Ausgabe: 1/2021
Reaktion auf globale Machtverschiebungen
Mit den im September 2020 verabschiedeten „Leitlinien zum Indo-Pazifik“ schlägt die Bundesregierung ein neues Kapitel in ihrer Außenpolitik auf. Deutschland lässt keinen Zweifel, dass es die Bedeutung dieser dynamischsten aller Weltregionen anerkennt. Von Bedeutung ist hierbei auch die Begrifflichkeit: Deutschland hat keine „Strategie“ veröffentlicht, die zu einem bestimmten Ergebnis führen soll. Vielmehr sagen die Leitlinien aus, dass Deutschlands Handeln ressortübergreifend von sieben klar definierten Prinzipien bestimmt sein wird: europäisches Handeln, Multilateralismus, regelbasierte Ordnung, Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, Menschenrechte, Inklusivität sowie Partnerschaft auf Augenhöhe. Auf dieser Grundlage verspricht die Bundesregierung den indopazifischen Nationen eine intensivierte Zusammenarbeit.
Die „Leitlinien zum Indo-Pazifik“ verstehen sich als konzeptionelle Antwort auf globale Machtverschiebungen. Zum einen ist die Bereitschaft der USA, sich gemeinsam mit Europa und anderen Partnern für den Erhalt der regelbasierten Ordnung einzusetzen, in den vergangenen Jahren deutlich gesunken. Gleichzeitig nimmt ein immer offensiver agierendes China zunehmend Einfluss auf internationale Organisationen, schafft politische Abhängigkeiten und stärkt seine Fähigkeiten zur Machtprojektion in strategischen Gebieten wie dem Südchinesischen Meer. Angesichts dieser Entwicklungen können sich Deutschland und Europa nicht auf die Rolle eines kommentierenden Beobachters beschränken. Mit den Leitlinien erhebt die Bundesregierung den Anspruch, gestaltender Akteur zu sein und die Interessen Deutschlands, Europas, aber auch von Partnern in der Region durchzusetzen.
Dass Deutschland als Exportnation auf ein funktionierendes Netz globaler Handelsrouten und deren Sicherheit angewiesen ist, ist Konsens. Ebenso etabliert ist die besondere Bedeutung des Indischen und des Pazifischen Ozeans für dieses Netzwerk. Doch während sich Deutschland als starker wirtschaftlicher und (in geringerem Maße) diplomatischer Partner in den asiatischen Ländern einen Namen gemacht hat, bleibt der Beitrag Deutschlands – und der Europäischen Union – bei sicherheitspolitischen Kooperationen bescheiden. Diese Diskrepanz wird von Vertretern aus der Region deutlich gesehen und zunehmend moniert.
Es überrascht wenig, dass die indopazifischen Länder grundsätzlich positiv auf die Ankündigung eines stärkeren deutschen Engagements reagiert haben. Allerdings hat sich in einem frühen Meinungsbild der Konrad-Adenauer-Stiftung auch gezeigt, dass die Leitlinien als nur mäßig mutig eingestuft wurden. Durch den dezidiert inklusiven Ansatz der Leitlinien, in denen China als Partner und Herausforderer miteinbezogen ist, möchte sich Deutschland gegen bipolare Blockbildung aussprechen. Nichtsdestotrotz wird vor allem in den Medienreaktionen aus der Region deutlich, dass die Leitlinien als Versuch gesehen werden, den Aufstieg Chinas und seinen Einfluss in der Region einzudämmen – eine Zeitschrift bezeichnete sie sogar als Ende der deutschen „Flitterwochen“ mit China. Die größten Erwartungen bestehen an Deutschland im außen- und sicherheitspolitischen Bereich. Auch wenn die Bundesrepublik in der regionalen Sicherheitspolitik weniger Gewicht hat als Australien oder die USA und gegen das aggressive Verhalten Chinas kein militärischer Gegenspieler sein kann und will, so schätzen die indopazifischen Länder Deutschland als neutralen Partner im Großmächtegerangel.
