Im Sommer und Herbst 2018 waren in klarer Abgrenzung zu den protektionistischen Äußerungen des US-Präsidenten Trump und seiner Regierung aus Tokio forsche Töne zu hören. So bekräftigte z. B. Premierminister Shinzo Abe in mehreren Reden, unter anderem vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die Absicht Japans, eine führende Rolle bei der Bewahrung einer multilateralen regelgestützten Handelsordnung einnehmen zu wollen. Darüber hinaus wurde der Minister für Wirtschaft, Handel und Industrie, Hiroshige Seko, sogar mit den Worten zitiert, Trumps Handelspolitik spiegele ein ernstes Missverständnis von Freihandel wider. Trotz der Bekundungen pro Multilateralismus und praktischer Schritte Tokios, so vor allem die Durchsetzung eines Abkommens über eine Transpazifische Partnerschaft, ist offen, ob Japan die sich selbst zugedachte Rolle überhaupt spielen kann. Inwieweit kann die Trump-Regierung Tokio vor allem aufgrund der hohen militärischen Abhängigkeit des Inselstaates von den USA unter Druck setzen, und wie reagiert die Abe-Regierung darauf? Welche Position nimmt Japan im Handelskrieg zwischen den USA und China ein? Diese Fragen sollen nachfolgend untersucht werden.
Die Handelspolitik der US-Regierung unter Trump
Seit dem Amtsantritt von Trump im Januar 2016 verändert sich die US-amerikanische Handelspolitik zusehends, und diese Neuausrichtung hat weltweit Auswirkungen. „America First“ heißt es nun immer, und in diesem Rahmen werden zum einen Handelsverträge – bestehend, verhandelt oder geplant – daraufhin überprüft, ob sie für die US-Wirtschaft genügend ertragreich sind und „nationale Interessen“ nicht verletzen. Besonders kritisch betrachtet die Trump-Regierung dabei multilaterale Vereinbarungen, da sie mit zu vielen Konzessionen seitens der USA an die anderen Teilnehmer behaftet seien, selbst wenn in ihnen, wie im Fall der Transpazifischen Partnerschaft (TPP), den USA sehr entgegenkommende Regelungen verankert sind. Stattdessen strebt Washington bilaterale Verträge an, da in ihnen die USA ihre große wirtschaftliche Stärke besser zur Geltung bringen könnten.
Im Einklang mit diesen Vorstellungen kündigte Trump die Mitarbeit seines Landes in der TPP auf und legte die Gespräche mit der EU über die Schaffung einer Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) auf Eis. Ferner bedrängte Washington Südkorea, Mexiko und Kanada massiv, die bestehenden „desaströsen“ (Trump) Freihandelsabkommen United States – Korea Free Trade Agreement (KORUS) und North American Free Trade Agreement (NAFTA) neu zu verhandeln und den USA bessere Bedingungen einzuräumen.
Von Bedeutung ist vor allem das neue NAFTA, das Anfang Oktober 2018 unterzeichnet wurde und nun den Namen United-States-Mexico-Canada Agreement (USMCA) trägt. Es handelt sich um die erste vollständige Überarbeitung eines bestehenden Freihandelsabkommens und wird von vielen Beobachtern als eine Blaupause für zukünftige Handelsvereinbarungen der USA eingestuft. Der neue Vertrag enthält unter anderem die Klausel, dass die US-Regierung Handelsabkommen überprüfen kann, die Mexiko oder Kanada mit nicht marktwirtschaftlich ausgerichteten Staaten abschließen; gemeint ist China. Je nach Ergebnis behalten sich die USA das Recht vor, das USMCA aufzukündigen. Dieser Passus könnte sich in Gesprächen über ein von Washington angestrebtes bilaterales Freihandelsabkommen für Tokio als ein Problem erweisen, verhandelt doch Japan unter anderem mit China und Südkorea über die Gründung der sogenannten Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), einer großen multilateralen Freihandelsallianz im asiatischen Raum.
Schutzzölle sind ein anderes Element der „neuen“ Trumpschen Handelspolitik. Sie seien notwendig, die „nationale Sicherheit“ zu verteidigen, begründet Washington ihre Einführung. Ziel der Maßnahme ist, bestehende Handelsdefizite zu verringern, die Produktionsverlagerung ins Ausland einzudämmen, Fertigung in die USA zurückzuholen und damit Arbeitsplätze im Inland zu schaffen. Für sehr viel Aufregung haben besonders die im März 2018 verhängten Abgaben auf Stahl- und Aluminiumerzeugnisse gesorgt, denn auch die den USA gegenüber prinzipiell freundschaftlich eingestellten Handelspartner, so unter anderem die EU und Japan, wurden von den Zöllen nicht ausgenommen.
