategic Update, sondern in allen aktuellen außenpolitischen Reden hervorhebt. So auch jüngst in seiner UK Policy Exchange Virtual Address: „Jetzt, im 21. Jahrhundert, entscheidet der Indopazifik über das Schicksal der Welt.“ Das Zentrum der globalen wirtschaftlichen und militärischen Macht liegt nun in der indopazifischen Region. Seit der Verabschiedung des White Papers zur Verteidigungspolitik 2016 haben sich die geopolitischen Herausforderungen abermals verschärft; darüber hinaus hat die Pandemie Trends beschleunigt und akzentuiert – darunter die Priorisierung der unmittelbar angrenzenden Regionen, insbesondere im Südwestpazifik und dem nordöstlichen Indischen Ozean.
Die neue Verteidigungsdoktrin definiert die zukünftigen strategischen Prioritäten in dreierlei Hinsicht: „die Gestaltung des strategischen Umfelds, die auf eine stabile, sichere und souveräne Indopazifikregion zielt; die Abschreckung von Aktionen gegen Australiens Interessen; und falls nötig eine Antwort mit glaubwürdigen militärischen Mitteln“. Vor allem aber schafft das Update Klarheit darüber, wie sich die australische Verteidigungsstreitmacht aufstellen und auf die besagten beispiellosen Herausforderungen vorbereiten wird. Die strategischen Ziele werden „als Leitfaden für alle Aspekte der Verteidigungsplanung dienen, also auch für die Planung der Streitmachtstrukturen“. Sie geben „dem unmittelbaren Umfeld den Vorrang“, worunter die Region vom „nordöstlichen Indischen Ozean über Südostasien, zu Wasser und zu Land, bis nach Papua-Neuguinea und in den Südwestpazifik“ zu verstehen ist. Das strategische Update bietet einen ausgewogenen Ansatz für das Risikomanagement und eine Garantie gegen Unsicherheit in der Region.
Es wird auch eine graduelle Änderung des Narrativs deutlich: Die Vertiefung der US-Allianz ist zwar weiterhin bedeutsam für die australische Sicherheitspolitik, doch soll die Kooperation mit Partnern in der Region ausgeweitet werden, darunter insbesondere mit Indien, Japan, mit den Staaten der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) sowie den Inselstaaten im Pazifik – im Sinne von konzertierten Aktionen, um die strategische Balance im Indopazifik wiederherzustellen.
Das Strategic Update 2020 leitet stufenweise eine Wende ein und markiert einen historischen Meilenstein. Mit seinem neuen regionalen Fokus definiert es den Indopazifikraum als zentral für Australiens geografische Selbstverortung. Mit der neuen Strategie geht nicht nur ein selbstbewussteres Auftreten Australiens einher; die Umsetzung ist auch mit einem größeren Vertrauen Australiens in die Partner aus der Region verbunden.
Südostasien: Schlüsselregion für den geostrategischen Wettbewerb
Das außenpolitische White Paper der australischen Regierung, das im November 2017 veröffentlicht wurde und neben dem jüngsten Strategic Defence Update die Grundlage der australischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik bildet, legt den regionalen Fokus einerseits auf den gesamten Indopazifik. Andererseits betont es aber speziell die Erfolge der ASEAN, der es gelungen sei, in den vergangenen mehr als 50 Jahren zu Sicherheit und Wohlstand in der Region beizutragen. Australien ist stolz darauf, der älteste Dialogpartner der ASEAN zu sein und unterstützt seit 1974 deren Vision einer regelbasierten, „inklusiven“ und wirtschaftlich integrierten regionalen Staatengemeinschaft.
Die geografische Lage Südostasiens erklärt die australischen Ambitionen. Südostasien ist für Australien eine Schlüsselregion für den geostrategischen Wettbewerb – die Region verbindet den Pazifik mit dem Indischen Ozean und beherbergt die wichtigsten Handelsrouten. ASEAN hat eine zentrale Rolle bei der Einberufung regionaler Foren wie dem East Asia Summit inne, dem Australien eine besondere Bedeutung im Hinblick auf den strategischen Dialog und die Aufrechterhaltung von Frieden im Indopazifik beimisst. Das White Paper hebt die Priorität der bilateralen Beziehungen Australiens zu den einzelnen Staaten in Südostasien sowie zur ASEAN-Staatengemeinschaft als ganzer hervor, um so das Engagement mit Blick auf ein robusteres Südostasien zu verstärken. Der ASEAN-Sondergipfel, den Australien 2018 in Sydney ausgerichtet hat, kann als vorläufiger Höhepunkt in den Beziehungen zur Nachbarregion bezeichnet werden. Jenseits aller Symbolik brachte der Gipfel konkrete Maßnahmen, beispielsweise im Bereich der Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus sowie zur Stärkung von Dialogmechanismen zur Cybersicherheit in der Region, hervor.
