Ausgabe: 4/2024
Was vor mehr als 18 Monaten als Kampf zweier sudanesischer Militärs um die Zentralgewalt in Khartum begann, hat inzwischen nicht nur den drittgrößten Flächenstaat Afrikas in ein totales Chaos gestürzt, sondern auch die politische Tektonik an der bedeutenden Scharnierstelle zwischen dem Nahen und Mittleren Osten, dem Horn von Afrika und der Sahelregion verschoben. Von den Auswirkungen des Krieges im Sudan sind vor allem die Staaten Ägypten, Äthiopien, Südsudan, Uganda, Tschad und Libyen betroffen, in denen knapp ein Viertel der Gesamtbevölkerung Afrikas lebt.
Der Oberbefehlshaber der regulären sudanesischen Streitkräfte (Sudanese Armed Forces, SAF), Generalleutnant Abdel Fatah al-Burhan, und der Kommandeur der vor mehr als 20 Jahren entstandenen paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF), Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemedti, konnten sich nach einer kurzen Phase der gemeinsamen Herrschaft nicht über die exakte Machtverteilung einigen. Dies führte am 15. April 2023 in der sudanesischen Hauptstadt zum Ausbruch von Kämpfen zwischen den Militärs und den Paramilitärs. Die anfänglichen Hoffnungen auf einen schnellen Einstieg in substanzielle Verhandlungen haben sich lange zerstoben. Die fortschreitende Regionalisierung des Konflikts infolge der Interventionen zahlreicher Akteure mit teilweise stark divergierenden Interessen hat zurückliegende Sondierungsbemühungen erheblich verkompliziert und diplomatische Lösungen bis dato unmöglich gemacht. Mittlerweile übersteigt die Gesamtzahl der sudanesischen Bürger, die seit dem 15. April ihre Heimat verlassen mussten, die Marke von 13 Millionen. Die humanitäre Lage im Sudan hat das Ausmaß der Katastrophe in Syrien zwischen 2015 und 2018 erreicht. Für die deutsche und europäische Politik ergibt sich die Relevanz der Lage im Sudan aus derselben geografischen Nähe und denselben Sicherheitsinteressen, wie sie mit Blick auf die Sahelregion herrschen – Eindämmung von Flucht- und Migrationspotenzial durch Stärkung staatlicher und wirtschaftlicher Strukturen sowie die Bekämpfung nichtstaatlicher Gewaltakteure. Angesichts der Fokussierung auf die Konflikte in Osteuropa sowie im Nahen und Mittleren Osten erfährt der Sudankonflikt in der europäischen Politik und Öffentlichkeit jedoch wenig Beachtung.
Militärs, Paramilitärs und die kurze Hoffnung auf Demokratie im Sudan
Auch wenn bereits in den Wochen vor dem 15. April 2023 über Befürchtungen eines bewaffneten Konflikts zwischen SAF und RSF berichtet wurde, kam der Ausbruch der Gewalt für viele Beobachter überraschend. Fast auf den Tag genau vier Jahre zuvor, am 11. April 2019, waren die heutigen Kontrahenten al-Burhan und Hemedti gemeinsam am Sturz des sudanesischen Langzeitherrschers Omar al-Baschir beteiligt gewesen. Als im Juli desselben Jahres unter Vermittlung Äthiopiens und der Afrikanischen Union (AU) eine Übergangsregierung vereinbart wurde, erhielten beide Generäle Posten in dem auf drei Jahre angelegten, elfköpfigen „Souveränen Rat“. Neben der Einrichtung dieses aus Militärs und Zivilisten paritätisch besetzten Rates unter dem Vorsitz al-Burhans wurde der politisch unbelastete Ökonom Abdalla Hamdok zum Ministerpräsidenten bestellt und ein sowohl von Persönlichkeiten des alten Regimes als auch neuen Repräsentanten zusammengesetztes Kabinett berufen. Am Ende der Übergangsphase von insgesamt 39 Monaten waren demokratische Wahlen vorgesehen und Medien berichteten von der Fortsetzung des „Arabischen Frühlings“ beziehungsweise einer neuen Welle desselben. Dazu sollte es aufgrund eines erneuten Putsches im Oktober 2021 allerdings nicht kommen.
