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Der Anfang vom Ende?

Das Scheitern des ­INF-Vertrages zwischen Russland und den ­USA

Es klingt wie eine Wiederholung der 1980er Jahre: Russland hat wahrscheinlich unerlaubt Mittelstreckenraketen stationiert, nun wird in Europa über eine verschärfte Bedrohungslage diskutiert. Auch die ­USA scheinen das Interesse an nuklearer Rüstungskontrolle verloren zu haben. Zwar ist ein ­INF-Nachfolgeabkommen daher unrealistisch, doch es gibt pragmatische Lösungsansätze, die ein Wettrüsten verhindern könnten.

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Die Kündigung des ­INF-Vertrages hat einen der letzten Grundpfeiler nuklearer Rüstungskon­trolle eingerissen. Nachdem die Vereinigten Staaten von Amerika im Februar und die Russische Föderation im März 2019 jeweils die Suspendierung des Vertrages von 1987 bekannt gaben, hat das Vertragswerk nach einer halbjährigen Kündigungsfrist im August seine Bindungskraft offiziell verloren.

Das beinahe beiläufige Scheitern des Vertrages hat auch Deutschland kalt erwischt. Nachdem sich die ­NATO im Juli 2018 noch zu einer Erhaltung des Vertrages bekannte, überraschte Präsident Donald Trump seine Verbündeten im Oktober mit der Ankündigung eines Rückzugs vom ­INF-Vertrag. Während im öffentlichen Diskurs die Schimäre einer „Rückkehr der Atomraketen nach Europa“ umherging, versuchten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas gemeinsam mit ihren französischen Kollegen hastig durch Vermittlungsversuche auf beiden Seiten den Vertrag zu retten – ohne Erfolg. Warum scheiterte ein Schlüsselelement der europäischen Sicherheitsarchitektur so einfach?

Obwohl es keine abschließende Gewissheit gibt, kann davon ausgegangen werden, dass Russland ein Waffensystem entwickelt hat, das höchstwahrscheinlich gegen den ­INF-Vertrag verstößt. Doch darin liegt nur der Auslöser für das Scheitern des Vertrages. Es bleibt festzuhalten, dass auch die ­USA keine ernsthaften Anstrengungen zur Rettung des Vertrages unternommen haben. Die Entscheidung zur Kündigung des ­INF-Vertrages erfolgte, ohne dass beide Seiten zuvor die vollen Möglichkeiten zur Verifikation und Schlichtung ausnutzten. Dies ist bezeichnend für die Geringschätzung nuklearer Rüstungskontrolle und die auf Machtpolitik ausgerichtete Denkweise, die strategische Erwägungen in Moskau und Washington derzeit zu dominieren scheinen. Beides dürften die tatsächlichen Gründe für das fatale Ende des ­INF-Vertrages sein.

Die Aufkündigung des Vertrages wird begleitet von einer politischen Debatte zu den Folgen für die Sicherheit Europas und Szenarien für zukünftige Rüstungskontrolle. Einerseits wird eine massive Erosion der Bedrohungslage in Europa beklagt und eine neue Rüstungsspirale in Anlehnung an die letzte heiße Phase des Kalten Krieges befürchtet. Andererseits steht der Wunsch nach der Verhandlung eines Folgevertrages im Raum, insbesondere eines multilateralen Abkommens unter Einbeziehung Chinas. Beide Szenarien wirken derzeit eher unwahrscheinlich.

Zum einen ist nukleare Abschreckung heute vielschichtiger als zur Zeit der Aushandlung des ­INF-Vertrages, insbesondere durch die Evolution luft- und seegestützter Raketen­typen. Eine radikale Verschlechterung der Sicherheitslage durch das Ende des ­INF-Vertrages ist daher nicht zwangsläufig gegeben. Auch gibt es für einen raschen Rüstungswettlauf technische und politische Hürden. Eine begrenzte, mittelfristige Nachrüstung scheint hingegen ein plausibles Szenario. Zum anderen fehlt derzeit das notwendige Vertrauen zwischen Russland und den ­USA – schon gar zu China – für die Aushandlung eines neuen Vertragswerkes. Ein informelles Einvernehmen zur Zurückhaltung, zumindest zwischen der ­NATO und Russland, wird hingegen von Akteuren auf beiden Seiten befürwortet. Dessen Erfolg wird jedoch an den erfolgreichen Aufbau von Maßnahmen zur Verifikation und Vertrauensbildung geknüpft sein.

Wurde der ­INF-Vertrag unterwandert?