Der eigentliche Adressat der Tarife ist jedoch Beijing. Die Trump-Regierung beobachtet den wirtschaftlichen, politischen und militärischen Aufstieg Chinas zu einem, die bisherige US-Dominanz gefährdenden, Rivalen mit großem Argwohn und versucht mit verschiedenen Mitteln, den Konkurrenten in Schach zu halten. Die Zölle sind ein Hauptinstrument. Sie wurden erstmals im Januar 2018 verhängt und erstreckten sich im September 2018 über Einfuhren aus China in Höhe von rund 250 Milliarden US-Dollar und damit etwa über die Hälfte der US-Bezüge aus dem Reich der Mitte. Trump will so nicht nur den hohen US-Fehlbetrag im bilateralen Handel abbauen, sondern Beijing auch dazu zwingen, unfaire Handelspraktiken aufzugeben: So würde China amerikanisches Know-how und Technologien ausspähen, Urheberrechte systematisch verletzen, US-Unternehmen dazu zwingen, Technologien zu transferieren, und sie beim Zugang zum chinesischen Markt und ihren Geschäften dort behindern. Besonders kritisch betrachten die USA in diesem Zusammenhang die Industriestrategie „China 2025“, mit der sich das Reich der Mitte in den kommenden Jahren in einer Reihe von technologischen Schlüsselsektoren weltweit an die Spitze katapultieren möchte. Die von Washington erhobenen Vorwürfe gegenüber China werden in ihrer Grundaussage im Übrigen von Japan und der EU geteilt.
Reformen der Welthandelsorganisation (WTO) sind ein drittes Element der „neuen“ US-Handelspolitik. Allgemein beklagen die USA im Einklang mit anderen Ländern die geringe Effizienz und Effektivität der WTO, ihr System zur Beilegung von Streitigkeiten und ein veraltetes Regelwerk. Eine Auflistung konkret zu lösender Probleme zeigt, dass auch hier China ein Hauptadressat ist. Dies betrifft unter anderem die Rolle des Staates und staatseigener Unternehmen im Marktgeschehen, den Schutz geistigen Eigentums und die Freiheit des Internets.
Dass die USA über diese Fragen und die Reform der WTO gegenwärtig mit Japan und der EU sprechen, wird von vielen Beobachtern begrüßt, sind sie doch der Auffassung, dass China sein Verhalten eher ändern werde, wenn es sich einer „gemeinsamen Front“ gleichgesinnter Staaten statt nur den USA allein gegenüber sehe. Von anderen Ländern zu verlangen, nach dem Motto „Wir oder sie“ gegenüber China nur die harten Positionen der USA zu vertreten, wie es der US-WTO-Botschafter Dennis Shea tut, gilt jedoch als „besorgniserregend“.
Japans handelspolitische Vorstellungen
Den protektionistischen Bestrebungen der Trump-Regierung setzt Tokio eine Politik entgegen, deren Ziel es ist, die multilateral und regelgestützt aufgebaute liberale Welthandelsordnung zu verteidigen. Der Multilateralismus ist schon seit langem ein bestimmendes Element der japanischen Außen- und Wirtschaftspolitik. Entsprechend präferierten die verschiedenen Regierungen in Tokio in ihrer Handelspolitik lange Zeit die WTO und große multilaterale Vereinbarungen wie z. B. die Ägide oder die Doha-Runde. Die Verhandlungen in diesen Runden machten jedoch nur sehr geringe Fortschritte; daher sahen seit Mitte / Ende der 1990er Jahre immer mehr Länder in bilateralen oder kleiner angelegten regionalen Freihandelsabkommen eine sehr effektive Alternative. Auch Tokio engagierte sich hier zunehmend und hatte bis Ende 2017 14 zweiseitige Abkommen (z. B. mit Indien, Australien, Chile und Mexiko) sowie einen multilateralen Vertrag mit der südostasiatischen Staatengruppe ASEAN geschlossen.
