Ausgabe: 1/2024
Seit 2017 gehört Kolumbien als einziges Land Lateinamerikas zum exklusiven Kreis der globalen Partner der NATO. Die Aufnahme Kolumbiens und weiterer globaler Partner wurde möglich durch die Annahme des Strategischen Konzepts auf dem Gipfel in Lissabon 2010, auf dem die Allianz neue Bedrohungen der internationalen Sicherheit definierte und sich zu ihrer Rolle als globaler Sicherheitsakteur bekannte. Dies ermöglichte neue Formen der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit mit Partnern weltweit über die eigentlichen Mitglieder und den ursprünglichen geografischen Rahmen des Verteidigungsbündnisses hinaus.
Etappen der Zusammenarbeit zwischen NATO und Kolumbien
Während ihres 75-jährigen Bestehens durchlief die NATO mehrere Phasen einer strategischen Weiterentwicklung. Während der 1950er-Jahre hatte das Bündnis einen rein defensiven Charakter und diente der konventionellen kollektiven Verteidigung. Von den 1960er- bis Anfang der 1990er-Jahre entwickelte die Allianz Strategien, in deren Zentrum die nukleare Abschreckung des Warschauer Pakts stand. Mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des Ost-West-Konflikts rückte die Stabilisierung Mittel- und Osteuropas sowie die NATO-Erweiterung in den Vordergrund. Spätestens mit den verheerenden Terroranschlägen von Al-Qaida am 11. September 2001 und der erstmaligen Feststellung des Bündnisfalls nach Artikel 5 des NATO-Vertrags rückten neue, nichtkonventionelle Bedrohungen wie der internationale Terrorismus in den Fokus der Allianz. Wichtige Wegmarken waren danach das Strategische Konzept von Lissabon 2010 sowie die russische Annexion der Krim 2014, welche die Bündnisverteidigung wieder stärker in den Vordergrund rückte und die NATO-Partner dazu motivierte, ihre Verteidigungsausgaben signifikant zu erhöhen und das Zwei-Prozent-Ziel zu vereinbaren. Die russische Invasion der Ukraine seit Februar 2022 hat die Parameter weiter verschoben und zu einer militärischen Stärkung der NATO-Ostflanke sowie einer veränderten Risikoanalyse des Sicherheitsumfelds im neuen Strategischen Konzept von Madrid 2022 geführt.
Bereits mit dem Strategischen Konzept von Lissabon definierte sich die Allianz als globaler Sicherheitsakteur und öffnete sich für Sicherheitspartnerschaften über den Kreis der eigentlichen Mitglieder hinaus. Damit wurden die Grundlagen für die Entstehung eines weltweiten Partnernetzwerks mit regionalen Schlüsselakteuren geschaffen. Heute verfügt die NATO über verschiedene Partnerschaftsformate mit rund 40 Nichtmitgliedstaaten, darunter die „globalen Partner“ Afghanistan (aktuell suspendiert), Australien, Irak, Japan, Kolumbien, Südkorea, Mongolei, Neuseeland und Pakistan. Diese Partnerschaften sollen zu Frieden, Stabilität und Sicherheit in und außerhalb des eigentlichen NATO-Territoriums beitragen und fußen auf „gemeinsamen Werten, dem Prinzip der Reziprozität, einem gemeinsamen Nutzen und gegenseitigem Respekt“. Jeder Partner entscheidet dabei in Abstimmung mit der NATO über Geschwindigkeit, Umfang und Schwerpunkte der Zusammenarbeit selbst und legt individuelle Ziele fest.
Traditionell ist Kolumbien einer der engsten Partner der USA auf dem südamerikanischen Kontinent. Im Rahmen des 1999 vereinbarten Plan Colombia leisteten die USA in den Folgejahren umfangreiche Wirtschafts- und Militärhilfen zur Stabilisierung des Landes, Bekämpfung des Drogenhandels und Professionalisierung von Militär und Polizei. Ohne diese Finanz- und Ausstattungshilfen und die damit einhergehenden Ausbildungsprogramme wäre die erfolgreiche militärische Zurückdrängung der FARC-Guerilla (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia), die um die Jahrtausendwende noch große Teile des Landes kontrollierte und auf die Einnahme der Hauptstadt Bogotá abzielte, undenkbar gewesen.