Der ­INF-Vertrag hatte eine destabilisierende Waffenklasse aus Europa und anderen Regionen verbannt. Er verbot Russland sowie elf weiteren ehemaligen ­Sowjetrepubliken und den ­USA den Besitz, die Produktion und das Testen landgestützter – jedoch nicht luft- und see­gestarteter – ballistischer Raketen und Marschflugkörper mit Reichweiten von 500 bis 5.500 Kilometern sowie ihrer Startvorrichtungen. Solche in Europa stationierten Systeme hatten sehr kurze Flugzeiten von wenigen Minuten bis zu ihren Zielen. Die knappe verbleibende Reaktionszeit für militärische und politische Entscheidungsträger, um effektiv auf einen Angriff zu reagieren, erhöhte aus Expertensicht das Risiko für Missverständnisse, Fehlkalkulationen und den Anreiz für Präventivschläge. So bezeichnete der ehemalige Staatspräsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, die ­amerikanischen Mittelstreckenraketen als „eine Pistole an unserem Kopf“. Die kurze Vorwarnzeit habe „das Risiko eines nuklearen Krieges erhöht, sogar eines [nuklearen Krieges], der die Folge eines Unfalls oder einer technischen Panne war“. Die Abschaffung dieses Waffentyps entfernte daher einen destabilisierenden Faktor im Abschreckungsgleichgewicht zwischen der Sowjetunion – später Russland – und den ­USA.

Seit 2014 werfen die Vereinigten Staaten Russland mit zunehmender Vehemenz vor, einen ebensolchen Raketentyp wieder entwickelt, getestet und eingeführt zu haben. Die Anschuldigung wird von Russland bestritten, ist aber auch für die westliche Öffentlichkeit bis heute nicht eindeutig nachvollziehbar.

Dies liegt daran, dass die ­USA kaum Details zum betroffenen System und dem russischen Verstoß veröffentlichen. Es dauerte Jahre, bis die Regierung von Präsident Donald Trump konkretisierte, welche Rakete überhaupt gemeint sei: Der landgestützte Marschflugkörper Novator 9M729 (­NATO-Bezeichnung ­SSC-8 ­Screwdriver). Im November 2018 lieferte der amerikanische Direktor der nationalen Nachrichtendienste, Daniel Coats, erste Details und verkündete, dass Russland bereits mehrere Bataillone mit der Rakete, die auf Reichweiten von „weit über 500 Kilometer[n]“ getestet worden sei, ausgestattet habe. Zur Untermauerung dieser Vorwürfe gibt es praktisch keine offiziellen Beweise. Russland gibt lediglich zu, die ­SSC-8 zu besitzen, behauptet aber, ihre Reichweite liege bei nur 480 Kilometern.

Russlands Besitz von SSC-8-Raketen verstößt wahrscheinlich gegen den INF-Vertrag. Öffentliche Beweise gibt es jedoch nicht.

Die spärlich verfügbaren Informationen schließen jedoch einen Verstoß mitnichten aus. Zum einen legt die Vehemenz, mit der die ­USA die Vorwürfe nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch bei ­NATO-Gipfeln und in Sitzungen der Speziellen Verifikationskommission (­SVC), einem Organ des ­INF-Vertrages, vorgetragen haben, nahe, dass drückende nachrichtendienstliche Beweise vorliegen, welche aber selbst nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können. Außerdem teilen andere ­NATO-Mitglieder die Einschätzung der ­Amerikaner, dass Russland gegen den ­INF-Vertrag verstößt. So erklärte Bundeskanzlerin Merkel im November 2018: „Wir wissen, dass Russland die Vorgaben seit längerer Zeit nicht einhält.“ Dass sich die amerikanischen Verbündeten geschlossen hinter den Vorwurf stellten, ohne schlüssige Beweise vorgelegt bekommen zu haben, ist eher unwahrscheinlich.

Russland erwidert den Vorwurf der ­USA seinerseits mit verschiedenen Anschuldigungen gegen die Vereinigten Staaten, von denen zumindest ein Vorwurf einigermaßen plausibel erscheint. Die russische Seite kritisiert seit August 2014, dass die ­USA mit Teilen der territorialen Raketen­abwehr in Europa (European Phased Adaptive Approach, ­EPAA) gegen den ­INF-Vertrag ­verstoßen. Der ­EPAA stützt sich auf eine 2016 in Dienst gestellte Anlage namens Aegis Ashore in Rumänien und ein zweites zukünftiges System in Polen, welche beide landgestützte Senkrechtstarter des Typs MK-41 ­VLS nutzen. Das auch auf Schiffen der US-­Marine eingesetzte Aegis-System ist in der Lage, Marschflugkörper vom Typ Tomahawk mit Reichweiten von etwa 2.500 Kilometern abzuschießen. Als seegestützte Variante ist es aber vom ­INF-Vertrag ausgenommen.

Obwohl die Stellungen in Polen und Rumänien nicht mit Marschflugkörpern, sondern Abwehr­raketen vom Typ SM-3 bestückt sind, sei das landbasierte MK-41, wie sein Pendant zur See, in der Lage, Tomahawks abzufeuern. Und somit sei es ein durch den ­INF-Vertrag verbotenes Startsystem für Mittelstrecken­raketen – so die russische Argumentation. Die ­USA halten dagegen, dass sich die landbasierte MK-41 Startanlage von der schiffsbasierten durch unterschiedliche Software, verschiedene Feuerleiteinrichtungen und andere Merkmale unterscheide, daher keine Marschflugkörper abschießen könne und somit vertragskonform sei. Zur Untermauerung des russischen Einwands existieren ebenfalls keine offiziell zugänglichen, unabhängigen Beweise.

