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Blick in alle Richtungen

von Lucas Lamberty

Zur ­NATO-Mission im Irak und der Rolle der Allianz an der Südflanke

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine stellt die NATO die klassische Bündnisverteidigung richtigerweise wieder ins Zentrum ihres Handelns. Gleichwohl dürfen andere Bedrohungen nicht aus dem Blickfeld geraten. Das betrifft vor allem fragile Staaten in der südlichen Nachbarschaft der Allianz. Mit der Beratungsmission im Irak sucht die NATO nach Antworten, wie die Region mit moderatem Ressourceneinsatz stabilisiert werden kann – und welche Rolle sie selbst in Zukunft dort spielen möchte.

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Die NATO Mission Iraq (NMI) ist die letzte Mission der NATO außerhalb des europäischen Raums. In Zeiten der strategischen Umorientierung der Allianz – weg vom Krisenmanagement an der Südflanke und hin zur klassischen Abschreckung und Bündnisverteidigung an der Ostflanke – ist sie ein Überbleibsel der Out-of-area-Einsätze der vergangenen Dekaden. Die seit 2018 laufende Mission in Bagdad zielt auf die Stärkung der irakischen Sicherheitsinstitutionen ab, um den Irak im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) zu unterstützen.

Durch die neuerliche Bindung der NATO an der Ostflanke geht es für die Allianz heute darum, welche Rolle sie in Zukunft in ihrer südlichen Nachbarschaft mit Blick auf fragile Staaten, Terrorismus, Kriege und Krisen spielen kann. Das Strategische Konzept der NATO von 2022 sieht – neben robusten Maßnahmen des Krisenmanagements – vor allem die gezielte zivil-militärische Unterstützung von Partnerstaaten vor, um die Resilienz dieser als strategisch wichtig eingeordneten Länder zu stärken. Anders als ihre Vorgängermission, die NATO Training Mission Iraq, oder die großen Einsätze der Allianz in Afghanistan, ist die NATO Mission Iraq eine reine Beratungsmission. Sie soll Antworten liefern auf die Herausforderungen, denen sich die NATO an der Südflanke gegenübersieht, und dem 2015 selbst formulierten Anspruch einer Verteidigung auf Grundlage des 360-Grad-Ansatzes gerecht werden. Doch gelingt das im Irak und kann die Mission damit Vorbild sein für andere Einsatzländer?

 

NMI als Teil des 360-Grad-Ansatzes

Nach dem Abzug aus Afghanistan 2021 und dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine seit 2022 hat sich der Fokus der Allianz deutlich von der Süd- an die Ostflanke verschoben. Diese Schwerpunktverlagerung ist richtig und wichtig. Gleichwohl ist es nicht im Interesse der NATO, ihre in den vergangenen beiden Dekaden erworbenen Fähigkeiten im Bereich von Krisenmanagement und Out-of-area-Einsätzen aufzugeben und die südliche Nachbarschaft zu vernachlässigen. So argumentiert beispielsweise Carlo Masala mit Blick auf deutsche Auslandseinsätze: „Die Gründe, aus denen Auslandseinsätze geboten sein können, sind nicht von heute auf morgen verschwunden, die Welt ist in dieser Hinsicht nicht plötzlich sicherer geworden. Wir kommen aus der Nummer nicht heraus, beides – Landes- und Bündnisverteidigung sowie Auslandseinsätze – in unser Sicherheitsdenken einfließen zu lassen.“ Dies lässt sich in seiner Gesamtheit auch auf die NATO übertragen.

Denn die Allianz verfolgt einen 360-Grad-Ansatz, der bereits im Juni 2015 beim Verteidigungsministertreffen in Brüssel verabschiedet wurde und den Anspruch beinhaltet, den Sicherheitsherausforderungen sowohl an der Ost- als auch an der Südflanke zu begegnen. Klassische Bündnisverteidigung und Abschreckung sollen dabei einhergehen mit Out-of-area-Einsätzen, dem Kampf gegen den Terrorismus und internationalem Krisenmanagement. Gleichwohl hat die NATO durch den Fokus an der Ostflanke, der im Juni 2022 durch das neue Strategische Konzept festgeschrieben wurde, ihre Ambitionen in der südlichen Nachbarschaft deutlich reduzieren müssen.