Innerhalb der Freihandelsabkommen hat die Transpazifische Partnerschaft für Tokio aufgrund ihres wirtschaftlichen Umfangs, aber auch wegen ihres geostrategischen Gewichts, die größte Bedeutung. Als letzter der zwölf Teilnehmerstaaten (unter anderem USA, Kanada, Australien, Neuseeland, Vietnam, Mexiko und Chile), stieg Japan erst im Juli 2013 in die 2008 gestarteten Verhandlungen ein. Grund für die Verzögerung waren vor allem starke innenpolitische Widerstände, so besonders seitens der Landwirtschaftslobby. Demgegenüber sah Premierminister Abe – seit Ende 2012 im Amt – in der TPP einen wichtigen Baustein seiner „Abenomics“ genannten Wirtschaftspolitik: Es erschließe Japan nicht nur neue Märkte, sondern trage auch dazu bei, die eigene Wirtschaft durch mehr internationalen Wettbewerb in bislang stark geschützten Sektoren insgesamt zu beleben. Zudem begriff Abe die TPP als ein wichtiges außenpolitisches Instrument, um die Allianz mit den USA im asiatisch-pazifischen Raum zu stärken und dem wachsenden chinesischen Einfluss in der Region entgegenzuwirken.
Das Abkommen über die Schaffung der TPP mit zwölf Mitgliedern (TPP-12) wurde im Februar 2016 unterzeichnet, doch wurde es nicht ratifiziert und trat entsprechend nicht in Kraft. Der Widerruf der Unterschrift durch Trump im Januar 2017 kam für Japans Regierung angesichts entsprechender Äußerungen im US-Wahlkampf sowohl seitens der Republikaner als auch der Demokraten zwar nicht ganz überraschend, doch gab es offenbar zunächst keine klaren Vorstellungen, wie mit dieser neuen Lage umzugehen sei. Dabei war Tokio zunächst der Auffassung, ohne die USA habe die TPP keine echte Bedeutung als „Grundlage für die Stabilität der asiatisch-pazifischen Region“, doch auf Drängen anderer Teilnehmer beschloss Japan, zum ersten Mal überhaupt in internationalen Handelsgesprächen, die Führungsrolle bei der Ausarbeitung eines „neuen“ TPP-Abkommens zu übernehmen.
Das Zögern der japanischen Regierung war verständlich. Zwar müssen wichtige außenpolitische Beschlüsse Tokios – hierzu gehörte auch die Entscheidung, ein neues TPP-Abkommen ohne Washington anzustreben – immer die Reaktion der militärischen Schutzmacht USA einbeziehen, doch war unsicher, ob Trump nicht verärgert auf den Alleingang reagieren würde. Offenbar aber kam Tokio zu der Einschätzung, dass Japan bei einem endgültigen Scheitern des Vertrags eine Reihe von wirtschaftlichen und geopolitischen Vorteilen verlustig gehen würde: Nicht zuletzt hätte Tokio innerhalb der TPP-Gemeinschaft an Vertrauen verloren, und es hätte die Gefahr bestanden, dass sich andere TPP-Mitglieder wieder mehr Beijing annähern. Dies hätte auch Japans Chancen geschmälert, zu einer regionalen Führungsmacht in Ost-und Südostasien zu werden, die sich gegen China behaupten kann. Alle diese Aspekte, so vermutlich die Bewertung Tokios, sind aber auf längere Sicht für Japan von größerer Bedeutung, als den unberechenbaren US-Präsidenten kurzfristig zufriedenzustellen.
Vor diesem Hintergrund machte Tokio viel Druck. Das neue Abkommen wurde nach dem Rückzug der USA von den nur noch elf Teilnehmern in etwas weniger als einem Jahr verhandelt und am 8. März 2018 in Chile unterzeichnet. Es trägt den sperrigen Namen Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership (CPTPP, nachfolgend TPP-11). Bis Oktober 2018 hatten sechs Staaten den Vertrag ratifiziert. Damit konnte er am 30. Dezember 2018 in Kraft treten.
TPP-11 hat auch ohne die USA eine große Bedeu-tung. In der neuen Freihandelsregion wohnen fast 500 Millionen Menschen; die elf Teilnehmer stellen etwa 13 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts und fast 15 Prozent des globalen Handels. Durch das Freihandelsabkommen werden nicht nur die Warenzölle schrittweise verringert oder ganz aufgehoben, sondern auch Investitionen und Dienstleistungen liberalisiert. Darüber hinaus enthält der Vertrag Regelungen, die, wie es in den offiziellen Verlautbarungen heißt, in einer Reihe von Sektoren „an die Entwicklungen im 21. Jahrhundert“ angepasst sind. Ein Beispiel sind Regeln zum elektronischen Handel.