Zwar ist auch ein Verstoß seitens der ­USA nach dieser Darstellung grundsätzlich nicht auszuschließen. Die Anschuldigung einer Vertragsverletzung durch Russland wiegt aber schwerer als umgekehrt. Der den ­USA unterstellte Verstoß bleibt diffus und beruht auf Argumenten hypothetischer Fähigkeiten aufgrund der potenziellen Ähnlichkeit zu anderen Systemen. Währenddessen ist der gegen Russland erhobene Vorwurf konkret und stichhaltig, insbesondere wenn die Rakete tatsächlich auf verbotene Reichweiten getestet wurde. Dass geheime Erkenntnisgrundlagen, welche dies belegen, nicht öffentlich zugänglich gemacht werden können, kommt auch in anderen für nationale Sicherheit bedeutsamen Bereichen vor.

Rüstungskontrolle leichtfertig verspielt

Damit trägt Russland wohl die größere Verantwortung für das Scheitern des ­INF-Vertrages. Dem Land die gesamte Schuld zuzuschreiben, wäre jedoch zu einfach. Keine der Vertragsparteien – auch nicht die ­USA – hat die Möglichkeiten ausgeschöpft, den gegenseitigen Vorwürfen kooperativ nachzugehen. Dies ist in gewissem Maße auch eine Schwäche des ­INF-Vertrages, der zwar einen Austausch über Vertragsverletzungen in der ­SVC vorsieht, aber kein Verfahren zum Beweis oder zur Entkräftung von Anschuldigungen, wie etwa Inspektionen, anbietet. Das Verifikationsregime, welches einen Abbau der vormalig stationierten Mittelstreckenraketen überwachte, endete bereits 2001.

Trotzdem würde es mit genügend politischem Willen Mittel und Wege geben, um neue wechsel­seitige Schritte zur Verifikation zu konzipieren. Operative Reichweiten von Raketen ließen sich beispielsweise durch die Untersuchung teleme­trischer Daten überprüfen, auch eine Vorführung der Systeme und Beobachtung von Testflügen wäre möglich gewesen. Als die Vereinigten Staaten 2018 die Vorführung der ­SSC-8 forderten, verweigerte sich Russland dem jedoch. Nachdem Moskau im Januar 2019 endlich zur Vorführung bereit war, erklärte Washington aber, eine In­spektion reiche nicht aus, um die Reichweite der Rakete zu überprüfen, und forderte stattdessen eine umgehende Zerstörung des Systems.

Keine INF-Vertragspartei hat die Möglichkeiten zur Verifikation ausreichend genutzt.

Außerdem hätten die ­USA Russland eine In­spektion ihrer Aegis-Raketenabwehrstellungen in Polen und Rumänien anbieten können, um zu demonstrieren, dass die dort installierten MK-41 ­VLS-Senkrechtstartanlagen nicht zum Abschuss von Marschflugkörpern geeignet sind und dieser Raketentyp dort auch nicht stationiert ist. Auch diese Option wurde nicht bemüht.

Strategische Erwägungen und politische Motive

Es bleibt festzustellen, dass offensichtlich keine Vertragspartei ein Interesse an einem Fortbestehen des INF-Vertrages hatte. Die Gründe dafür liegen in bedenklich ähnlichen strategischen Denkweisen in beiden Hauptstädten, welche in internationalen Rüstungsverträgen keinen Mehrwert oder sogar einen Nachteil für die nationale Sicherheit sehen.

Die derzeitige US-Regierung ließ anfänglich in öffentlichen Stellungnahmen den amerikanischen Willen erkennen, Russland zur Einhaltung des INF-Vertrages bewegen zu wollen, und somit auf eine Überzeugung in Washington schließen, dass der Vertrag im amerikanischen Sicherheits­interesse sei. Im Oktober 2018 vollzog Präsident Trump jedoch einen abrupten Kurswechsel, kündigte einen Ausstieg aus dem ­INF-Vertrag an und verwies dabei nicht nur auf Russlands Vertragsverletzung, sondern auch auf das chinesische Arsenal an Mittelstreckenraketen: „Wenn Russland das macht und China das macht und wir uns an das [­INF-]Abkommen halten, dann ist das nicht akzeptabel“, so der Präsident.

Die Gründe für die Kündigung liegen für Präsident Trump damit nicht nur im russischen Verstoß, sondern auch darin begründet, dass China als strategischer Konkurrent ein Waffensystem besitzt, das den ­USA vorenthalten bleibt – unabhängig davon, dass China nie Vertragspartei war.