Gerade einmal zwei Jahre nach Etablierung der politischen Übergangsstrukturen beendete das sudanesische Militär das noch junge demokratische Experiment im Land und entmachtete den zivilen Teil der Übergangsregierung unter Ministerpräsident Hamdok. Angeführt wurde der erneute Putsch am 25. Oktober 2021 von General al-Burhan, der hierbei vor allem von den SAF, aber auch den von General Hemedti geführten RSF unterstützt wurde. Nach andauernden Protesten der Zivilbevölkerung und Druck aus dem Ausland wurde Hamdok am 21. November wieder eingesetzt. Die Macht blieb jedoch fast vollständig in den Händen des Militärs und das ursprünglich vereinbarte Gleichgewicht zwischen Militär und Zivilisten wurde nicht wiederhergestellt. Den dennoch anhaltenden Großdemonstrationen begegnete die Armee mit konsequenter Härte. Dies führte am 2. Januar 2022 zum endgültigen Rücktritt des Ministerpräsidenten. Zwölf Monate später wurde ein erneutes Abkommen über eine zweijährige Interimsphase unter einer Militärregierung mit anschließender Übergabe der Macht an eine zivile Regierung beschlossen.
In den wenigen Monaten bis zum Gewaltausbruch im April 2023 nahmen die Spannungen innerhalb des sudanesischen Sicherheitsapparats dann kontinuierlich zu. Die Gründung der RSF als zusätzlicher bewaffneter Akteur zwei Jahrzehnte zuvor und deren Erstarken zu einer den Streitkräften ebenbürtigen bewaffneten Macht erwiesen sich als fatal. Die innerhalb des Sicherheitssektors lange schwelende Frage nach dem künftigen primus inter pares eskalierte, als sich die RSF Plänen zur Eingliederung in die SAF widersetzten. Konkret ergab sich der Dissens aus der Forderung der Streitkräfte nach einer kompletten Überführung der RSF in die reguläre Armee binnen 24 Monaten, also während der Interimsphase. Die Organisation von General Hemedti verlangte hingegen einen Zeithorizont von zehn Jahren. Nachdem sich beide Seiten über Tage auf eine direkte Konfrontation vorbereitet hatten, befahlen die SAF den RSF, bestimmte Stellungen im Großraum Khartum zu räumen. Daraufhin griffen Kämpfer der RSF Einrichtungen der Armee an. Am 17. April 2023 erklärte deren Oberbefehlshaber General al-Burhan die Organisation seines ehemaligen Verbündeten zur Rebellengruppe und ordnete deren Auflösung an.
Gebietskontrolle, Kräfteverhältnis und die Abhängigkeit von Waffenlieferungen
Auch nach 20 Monaten intensiver und landesweiter Kämpfe konnte keiner der beiden Hauptakteure eindeutig die Oberhand gewinnen. Die SAF, deren Gesamtstärke auf mindestens 200.000 Mann geschätzt wird, kontrollieren fast vollständig den spärlich besiedelten nördlichen Teil des Landes einschließlich des Nilflusstals von der ägyptischen Grenze bis zu den umkämpften Städten Khartum und Omdurman sowie den gesamten Küstenabschnitt am Roten Meer mit der wichtigen Hafenstadt Port Sudan, die als provisorischer Sitz der Militärregierung al-Burhans fungiert. Die Grenzgebiete zu Eritrea im Osten und zu Äthiopien im Südosten befinden sich ebenfalls weitgehend unter Kontrolle der SAF. Der bevölkerungsreiche Südwesten und große Teile der Grenze zum Südsudan sowie der Süden der Region Darfur und weite Teile der Grenzregion zum Tschad werden von den RSF kontrolliert, deren personelle Stärke häufig mit 100.000 Mann angegeben wird.