Um ihre Sicherheitsinteressen an der Südflanke dennoch durchsetzen zu können, hat sie das Konzept der „Stabilitätsprojektion“ entwickelt. Durch die Verbindung von Krisenmanagement-Einsätzen und dem Prinzip der kooperativen Sicherheit soll die südliche Nachbarschaft stabilisiert werden. Der Ansatz der Allianz sieht Kooperationen mit ausgewählten Partnerländern in der Region vor. Diese sollen in die Lage versetzt werden, ihre eigene Sicherheit zu garantieren und damit zur Stabilisierung ihrer Nachbarschaft beizutragen. Standen in der Vergangenheit entweder Ausbildungsmissionen auf taktisch-operativer Ebene wie die NATO Training Mission Iraq (NTM-I) und die Resolute Support Mission (RSM) in Afghanistan oder Kampfeinsätze wie die International Security Assistance Force (ISAF) im Vordergrund, so setzt die NATO heute im Irak mit NMI auf der strategischen Ebene mit Beratung an.

Nach dem offiziellen Abzug der US-Armee wurde der Irak 2011 Partner der NATO.

Die NATO Mission Iraq wurde im Juli 2018 auf dem NATO-Gipfel in Brüssel beschlossen und ab August 2018 in Bagdad aufgebaut. Ziel der Mission ist die Unterstützung des Irak beim Aufbau nachhaltiger, transparenter, inklusiver und effektiver Sicherheitsinstitutionen und -kräfte, die das Land stabilisieren, Terrorismus bekämpfen und einen Wiederaufstieg des Islamischen Staates verhindern können. Die Mission umfasst etwa 600 Soldaten – darunter 150 Berater – unter Einbeziehung sämtlicher NATO-Mitgliedstaaten und des NATO-Partners Australien. Auch die deutsche Bundeswehr ist mit etwa 45 Soldaten beteiligt. NMI befindet sich auf Anfrage und Einladung der irakischen Regierung im Land und berät das irakische Verteidigungsministerium, das irakische Innenministerium, das Büro des Nationalen Sicherheitsberaters, das National Operations Center sowie die dem Verteidigungsministerium zugeordneten Truppenschulen. Die Beratung konzentriert sich insbesondere auf die Bereiche Ausbildung, Personalwesen, Logistik und Standardisierung und zielt langfristig auf eine umfassende Reform des irakischen Sicherheitssektors ab. So beraten etwa deutsche Bundeswehroffiziere im Rahmen von NMI irakische Truppenschulen bei der Ausrichtung der Ausbildung irakischer Soldaten.

In ihrer Form hebt sich die NATO Mission Iraq damit von ihrer Vorgängermission ab. Diese befand sich zwischen 2004 und 2011 im Land und trug als klassische Trainingsmission zur Ausbildung von etwa 5.000 irakischen Offizieren und 10.000 Polizisten bei. Im Vergleich zum weitaus größeren Engagement der USA und der Multi-National-Force Iraq spielte die NATO – anders als in Afghanistan – auch wegen der ablehnenden Haltung von Mitgliedstaaten wie Deutschland gegenüber dem Irakkrieg zu der Zeit aber immer eine untergeordnete Rolle. Nach dem offiziellen Abzug der US-Armee und dem Ende der Okkupation wurde der Irak 2011 offiziell Partner der NATO, was die Grundlage der heutigen NATO-Beratungsmission NMI bildet.

Anders als ISAF verfügt NMI über keinen Kampfauftrag und hat auch deutlich weniger Soldaten als die Resolute Support Mission in Afghanistan. Dadurch hat sie eine geringe öffentliche Sichtbarkeit, bietet wenig Angriffsfläche und ist flexibel einsetzbar. Die Beratungsleistung ist auf die militärische Kernexpertise der Allianz beschränkt und konkret definiert, sodass die Mission zielgerichtet und punktuell an den Stellen ansetzen kann, an denen die irakischen Sicherheitskräfte den größten Nachholbedarf haben. Darüber hinaus kombiniert die Mission militärische und zivile Elemente und orientiert sich stark an den Bedarfen der irakischen Seite. In Zeiten, in denen die Allianz an ihrer östlichen Flanke gebunden ist, stellt NMI somit den Versuch dar, mit niedrigem politischem Profil und geringen Mitteln effizient und effektiv dem Anspruch gerecht zu werden, Stabilität in die Nachbarschaft zu projizieren. Doch reicht dies angesichts der großen Herausforderungen, denen der Irak gegenübersteht?