Dabei ist der militärische Mehrwert landbasierter Mittelstreckenraketen laut Aussagen hochrangiger Angehöriger der amerikanischen Streitkräfte nicht eindeutig. Die ­USA verfügen über eine Vielzahl luft- und seegestützter Mittelstreckensysteme, die alle konform zum ­INF-Vertrag sind. Mit diesen Raketen schaffen die Vereinigten Staaten in Ostasien schon heute einen adäquaten Ausgleich zum chinesischen Arsenal aus vierzehn (davon zwölf landgestützten) Raketentypen. In Europa sind vier US-amerikanische, mit Aegis-Kampfsystemen ausgerüstete Einheiten permanent in der spanischen Marinebasis Rota stationiert. Diese können mit ihren Marschflugkörpern von europäischen Gewässern aus Russland erreichen. Zudem ­patrouillieren U-Boote der 6. US-Flotte regelmäßig entlang europäischer Seewege. So verwundert es nicht, dass der stellvertretende Vorsitzende des Generalstabs General Paul Selva 2017 vor dem US-Kongress erklärte: „Es gibt keine militärischen Anforderungen, die wir nicht derzeit unter Einhaltung des ­INF-Vertrages erfüllen können.“

Trumps Entscheidung zur Aufkündigung des INF-Vertrages basiert auf seiner allgemeinen Skepsis gegenüber internationalen Verträgen.

Eher zeigt die Entscheidung des Präsidenten ein weiteres Mal, dass Trump eine Benachteiligung der ­USA durch internationale Verträge wittert oder zumindest eine Skepsis gegenüber deren Mehrwert hegt. Diese Denkweise, die sich auch im Umgang mit dem Joint Comprehensive Plan of Action (­JCPOA) mit dem Iran offenbarte, ist aber von einer nüchternen Schlussfolgerung aus militärischen Notwendigkeiten abzugrenzen, denn ein strategischer Mehrwert ergibt sich aus einer Kündigung nicht unbedingt.

Der Kursschwenk des Präsidenten fiel außerdem mit dem Aufstieg des von April 2018 bis September 2019 amtierenden ehemaligen nationalen Sicherheitsberaters John Bolton zusammen. Dieser wiederum berief im August 2018 den damaligen Direktor für Rüstungskontrolle im Nationalen Sicherheitsrat (­NSC), Tim Morrison, ins Amt, welcher inzwischen zum neuen Direktor für Europa und Russland im ­NSC ernannt wurde. Beide gelten als ausgemachte Skeptiker internationaler Verträge, insbesondere von Rüstungskontrolle. Schon 2014 schrieb Bolton in einem Meinungsbeitrag: „Moskaus Verstöße gegen Rüstungskontrollverträge geben Amerika die Möglichkeit, sich überholter Begrenzungen seines eigenen Arsenals aus dem Kalten Krieg zu entledigen und seine militärischen Fähigkeiten aufzuwerten.“ Morrison gilt außerdem als ausgesprochener Russland-Hardliner. Zwar handelt Präsident Trump oft unabgestimmt und impulsiv, dennoch dürften der Einfluss Boltons und Morrisons auch eine Erklärung für die Entscheidung der USA, sich aus dem Vertrag zurückzuziehen, gewesen sein.

Auf Seiten Russlands müssen die Gründe für die Aufgabe des ­INF-Vertrages früher gesucht werden. Die höchstwahrscheinlich bewusste Unterwanderung des Vertrages durch Russland begann mit der Entwicklung der ­SSC-8 in den späten 2000er Jahren. Somit ist der politische Diskurs der relevanten Entscheidungsträger in Moskau während dieser Zeit zu betrachten.

Eine bestimmende Sorge Russlands seit Mitte der 2000er Jahre ist die Proliferation von Marsch­flugkörpern und ballistischen Raketen mit mittleren Reichweiten in Russlands Nachbarschaft. Im Jahr 2007 soll der damalige russische Verteidigungsminister Sergei Iwanow gegenüber seinem amerikanischen Kollegen die Intention, vom ­INF-Vertrag zurückzutreten, geäußert haben, mit der Begründung, Chinas, Irans und Pakistans Mittelstreckenraketen etwas entgegensetzen zu müssen. Im gleichen Jahr startete Russland vergeblich eine Initiative bei den VN, um eine Multi­lateralisierung des Abkommens zu erzielen. Präsident Wladimir Putin erklärte 2007, „es wird schwierig für uns, innerhalb des Rahmens eines Vertrages [Anm.: gemeint ist der ­INF-Vertrag] zu bleiben, in einer Situation, in der andere Länder diese Waffensysteme entwickeln und dabei auch Länder in unserer Nachbarschaft sind“. Aus diesen Äußerungen lässt sich ablesen, dass die russische Führung damals im ­INF-Vertrag ein Hindernis für die eigene Sicherheit sah – offensichtlich, da die Proliferation von Waffensystemen, die Russland selbst nicht erlaubt waren, als problematisch betrachtet wurde.