Das TPP-11-Abkommen stimmt textlich mit dem „alten“ TPP-12-Vertrag in großen Teilen überein. Der wesentliche Unterschied ist, dass eine Reihe von umstrittenen Regeln etwa zum Schutz des geistigen Eigentums, die eine Konzession an die USA darstellten, nach dem Rückzug Washingtons wieder ausgesetzt wurden. Dennoch wurden wichtige Regelungen z. B. in Bezug auf die Subventionierung staatseigener Unternehmen, die durchaus im US-Interesse liegen, in den neuen Vertrag übernommen. Vor diesem Hintergrund könnte Washington vermutlich ohne größere Schwierigkeiten wieder der Partnerschaft beitreten. Dies wäre nicht nur im Sinne Japans; auch andere Teilnehmer, wie Australien oder Vietnam, würden einen solchen Schritt begrüßen. Denn es würde nicht nur das Marktvolumen der Freihandelszone erheblich vergrößern, sondern sie könnten – mit den USA als Teilnehmer – auch China sehr viel mehr politisches und militärisches Gewicht in der Region entgegensetzen.
Anfang 2018 sah es noch so aus, als könne sich Trump eine Rückkehr in die Partnerschaft vorstellen, wenn sie für die USA „deutlich besser“ ausfiele als bisher. Allerdings ist die Bereitschaft zu Verhandlungen über ein drittes TPP-Abkommen in Japan wie auch bei den anderen Teilnehmern äußerst gering. Kaum ein Land will das in jahrelangen Gesprächen mühsam geschnürte Paket wieder öffnen. Neben der Frage, ob ein neuer Vertrag in den jeweiligen Staaten innenpolitisch überhaupt durchsetzbar wäre, spielt auch die Tatsache eine Rolle, dass eine Reihe von Ländern dabei sind, den „Ausfall“ der USA durch andere Freihandelsabkommen schrittweise zu kompensieren. Wie Japan hat z. B. Kanada ein Abkommen mit der EU vereinbart; Australien, Neuseeland und Mexiko sind nicht weit davon entfernt. Darüber hinaus denken andere Staaten, etwa Südkorea, Indonesien oder Thailand, darüber nach, dem TPP-11-Vertrag beizutreten. Dies würde der Freihandelszone eine beträchtliche Anhebung ihres wirtschaftlichen Potenzials bescheren.
Zwar stand in den vergangenen Jahren in Japans öffentlicher Wahrnehmung das Schicksal der Transpazifischen Partnerschaft im Mittelpunkt des Interesses, doch ist Tokio ein wichtiger Akteur weiterer Initiativen, die ein Gegenstück zum Vorgehen der Trump-Regierung sind und Japan gegenüber den USA mehr Manövrierspielraum geben. Der Vertrag zwischen Japan und der EU über eine Wirtschaftspartnerschaft (EU-Japan EPA) ist eines der größten weltweit vereinbarten Freihandels- und Investitionsschutzabkommen. Es wurde am 17. Juli 2018 unterzeichnet und trat am 1. Februar 2019 in Kraft. Dabei sind sich beide Partner einig, dass der Vertrag mit seinen regelbasierten Inhalten einen wichtigen Beitrag zur Verteidigung einer liberalen Welthandelsordnung leistet.
Ein anderes Projekt ist die Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP). Wenn es zu einem erfolgreichen Abschluss der derzeit laufenden Verhandlungen käme, würden die Mitglieder der südostasiatischen Staatengruppe ASEAN sowie China, Japan, Indien, Südkorea, Australien und Neuseeland Teil einer großen regionalen Freihandelszone, die die Hälfte der Weltbevölkerung und etwa ein Drittel des globalen Bruttoinlandsprodukts erfasst. Ein großer Plusfaktor der RCEP ist, dass im Gegensatz zur Transpazifischen Partnerschaft mit China und Indien zwei Schwergewichte Teil der Verhandlungen sind. Andererseits hat gerade China kein großes Interesse daran, in einen RCEP-Vertrag dem TPP-11-Abkommen entsprechende Regelungen z. B. zur Transparenz staatseigener Unternehmen, Korruptionsvermeidung oder der Rechte von Arbeitnehmern aufzunehmen. Angesichts der Tatsache, dass noch eine Reihe umstrittener Punkte zu lösen sind, ist der eigentlich für Ende 2018 anvisierte Abschluss der Verhandlungen nicht möglich. Prognosen hierzu sind schwierig.