 

Die Herausforderungen im Irak

Im Nahen und Mittleren Osten und damit in der südlichen Nachbarschaft der NATO kommt dem Irak eine besondere geostrategische Bedeutung zu. Das Land ist mit etwa 40 Millionen Einwohnern bevölkerungsmäßig der drittgrößte Staat der arabischen Welt. Ob der Größe des Landes haben Entwicklungen im Irak Auswirkungen auf die gesamte Region. Das Land kann sowohl Stabilitätsanker als auch Unsicherheitsfaktor sein. Als Nachbarstaat der Türkei grenzt der Irak zudem direkt an die Allianz. Entsprechend groß ist das Interesse an einem stabilen Irak mit enger Anbindung an die NATO – gerade vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise von 2015 und den Terroranschlägen von Al-Qaida und dem Islamischen Staat in Europa. Doch die Herausforderungen im Land sind groß und beispielhaft für die Unsicherheitsfaktoren an der Südflanke des Verteidigungsbündnisses. Drei dieser Herausforderungen stehen aus sicherheitspolitischer Sicht im Fokus:

  • die schwache Staatlichkeit des Irak;
  • die Persistenz des Islamischen Staates im Land;
  • die Einflussnahme externer Akteure, insbesondere des Iran.

 

Der Irak ist auch 20 Jahre nach der US-geführten Invasion von 2003 ein fragiler Staat und zeichnet sich durch ein geringes Maß an Staatlichkeit aus. Zwar hat sich das Land in den vergangenen Jahren stabilisiert; es belegt im Fragile States Index aber auch heute noch einen der hinteren Plätze. Als failing state hat sich der Irak seit 2003 zudem immer wieder durch Phasen vollständigen Staatsversagens ausgezeichnet. Die Demokratie im Irak ist jung und weiterhin nicht gefestigt. Die staatlichen Institutionen sind schwach und von Korruption und Nepotismus gezeichnet. Auch die ethnisch-konfessionelle Fragmentierung des politischen Systems hat zur staatlichen Fragilität beigetragen.

Ausdruck der eingeschränkten Staatlichkeit des Irak waren in den vergangenen Jahren schwache staatliche Sicherheitsinstitutionen. Der Staat hat zwar heute erstmals seit 2014 wieder Kontrolle über sein gesamtes Staatsgebiet. Das ist ein merklicher Fortschritt. Dennoch bleibt die langfristige Stärkung von Armee und Polizei eine der großen Herausforderungen mit Blick auf die sicherheitspolitische Lage. Daneben existiert mit den sogenannten Volksmobilisierungskräften eine umfangreiche Milizstruktur, die zwar nominell unter dem Befehl Bagdads steht, de facto aber nicht vollständig in den Sicherheitssektor integriert ist und sowohl durch externe Akteure wie den Iran als auch lokale politische und religiöse Führungspersönlichkeiten kontrolliert wird. Diese Milizen haben ein ambivalentes Verhältnis zum Staat. Während sie ihn teilweise stützen – etwa im Kampf gegen den Islamischen Staat –, stehen sie andererseits oftmals in einem Konkurrenzverhältnis zu ihm und bilden eine eigene Parallelstruktur.

Durch die schwache Staatlichkeit des Irak ist in den vergangenen Jahren ein Vakuum in der Region entstanden, das andere Akteure gezielt ausgenutzt haben. Die Schwäche der irakischen Sicherheitskräfte erlaubte so – im Zusammenspiel mit der Lage im gleichzeitig durch den Bürgerkrieg gezeichneten Syrien – den Aufstieg des Islamischen Staates ab 2013. Der IS ist im Kern eine irakische Terrororganisation und kontrollierte zwischen 2014 und 2016 etwa ein Drittel des irakischen Staatsgebietes inklusive der Millionenmetropole Mossul. Auch wenn das territoriale Kalifat des IS mit Unterstützung der Internationalen Koalition gegen den IS, einem Zusammenschluss von 86 Partnern, darunter auch Deutschland, zerschlagen werden konnte, so ist die Organisation nicht verschwunden.

Aktuell gelingt es, den militärischen Druck auf den IS hochzuhalten.