Die RSF gingen 2013 aus einer Miliz aus Angehörigen nomadisierender arabischer Stämme, genannt Dschandschawid, hervor, die als Hilfstruppe der regulären sudanesischen Sicherheitskräfte bereits im Darfur-Konflikt ab 2003 unrühmliche Bekanntheit erlangt hatte. Obwohl die RSF vor allem für infanteristische Kampfführung in urbanen Zentren sowie Einsätze in wüsten- und halbwüstenartigem Gelände ausgerüstet und ausgebildet sind und über keine eigenen Luftstreitkräfte verfügen, haben sie sich seit April 2023 als den SAF ebenbürtig erwiesen und diesen zum Teil schwere Niederlagen zugefügt. Die Stärke der RSF lässt sich vor allem auf deren Homogenität und die großen zusammenhängenden Rückzugsgebiete im Westen und Südwesten des Landes, die ausgeprägte Kampferfahrung, den hohen Grad an Mobilität und die relativ gute Bewaffnung zurückführen. Eine große Zahl von Angehörigen der RSF war durch Einsätze im jemenitischen Bürgerkrieg ab 2019 sowie Teilnahme am Bürgerkrieg in Libyen bereits bei Kriegsausbruch im April 2023 kampferfahren. Aus den Einsätzen in diesen beiden Ländern rühren die guten Beziehungen der RSF zu den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), die den Einsatz von phasenweise mehreren zehntausend sudanesischen Kämpfern im Jemen orchestrierten, sowie die Kontakte zum libyschen General Haftar. Aus den VAE erhielten die RSF bereits 2019 mehr als tausend Geländewagen, die zu Waffenträgern umgerüstet wurden und sich als wesentlich für die mobile Kampfführung der Organisation erwiesen.
Die SAF hingegen kontrollierten bei Kriegsbeginn den wesentlich größeren Anteil an schwerem Gerät, die Luftstreitkräfte sowie die sehr starke heimische Waffen- und Munitionsproduktion, die sich in den vergangenen Jahrzehnten zur drittgrößten Rüstungsindustrie Afrikas mit Herstellungskapazitäten für Infanteriewaffen, Artilleriesysteme und gepanzerte Kampffahrzeuge entwickelt hatte. So waren die im Raum Khartum konzentrierten Rüstungsfabriken des Landes vor allem im Sommer 2023 schwer umkämpft. Beide Kriegsparteien sind mittlerweile de facto von Waffen-, Munitions- und Ausrüstungslieferungen aus dem Ausland abhängig. Besonders begehrt sind moderne Waffentypen, die einen operativen Vorteil verschaffen, wobei vor allem Drohnen und Flugabwehrsysteme zu nennen sind.
Abb. 1: Territoriale Kontrolle der Konfliktparteien
Die SAF werden offenbar hauptsächlich von Ägypten militärisch unterstützt, erhalten aber auch von anderen Staaten Waffen und Material von operativ hoher Bedeutung. So soll beispielsweise der Iran moderne Drohnentechnik zur Verfügung stellen. Der wichtigste militärische Unterstützer der RSF sind die VAE, auch wenn dies regierungsseitig regelmäßig dementiert wird. Zahlreiche Berichte deuten darauf hin, dass moderne Waffensysteme unterschiedlichen Ursprungs einschließlich Drohnen, Mehrfachraketenwerfern, schultergestützten Flugabwehrsystemen (MANPADS) und Panzerabwehrraketen seitens der VAE an die sudanesischen Paramilitärs geliefert werden. Dies geschieht in geringerem Umfang über Routen aus Uganda und dem Südsudan, vor allem aber über Nachschubwege durch Libyen und den Tschad, wobei Hilfsflüge und humanitäre Einrichtungen wohl teilweise als Tarnung genutzt werden.
Russland verfügte nach dem Sturz des Baschir-Regimes und bis in die Anfangsphase des Krieges hinein über gute Kontakte sowohl zu General al-Burhan als auch zu General Hemedti. Die Unterstützung der RSF durch irreguläre Kämpfer der Wagner-Gruppe scheint im Nachgang des Putschversuchs durch Jewgeni Prigoschin im Juni 2023 deutlich zurückgegangen zu sein. Mittlerweile steht Russland neben Ägypten, Saudi-Arabien und dem Iran fest hinter den SAF und General al-Burhan. Seit September 2023 wurden punktuelle Operationen ukrainischer Spezialkräfte gegen Einheiten der in Afrikakorps umbenannten Wagner-Gruppe berichtet.