Anhand der Beispielländer Indien, Japan und Singapur soll in diesem Beitrag gezeigt werden, welche Erwartungen Deutschland entgegengebracht werden und welche Schritte die Bundesregierung mit diesen drei Partnernationen ergreifen könnte, um sich stärker auch als sicherheitspolitischer Akteur zu etablieren. Der Artikel schließt mit Überlegungen für einen gemeinsamen europäischen Ansatz in der Sicherheitspolitik im Indopazifik.
Herausforderungen für drei Wertepartner
Indien, Japan und Singapur werden oft in der losen Kategorie der Wertepartner Deutschlands genannt, obwohl sie sehr unterschiedliche politische, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Voraussetzungen mitbringen und die verschiedenen Subregionen Ost-, Südost- und Südasien repräsentieren. Der Begriff einer „Wertepartnerschaft“ bezieht sich nicht so sehr auf die Vergleichbarkeit der politischen Systeme, welche insbesondere bei Singapur und auch Indien schwerfällt; vielmehr sind damit geteilte Auffassungen zu einer regelbasierten multipolaren Weltordnung in wirtschaftlichen wie sicherheitspolitischen Fragen gemeint. Trotz einer gewissen politischen Übereinstimmung ist Deutschlands Zusammenarbeit mit seinen Partnern im Indopazifik nicht mit der engen Kooperation innerhalb des transatlantischen Verteidigungsbündnisses NATO zu vergleichen.
Zwei große Herausforderungen einen die drei Länder Singapur, Japan und Indien: nichtkonventionelle Sicherheitsbedrohungen wie Umweltkatastrophen, Cyberkriminalität oder Terrorismus sowie der Konfrontationskurs Chinas.
China ist klar der Elefant im indopazifischen Porzellanladen. Der sino-amerikanische Konflikt hat bestehende Spannungen in ganz Asien verschärft; territoriale Streitigkeiten in Land- und Seegebieten fordern die regelbasierte Weltordnung heraus – und multilaterale Organisationen wie die Gemeinschaft südostasiatischer Staaten (ASEAN) sind durch eine „Divide et impera“-Strategie Chinas sowie die Uneinigkeit ihrer Mitgliedsländer geschwächt.
Indien sieht sich sowohl entlang seiner nördlichen Grenzen im Himalaya als auch im Indischen Ozean mit einer steigenden chinesischen Präsenz konfrontiert. Diese eskalierte zuletzt im Sommer 2020 zu den schwerwiegendsten gewaltsamen Auseinandersetzungen seit vielen Jahren. Gleichzeitig durchdringt China mit seiner Belt and Road Initiative zunehmend Indiens Nachbarschaft und unterstützt insbesondere Pakistan als größten Widersacher Neu-Delhis.
Auch die wachsende Kooperation zwischen China und Russland und eine mögliche Blockbildung auf dem eurasischen Kontinent beobachten indische Analysten mit Sorge. In Japan dagegen werden weitere Spannungen im Verhältnis mit China auch im Nachgang der COVID-19-Pandemie erwartet. So betonte der japanische Verteidigungsminister Nobuo Kishi im Gespräch mit seiner deutschen Amtskollegin Annegret Kramp-Karrenbauer, dass Peking seine militärischen Kapazitäten ungebrochen ausbaue, während andere Länder ihren Fokus gezwungenermaßen auf die Bekämpfung der Pandemie legen müssten. Für die japanische Außenpolitik gingen so wirtschafts- und sicherheitspolitische Herausforderungen zunehmend ineinander über. Im Stadtstaat Singapur baut China seinen Soft-Power-Einfluss innerhalb der ethnisch chinesischen Bevölkerungsgruppen erheblich aus, um die politische Öffentlichkeit zu beeinflussen und potenzielle Kritiker zu neutralisieren.Insgesamt lässt sich ein vielschichtiges chinesisches Einwirken in der indopazifischen Region konstatieren: Durch gezielten diplomatischen Druck entstehen politische und wirtschaftliche Zwänge – und mittels gestiegener militärischer Fähigkeiten kann sich China in akuten Konfliktsituationen oft durchsetzen.