Ähnlich wie im Falle der ­USA ergibt sich diese Sichtweise nicht unbedingt aus zwingenden militärischen Gegebenheiten. Auch Russland verfügt über mindestens neun luft- und seegestützte Raketensysteme, die konform zum ­INF-Vertrag sind. Im Zuge der russischen Intervention in Syrien hat Russland seine Fähigkeiten zum Einsatz seebasierter Marschflugkörper, wie der von Schiffen im Kaspischen Meer und Mittelmeer abgeschossenen Kalibr-Raketen (­NATO-Bezeichnung SS-N-30), sogar stark weiterentwickelt. Daher ist auch in russischen militärpolitischen Kreisen die Notwendigkeit zusätzlicher landbasierter Mittelstreckenraketen zur Abschreckung umstritten. Die Sichtweise des in dieser Angelegenheit tonangebenden Präsidenten und Verteidigungsministers fußen wohl eher auf einer machtpolitischen Befürchtung. Nicht unähnlich zum derzeitigen Denkansatz im Weißen Haus, betrachtet Präsident Putin das eigene Land als Weltmacht, für das er keine Handlungseinschränkungen durch internationale Verträge, denen andere Staaten nicht unterliegen, akzeptiert.

Ein weiterer in Moskau dominierender Gedanke der 2000er Jahre, welcher mitausschlaggebend für Russlands Unterwanderung gewesen sein könnte, war die Skepsis gegenüber der amerikanischen ballistischen Raketenabwehr – anfangs nicht im Sinne der erst später vorgebrachten Anschuldigung, die Abschussrampen verstießen gegen den ­INF-Vertrag, sondern aufgrund Moskaus Auffassung, der Abwehrschirm sei gegen Russland gerichtet. Nachdem 2007 die geplante Stationierung von US-Raketenabwehrstellungen in Europa bekannt wurde und eine russische Idee für ein gemeinsames Abwehrsystem mit der ­NATO scheiterte, fürchtete Moskau, dass die Raketenabwehr Russlands strategische nukleare Fähigkeiten beschneiden könnte.

Diese Erwägung mag ebenfalls Motivation zur Entwicklung eines Marschflugkörpers wie der ­SSC-8 gewesen sein. Dieser Raketentyp kann nur unzureichend bis gar nicht von einer Raketenabwehr erfasst werden und könnte deshalb Entscheidungsträgern in Moskau als ein probates Mittel gegen die territoriale Raketenabwehr der ­USA erscheinen. Nichtsdestotrotz wäre dieser strategische Vorteil bereits durch verfügbare russische see- und luftgestützte Marsch­flugkörper erfüllt und käme auch ohne die Entwicklung einer landgestarteten Rakete aus. Ob Präsident Putin einen solchen Kompromiss beim Erhalt eines Symbols russischer Macht – die nukleare Fähigkeit des Landes – eingeht, scheint allerdings unwahrscheinlich. Vielmehr liegt es nahe, dass er signalisieren möchte, dass Russland den ­USA ebenbürtig sei, und dafür auch eine Unterwanderung des ­INF-Vertrages in Kauf genommen hat. So soll Putin bereits 2007 angesichts der amerikanischen Pläne zur Raketenabwehr in Europa einen Rückzug vom ­INF-Vertrag angedroht haben, um im Zweifel die US-Abwehrstellungen mit Mittelstreckenwaffen attackieren zu können.

Auswirkungen auf die Bedrohungslage

Als Anfang 2019 zunehmend deutlich wurde, dass der ­INF-Vertrag scheitern würde, entbrannte unmittelbar eine Debatte über ein neues Wettrüsten und eine damit massiv verschärfte Bedrohungssituation. Eine rasante Erosion der Sicherheitslage ist jedoch zumindest für die nahe Zukunft nicht gegeben, weil sich die militärische Situation heute anders darstellt als in den 1980er Jahren. Denkbar ist allerdings eine schrittweise Entwicklung von Mittelstreckenwaffen durch die ­USA und Russland, verbunden mit einer möglichen limitierten Stationierung in Europa.

Trotz Aufrüstung auf Seiten Russlands und der USA greift ein Vergleich mit der Nachrüstung in den 1980er Jahren zu kurz.

Das Nachrüsten in der letzten heißen Phase des Kalten Krieges erfüllte aus westlicher Sicht den essenziellen Zweck, eine Abkoppelung europä­ischer Bündnispartner von den ­USA durch russische Mittelstreckenraketen zu verhindern. Ende der 1970er Jahre stationierte die Sowjetunion die ballistische Mittelstreckenrakete ­RSD-10 Pioner (­NATO-Bezeichnung SS-20 Saber), die mit 5.000 Kilometern Reichweite Europa und Ostasien, jedoch nicht Nordamerika erreichen konnte. Das Fehlen einer vergleichbaren Mittelstreckenrakete im Westen führte aus Sicht des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt und Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher zu einer Lücke im Spektrum der nuklearen Reaktionsfähigkeit der Allianz. Die ­NATO sorgte sich daher, dass „die Glaubwürdigkeit der Abschreckungsstrategie des Bündnisses dadurch in Zweifel gezogen“ wird – und rüstete nach.