Japan unter Druck der USA
Obwohl Japans Premierminister Abe als erster ausländischer Politiker schon vor der Amtseinführung Trump seine Aufwartung machte und ihn seither regelmäßig persönlich oder telefonisch umgarnt, hat er nicht verhindern können, dass Tokio von Anfang an im handelspolitischen Visier des US-Präsidenten stand. Ungeachtet der über viele Jahrzehnte aufgebauten engen wirtschaftlichen, militärischen und politischen Kontakte, die für beide Länder vorteilhaft sind, klagt Trump darüber, dass Japan in der Vergangenheit bestens an den USA verdient habe. So sei Japans Markt für US-amerikanische Unternehmen nicht wirklich offen, der japanische Überschuss im bilateralen Handel sei riesig, der Inselstaat überschwemme die USA mit seinen Autos und der Yen würde manipuliert. Doch diese Zeiten seien nun vorbei, so der Präsident.
Entsprechend setzt die Trump-Regierung Tokio trotz aller Freundschaftsbekundungen nach außen immer mehr unter Druck. So wurden nicht nur die Lieferungen japanischer Stahl- und Aluminiumerzeugnisse von Washington mit Strafzöllen belegt; Trump drohte auch, die Tarife auf die Importe japanischer (und anderer ausländischer) Autos und Autokomponenten von derzeit 2,5 auf 25 Prozent anzuheben, wenn Tokio dem amerikanischen Wunsch nach „fairen und reziproken“ Handelsbeziehungen nicht entgegenkäme. Nach dem Rückzug der USA aus der Transpazifischen Partnerschaft steht hier ein bilaterales Freihandelsabkommen mit Japan ganz oben auf der Wunschliste Trumps.
Eine passende Antwort hierauf zu finden, ist für Tokio ein großes Problem. Einerseits sind die USA der wichtigste Verbündete, der durch seine starke militärische Präsenz die Sicherheit des Inselstaates besonders gegenüber dem aufstrebenden China und dem unberechenbaren Nordkorea garantiert. Auch wenn die Abe-Regierung vor diesem Hintergrund den Verteidigungshaushalt erhöht und damit bei Trump punkten kann, ändert dies grundsätzlich nichts daran, dass Japan sicherheitspolitisch von den USA abhängt und daher auf alle Forderungen Washingtons mit großem Bedacht reagieren muss.
Etwas Spielraum eröffnet sich aufgrund der Tatsache, dass Tokio umgekehrt auch für Washington ein unverzichtbarer Partner ist, sollte sich der Konflikt mit China weiter verschärfen. Dennoch ist ein vorsichtiges Vorgehen für die Regierung Abe auch in der Wirtschafts- und Handelspolitik die beste Herangehensweise, zumal der US-Präsident mit seinen Vorwürfen gegenüber Tokio natürlich nicht unrecht hat. Der Zugang zum japanischen Markt ist alles andere als leicht, wie auch z. B. deutsche Unternehmen feststellen müssen. Ferner nimmt Japan auch bei ausländischen Direktinvestitionen im internationalen Vergleich keine dem wirtschaftlichen Niveau entsprechende Position ein und könnte hierfür sehr viel mehr tun.
Die von Trump angedrohten Zollerhöhungen auf Kfz und Kfz-Teile sind Japans Achillesferse. Obwohl Toyota, Honda, Nissan und andere Hersteller in den vergangenen Jahrzehnten in den USA insgesamt fast 50 Milliarden US-Dollar allein in die Fertigung investiert haben und mehr als 90.000 Mitarbeiter beschäftigen, sind Autos und Komponenten die mit Abstand wichtigsten Ausfuhrprodukte Japans in die USA. Da umgekehrt amerikanische Wagen in Japan kaum Käufer finden – 2017 hatten US-Fabrikate bei Pkw einen Marktanteil von nur vier Prozent –, waren Autos und Teile 2017 auf Yen-Basis für fast 77 Prozent des Defizits im bilateralen Güteraustausch verantwortlich.