Daneben gibt es nichtkonventionelle Sicherheitsbedrohungen wie ethnische und religiöse Radikalisierung und Terrorismus, Bedrohungen aus dem Cyberraum sowie den Klimawandel und Naturkatastrophen, welche besonders die Megacitys und Küstenräume Asiens gefährden. Gerade in Indien zeigt sich, wie dringend eine präventive Politik gegenüber der Verschmutzung und Zerstörung von Ökosystemen, aber auch den Auswirkungen von Naturkatastrophen, nicht zuletzt als Konsequenz des Klimawandels, ist.
Vor diesem Hintergrund und den unterschiedlichen Erwartungen verfolgt Deutschland mit diesen drei Partnerländern eine differenzierte sicherheitspolitische Zusammenarbeit in den Bereichen Rüstungskooperation, maritime Sicherheit sowie Cybersicherheit.
Indiens Potenzial verlangt einen höheren Einsatz
Indien und Deutschland verbindet eine strategische Partnerschaft, die sich explizit auf demokratische Werte, freien und fairen Handel sowie eine regelbasierte Ordnung stützt. Die beiden Länder treffen sich zu regelmäßigen Regierungskonsultationen und Deutschland betont gern, neuen Schwung in die derzeit ausgesetzten Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen Indien und der Europäischen Union bringen zu wollen. In der bilateralen Zusammenarbeit hat die Sicherheitspolitik dagegen bisher eine untergeordnete Rolle gespielt. Indische Experten räumen ein, dass sich die unmittelbaren strategischen Interessen bisher nur begrenzt überschneiden. Allerdings sei in Neu-Delhi auch die Wahrnehmung verbreitet, dass sich Deutschland in seiner Außenpolitik zu sehr auf China konzentriere und die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen, denen Indien gegenüberstehe, eher vernachlässigt worden sei.
Die deutsch-indische Verteidigungszusammenarbeit stützt sich seit 2006 auf ein Kooperationsabkommen, das Anfang 2019 anlässlich eines Ministertreffens um eine Implementierungsvereinbarung erweitert wurde. Diese Vereinbarung zielt darauf ab, einen vertieften Austausch der Streitkräfte herzustellen und insbesondere die Zusammenarbeit im Bereich der Rüstung zu fördern. In der Tat zeigt Indien Interesse an Produkten aus deutscher Herstellung: Aktuell ist ThyssenKrupp beim Beschaffungsprozess für sechs U-Boote für die indische Marine im Rennen und die Ausstattung von Panzern aus indischer Herstellung mit Motoren aus Deutschland wird geprüft. Ferner gibt es ein Programm für indische Offiziere, an Lehrgängen der Bundeswehr in Deutschland teilzunehmen; hier ist eine leichte Aufstockung der Kapazitäten vorgesehen.
Dennoch ist die deutsch-indische Verteidigungszusammenarbeit limitiert und ausbaufähig. Die einzige nennenswerte gemeinsame Übung der beiden Marinen fand 2008 im Arabischen Meer statt. Die Ausbildungskapazitäten bewegen sich auf einem niedrigen Niveau – und abgesehen von anlassbezogenen Dialogen auf hoher Ebene sind keine festen Stabsgespräche etabliert. Und auch in der Rüstungskooperation bleibt Deutschland nach Auffassung indischer Experten hinter seinen Möglichkeiten zurück: Während beispielsweise Frankreich in Indien aktiv für seine Produkte werbe und die Nachfrage genau eruiere, verhalte sich Deutschland zu passiv.