Dem IS ist die Rückverwandlung zu einer mit asymmetrischen Mitteln, aus dem Untergrund agierenden Aufstandsbewegung gelungen, die weiterhin über Strukturen und Zellen im Irak verfügt und regelmäßig Angriffe auf irakische und irakisch-kurdische Sicherheitskräfte verübt. Ihre Operationsräume liegen im Zentralirak südlich der Stadt Kirkuk und in den schwer zu kontrollierenden Wüstengebieten an der irakisch-syrischen Grenze. Aktuell gelingt es den irakischen und internationalen Kräften, den militärischen Druck auf den IS hochzuhalten und den Radius der Organisation zu begrenzen, sodass sie nicht in der Lage ist, größere und komplexere Anschläge durchzuführen. Sollte dieser Verfolgungsdruck aber nachlassen, könnte dies zu einem Wiedererstarken der Organisation führen, die nach wie vor auch für Europa eine konkrete terroristische Gefahr darstellt.

Neben dem Aufstieg des IS hat die schwache Staatlichkeit zudem die Einflussnahme externer Akteure im Irak gefördert. So ist der Irak seit 2003 zum Austragungsort geo- und regionalpolitischer Machtkämpfe geworden. In erster Linie betrifft dies die Auseinandersetzungen zwischen dem Iran und den USA im Nahen und Mittleren Osten. Der Irak ist ein wesentlicher Bestandteil der Strategie Teherans, durch die Schaffung einer schiitischen Achse vom Mittelmeer bis nach Zentralasien die geostrategische Position zu konsolidieren sowie die Stellung im internationalen System durch den Aufbau einer militärischen Drohkulisse auszubauen. Durch den gezielten Auf- und Ausbau von Milizen ist es dem Iran gelungen, zum wichtigsten externen Akteur im Land zu avancieren.

Dem gegenüber stehen die USA, der zweite wichtige Akteur im Irak, dessen Politik auf die Einhegung und Isolierung des Iran abzielt. Der Irak oszilliert zwischen diesen beiden Polen, wobei beide Seiten versuchen, ihre Interessen im Land durchzusetzen. Wie unter einem Brennglas ist diese Konfrontation seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 auch im Irak schrittweise eskaliert. So haben Iran-nahe Milizen seit Mitte Oktober 2023 mehr als 150 Angriffe auf US-Stellungen in Syrien und im Irak ausgeführt. Die USA, die weiterhin 2.500 US-Soldaten im Irak stationiert haben, haben ihrerseits mit Vergeltungsschlägen auf diese Milizen reagiert.

Auch auf globaler Ebene wird der Irak zunehmend zum Spielball geopolitischer Interessenpolitik. So versuchen insbesondere China und Russland – teils im Schulterschluss mit dem Iran – ihren Einfluss im Irak auf Kosten der USA und deren Verbündeten auszuweiten. Während seines Besuchs im Oktober 2023 in Moskau äußerte der irakische Ministerpräsident Mohammed Shia al-Sudani am Rande eines Gesprächs mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin Interesse, dem BRICS-Format beizutreten. Das wäre für den Irak, der unter der aktuellen Regierung einen neutralen außenpolitischen Kurs verfolgt, eine Abkehr vom „Westen“ und eine Hinwendung zum „Osten“ und würde die Anbindungsversuche an die USA und Europa deutlich unterminieren.

Die NATO Mission Iraq verfügt bei den irakischen Entscheidungsträgern über großes Ansehen.

 

Schwierige Aufgaben und erste Erfolge

Die NATO Mission Iraq agiert mit Blick auf die drei Herausforderungen – die schwache Staatlichkeit, die Persistenz des IS und die externe Einflussnahme, insbesondere durch den Iran – in einem äußerst volatilen Umfeld. Verschärft wird dies seit Dezember 2023 durch eine neuerliche Diskussion im Land über ein Ende der Präsenz der Internationalen Koalition gegen den IS und den Abzug der US-Truppen aus dem Irak, die über Stützpunkte in der Region Kurdistan-Irak und im Zentralirak verfügen.