Die Trump-Regierung kalkuliert, dass sich dieser Fehlbetrag durch Importzölle und gleichzeitig unter anderem durch mehr Absatz amerikanischer Autos in Japan verringern lässt. Dabei verlangt sie von Japan, vor allem die nicht-tarifären Hindernisse abzubauen, die aus Sicht Washingtons für den bisherigen Misserfolg von General Motors und anderen Herstellern verantwortlich sind. Es gibt solche Barrieren in der Tat, doch sind auch die anderen ausländischen Unternehmen davon betroffen, so z. B. die im Gegensatz zu den USA sehr erfolgreichen europäischen Anbieter. Die Ursachen für den schwachen Absatz amerikanischer Fahrzeuge liegen tiefer. So haben sie etwa nicht das Image von Mercedes oder BMW, die oft als Luxusprodukte gekauft werden. Ein anderer Grund ist, dass sich die US-Unternehmen viel zu wenig Mühe machen, ein auf die Bedürfnisse der japanischen Kundschaft ausgerichtetes Händlernetz aufzubauen.
Angesichts der überragenden wirtschaftlichen Bedeutung des Autosektors, setzt Japan alles daran, nicht von höheren US-Zöllen getroffen zu werden. Dies beeinflusst auch die Haltung zum Wunsch der Trump-Regierung, mit Tokio über ein bilaterales Freihandelsabkommen zu verhandeln. Hatte Japan bis zum Sommer 2018 auch auf höchster Ebene beim Thema „fairer und reziproker Handel“ auf Zeit gespielt, stimmte Premierminister Abe angesichts der drohenden Autotarife bei einem Washington-Besuch Ende September 2018 bilateralen Gesprächen über ein Handelsabkommen zu. Zudem stellte er den Kauf von mehr amerikanischen Militärausrüstungen zum Abbau des Handelsdefizits in Aussicht. Im Gegenzug vereinbarten beide Seiten, dass es keine autobezogenen Zollerhöhungen geben wird, solange die Verhandlungen andauern.
Die Konzessionen gegenüber Washington stehen im Gegensatz zu bisherigen Äußerungen der japanischen Regierung, handelspolitische Fragen nur multilateral anzugehen. Um den Eindruck einer Kapitulation vor dem Druck Trumps zu vermeiden, bezeichnet die Abe-Regierung daher die geplanten Gespräche mit den USA nur als Verhandlungen über ein „güterbezogenes Abkommen“ (Trade Agreement on Goods, TAG), so z. B. Autos und landwirtschaftliche Produkte. Ein umfassendes Freihandelsabkommen werde dagegen nicht angestrebt. Dem widerspricht die US-Regierung jedoch: Vizepräsident Pence z. B. erklärte in Tokio Mitte November 2018, dass beide Seiten über ein reguläres Freihandelsabkommen verhandeln werden, in dem nicht nur der Warenaustausch, sondern auch der Dienstleistungssektor zur Sprache kommen werde.
Zu erwarten ist darüber hinaus, dass die USA in den Gesprächen, dem Trump-Wunsch nach „besseren Bedingungen“ folgend, von Japan allerlei Konzessionen verlangen werden. Gerade bei Rindfleisch, Obst und anderen landwirtschaftlichen Produkten dürfte sich die amerikanische Wettbewerbsposition z. B. gegenüber Australien mit Inkrafttreten des TPP-11-Abkommens sehr rasch verschlechtern. Zwar akzeptierte Trump beim Abe-Besuch auch, dass für Japan die in den neuen Freihandelsabkommen TPP-11 und EU-Japan-EPA fixierten untersten Zollsätze eine Grenze darstellen, die nicht unterschritten werden sollte, doch ob diese Aussage auch in Zukunft Bestand hat, bleibt abzuwarten. Japan wird hier jedoch hart bleiben oder wenigstens einen guten Kompromiss anstreben müssen. Denn jede substanzielle Abweichung zugunsten der USA von den verhandelten Ergebnissen der Freihandelsabkommen würden die anderen Vertragspartner kaum akzeptieren und dürfte für Japan einen großen Verlust an Ansehen und politischem Kapital zur Folge haben. Dies aber wäre ein hoher Preis angesichts der Bemühungen Tokios, sich handelspolitisch als Gegenpol Washingtons zu präsentieren.