In den letzten deutsch-indischen Regierungskonsultationen im November 2019 haben Bundeskanzlerin Merkel und Premierminister Modi einschlägige Bereiche für vertiefte sicherheitspolitische Kooperation festgehalten, darunter Rüstungskooperation, maritime Sicherheit sowie Cybersicherheit. Aus Sicht indischer Experten könnte Deutschlands internationaler Einfluss vor allem bei der Sicherung von Seewegen zum Tragen kommen, um das geteilte Interesse am Schutz der regelbasierten Ordnung zu unterstreichen. Hier käme es neben einer intensiveren und koordinierten multilateralen Diplomatie auch auf die physische Teilnahme an maritimen Übungen an. Zudem habe Indien im östlichen Indischen Ozean aufgrund der Präsenz chinesischer U-Boote besonderen Bedarf an Aufklärungskapazitäten im Unterwasserbereich.
Neben dem unmittelbaren und zunehmenden Druck im maritimen Raum muss Indien eine Vielzahl von Herausforderungen auch für die innere Sicherheit bewältigen. Indische Experten sehen in der Bekämpfung von transnationalem Verbrechen und Terrorismus eine andauernde Herausforderung. Auch die Förderung von Resilienz und die Bildung von Notfallplänen werden für den vom Klimawandel besonders betroffenen Subkontinent eine gewichtige Rolle einnehmen. Deutschland könnte bei der Lösung von Problemen mit internationalem Charakter ein wichtiger Partner sein, der in der indischen Wahrnehmung seine Ressourcen allerdings bisher zu zurückhaltend einsetzt.
Japan wünscht sich mehr Sichtbarkeit von Deutschland
Als exportorientierte Nationen stehen sich Japan und Deutschland in ihrem Interesse am Erhalt der regelbasierten internationalen Ordnung in nichts nach. Neben dem angespannten Verhältnis mit Peking sieht sich Japan einer anhaltenden Bedrohung durch das nordkoreanische Nuklear- und Raketenprogramm ausgesetzt. Tokio sieht darin eine enorme Bedrohung für die Sicherheit und Stabilität der internationalen Gemeinschaft und pocht auf ein geschlossenes Handeln gegenüber Nordkorea. Nicht zuletzt deswegen hat das japanische Verteidigungsministerium Zuständigkeitsbereiche geschaffen, um neuartigen sicherheitspolitischen Herausforderungen zu begegnen, wie Cyberattacken, elektromagnetische Waffensysteme und Kriegsführung im Weltraum.
Die deutsch-japanischen Beziehungen waren und sind bislang überwiegend wirtschaftlich geprägt. Durch ihre Rolle im Zweiten Weltkrieg üben sich beide Länder in Zurückhaltung, wenn es um ein aktives militärisches Engagement geht. Allerdings besteht Einigkeit zwischen Berlin und Tokio, dass die regelbasierte Ordnung ein globales Gut ist, das es aktiv zu schützen gilt. Dazu gehört, dass Konflikte zwischen Nationen in den dafür vorgesehenen internationalen Institutionen gelöst werden und nicht einseitig mit Gewalt. Um einem solchen Verhalten entgegenzutreten, haben Japan und Deutschland eine verstärkte sicherheitspolitische Zusammenarbeit angekündigt, um für die Prinzipien einzustehen, die in den deutschen „Leitlinien zum Indo-Pazifik“ festgehalten sind.
Deutschland und Japan können bereits auf Erfahrungen in der sicherheitspolitischen Kooperation im Rahmen von multilateralen Foren zurückblicken. In der Pirateriebekämpfung arbeitet die japanische Marine mit der EU-Operation Atalanta im Indischen Ozean zusammen. Weiterhin blicken beide Länder auf gemeinsame Friedensmissionen der Vereinten Nationen sowie Zusammenarbeit innerhalb der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der NATO zurück. Letztere zählt Japan zu ihren globalen Partnern, seit 2014 wird dieses Bündnis durch ein individuelles Partnerschafts- und Kooperationsprogramm vertieft.