Es scheint auf den ersten Blick so, als würde sich die Geschichte wiederholen. Im August 2019 testeten die USA einen bodengestützten Marsch­flugkörper auf Basis der Tomahawk, der bis Anfang 2021 zur Stationierung bereitstehen soll. Bis Ende des Jahres soll eine ballistische Rakete mit Reichweiten von 3.000 bis 4.000 Kilometern getestet werden. Außerdem plant das Pentagon für 2020 ein Budget von 100 Millionen US-Dollar für die Entwicklung von drei konventionellen Mittelstreckenraketen ein. Diese Mittel sollen in den Folgejahren deutlich aufgestockt werden. Russland kündigte seinerseits an, bis 2020 mit der Entwicklung einer Abschussvorrichtung für einen landgestützten Marschflugkörper auf Basis der SS-N-30 zu beginnen. Weitere Raketenprojekte sollen folgen.

Der Vergleich dieser jüngsten Entwicklungen mit dem Wettrüsten des Kalten Krieges hinkt jedoch. Heute hält damit nicht wie damals ein vollkommen neuer Waffentyp Einzug, der je nach Betrachtungsweise eine Lücke im ­nuklearen Fähigkeitsspektrum aufreißt oder schließt. Derzeit verfügen anders als zum Ende der 1970er Jahre beide Seiten über mehrere ­nukleare und konventionelle Raketentypen mit mittlerer Reichweite. Es existiert eine Vielzahl seegestützter Mittelstreckensysteme, wie die russische SS-N-30 und die US-amerikanische Tomahawk. Diese konventionellen Lenkwaffen können nach Experteneinschätzung mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden und haben eine hohe Reichweite und Präzision. Hinzu kommen luftgestützte nukleare Marschflugkörper, wie die russische Kh-102 Kodiak (­NATO-Bezeichnung AS-23B) und die amerikanische ­AGM-86, welche mit Kampfflugzeugen wie der russischen Tu-95 Bear und der amerikanischen B-52 Stratofortress im eigenen Luftraum sehr schnell verlegt und von dort eingesetzt werden können.

Aufgrund dieses breiten Spektrums militärischer Fähigkeiten existiert bereits heute ein vielschichtiges Abschreckungspotenzial. Dies wird mit der Einführung der russischen ­SSC-8 und zukünftiger einzelner amerikanischer und russischer Systeme zwar komplexer, ändert sich aber nicht grundlegend, solange nicht massenhaft neue Raketen stationiert werden. Das atomare Gleichgewicht wird also nicht im gleichen Maße erschüttert, wie es Ende der 1970er Jahre der Fall war, und es wird auch keine qualitativ andere Bedrohung geschaffen, die nicht schon vorher existiert hätte. Auch werden ein Großteil der angekündigten Rüstungsprojekte Jahre der Entwicklung und Tests benötigen, bevor sie tatsächlich zur Verfügung stünden und eine Auswirkung auf die Bedrohungslage hätten.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Ende des INF-Vertrages ohne Folgen bleibt. Nach Experten­meinung wird eine Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Europa vom US-Verteidigungsministerium gewünscht und bleibt eine realistische Option. Diese wären nach derzeitigem Stand zwar nur mit konventionellen Gefechtsköpfen bestückt. Da eine nukleare Nachrüstung aber technisch möglich ist, dürfte die Bereitschaft vieler europäischer ­NATO-Verbündeter, diese Systeme auf ihrem Territorium zuzulassen, gering sein. Osteuropä­ische Bündnispartner, insbesondere Polen, haben jedoch eine höhere Bedrohungswahrnehmung von Russland und stehen einer Stationierung daher offener gegenüber. Gleichzeitig übt der amerikanische Kongress Druck auf die Regierung aus, zunächst stationierungswillige Verbündete zu identifizieren, bevor Entwicklungsgelder für neue Raketensysteme bewilligt werden. Sollten Washington und empfängliche osteuropäische Partner unter diesen Voraussetzungen bilaterale Notlösungen anstreben, könnte es zu Auseinandersetzungen innerhalb der ­NATO kommen, die das Bündnis paralysieren würden. Hierin liegt ein ernstzunehmendes politisches Risiko.

Potenziale zukünftiger Rüstungskontrolle

Parallel zu diesen Überlegungen beschreiben alle Seiten ein neues nukleares Rüstungskontrollabkommen für Mittelstreckenraketen als wünschenswertes Zielszenario. Wie eingangs dargestellt, pochen sowohl Russland als auch die ­USA auf eine Einbindung Chinas und eventuell weiterer Staaten in diesen Vertrag. Ein solcher Verhandlungserfolg erscheint unter derzeitigen Bedingungen jedoch höchst unwahrscheinlich.