Japans China-Dilemma
Der zunächst vom Handel ausgehende Disput zwischen den USA und China hat sich im Verlauf von 2018 immer mehr zugespitzt und beginnt zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung zu werden, die das zukünftige wirtschaftliche, politische und militärische Verhältnis zwischen beiden Seiten berührt. Für Japan ist das „richtige“ Verhalten in diesem Konflikt besonders schwierig: Washington sucht nach Verbündeten und will auch Japan, den engsten Partner in der Region, auf seine Seite ziehen; andererseits hat Tokio großes Interesse daran, das Verhältnis zu China nach langen Jahren der Spannung wieder zu entkrampfen, ohne die Allianz mit den USA als Fundament seiner Außenpolitik in Frage zu stellen.
Dass Japan nur sehr ungern in den Streit hineingezogen werden will, hat handfeste ökonomische Ursachen. Obwohl vor allem die bilateralen politischen Beziehungen nicht konfliktfrei waren, sind Japan und China wirtschaftlich eng verflochten. Das Reich der Mitte ist seit 2007 Japans wichtigster Handelspartner. Sein Anteil am gesamten japanischen Warenaustausch lag 2017 bei mehr als einem Fünftel. Zudem hatten japanische Unternehmen bis Ende desselben Jahres kumuliert rund 118 Milliarden US-Dollar in China investiert. China ist dabei für eine Reihe von ihnen ein wichtiger Teil der Zulieferketten: So stammen z. B. hochwertige technologische Komponenten oft aus Japan; sie werden anschließend in China zu niedrigeren Kosten in die Endprodukte montiert. Die US-Regierung sähe es gerne, wenn zumindest einen Teil dieser Fertigung in die USA verlagert würde; doch Zulieferketten umzustellen, ist eine sehr komplexe Angelegenheit.
Eine Wahl „Wir oder sie“ möchte die Abe-Regierung daher in jedem Fall vermeiden und bemüht sich in ihrer Politik stattdessen darum, sowohl den Interessen der USA als auch denen Chinas entgegenzukommen. So erklärte z. B. Abe bei einem Besuch in Beijing − der ersten China-Visite eines japanischen Ministerpräsidenten nach sieben Jahren − Japans Bereitschaft, in Projekten der chinesischen Belt and Road Initiative (BRI) mitzuarbeiten. Gleichzeitig jedoch machen sich die USA und Japan für ein großes Infrastrukturprogramm in der „indopazifischen Region“ stark, das ein Gegenstück zur BRI darstellt. Die Finanzierung der Projekte soll nicht nur transparent sein und internationalen Regeln folgen, sondern es soll auch vermieden werden, dass die Empfängerländer in eine Schuldenfalle geraten. Dies ist einer der Hauptkritikpunkte an der BRI.
Was die konkreten Vorwürfe angeht, die Washing-ton als Gründe für die Strafzölle gegenüber China dienen, steht Tokio im Grundsatz an der Seite der USA. Auch japanische Unternehmen sehen etwa in chinesischen Copyrightverletzungen ein großes Problem. Strafzölle sind für die Abe-Regierung jedoch ein untaugliches Mittel. Es sei besser, im Dialog mit Beijing die Probleme anzusprechen und eine Lösung anzustreben. Dies entspricht auch der Linie des chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Jedoch werden Japan wie auch andere Länder darauf achten, dass es sich bei möglichen Konzessionen Chinas nicht nur um „kosmetische“ Verbesserungen der derzeitigen Verhältnisse handelt. Denn sonst besteht für Beijing wirklich die Gefahr, dass sich mittelfristig die gefürchtete „Anti-China-Front“ bildet.
Ausblick
Der Konflikt zwischen den USA und China und seine möglichen Auswirkungen auf Japan (wie auch andere asiatische Staaten) hat aber noch einen anderen Aspekt. Da die Exporte auf längere Sicht vermutlich weniger zum Wachstum beitragen werden, haben die Belebung der heimischen Wirtschaft und die Liberalisierung ihrer Strukturen eine große Bedeutung. Hier hat Premierminister Abe die große Chance, ausgehend von TPP-11 und dem Freihandelsabkommen mit der EU, die ihre Spuren in Japans Wirtschaft hinterlassen werden, seinem Land den dringend benötigten Produktivitätsschub zu geben und die zwar versprochenen, bislang aber nur halbherzig angegangenen Strukturreformen umzusetzen. Dies würde auch das Argument des amerikanischen Präsidenten entkräften, Japan schütze seine Wirtschaft in unlauterer Weise.
Dr. Detlef Rehn ist ehemaliger Korrespondent von Germany Trade and Invest und lebt als freier Journalist in Tokio.
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