Am Rande der militärischen Niederlage und stark dezimiert ließen sich die FARC auf Friedensverhandlungen ein, die 2016 unter Präsident Juan Manuel Santos schließlich zur Unterzeichnung des Friedensvertrags und der Demobilisierung der FARC führten. Zwar existierten danach illegale bewaffnete Gruppen und Guerillas wie die ELN (Ejército de Liberación Nacional) und FARC-Dissidenten weiter, doch mit der Auflösung des militärisch bedeutendsten Akteurs des internen Konflikts in Kolumbien wurden militärische, politische und wirtschaftliche Kapazitäten frei. Diese nutzte Präsident Santos, um nach Dekaden der Konzentration auf die Bedrohung im Inneren die kolumbianischen Außenbeziehungen auszubauen und zu diversifizieren. In zeitlicher Nähe zur Aufnahme der globalen Partnerschaft mit der NATO trat Kolumbien als drittes lateinamerikanisches Land nach Mexiko und Chile der OECD bei. Ziel von Präsident Santos war es, Kolumbien zu einem aktiven Mitglied der internationalen Gemeinschaft zu machen und in der Wertegemeinschaft der freien Demokratien zu verankern.
Die Ursprünge der Zusammenarbeit zwischen NATO und Kolumbien datieren allerdings weiter zurück. Bereits 2013 unterzeichnten beide ein Abkommen, das die Geheimhaltung des Austausches klassifizierter und sicherheitsrelevanter Informationen garantieren sollte. Die Vereinbarung war zwar eher technischer Natur, jedoch eine wichtige Vorbedingung für die weitere Entwicklung der Zusammenarbeit. 2015 beteiligte sich Kolumbien erstmals erfolgreich an der NATO-geführten Mission Ocean Shield zur Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika und stellte damit den hohen Professionalisierungsgrad und die Fähigkeit zur militärischen Zusammenarbeit nach NATO-Standards unter Beweis. 2017 unterzeichneten Kolumbien und die NATO ein individuelles Partnerschafts- und Kooperationsprogramm (Individual Partnership and Cooperation Programme, IPCP), welches 2019 aktualisiert wurde. Als Schwerpunkte der Zusammenarbeit wurden darin unter anderem Cybersicherheit, maritime Sicherheit, Kampf gegen den Terrorismus, Gender und Sicherheit, Minenräumung und die Stärkung der Kapazitäten und Fähigkeiten des kolumbianischen Militärs beschrieben. Bei einer Pressekonferenz mit Präsident Santos 2018 in Brüssel äußerte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zudem die Hoffnung, dass die kolumbianischen Erfahrungen einen Beitrag zum Friedens- und Aussöhnungsprozess in Afghanistan leisten könnten. Im Dezember 2021 vereinbarten die Partner eine weitere Vertiefung der Zusammenarbeit und unterzeichneten ein individuell zugeschnittenes Partnerschaftsprogramm (Individually Tailored Partnership Programme, ITPP).
Dabei handelt es sich um ein Abkommen mit Modellcharakter, da es das erste Abkommen dieser Art ist, das die NATO mit einem ihrer Partner abschließt. Das ITPP konkretisiert die Zusammenarbeit in mehreren Zielen: Dialog und Konsultationen, Terrorismusbekämpfung, Katastrophenbewältigung, Bildung und Ausbildung im Sicherheitsbereich, Stärkung von Integrität und Transparenz im Sicherheits- und Verteidigungssektor, Fähigkeitsentwicklung und Interoperabilität der Streitkräfte, Sprachkompetenz in den NATO-Sprachen für kolumbianische Militärangehörige, Sicherheitsdiplomatie, Cybersicherheit sowie Klimawandel und Sicherheit. Auf dem Papier liegt damit eine ambitionierte Agenda für die weitere Zusammenarbeit zwischen Kolumbien und der NATO vor.
Gemeinsame Interessen und Ziele der Kooperation
Kolumbien und die NATO ziehen vielfältigen gemeinsamen Nutzen aus der globalen Partnerschaft. Für Kolumbien, das sich über Jahrzehnte auf den internen Konflikt und die Bekämpfung von Guerillabewegungen, Drogenkartellen und anderen schwer bewaffneten Gruppen der organisierten Kriminalität konzentrieren musste, bietet die Zusammenarbeit die Chance, den eigenen Militär- und Sicherheitsapparat weiter zu professionalisieren und internationalen Standards anzupassen. Gemeinsame Übungen und Einsätze mit NATO-Streitkräften sowie der Zugang zur breiten Angebotspalette der NATO-Ausbildungszentren stärken die Kompetenzen und die Interoperabilität des kolumbianischen Militärs mit internationalen Partnern.