Iran-nahe Akteure im Land, die insbesondere dem schiitisch-arabischen Spektrum zugeordnet werden können, fordern traditionell den Rückzug Washingtons, um die Position Teherans zu stärken. Durch die wiederholten US-Militärschläge auf irakischem Staatsgebiet gegen schiitische Milizen haben diese Stimmen neuen Auftrieb erhalten. Die irakische Regierung hat sich bislang zurückhaltend positioniert. Doch auch hier gibt es Bestrebungen, die Kampfeinsätze ausländischer Truppen im Irak zu beenden. Hintergrund sind dabei vor allem Reputationsüberlegungen: Der Irak soll unter Beweis stellen, dass er ein „normales“ und sicheres Land ist, das im Kampf gegen den IS nicht mehr auf externe militärische Unterstützung angewiesen ist.

Die Standards der NATO gelten auch im Irak als die höchsten und besten.

Die NATO und NMI sind bislang nicht zum Ziel der Abzugsforderungen geworden. Mit Blick auf die Frage, wie erfolgreich NMI hinsichtlich der Herausforderungen im Irak und der sicherheitspolitischen Interessen der NATO in der südlichen Nachbarschaft ist, ist dies aufschlussreich. Erstens lässt sich festhalten, dass die Mission bei den irakischen Entscheidungsträgern über großes Ansehen verfügt. Geschätzt wird insbesondere die Expertise der Allianz. Die Standards der NATO gelten auch im Irak als die höchsten und besten. Die Regierung in Bagdad möchte, dass die irakischen Sicherheitskräfte hiervon weiterhin profitieren. So wurde NMI bereits 2021 ob der großen Nachfrage von irakischer Seite personell deutlich aufgestockt und die Beratung im Sommer 2023 auf Bitten der irakischen Regierung auch auf das Innenministerium ausgeweitet. Das macht unter praktischen Gesichtspunkten Sinn – die paramilitärische Federal Police, vergleichbar mit den italienischen Carabinieri oder der französischen Gendarmerie, hat gerade im Kampf gegen den IS immer wieder militärische Aufgaben wahrgenommen –, zeigt aber gleichzeitig auch das Vertrauen, das sich in den vergangenen fünf Jahren von irakischer Seite in NMI entwickelt hat. Zweitens kommt NMI zugute, dass sie nur über einen Beratungsauftrag, nicht aber über einen Kampfauftrag verfügt und die Mission nicht als US-dominiert wahrgenommen wird.

Gleichzeitig ist klar, dass NMI die Herausforderungen des Irak nicht allein lösen kann. Dafür sind diese zu groß und vielschichtig. Die Reform des irakischen Sicherheitssektors ist eine Mammutaufgabe und politisch schwer umsetzbar, da hier eine Vielzahl an Vetospielern involviert ist. Dennoch ist das Mandat von NMI mit Blick auf die Herausforderungen im Irak richtig angelegt. Es zielt explizit auf die Stärkung von staatlichen Strukturen ab. Die NATO arbeitet in diesem Bereich auch mit der zivilen European Union Advisory Mission in Iraq (EUAM Iraq), die bereits seit 2017 im Land ist, und dem United Nations Development Programme (UNDP) zusammen.

Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Mission fünf Jahre nach ihrem Beginn erste Erfolge zeigt. Die praktische Unterstützung der irakischen Sicherheitskräfte, die an bestehenden Strukturen andockt, hat dazu geführt, dass sich diese in den vergangenen Jahren deutlich stabilisiert haben. Anders als in Afghanistan verfügt der Irak traditionell über starke staatliche Sicherheitsorgane. Noch in den 1980er-Jahren galt die irakische Armee als eine der stärksten in der Region. Gleichwohl haben die Konflikte der vergangenen Dekaden und insbesondere die vollständige Auflösung der Armee nach 2003 durch die Koalitions-Übergangsverwaltung die irakischen Sicherheitskräfte stark gezeichnet. Der partielle Zusammenbruch der irakischen Armee im Kampf gegen den IS im Sommer 2014 in Mossul stellte den Tiefpunkt in der jüngeren Geschichte des Irak dar und zeugte von der Schwäche des irakischen Sicherheitssektors, der Mitte der 2010er-Jahre durch Missmanagement und Korruption zerrüttet war.