Ein Schlüsselelement der umfassenden strategischen Partnerschaft mit der Region ist die Verstärkung diverser Sicherheitskooperationen. In diesem Zusammenhang steht beispielsweise das 2018 abgeschlossene strategische Partnerschaftsabkommen Australiens mit Vietnam. Im März 2020 wurde vor dem Hintergrund sich wandelnder Rahmenbedingungen außerdem ein neues Abkommen zur militärischen Ausbildung mit Singapur unterzeichnet; ebenso wurde jüngst auch das bereits 2017 geschlossene Memorandum of Understanding (MoU) zur Cybersicherheitskooperation erneuert. Eine enge Zusammenarbeit mit Singapur und Malaysia durch die Five Power Defence Arrangements ist ebenfalls wichtiger Bestandteil des sicherheitspolitischen Engagements mit Südostasien. Es gibt mittlerweile Stimmen von australischer Seite, dass der Verteidigungspakt unter Einbeziehung weiterer südostasiatischer Länder erneuert werden müsse. Mit den Philippinen und Indonesien bestehen bereits enge Kooperationen bei der Bekämpfung von Terrorismus in der Region. Und als Teil von Australiens International Cyber Engagement Strategy wurde Anfang 2019 ein MoU mit Thailand zu Cyber and Digital Cooperation unterschrieben.
Die Ausführungen Morrisons beim Shangri-La Dialogue 2019 machten darüber hinaus deutlich, dass Australien weiterhin an der engen Verzahnung von Außen- und Wirtschaftspolitik in der Region festhält: „Unsere Vision ist ein offener, inklusiver und wohlhabender Indopazifik. Dies beinhaltet regionale wirtschaftliche Integration, zu der Singapur, Australien und andere Partner an der Finalisierung des RCEP arbeiten. Auch wollen wir, dass unsere bestehenden Vereinbarungen mit dem technologischen Wandel und insbesondere der digitalen Wirtschaft Schritt halten.“
Die Rede der damaligen australischen Verteidigungsministerin Reynolds beim ASEAN Australia Defence Ministers’ Informal Meeting vom Februar 2020 in Hanoi bekräftigte, dass auch die Regierung Morrison ASEAN als wichtigster Regionalorganisation in sicherheits- und vertei-digungspolitischer Hinsicht eine Schlüsselrolle zuweist: „ASEAN liegt im Herzen des Indopazifiks. Wir werden mit unseren ASEAN-Partnern zusammenarbeiten, um gemeinsame Ziele und Prioritäten zu erreichen und gemeinsame Werte zu reflektieren.“ Die Zusammenarbeit soll auch zukünftig auf sechs Grundprinzipien basieren – gegenseitiger Respekt, Anerkennung der „ASEAN Centrality“, Unterstützung der Resilienz, Unabhängigkeit und Souveränität der einzelnen Mitgliedstaaten, Zusammenarbeit auf der Basis gemeinsamer Prioritätensetzung, Transparenz sowie die Respektierung internationalen Rechts und Normen. Die Verteidigungskooperation umfasst dabei acht Kernbereiche:
1. Ausbildung;
2. Förderung von Frauen in Friedens- und Sicherheitsprozessen;
3. Unterstützung von VN-Peacekeeping-Missionen;
4. Terrorismusbekämpfung;
5. maritime Sicherheit;
6. Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen im Gesundheitsbereich – ein Bereich, der vor dem Hintergrund der Coronapandemie eine ganz neue Bedeutung erhält;