Dank der Kooperation mit der NATO konnte Kolumbien bereits Fortschritte beim Kampf gegen die chronische Korruption im Verteidigungs- und Sicherheitssektor vermelden. So wurden NATO-Standards und Kontrollmechanismen im Militär eingeführt für Transparenz bei der Auftragsvergabe und beim Kauf von Material und Ausstattung.
Die gemeinsamen Ausbildungsprogramme zum Thema Menschenrechte und menschliche Sicherheit sind ebenfalls von essenzieller Bedeutung, um Professionalität und Integrität der kolumbianischen Streitkräfte zu stärken. Denn im internen Konflikt hatten sich Militärangehörige schwerer Menschenrechtsverbrechen schuldig gemacht, indem sie Massaker von paramilitärischen Gruppen an der Zivilbevölkerung tolerierten oder gar koordinierten und Zivilisten ermordeten, um sie danach als im Kampf getötete Guerilleros auszugeben. Diese Verbrechen werden derzeit von der im Friedensvertrag mit den FARC vereinbarten Übergangsjustiz aufgeklärt und aufgearbeitet. Die Ausbildungskurse mit der NATO tragen dazu bei, dass der Respekt für die Menschenrechte und der Schutz der Zivilbevölkerung Teil der DNA des kolumbianischen Militärs werden und für die Zukunft garantiert sind.
Ein weiterer nicht zu unterschätzender Faktor sind die Programme zur Förderung der Zweisprachigkeit Englisch und Spanisch für Führungspersonal, eine Grundbedingung für die effektive Zusammenarbeit in internationalen Missionen. Beim Thema Cybersicherheit – ein angesichts zunehmender Cyberangriffe auch in Kolumbien immer wichtiger werdendes Thema für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik – kann das Land von der Zusammenarbeit mit den NATO-Staaten profitieren, da die diesbezüglichen Erfahrungen und Kapazitäten in Kolumbien bislang noch unzureichend sind. Auch beim Thema Gender und Sicherheit, insbesondere der Integration von Frauen in Führungspositionen von Militär und Polizei, hat Kolumbien noch erheblichen Nachholbedarf, der durch die Einführung von NATO-Standards behoben werden soll.
Mit Blick auf Umwelt, Klimawandel und Sicherheit profitieren beide Seiten. Kolumbien hat den Themenkomplex als wichtig für die nationale Sicherheit definiert und unter Präsident Iván Duque (2018–2022) die Militäroperation Artemisa ins Leben gerufen, um gegen die illegale Rodung des Regenwalds vorzugehen und die weitläufigen Nationalparks zu schützen. 23.000 Soldaten und Polizisten wurden eingesetzt, um 200.000 Hektar Wald zu schützen. Die Ergebnisse sind durchwachsen, bilden aber eine wichtige Informationsgrundlage für die künftige Zusammenarbeit im Bereich Umwelt und Sicherheit. Präsident Gustavo Petro hat seit seinem Amtsantritt im August 2022 den Schutz des Amazonasregenwaldes zu einem Kernthema seiner Agenda gemacht und schlug im August 2023 auf dem Amazonasgipfel im brasilianischen Belém gar die Gründung einer „Amazonas-NATO“ vor, ein Abkommen zur militärischen und justiziellen Zusammenarbeit der Amazonasanrainerstaaten, um gegen die illegale Waldrodung vorzugehen.
Kolumbien ist nicht einseitiger Profiteur der Partnerschaft, sondern bringt auch wichtiges Wissen und Fähigkeiten in die NATO ein, die in den Mitgliedsländern nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden können. Dazu zählen jahrzehntelange Erfahrungen in irregulären oder asymmetrischen Konflikten, die dabei erworbenen Kenntnisse und ein hohes Maß an Professionalisierung, insbesondere bei den Spezial- und Kommandokräften.