Seitdem haben sich die Sicherheitskräfte des Irak – auch im Zuge der Wiedereroberung des vom IS ursprünglich besetzten Gebietes und dank internationaler Unterstützung – wieder gefestigt. Vertreter von NMI bescheinigen der irakischen Armee heute einen grundsätzlich guten Ausrüstungs- und Ausbildungsstand auf taktisch-operativer Ebene. Woran es fehlt, sind die Organisation und langfristige Ausrichtung der Sicherheitskräfte in Friedenszeiten. Gerade hier setzt NMI – anders als beispielsweise die Internationale Koalition gegen den IS – auf strategischer Ebene an. Dadurch wird sichergestellt, dass mit geringerem Personaleinsatz ein potenziell größerer Effekt erzielt werden kann. Es ist damit auch das Verdienst von NMI, dass sich laut Fragile States Index die Staatlichkeit des Irak seit 2017 – gerade im Bereich der Sicherheitskräfte – verbessert hat.

Gleichzeitig ist Realismus gefragt, denn NMI sieht sich drei strategischen und einer operativen Herausforderung gegenüber. Erstens bleibt die Reform der Sicherheitskräfte Aufgabe der irakischen Regierung. Dies bringt zum einen den Vorteil, dass es ein klares Ownership-Verhältnis gibt; gleichzeitig ist NMI dadurch aber auch vom politischen Willen in Bagdad abhängig. Der Irak hat sich zwar seit Antritt der Regierung von Ministerpräsident Mohammed Shia al-Sudani im Oktober 2022 politisch stabilisiert. Gleichwohl bleibt die Lage fragil und das Land politisch zerrüttet. Im komplizierten politischen Kontext des Irak ist das Navigieren für alle internationalen Akteure eine Herausforderung.

Zweitens – und damit zusammenhängend – zielt NMI auf die Etablierung von staatlichen Strukturen ab, die gerade vom Iran durch die Durchdringung des Sicherheitssektors mit Iran-nahen Milizen und den Aufbau von Parallelstrukturen immer wieder unterminiert werden. Teheran hat kein Interesse an einer nachhaltigen Sicherheitssektorreform und – vor dem Hintergrund des Iran-Irak-Kriegs in den 1980er-Jahren – starken regulären irakischen Sicherheitskräften. Der Erfolg der Mission ist damit nicht nur vom Willen der irakischen Regierung, sondern indirekt auch von der Kooperationsbereitschaft des Iran abhängig, was den Wirkungskreis der Mission einschränkt.

Drittens ist NMI bislang nur auf die Kräfte der irakischen Zentralregierung beschränkt. Die Reform der irakisch-kurdischen Peschmerga unterliegt der Internationalen Koalition gegen den IS und stagniert aufgrund von innerkurdischen Verwerfungen seit Jahren. Dies schränkt auch den langfristigen Erfolg von NMI ein.

Viertens bringt die kurze Stehzeit der NATO-Berater vor Ort in Bagdad, die in der Regel sechs Monate beträgt, deutliche operative Herausforderungen mit sich. Der Erfolg der Mission ist in einer Region, in der persönliche Beziehungen eine maßgebliche Rolle spielen, in vielerlei Hinsicht vom Vertrauen zwischen Beratern und den Vertretern der irakischen Sicherheitskräfte abhängig. Kurze Stehzeiten erschweren die Nachhaltigkeit dieser Beziehung und des Beratungserfolgs an sich.

Insgesamt hat NMI im Irak eine Lücke geschlossen, die zwischen der Ausbildung der irakischen und irakisch-kurdischen Sicherheitskräfte auf taktisch-operativer Ebene durch die Internationale Koalition gegen den IS und der politisch-administrativen Ebene der Unterstützung der umfassenden Sicherheitssektorreform durch EU und UNDP bestanden hatte. Die NATO bringt wichtige Fähigkeiten ein, den irakischen Staat weiter zu stabilisieren. Klar ist aber auch, dass die Erfolge im Kampf gegen den IS maßgeblich auf die militärische Unterstützung der USA im Rahmen der Internationalen Koalition gegen den IS zurückzuführen sind. NMI wird die Lücke, die nach einem Abzug der USA aus dem Irak entstehen würde, schon per Mandat nicht schließen können, sondern kann durch ihren Beratungsauftrag immer nur ein ergänzendes Instrument darstellen. In diesem Zusammenhang bleibt auch abzuwarten, inwiefern ein möglicher Abzug der Internationalen Koalition gegen den IS – auf die sich auch die NATO zumindest in Teilen logistisch stützt – Auswirkungen auf NMI haben wird.