Innerhalb der Europäischen Union war Großbritannien über Jahre hinweg Japans wichtigster politischer Partner. Mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU deutet alles darauf hin, dass Tokio dieses Verhältnis nun verstärkt zugunsten Deutschlands verschieben wird. Allerdings räumen japanische Experten ein Hemmnis für ein gemeinsames außenpolitisches Verständnis ein: Aus Sicht vieler Entscheidungsträger in Tokio ist Deutschland aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen zu nachgiebig gegenüber China und hat bisher nicht genug getan, um dessen Ausgreifen einzudämmen.
Lange vor der Verabschiedung der „Leitlinien zum Indo-Pazifik“ durch die Bundesregierung hat Japan das Konzept eines freien und offenen Indopazifiks (Free and Open Indo-Pacific, FOIP) in den Mittelpunkt seiner Außen- und Sicherheitspolitik gerückt. Seither wirbt die japanische Regierung intensiv um Unterstützung dieser politischen Strategie. Die „Leitlinien zum Indo-Pazifik“ weisen viele Überschneidungen mit Japans FOIP-Konzept auf. Doch wünscht man in Tokioter Expertenkreisen, dass sich Deutschland noch stärker als militärischer Verbündeter präsentiert. Dieser Wunsch ließe sich vor allem durch die physische Präsenz einer deutschen Marineeinheit sowie eine Verdichtung der Gespräche auf der höchsten politischen Ebene materialisieren. Angesichts der japanischen Wahrnehmung einer sich zunehmend bedrohlich entwickelnden Sicherheitslage im Indopazifik und Deutschlands Bekenntnisses zur Bedeutung dieser Region sind die Voraussetzungen für die Stärkung der sicherheitspolitischen Komponente der bilateralen Kooperation so günstig wie nie.
Auf drei Feldern besteht erhebliches Potenzial für eine intensivere Zusammenarbeit: Erstens könnten beide Länder deutliche Zeichen ihrer Entschlossenheit setzen, geeint für ihre Interessen einzutreten. Auch wenn Deutschland das militärische Gleichgewicht im Indopazifik letztlich nicht substanziell beeinflussen kann, ist die lange angekündigte Entsendung einer Bundesmarineeinheit ein wichtiges politisches Signal dafür, Prinzipien auch mit konkreten Handlungen zu untermauern. Zweitens könnten Deutschland und Japan ihr gegenseitiges Vertrauen durch intensivierte Zusammenarbeit an konkreten Projekten erhöhen. Denkbar wären unter anderem eine deutsche Beteiligung an der bereits bestehenden japanischen Unterstützung für ASEAN-Staaten im Bereich des Küstenschutzes sowie eine gezielte Kooperation gegen nichtkonventionelle Bedrohungen wie einer Kriegsführung im Cyber- und Weltraumbereich – Themen, denen sich Japan bereits dezidiert widmet. Um das Fundament der Kooperation nachhaltig zu festigen, sollte Japan allerdings auch verstärkt Möglichkeiten prüfen, Deutschland und Europa bei sicherheitspolitischen Anliegen zu unterstützen, die keinen unmittelbaren Bezug zum Indopazifik haben. Drittens könnten beide Länder in der Rüstungskooperation näher zusammenfinden und die Möglichkeiten für gemeinsame (Weiter-)Entwicklung von Technologien prüfen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist der bevorstehende Abschluss des Geheimschutzabkommens, der sich aus Sicht einiger Experten zu lange hinauszögert.