Die Ausschaltung einzelner Führungspersönlichkeiten war ein wichtiger Faktor bei der erfolgreichen Bekämpfung der FARC. Die Strategie, Personen von hohem operativem Wert aufzuklären und gezielt zu eliminieren, wurde unter Präsident Duque auch bei der Bekämpfung von FARC-Dissidenten und anderen illegalen, bewaffneten Gruppen erfolgreich fortgesetzt. Die hohe Qualität der Spezialkräfte wird auch im regionalen Vergleich sichtbar. Seit 2006 haben die kolumbianischen Spezialkräfte die amerikanischen Wettkämpfe der Kommandokräfte zwölfmal für sich entschieden und gelten damit als die besten des Kontinents. Die Fähigkeiten der kolumbianischen Spezialkräfte und die Erfahrungen im Kampf gegen Terrorismus, Drogenhandel und organisiertes Verbrechen sind für die NATO-Mitgliedstaaten angesichts der im neuen Strategischen Konzept von 2022 genannten Herausforderungen bei der Terrorismusbekämpfung von großem Interesse.
Viel Erfahrung besitzt Kolumbien auch bei der humanitären und militärischen Räumung von Minen. Das kolumbianische Ausbildungszentrum CIDES (Centro Internacional de Desminado) wurde 2019 als 33. Mitglied in das PTEC-Netz-werk (Partnership Training and Education Centres) der NATO aufgenommen und hat seitdem mehrere Ausbildungskurse für NATO-Personal erfolgreich durchgeführt. Kolumbianische Experten haben zudem ukrainische Soldaten im Aufspüren und in der Entschärfung von Minen ausgebildet, um den Kampf der Ukraine gegen die russischen Invasoren zu unterstützen.
Jenseits militärischer Auseinandersetzungen haben die kolumbianischen Streitkräfte auch im Friedensprozess mit der FARC-Guerilla wichtige Erfahrungen gewonnen, die sie in das NATO-Netzwerk einbringen können. So spielten die Militärs eine zentrale Rolle sowohl am Verhandlungstisch als auch bei den anschließenden Etappen der Demobilisierung, Entwaffnung und Reintegration der ehemaligen FARC-Kombattanten. Diese Expertise ist mit Blick auf andere Postkonflikt-Szenarien und künftige Stabilisierungs- und friedenserhaltende Missionen von großem Interesse für die NATO-Partner.
Perspektiven der Partnerschaft nach dem Regierungswechsel 2022
Seit August 2022 wird das traditionell konservativ regierte Kolumbien erstmals von einem dezidiert linken Präsidenten geführt. Präsident Gustavo Petro, ehemaliges Mitglied der 1990 demobilisierten M-19-Guerilla, ehemaliger Bürgermeister der Hauptstadt Bogotá und langjähriger Senator, hatte von der Oppositionsbank die Vorgängerregierungen wegen der Annäherung an die NATO und der engen Partnerschaft mit den USA stets scharf kritisiert. Auch nach seinem Amtsantritt setzte er die rhetorischen Angriffe auf die NATO und die USA fort und bediente damit ein klassisches Narrativ der lateinamerikanischen Linken, wonach der imperiale Norden in kolonialer Tradition den Globalen Süden systematisch unterdrücke und ausbeute. Seitdem lässt sich ein Richtungswechsel in der kolumbianischen Außenpolitik erkennen mit dem Ziel, die Zusammenarbeit mit Staaten des Globalen Südens zu stärken. Die Regierung Petro zeigt dabei wenig Berührungsängste mit Diktaturen oder autoritären Regimen.
Besonders deutlich wird dies in der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen und dem herzlichen Umgangston mit dem Regime Maduro in Venezuela. Den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Präsident Petro im Gegensatz zu seinem Vorgänger Duque bis heute mit keiner Silbe verurteilt und sich stattdessen darauf beschränkt, beide Seiten zum Frieden aufzurufen. Gleiches gilt für den Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und die israelische Reaktion. Ganz in der Tradition seiner ehemaligen Guerrillagruppe M-19, die in den 1980er-Jahren einen Bombenanschlag auf die israelische Botschaft in Bogotá verübt hatte, legitimierte er wiederholt den „Befreiungskampf des palästinensischen Volkes“ und sieht Israel in der Rolle des Aggressors.