Das Konzept einer flexiblen Beratungsmission hat sich bislang bewährt.

Aus politischer Sicht stärkt NMI die Präsenz des Westens im Irak und sichert wichtige Informationszugänge. Damit stellt sie auf der Ebene der politischen Eliten einen bedeutenden Bestandteil der Beziehung zwischen den westlichen Staaten und dem Irak dar. Gelingt es, mithilfe von NMI die staatliche Autorität im Land weiter zu festigen, so wird auch das Vakuum im Irak, das die Persistenz des IS sowie externe Einflussnahme ermöglicht, schwinden und damit die Souveränität des Landes insgesamt gestärkt. Die Erfolge von NMI in den vergangenen Jahren machen hier Mut.

 

NMI als Vorbild für weitere Missionen in der südlichen Nachbarschaft?

Zum 75. Jubiläum der NATO liegt der Fokus wieder auf der Bedrohung, gegen die das Verteidigungsbündnis einst gegründet worden ist: einem Angriff an der östlichen Flanke durch Russland. Abschreckung und konventionelle Bündnisverteidigung sind die Gebote der Stunde. Gleichwohl muss es die NATO schaffen, ihre in den vergangenen zwei Dekaden aufgebaute Expertise im Krisenmanagement und bei Out-of-area-Einsätzen zu erhalten und auch die südliche Flanke nicht aus den Augen zu verlieren. Bei begrenzten Ressourcen wird es für das Bündnis eine große Herausforderung sein, dem eigenen Anspruch einer Verteidigung auf Grundlage eines 360-Grad-Ansatzes gerecht zu werden – zumal mit dem Indopazifik in Zukunft wohl noch ein dritter Schauplatz hinzukommen dürfte.

Die NATO Mission Iraq zeigt einen Weg auf, wie die NATO in Zukunft zur Stabilisierung der südlichen Nachbarschaft beitragen kann. Die Erfahrungen im Irak sind positiv und können als Vorbild für ähnliche Missionen der NATO in anderen Teilen des Nahen und Mittleren Ostens, Nordafrikas und der Sahelzone dienen. Das Konzept einer kleinen, flexiblen Beratungsmission mit niedrigem politischem Profil und geringer Angriffsfläche, eng definiertem Mandat sowie der Konzentration auf die Kernkompetenzen der NATO und den Bedarf des Einsatzlandes hat sich bislang in Zusammenarbeit mit dem NATO-Partner Irak bewährt. Dieser Ansatz bietet der Allianz die Möglichkeit, im Konzert mit anderen Akteuren den vielschichtigen Bedrohungen an der südlichen Flanke entgegenzutreten und strategisch wichtige Staaten gezielt zu unterstützen – bei allem Realismus, was die Komplexität und Größe der Herausforderungen in diesen Ländern angeht.

Die Beschränkung auf ein Beratungsmandat macht die NATO ihrerseits für Partner interessant und erlaubt es der Allianz, wichtige Informationszugänge und Sichtbarkeit als Teil eines breiteren Ansatzes des Westens im „Globalen Süden“ zu sichern. Aus deutscher Perspektive wiederum bieten Missionen wie die im Irak einen Weg, mit vergleichsweise geringem Aufwand zur Lastenteilung innerhalb der NATO beizutragen und damit auch das transatlantische Verhältnis positiv zu beeinflussen.

Gerade Staaten in West- und Ostafrika könnten sich in Zukunft aufgrund der zunehmenden Ausbreitung von Terrororganisationen für ähnliche Missionen anbieten. Voraussetzungen sind der politische Wille dieser Partner und ein klares Ownership der Staaten. Vonseiten der NATO wiederum ist entscheidend, ein gleichberechtigtes Partnerschaftsverhältnis aufzubauen. Zudem sollte nicht der Anspruch entstehen, durch Beratungsleistungen politische Probleme zu lösen. Einsätze wie die NATO Mission Iraq können immer nur Teil eines größeren Ansatzes sein. Gleichwohl stellen sie ein Instrument dar, auf das die westliche Staatengemeinschaft im 75. Jahr des Bestehens der NATO verstärkt zurückgreifen sollte.

 


 

Lucas Lamberty leitet das Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung im Irak.


 

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