Dies liegt nicht nur an dem beschriebenen Zusammenbruch kooperativer Lösungsfindung zwischen Russland und den ­USA im Rahmen des INF-Vertrages, welcher auf einen Mangel an Vertrauen schließen lässt und eine Hypothek für zukünftige Verhandlungen darstellt. Es wird auch dadurch unwahrscheinlich, dass sich China nicht zum Beitritt eines ­INF-Nachfolgevertrages drängen lassen will. Peking zieht sich seit Jahren auf die Position zurück, erst dann eine Beteiligung an Rüstungskontrollgesprächen für möglich zu halten, wenn Russland und die ­USA auf das Niveau der anderen nuklearen Staaten abgerüstet haben. Derzeit verfügt Russland aber über 6.850 und die ­USA über 6.450 Atomsprengköpfe, während Chinas Arsenal aus 280 nuklearen Gefechtsköpfen besteht. Für die unter diesen Voraussetzungen nötige drastische Absenkung der amerikanischen und russischen Arsenale besteht absehbar kein politischer Wille in Moskau und Washington. Außerdem beharrt China darauf, auch weitere Waffentypen wie schwere Bomber und substrategische Waffen in einen Vertrag einzubeziehen. Ein umfassender Kontrollvertrag scheint unter diesen Voraussetzungen auf absehbare Zeit utopisch und ohne ein grundlegendes Umdenken oder einen Wechsel der derzeitigen politischen Führungen nicht machbar.

China würde einem INF-Nachfolgevertrag nur beitreten, wenn Russland und die USA zuvor drastisch abrüsten. Dies ist derzeit unrealistisch.

Realistisch und aus deutscher Sicht politisch erstrebenswert wäre jedoch nach dem Ende der vertraglichen Rüstungskontrolle von Mittelstreckenwaffen einen informellen, flexiblen Kontrollansatz zu etablieren. Es bleibt festzuhalten, dass keine der beiden Seiten zunächst eine Stationierung von Mittelstreckenraketen zum politisch angestrebten Ziel erklärt hat. Präsident Putin beteuerte im Februar 2019, Russland werde keine Raketen mit mittlerer Reichweite in Europa oder anderen Teilen der Welt stationieren, wenn die ­USA dies nicht auch täten. Ebenso versicherte ­NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach dem Ende des INF-Vertrags im August 2019: „Wir werden nicht das Gleiche tun wie Russland […] wir haben keine Intention, landgestartete Nuklearraketen in Europa zu stationieren.“ Sicherlich wird die russische Beteuerung dadurch abgewertet, dass Russland nach allen Erkenntnissen bereits Verbände mit ­SSC-8 am Kaspischen Meer, ergo in Europa, stationiert hat. Andererseits zeigt die derzeitige Diskussion zur Nachrüstung in Washington, dass man auch dort nicht ohne Weiteres gewillt ist, die russische Stationierung völlig unbeantwortet zu lassen.

Um das Ziel eines informellen Einvernehmens, keine landgestützten Mittelstreckenraketen in Europa zu stationieren, realisierbar zu machen, haben die Bundestagsabgeordneten Roderich Kiesewetter (­CDU) und Rolf Mützenich (­SPD) daher den Vorschlag eingebracht, die russischen ­SSC-8- Raketen östlich hinter den Ural zu verschieben. Die Einhaltung dieser Verlegung könnte über technische und nachrichtendienstliche Methoden verifiziert werden. Ob damit die Voraussetzung geschaffen würde, eine Nachrüstung mit Mittelstreckenwaffen in Europa durch die ­NATO obsolet zu machen, hängt jedoch zwingend davon ab, ob sich Moskau dazu bereit erklärt, ohne, ähnlich wie die Sowjetunion im Zuge des ­NATO-Doppelbeschlusses, durch westliche Raketen­stationierungen dazu gezwungen zu werden.

Dass Moskau ohne Druck diesem Vorschlag folgt, ist momentan schwer vorstellbar. Auch hat Deutschland nur begrenzte Möglichkeiten, diplomatisch auf Russland einzuwirken, einen solchen Vorschlag zu akzeptieren. Dennoch sollte die Bundesregierung auf die Umsetzung des wechselseitig deklarierten Verzichts einer Stationierung von Mittelstreckenraketen in Europa beharren und auf den konkreten Vorschlag, der dafür existiert, hinarbeiten. Denn auch im Kongress in Washington gibt es Skepsis gegen eine Nachrüstung, gleichzeitig haben russische Offizielle im Außenministerium Interesse an einem Stationierungsverzicht geäußert. Dies sollte Deutschland unterstützen und für die eigene Position werben.