7. Naturkatastrophen;
8. Kommunikation, neue Formen der Zusammenarbeit und Interoperabilität.
Vor dem Hintergrund der aktuellen globalen Herausforderungen und regionalen geopolitischen Rahmenbedingungen wird bereits über eine Institutionalisierung des bislang informellen Formats für die Zukunft nachgedacht. Im Rahmen des virtuellen ASEAN Defence Ministers’ Meeting Plus (ADMM Plus) im Dezember 2020 bekräftigte die damalige australische Verteidigungsministerin Reynolds die Bedeutung der regionalen Sicherheitskooperation auf der Grundlage des Strategic Updates: „COVID-19 hat die wirtschaftliche und strategische Landschaft der Region dramatisch verändert und die geostrategischen Trends, die Australiens Interessen betreffen, beschleunigt. Das Strategic Defence Update von 2020 bekräftigt den Fokus auf unsere unmittelbare Nachbarschaft, einschließlich Südostasien, und betont den Wert der Kooperation mit unseren Partnern, um die Zukunft unserer Region zu gestalten.“
Neben dem Fokus auf Südostasien steht eine andere Region im Mittelpunkt der australischen Außenpolitik: der Pazifik. Die ebenfalls im White Paper als neue Step-up-Politik deklarierte Ausrichtung gegenüber den pazifischen Inselstaaten hat mit der Regierungsübernahme durch Scott Morrison im August 2018 neuen Aufschwung erfahren. „Australien und seine pazifischen Nachbarn haben eine lange Geschichte der Zusammenarbeit. Wir wollen mit unseren pazifischen Partnern weiter zusammenarbeiten, um eine pazifische Region aufzubauen, die strategisch sicher, wirtschaftlich stabil und politisch souverän ist“, so der Premierminister, der vor dem Hintergrund wachsender Einflussnahme Chinas in der Region ein neues Kapitel in den Beziehungen mit der Pacific Family aufschlagen will.
Die australische Step-up-Politik im Pazifik ist von strategischen Interessen geleitet: Die pazifischen Inselstaaten sind sozusagen der Hinterhof Australiens und insbesondere der Südwestpazifik ist Australiens natürliche Einflusssphäre. Australien ist das mächtigste Mitglied im Pacific Islands Forum (PIF) und der größte Geber von Entwicklungshilfe für die Pazifikstaaten.
Australien hat darüber hinaus ein Office of the Pacific innerhalb des Außenministeriums gegründet, eine ministerienübergreifende Regierungsinstitution, um das Engagement mit den pazifischen Inselstaaten zu koordinieren. Ferner wurde eine neue Infrastrukturbank für den Pazifik geschaffen. Als Teil dieser Step-up-Politik, die neben strategischen Interessen auch regionale wirtschaftliche Integration einschließt, sind die Bemühungen um den Abschluss eines Freihandelsabkommens mit den pazifischen Inselstaaten zu verstehen; das Pacific Agreement on Closer Economic Relations (PACER) Plus wurde im Dezember 2020 ratifiziert. Einziger Wermutstropfen ist, dass Papua-Neuguinea und Fidschi bislang nicht zu den Signatarstaaten gehören. Die Verstärkung der Beziehungen mit dem Pazifik beinhaltet auch eine vertiefte Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden, beispielsweise mit dem von Australien geförderten neuen Pacific Cyber Security Operational Network. All diese Entwicklungen gehen einher mit einer Verstärkung der australischen Militärpräsenz. Die ohnehin fragilen „Demokratien“ im Pazifik sind als Resultat der COVID-19-Krise verstärkt dem Risiko innerer Instabilitäten ausgesetzt. Die Pandemie hat den Wettbewerb um Einflusssphären in dieser Region verstärkt und veranlasste die australische Regierung, die Verbundenheit mit der Region zu bekräftigen. Dies ging einher mit einer Erhöhung der australischen Entwicklungshilfe und umfassenden Versorgung mit medizinischen Gütern – nicht zuletzt, da China auch hier mit seiner Coronadiplomatie aktiv geworden war.
Analystinnen und Analysten sowie führende Diplomatinnen und Diplomaten befürchten allerdings, dass die Step-up-Politik im Pazifik mit einer Step-down-Politik in Südostasien einhergehen könnte. Denn Australien hat gleichzeitig seine Entwicklungshilfeprogramme dort drastisch zugunsten des Pazifiks gekürzt. Vor dem Hintergrund aktueller politischer Entwicklungen in der Region und geostrategischer Herausforderungen gibt es aber gute Gründe anzunehmen, dass Australien Südostasien auch weiterhin hohe außen-, sicherheits- und verteidigungspolitische Bedeutung beimessen wird.