Während Präsident Duque im Rahmen seines Besuchs im NATO-Hauptquartier in Brüssel im Februar 2022, nur wenige Tage vor dem russischen Angriff auf die Ukraine, mit NATO-Generalsekretär Stoltenberg die vertiefte russisch-chinesische Zusammenarbeit und ihre Unterstützung für die Diktatur in Venezuela kritisch reflektierte, ist ein solches Gespräch unter der aktuellen Präsidentschaft undenkbar. In seiner viel beachteten ersten Rede als kolumbianischer Präsident vor der UN-Vollversammlung im September 2022 äußerte Petro: „Wozu Krieg, wenn wir die menschliche Spezies retten müssen? Welchen Nutzen haben NATO und Imperien, wenn das Ende der Intelligenz bevorsteht?“
Politische Beobachter weisen allerdings darauf hin, dass die scharfe antiimperialistische Rhetorik des Präsidenten eher darauf abzielt, die eigenen Anhänger sowie linke Parteien und politische Kräfte zu Hause zufriedenzustellen, als dass damit konkrete Überlegungen zu einer Beendigung der Partnerschaft mit der NATO verbunden wären. Ganz im Gegenteil, nach seiner Rede vor den UN traf Präsident Petro in New York mit NATO-Generalsekretär Stoltenberg zusammen. Über den Inhalt des Treffens wurde nichts bekannt. Und während Stimmen aus Petros heimischem Unterstützungslager dem Präsidenten Doppelzüngigkeit und Inkohärenz vorwerfen und vehement das Ende der Zusammenarbeit mit der NATO fordern, verläuft die praktische Umsetzung der vereinbarten Kooperation, wie aus Militärkreisen bestätigt wird, weiterhin reibungslos.
So fand im Mai 2023 das 22. Jahrestreffen der PTEC-NATO-Ausbildungszentren in Bogotá statt. Im Rahmen des Treffens wurde unter anderem vereinbart, die Ukraine bei der militärischen Ausbildung, insbesondere im Bereich der Abwehr von Cyberattacken, Energiesicherheit und Minenräumung, zu unterstützen. Im September besuchte der Generalslehrgang der kolumbianischen Militärakademie routinemäßig das NATO-Hauptquartier, um sich umfassend über aktuelle sicherheitspolitische Fragen, den Krieg in der Ukraine, die Rolle der NATO und das neue Strategische Konzept auszutauschen. Ebenfalls im September stattete der kolumbianische Verteidigungsminister Iván Velásquez Gómez der NATO in Brüssel einen Besuch ab und tauschte sich mit dem stellvertretenden NATO-Generalsekretär Mircea Geoană über Stand und Perspektiven der vereinbarten Zusammenarbeit aus.
Zum Unmut der linken Anhängerschaft des Präsidenten in Kolumbien und zur Überraschung manchen linkspopulistischen Politikers der Region enthalten die Leitlinien zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Regierung Petro ein deutliches Bekenntnis zur weiteren Zusammenarbeit und dem Ausbau der Beziehungen mit der NATO. So verfolgt die Regierung die Strategie, die internationale Agenda des Sicherheits- und Verteidigungssektors voranzutreiben und in diesem Rahmen die Zusammenarbeit mit der NATO zu festigen, insbesondere in den Bereichen Cybersicherheit, Klimawandel, Menschenrechte und Stärkung der Integrität des Militärs. Zudem will die Regierung die Fähigkeiten des eigenen Militärs weiter stärken und dabei auf das Ausbildungs- und Trainingsangebot der NATO zurückgreifen und sich an gemeinsamen Übungen beteiligen. Die irritierende, von antiimperialistischen Thesen geprägte Rhetorik des aktuellen kolumbianischen Präsidenten steht damit im Gegensatz zur bislang harmonischen Weiterentwicklung der Zusammenarbeit zwischen Kolumbien und der NATO und den eigenen sicherheitspolitischen Leitlinien.
Politische Beobachter sehen Präsident Petro in einem Dilemma. Einerseits muss er als erster linker Präsident Kolumbiens die Erwartungen seiner Wähler und Anhänger bedienen, andererseits weiß er als Realpolitiker um die enorme Bedeutung, die die globale Partnerschaft mit der NATO für Kolumbien hat. Als einziger NATO-Partner Lateinamerikas hat Kolumbien ein Alleinstellungsmerkmal, das in der Region Prestige, internationales Ansehen und Mitspracherecht in einem wichtigen internationalen Forum verleiht.