Nicht zu vernachlässigen sind zuletzt vertrauens­bildende Maßnahmen, welche für eine informelle Absprache Grundvoraussetzung wären. Die Erosion des Vertrauens zwischen beiden Seiten ist schließlich Wurzel des Problems und kann nur über einen Austausch auf allen Ebenen wiederaufgebaut werden. Dazu zählt ein ­intensiver politischer Dialog im Rahmen der fünf ständigen Mitglieder des VN-Sicherheitsrates und des ­NATO-Russland-Rates. Noch wichtiger als der politische und in diesen Formaten teilweise festgefahrene Dialog wäre aber ein Austausch auf militärischer Ebene. Militärangehörige unterstreichen die Bedeutung dieses Direktkontakts zur Verbesserung von Transparenz, zum Abbau von Missverständnissen und somit zur Vertrauensbildung. Im Rahmen des Wiener Dokumentes der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (­OSZE) sollte dieses Instrument stärker genutzt werden.Der derzeit auf Eis liegende Austausch auf militärischer Ebene im NATO-Russland-Rat müsste ebenfalls wieder aufgenommen werden, um Vertrauen zurückzugewinnen.

Auch wenn er nur mittelfristig wirken kann, würde ein solcher Vertrauensaufbau die Basis bilden, um die beschriebenen Vorhaben zu einer kooperativen Zurückhaltung bei der Stationierung landbasierter Mittelstreckenraketen in Europa zu implementieren. Dass informelle, reziproke Kontrollansätze funktionieren können, zeigen die Presidential Nuclear Initiatives (­PNIs) von 1991, in deren Rahmen Präsident George H. W. Bush freiwillig die Reduktion taktischer Nuklearwaffen vollzog und Präsident ­Gorbatschow daraufhin aus eigenen Stücken folgte. Dafür müsste aber die Vertrauensbasis stimmen.

Fazit

Russland hat durch die Entwicklung seiner verbotenen Mittelstreckenrakete wahrscheinlich den Grundstein für das Ende des INF-Vertrages gelegt. Obwohl der größere Teil der Schuld damit auf russischer Seite liegt, haben auch die ­USA es versäumt, ernsthafte Anstrengungen zur Bewahrung des Vertrages zu unternehmen. In beiden Hauptstädten dominiert die Einstellung, der ­INF-Vertrag sei nicht mehr zeitgemäß. Der Verweis auf den verbreiteten Besitz von Mittelstreckenwaffen, insbesondere Chinas und anderer russischer Nachbarn, und die Folgerung, der ­INF-Vertrag sei nicht mehr im Sicherheitsinteresse beider Länder, erlauben aber eher Rückschlüsse auf die machtpolitische Denkweise der beiden Präsidenten und ihres Umfelds, als dass militärische Notwendigkeiten einen Ausstieg aus dem Vertrag tatsächlich rechtfertigen. Denn Fakt ist, dass angesichts der luft- und seegestützten Systeme in beiden Arsenalen eine zusätzliche Entwicklung landgestarteter Mittelstrecken­raketen für Russland und die ­USA kaum militärischen Mehrwert liefert.

Da die Verbreitung von Mittelstreckenwaffen heute so groß und das Abschreckungsgleichgewicht daher vielschichtig und komplex ist, ändert die Einführung der russischen Rakete sowie möglicher amerikanischer Gegenstücke die Bedrohungslage auch nicht zwangsläufig. Dennoch könnte die Frage einer limitierten Nachrüstung die ­NATO spalten. Gleichzeitig ist derzeit nicht absehbar, wie der Wunsch nach der Verhandlung eines Folgevertrages gerade mit Blick auf China realistisch umsetzbar sein sollte.

Daher sollte sich die Politik auf ein informelles Einvernehmen zur Zurückhaltung bei der Stationierung von Mittelstreckensystemen, zumindest in Europa, konzentrieren. Deutschland unterbreitete bereits erste Vorschläge, für welche es sich weiterhin diplomatisch einsetzen sollte. Dabei gilt es gerade das amerikanische Repräsentantenhaus zu unterstützen, welches sich gegen die Bewilligung von Mitteln zur Entwicklung landgestützter Mittelstreckenraketen ausgesprochen hat. Eine Umsetzung verlangt aber auch den erfolgreichen Aufbau von Maßnahmen zur Vertrauensbildung, insbesondere durch mehr militärische Kontakte und militärischen Austausch. Dabei ist jedoch Bescheidenheit gefordert. Solch ein Vertrauens­aufbau wird sicherlich nur schrittweise und mittelfristig Auswirkungen haben können.

Ein funktionierendes Vertrauensverhältnis ist auch deshalb so bedeutend, da sich bereits jetzt das Zusammenbrechen des nächsten und letzten nuklearen Kontrollvertrages abzeichnet: Im Februar 2021 läuft der New-­START-Vertrag zur Reduzierung und Begrenzung strategischer Nuklearwaffen aus. Ohne politischen Willen zur Verlängerung des Abkommens könnte sich das Scheitern des ­INF-Vertrages dort wiederholen. Damit wäre nukleare Rüstungskontrolle endgültig Geschichte.

 


 

Philipp Dienstbier ist Referent im Team Europa / Nordamerika der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 


 

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