Australiens Engagement in der Quad
Die Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Australien, Indien, Japan und den USA vor dem Hintergrund zunehmend aggressiver Machtansprüche Chinas im Indopazifik lässt die Frage aufkommen, ob aus der Sicht Australiens die sogenannte Quadrilaterale Sicherheitskooperation (Quad) ein wirksames Instrument zur Wiederherstellung der strategischen Machtbalance in der Region sein kann. Seit 2017 erfährt der Quadrilog mit dem Ziel einer „free, open and inclusive Indo-Pacific region“ eine Art „Wiederbelebung“. Wenn auch alle vier Quad-Länder über unterschiedliche Bedrohungswahrnehmungen und militärische Schlag-kraft verfügen sowie unterschiedliche strategische Prioritäten setzen, ist es im Interesse aller, die Machtbalance in der Region, die Freiheit der Seewege und eine regelbasierte Wirtschaftsordnung zu bewahren. Gerade im militärischen Bereich könnte die Quad-Formation den chinesischen Versuchen, den Status quo zu ändern, entgegentreten.
Die Tatsache, dass Marineeinheiten aller vier Quad-Länder im Rahmen des Malabar-Marinemanövers im November 2020 eine gemeinsame Übung absolviert haben, ist Ausdruck einer neuen Qualität der Zusammenarbeit. Wenn auch informell, so könnte sich die Quad etwa mit stärkerem Engagement Australiens im militärischen Bereich doch zu einem ernst zu nehmenden Instrument entwickeln, um Chinas Hegemonialstreben einzudämmen. Die Operation Malabar machte deutlich, dass das Forum gewillt ist, in konkreten und sichtbaren Militärübungen zusammenzuarbeiten. Australien ist in den vergangenen Jahren demonstrativ Politikstrategien in der Region begegnet, welche die liberale, regelbasierte Ordnung gefährdeten oder die Integrität der australischen liberal-demokratischen Ordnung angriffen. Die Quad-Formation gibt Canberra die Möglichkeit, an wirtschaftspolitischen und militärischen Initiativen sowie bei der Erarbeitung diplomatischer Positionen mitzuwirken, wenn gemeinsame Werte bedroht sind – ohne der Volksrepublik China alleine entgegentreten zu müssen.
Eine neue geoökonomische Realität? Australien in der RCEP
Australien erreicht 2021 voraussichtlich Platz zwölf der größten Volkswirtschaften der Welt und weist als rohstoffbasierte Exportnation eine positive Handelsbilanz auf. Auf Platz eins der Exporte und Importe steht China – doch weist Australien auch hier einen Handelsbilanzüberschuss und zugleich hohe Reziprozität auf. Wie Vizepremierminister Michael McCormack es formulierte: „Wir brauchen China genauso, wie China uns braucht.“
Auch wenn die Ratifizierung noch erfolgen muss, ist Australien seit November 2020 Teil der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), des größten Freihandelsabkommens im Indopazifik. Ursprünglich waren – auf Initiative der ASEAN-Staaten – Brunei, Kambodscha, Indonesien, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam sowie Australien, China, Indien, Japan, Neuseeland und Südkorea in die Verhandlungen gestartet. Nun haben all diese Staaten (außer Indien) das Freihandelsabkommen unterzeichnet.
Abb. 1: Australiens handelspolitische Vernetzung in der Region.
Die RCEP umfasst einen Markt mit einer Bevölkerung von 2,2 Milliarden Menschen und einem Handelsvolumen von 26,2 Billionen US-Dollar. Diese Zahlen sind beeindruckend, doch ist es wirklich der „Coup für China“, wie das Abkommen zunächst medial betitelt wurde? Hier lohnt ein nüchterner Blick vor allem auf das, was fehlt. Die 20 Kapitel des Abkommens setzen einheitliche Normen, sehen unter anderem vereinfachte bürokratische Prozesse sowie einen Rahmen für Investitionen vor, regeln Herkunftsbestimmungen und stärken mit der Ursprungsregelung insbesondere asiatisch-pazifische Wertschöpfungsketten. Das Abkommen regelt Zollsenkungen bis hin zu Nullzöllen, was bedeutsam klingt – zu einer Zeit, in der Basiszölle bereits niedrig sind und Staaten regelmäßig politisch motivierte Strafzölle erheben, allerdings hauptsächlich über das enorme Handelsvolumen Effekte zeigt. Außerdem wurden lange Übergangszeiten von bis zu 20 Jahren für diese Zollsenkungen vereinbart. Komplexe Themen wie staatliche Subventionen, Arbeitsrecht oder Umweltstandards finden sich nicht; auch der Agrarsektor ist größtenteils ausgenommen.