Singapur als Anker gegen Desinformation
Singapur und Deutschland haben seit 2005 eine vertrauensvolle und vertiefte sicherheitspolitische Kooperation aufgebaut und diese auch formalisiert. Mit einem erweiterten Abkommen über Verteidigungszusammenarbeit im Jahr 2018 wurde diese noch einmal auf eine neue Ebene gehoben und es wurden aktuelle Prioritäten definiert, insbesondere zu Cybersicherheit und hybriden Bedrohungen. Obwohl die beiden Länder durch die geografische Entfernung unterschiedliche unmittelbare Bedrohungswahrnehmungen und -prioritäten haben und dadurch das Spektrum der Verteidigungszusammenarbeit beschränkt ist, haben sie ein ausgeprägtes Interesse an der Aufrechterhaltung einer multilateralen, regelbasierten Weltordnung. Die vertiefte Zusammenarbeit zwischen Singapur und Deutschland umfasst sowohl sicherheits- als auch außenpolitische Aspekte, wie eine gemeinsame Erklärung der beiden Außenminister im Jahr 2018 bestätigte. Dabei sieht Deutschland Singapur als zentralen Ansprechpartner der Europäischen Union für die Region Südostasien und innerhalb der ASEAN. Die exzellenten bilateralen Beziehungen werden von hochrangigen politischen Besuchen flankiert.
In den „Leitlinien zum Indo-Pazifik“ wird Singapur explizit in drei Themenkomplexen genannt: Frieden und Sicherheit, Informationssicherheit und Konnektivität. Konkret sind hier folgende Maßnahmen geplant: die Entsendung eines deutschen Marine-Verbindungsoffiziers in das singapurische Information Fusion Centre (IFC) zur Stärkung des Dialogs mit Wertepartnern zum Schutz von Informations- und Kommunikationssystemen sowie der Aufbau eines sogenannten Regionalen Deutschlandzentrums mit dem Ziel, Propaganda und Fake News in der Region entgegenzutreten. Mit dem neuen Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit Singapur von 2019 wird ein Beitrag zur wirtschaftlichen und regelbasierten Vernetzung der Handelsräume Asien und Europa geleistet. Ferner soll der Austausch über Schlüsseltechnologien und deren verantwortungsbewusste Nutzung mit Singapur verstärkt werden. Neben dem Aufbau des Regionalen Deutschlandzentrums und der Implementierung der Handelsabkommen sind die weiteren Pläne bislang jedoch relativ vage geblieben.
Im sicherheits- und verteidigungspolitischen Bereich genießt die gemeinsame Truppenübung Exercise Panzer Strike, welche seit 2009 stattfindet und seither an Komplexität und Umfang zugenommen hat, hohe Wertschätzung seitens Singapurs. Verteidigungsminister Ng Eng Hen würdigte die Bedeutung der Bereitstellung des Militärtrainingsgebiets in der Oberlausitz (Oberlausitz Military Training Area, OMTA) für die singapurischen Streitkräfte. Das Übungsgebiet umfasst etwa ein Viertel der Größe des Stadtstaates und gibt den singapurischen Streitkräften die Flexibilität, ohne die räumlichen Einschränkungen der Heimat zu trainieren. Bei der elften Auflage der Exercise Panzer Strike wurde im März 2019 auch eine bilaterale Live-Feuerübung durchgeführt. Als zweiter Pfeiler der Verteidigungskooperation ist Deutschland für Singapur Lieferant wichtiger Verteidigungsgüter. Zuletzt erhielt man vier U-Boote vom Typ 218SG und Leopard-2-Panzer aus Deutschland; Singapur steht zusätzlicher Rüstungskooperation offen gegenüber. Eine spezifische Herausforderung für Singapur, dessen demografische Entwicklung die Streitkräfte vor Rekrutierungsprobleme stellt, ist die Aufrechterhaltung der eigenen Verteidigungskapazitäten und Leistungsfähigkeit der Armee gegenüber Nachbarländern, während billigere Waffensysteme immer verfügbarer werden.