Angesichts der – auch nach dem Friedensvertrag mit den FARC – noch immer prekären Sicherheitslage im Land gibt es auch praktische Gründe, die Professionalisierung des eigenen Militärs mit Unterstützung der NATO-Partner voranzutreiben. Eine Abkopplung von den Informations-, Forschungs- und Ausbildungsnetzwerken der NATO und die Aufgabe von privilegierten Zugängen bei der militärischen Materialbeschaffung würde die Leistungsfähigkeit des kolumbianischen Militärs mittelfristig schwächen und unmittelbar zu starker Kritik am Präsidenten im Sicherheits- und Verteidigungssektor führen. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass die Regierung Petro den Spagat zwischen Rhetorik und praktischer Umsetzung fortsetzt.
Fazit
Die globale Partnerschaft zwischen Kolumbien und der NATO ist alles andere als ein Papiertiger: Die sicherheitspolitische Zusammenarbeit ist substanzieller und konkreter Natur. Seit 2013 haben sich die Beziehungen kontinuierlich weiterentwickelt und vertieft. Kolumbien verfügt aufgrund des langjährigen internen Konflikts, des anschließenden Friedensprozesses mit den FARC und zahlreicher erfolgreicher Beteiligungen an UN-Friedensmissionen über Erfahrungen und Fähigkeiten, die das Land als Mehrwert in das NATO-Netzwerk einbringt. Mit dem 2021 abgeschlossenen individuell zugeschnittenen Partnerschaftsprogramm ITPP nimmt Kolumbien im Kreis der rund 40 verschiedenen NATO-Partnerschaften inzwischen sogar eine Pionier- und Vorbildfunktion ein.
Der Regierungswechsel im August 2022 in Kolumbien und die NATO-kritische Rhetorik von Präsident Petro haben die praktische Zusammenarbeit bislang nicht behindert. Ein Rückzug Kolumbiens aus den NATO-Netzwerken gilt kurz- bis mittelfristig als höchst unwahrscheinlich. Auch wenn die aktuelle kolumbianische Regierung aus ideologischen Gründen statt der traditionell engen Partnerschaft mit den USA eine neutralere Position und eine Äquidistanz zwischen den großen Mächten, insbesondere USA und China, anstrebt und der innenpolitischen Verfasstheit internationaler Partner weniger Bedeutung beizumessen scheint, bleibt Kolumbien strukturell ein wichtiger Wertepartner, der im Einsatz für Demokratie und eine regelbasierte Weltordnung unverzichtbar ist.
Im aktuellen Strategischen Konzept der NATO wird neben Abschreckung und Verteidigung sowie Krisenprävention auch kooperative Sicherheit als zentrales Aufgabenfeld der Allianz definiert. In dem entsprechenden Kapitel unter Punkt 42 heißt es: „Der politische Dialog und die praktische Zusammenarbeit mit Partnern, beruhend auf gegenseitigem Respekt und von beiderseitigem Nutzen getragen, leisten einen Beitrag zur Stabilität jenseits unserer Grenzen, erhöhen die Sicherheit in unseren Ländern und unterstützen die Kernaufgaben der NATO. Partnerschaften sind von zentraler Wichtigkeit, um globale Gemeingüter zu schützen, unsere Resilienz zu erhöhen und die regelbasierte internationale Ordnung zu wahren.“
In diesem Sinne sollten sich die politischen Entscheidungsträger in Kolumbien und in der NATO im beiderseitigen Interesse um den weiteren Ausbau und die Vertiefung der globalen Partnerschaft bemühen, um noch ungenutzte Potenziale zu heben. Auch politische und militärische Akteure in Deutschland sollten den Rahmen der globalen Partnerschaft der NATO mit Kolumbien noch stärker als bisher nutzen, um die sicherheitspolitische Zusammenarbeit voranzutreiben. Aufgrund der traditionell engen Beziehungen und jahrzehntelanger enger Zusammenarbeit bei Ausbildung, Personalaustausch und Rüstungsprojekten zwischen der deutschen und kolumbianischen Marine könnte Deutschland beim Ausbau der Partnerschaft eine Schlüsselrolle einnehmen.
Stefan Reith ist Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kolumbien.
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