Für Australien baut die RCEP auf den bereits existierenden Freihandelsabkommen mit den anderen 14 Nationen auf (siehe Abb. 1). Konkret bedeutet das zum Beispiel, dass Eisenerz als Australiens wichtigstes Exportgut nach China bereits unabhängig von der RCEP zollfrei ist. Grundsätzlich würde das RCEP-Abkommen Chinas Einfuhrzölle auf australische Kohle 2021 beseitigen – was allerdings wenig hilft, wenn China australischen Frachtschiffen, wie im aktuellen Streit, keine Entladegenehmigung gewährt. Auch die Importzölle für australischen Wein sollten 2021 laut der RCEP sinken. Offiziell als Antidumping-Maßnahme deklariert, hat die Volksrepublik zwischenzeitlich aber Strafzölle von mehr als 200 Prozent auf australischen Wein erhoben. Mitten in der ersten Rezession, die Australien seit 30 Jahren erlebt, erhalten diese Maßnahmen besonderes Gewicht.
Nichtsdestotrotz zeigt die RCEP, dass der Indopazifik eben nicht mehr primär auf die westlichen Handelspartner blickt, sondern sich zunehmend innerhalb der Region organisiert. Die Europäische Union, die sich derzeit in Verhandlungen für Freihandelsabkommen mit Australien und Neuseeland befindet, läuft deshalb Gefahr, handelspolitisch und regulatorisch zunehmend „an der Seitenlinie“ zu stehen.
Quo vadis, Down Under?
Premierminister Morrison verdeutlichte in seiner ersten großen außenpolitischen Rede Australiens Selbstbild als kreative Regionalmacht. Im Zeitalter sich verschärfender Großmachtrivalitäten, eines immer aggressiveren Auftretens Chinas und der Auswirkungen der Coronapandemie möchte Australien bei der Entwicklung einer regionalen Sicherheitsarchitektur nicht nur mitwirken, sondern ein ernst zu nehmender „Player“ sein – und nicht nur „Hilfssheriff“ im Spannungsfeld zwischen den USA und China spielen.
Daher bemüht sich die australische Regierung zunehmend um Partnerschaften in der Region und stärkeren Einfluss in regionalen und internationalen Organisationen und Dialogen wie ASEAN, dem ASEAN Regional Forum, ADMM Plus, PIF, dem Asia-Pacific Economic Cooperation Forum, der G20 und dem East Asia Summit, im Quad-Dialogforum sowie als Partner der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der NATO. Aus australischer Sicht ist dies jedoch weniger Ausdruck eines Konfrontationskurses gegenüber China, sondern vielmehr Zeichen größerer politischer Verantwortung, eine pragmatische Anpassung im außenpolitischen Kurs, unter anderem auch to manage China, ohne Kompromisse auf Kosten der nationalen Sicherheit oder des eigenen Wertefundaments einzugehen.
Der Vorteil mit Blick auf den Indopazifik – und dort im Besonderen auf Südostasien – ist, dass Australien als Teamplayer in der Region und nicht als externer Akteur wahrgenommen wird. Insbesondere in den Bereichen Terrorismusbekämpfung und Cybersicherheit sowie Digital Capacity Building und Digital Economy können Australien und ASEAN Herausforderungen gemeinsam angehen. Nachdem Australien vor dem Hintergrund nationaler Sicherheitsrisiken bereits 2018 entschieden hatte, „riskante“ Technologiekonzerne aus dem Aufbau des 5G-Netzwerkes auszuschließen, könnte es eine Vorbildfunktion beim Schutz von kritischen Infrastrukturen einnehmen. Gleiches gilt für die australische Politik zur Bekämpfung der Ausweitung der Coronapandemie.
Die Partnerschaft mit den pazifischen Inselstaaten soll nicht nur den Ambitionen Chinas in der Region Paroli bieten, sondern – in Form gemeinsamer Initiativen – langfristige Beziehungen zu den Nachbarstaaten garantieren. So könnte etwa die Implementierung einer travel bubble zwischen Australien, Neuseeland und dem Südpazifik die stark vom Tourismus abhängigen Inselstaaten stärken.