Die bilateralen sicherheitspolitischen Beziehungen zwischen Singapur und Deutschland haben sich in den vergangenen Jahren intensiviert. In dem Stadtstaat bewertet man Deutschlands Waffenexporte sowie die Bereitstellung von Trainingsmöglichkeiten für die Armee als erfolgreiche bilaterale Kooperation und Allianz gegenüber Herausforderern der internationalen Ordnung. Auch das Regionale Deutschlandzentrum bildet eine zunächst zivile Maßnahme, die aber je nach Ausgestaltung über Desinformationskampagnen aufklären und alternative Narrative anbieten könnte. Ergänzend dazu könnten ein vertiefter Austausch von Geheimdienstinformationen sowie vertrauensbildende Maßnahmen zur besseren Einschätzung der Bedrohungslage beitragen.
Prioritäten für die deutsche Sicherheitskooperation im Indopazifik
Die drei ausgewählten Fallbeispiele der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit Deutschlands im Indopazifik zeigen, dass es für die Bundesrepublik eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten gibt, sich als wertebasierter, verlässlicher Partner in der Region zu etablieren. Die Erwartungen der Partner vor Ort sind angesichts der Größe Deutschlands und seines globalen Einflusses beträchtlich – sei es bei der Stabilisierung der internationalen Ordnung oder bei konkreten Anlässen wie der Sicherung von Handelsrouten.
Kritiker der „Leitlinien zum Indo-Pazifik“ sehen das Risiko eines Bauchladen-Effekts: dass Deutschland mit allen Ländern der Region auf sämtlichen Gebieten von Nachhaltigkeit, Sicherheit bis zu Digitalisierung aktiv(er) werden soll. Ferner stehen im Dokument nur wenige neue Projekte und die weitere Umsetzung der Vorsätze des Papiers steht noch bevor. Aber genau darin könnte man auch die Stärke der Leitlinien sehen. Je nach Bedarf der Partnerländer bietet sich die Möglichkeit, fern starrer Strategien, Kooperationen neu zu gestalten oder zu vertiefen. Hier sind kleine, gezielte Schritte gefragt, nicht ein drastischer Kurswechsel. So ist es auch in der Sicherheitspolitik nach Betrachtung der drei Fallbeispiele: Nur das Zusammenspiel und kontinuierliche Arbeiten an verschiedenen Projekten führt zu einem qualitativen Sprung in der Gesamtschau.
Mit den bisherigen Projekten der Rüstungskooperation, gemeinsamen Ausbildungsformaten sowie Bemühungen zum Informationsaustausch unternimmt Deutschland noch nicht genug, um den Erwartungen zu entsprechen. Eine wirkliche Zeitenwende in der deutschen Sicherheitspolitik nicht nur im Indopazifik müsste unter anderem folgende Schritte beinhalten:
- Zunächst muss in der Region mehr über Interessen, Potenziale und Projekte Deutschlands bekannt sein und der Austausch zu sicherheitspolitischen Themen gerade auch auf der Arbeitsebene intensiviert und institutionalisiert werden.
- Zweitens kann die Signalwirkung einer physischen deutschen Verteidigungspräsenz kaum überschätzt werden; es ist von zentraler Bedeutung, dass Deutschland sein Versprechen der Entsendung einer Marineeinheit einlöst und auf diese Weise sichtbar für den Erhalt einer freien und offenen maritimen Ordnung eintritt. Dies setzt eine adäquate Planung in der Beschaffung und Budgetierung voraus.
- Drittens sollte sich Deutschland um gemeinsame Truppen- und Marineübungen bemühen und die Möglichkeit prüfen, als Beobachter an den Übungen des Quadrilateralen Sicherheitsdialogs (Quad) teilzunehmen.
- Viertens wünschen sich die drei Länder eine Vertiefung der bestehenden Rüstungskooperation und eine aktivere deutsche Interessenvertretung in diesem Bereich.
- Fünftens gilt es, die Zusammenarbeit im Cyber- und Informationsbereich deutlich zu stärken. Das Regionale Deutschlandzentrum in Singapur oder die Konnektivitätspartnerschaft mit Japan geben hier Anlass zur Hoffnung. Aber auch in diesem Bereich gibt es noch viel Spielraum für deutsche und europäische Narrative in der Region. Auch eine verstärkte Kooperation der Geheimdienste spielt hier eine Rolle.
- Schließlich sollten mit den Partnerländern alle Möglichkeiten der Kooperation in multilateralen Foren ausgebaut und um bi- und trinationale Formate ergänzt werden. Ein gemeinsames Treffen der Außen- und Verteidigungsminister im Zwei-plus-Zwei-Format mit Japan sollte realisiert werden.
Diese Empfehlungen gelten in ähnlicher Weise auch für das Auftreten der Europäischen Union. Deutschlands verstärktes sicherheitspolitisches Engagement im indopazifischen Raum kann letzten Endes nur mit europäischer Flankierung eine greifbare Wirkung entfalten.
Eine europäische Vision für den Indopazifik?
Die Diskussion um einen europäischen Pivot to Asia nahm insbesondere im vergangenen Jahr wieder an Fahrt auf. Frankreich und Großbritannien sind mit ihren Überseegebieten im Indopazifik und als etablierte maritime Sicherheitsmächte schon länger in der Region aktiv. Vor diesem Hintergrund veröffentlichte das französische Verteidigungsministerium bereits 2019 ein sicherheitspolitisches Strategiepapier zum Indopazifik. Deutschlands Leitlinien folgten im September 2020, das Policy Memo der Niederlande erschien zwei Monate später. Diese beiden Nationen verfolgen insbesondere wirtschaftspolitische Interessen in der Region: Diversifizierung der Handelspartner, Verringerung der Abhängigkeit von China und Stärkung der Beziehungen zu sogenannten Wertepartnern. Die Konzepte sind allerdings breiter aufgestellt als das französische und umfassen Bereiche wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Konnektivität und Klimawandel, Kulturdiplomatie und Multilateralismus.
Trotz aller Unterschiede zeugen sowohl die drei verschriftlichten Konzepte als auch die neu eingegangene Strategische Partnerschaft der EU mit ASEAN und die gemeinsame Position der E3-Länder bei den Vereinten Nationen bezüglich des Südchinesischen Meeres von zunehmender Einigkeit der sicherheitspolitisch ambitionierten Akteure Europas. Einzeln hat keine europäische Nation im globalen Wettstreit Gewicht. Nur durch die Bündelung von Kapazitäten und Material sowie die Rückbindung an gemeinsame Werte kann die EU glaubwürdig und durchsetzungsfähig auftreten. Die Vereinigung der verschiedenen Indopazifik-Programme von Deutschland, Frankreich und den Niederlanden zu einem europäischen Konzept, basierend auf den bereits bestehenden europäischen Papieren der Kommission mit dem Titel „EU-China – A strategic outlook“ (2019) und der EU-Konnektivitätsstrategie (2018), könnte für eine deutlich höhere Kohärenz im Handeln der Europäischen Union in der Region sorgen – auch für kleinere Mitgliedsländer, die dort aktuell keine Agenda verfolgen, aber spezifische Fähigkeiten einbringen könnten. Ein solches koordiniertes sicherheitspolitisches Agieren im Indopazifik würde den deutsch-französischen Motor der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) wieder anwerfen und gegenüber den transatlantischen Partnern die eigene Bereitschaft zur Lastenteilung unter Beweis stellen. Das hieße aber auch, sich nicht auf Blockbildungstendenzen und eine neue Konfrontation zwischen China und den USA einzulassen. Stattdessen könnte Europa in den geopolitischen Machtverschiebungen zumindest ein gewisses Maß an strategischer Handlungsfähigkeit zurückgewinnen.
Lewe Paul ist Referent in der Abteilung Asien und Pazifik der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Isabel Weininger ist Referentin in der Abteilung Asien und Pazifik der Konrad-Adenauer-Stiftung und aktuell Leiterin des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kambodscha.
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