Die Region des Indopazifiks zeichnet sich durch rasante Verschiebungen der geostrategischen und -ökonomischen Machtverhältnisse aus; der Wettbewerb und die Konflikte über Grenzen hinweg zu Wasser, zu Land und auch in der Luft nehmen beständig zu. Die Zusammenhänge sind überaus komplex und bedürfen einer sorgfältigen Analyse und Abwägung von Handlungsoptionen. Die Zukunft Australiens und der Region ist eben nicht nur vom Verhalten Chinas abhängig, ebenso wenig nur von den USA. Das „Spielfeld“ füllt sich mit neuen Spielern und deren wachsenden Ambitionen. Nach wie vor ist die Allianz Australiens mit den USA die strategisch relevanteste. Australien sollte seinen Einfluss auf die Neugestaltung der Indopazifik-Strategie des neugewählten US-Präsidenten Joe Biden geltend machen, etwa in Hinblick auf eine erhöhte Marinepräsenz in der Region. Dabei kann die eigene Gestaltungskraft im Indopazifik nur in Zusammenarbeit mit weiteren „gleichgesinnten“ Partnern erhöht werden. Hier hat sich im Rahmen der sogenannten Allianz der Multilateralisten und der „Leitlinien zum Indo-Pazifik“ auch Deutschland als Partner angeboten.
Deutschland und die Europäische Union: Strategische Partner Australiens im Indopazifik?
Die deutsch-australischen Beziehungen blicken auf eine lange Tradition zurück, seit 2013 verbindet beide Länder zudem eine strategische Partnerschaft. Zudem haben die bilateralen Beziehungen mit der Institutionalisierung der Australisch-Deutschen Beratergruppe 2015 und hochrangigen gegenseitigen politischen Besuchen einen Höhepunkt erfahren. Zwischen der Europäischen Union und Australien besteht eine in die 1960er Jahre zurückreichende Partnerschaft, geleitet von gemeinsamen Werten und Interessen. Trotz Bekräftigung dieser Partnerschaft durch das 2018 ratifizierte umfassende Rahmenabkommen mangelt es der EU an politischer Visibilität. Die innereuropäischen Krisen werden von Australien als besorgniserregend bewertet und die Gefahr einer zunehmenden Zersplitterung wahrgenommen. Ein zügiger Abschluss des aktuell verhandelten Freihandelsabkommens zwischen der EU und Australien als ihrem drittgrößten Handelspartner bringt damit nicht nur wirtschaftliche Chancen. Es geht um die Stärkung der Beziehungen zu einem Wertepartner und die gemeinsame Gestaltung einer regelbasierten, liberalen und nachhaltigen Globalisierung.
Letztlich wird die Wahrnehmung sowohl Deutschlands als auch der EU als „Mitgestalter“ im Indopazifik für Australien an der Positionierung gegenüber China gemessen. Eine stärkere Zusammenarbeit zwischen der von politischem Realismus geprägten Morrison-Regierung mit Deutschland und der EU über die oben genannten interregionalen Foren sowie gemeinsame Unterstützung regionaler Prozesse wie dem China-ASEAN South China Sea Code of Conduct sind Instrumente, die zu stärkerer globaler Resilienz beitragen könnten.
Mit den „Leitlinien zum Indo-Pazifik“ erhebt die Bundesregierung, wenn auch vorsichtig, den Anspruch, „die internationale Ordnung von morgen mitzugestalten“. Damit ist eine Erwartungshaltung geweckt, die es nun mit Taten zu füllen gilt. In einer Grundsatzrede hatte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer bereits 2019 eine größere militärische Verantwortung Deutschlands gefordert: „Unsere Partner im Indo-Pazifischen Raum – allen voran Australien, Japan und Südkorea, aber auch Indien – fühlen sich von Chinas Machtanspruch zunehmend bedrängt. Sie wünschen sich ein klares Zeichen der Solidarität. Für geltendes internationales Recht, für unversehrtes Territorium, für freie Schifffahrt. Es ist an der Zeit, dass Deutschland auch ein solches Zeichen setzt, indem wir mit unseren Verbündeten Präsenz in der Region zeigen.“ Die Entsendung einer Fregatte in den indopazifischen Raum, die für 2021 angekündigt wurde, ist dementsprechend ein wichtiges Signal Deutschlands gegenüber den Australiern, als glaubhafter strategischer Partner für eine regelbasierte Ordnung und die Freiheit der Seewege einzustehen.
Dr. Beatrice Gorawantschy ist Leiterin des Regionalprogramms Australien und Pazifik der Konrad-Adenauer-Stiftung in Australien.
Barbara Völkl ist Referentin für Ostasien und Pazifik der Konrad-Adenauer-Stiftung.
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