Interessen und Politik zentraler externer Akteure
Ägypten
Für Ägypten stellt der Konflikt im Sudan eine ernsthafte Bedrohung für die Stabilität und Sicherheit dar. Angesichts der Situation in Libyen und des Krieges in Gaza gilt es für den ägyptischen Präsidenten al-Sisi, eine weitere Eskalation an der Südgrenze des Landes unter allen Umständen zu vermeiden, zumal sich der Konflikt mit Äthiopien über den Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD) weiter verschärft. Der Zustrom sudanesischer Flüchtlinge belastet die ohnehin begrenzten Ressourcen Ägyptens und verschärft bestehende Probleme auf dem Wohnungsmarkt, in der Gesundheitsversorgung und beim Zugang zu Bildungseinrichtungen. In der Folge hat die ägyptische Regierung restriktive Maßnahmen ergriffen und sudanesische Flüchtlingsschulen mit der Begründung, dass sie nicht Teil des öffentlichen Schulsystems sind, geschlossen. Obwohl humanitäre Hilfe geleistet wird, sind sudanesische Flüchtlinge mit einer feindseligen Haltung von Teilen der ägyptischen Bevölkerung konfrontiert. Diese wird durch Fehlinformationen und wirtschaftliche Ängste geschürt. In Medienberichten und öffentlichen Erklärungen werden sudanesische Flüchtlinge immer wieder als zusätzliche Belastung für die kriselnde Wirtschaft und das schwache Sozialsystem dargestellt, was zu Spannungen mit der Aufnahmegesellschaft führt. Darüber hinaus kursieren häufig Fehlinformationen über unverhältnismäßig hohe Leistungen und unfaire Arbeitsplatzvergabe an Flüchtlinge. Internationale Hilfsorganisationen stoßen in Ägypten – wie auch im Sudan – aufgrund bürokratischer Hürden, vor allem langwieriger Genehmigungsverfahren und Sicherheitsbedenken, auf erhebliche Widerstände und können teilweise nur begrenzt handeln.
Saudi-Arabien
Die Regierung in Riad ist vor allem an Stabilität im Sudan interessiert und fürchtet, insbesondere nach jüngeren Erfahrungen infolge des Tigray-Krieges, die starke Zunahme von Fluchtbewegungen über die ostafrikanische Migrationsroute an der Meerenge zwischen Dschibuti und Jemen oder direkt über die nahegelegenen Küsten des Roten Meeres. Kaum verwunderlich ist also die Unterstützung Saudi-Arabiens für das Regierungslager von al-Burhan, dessen Streitkräfte den gesamten sudanesischen Anteil der Gegenküste zur arabischen Halbinsel am Roten Meer kontrollieren. Dass das Königreich nicht mehr an der Seite der RSF steht, obwohl diese im jemenitischen Bürgerkrieg noch als wichtiger militärischer Verbündeter gedient hatten, spiegelt auch das Auseinanderdriften der vormaligen engen Partner Saudi-Arabien und VAE wider. Diese sind nicht nur im Sudan in den vergangenen Jahren zusehends in Gegensatz zueinander geraten. Paradoxerweise steht Riad durch diese Positionierung hinter derselben Partei, die auch Unterstützung durch den Erzfeind Iran erfährt. Denn aus Sicht der Golfmonarchie besteht kein Interesse daran, dass Russland oder gar der Iran an der gegenüberliegenden sudanesischen Küste militärisch Fuß fassen.
Russland und Iran
Russlands Politik gegenüber Sudan zielt bereits seit Jahren auf ein Abkommen zur Errichtung einer Marinebasis am Roten Meer ab – ähnlich derjenigen im syrischen Tartus an der östlichen Mittelmeerküste. Nachdem eine Reihe von Sondierungen mit anderen Anrainern gescheitert war, berichteten russische und sudanesische Quellen im Februar 2023 von einer vorläufigen Einigung. Das Militär, darunter beide Kontrahenten von heute, hatte seinerzeit zugestimmt, verwies aber auf die letztinstanzliche Genehmigung durch die später zu wählende zivile Regierung. Die eindeutige Positionierung Russlands aufseiten al-Burhans erklärt sich vor allem mit der klaren Priorisierung der lange ersehnten Marinebasis unweit der Hafenstadt Port Sudan. In den vergangenen Monaten gab es Berichte, dass auch die iranische Regierung an einem Marinestützpunkt oder zumindest an der Erlaubnis zur dauerhaften Stationierung einer größeren Marineeinheit in sudanesischen Gewässern interessiert sei. Abgesehen von den grundsätzlichen strategischen Interessen des Iran, gegenüber der Küste des saudischen Erzfeindes Fuß zu fassen, dürften vor allem die sicherheitspolitischen Entwicklungen im Roten Meer infolge des Angriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 das Interesse Teherans an einer maritimen Präsenz ebendort deutlich gesteigert haben.
Vereinigte Arabische Emirate
Aufgrund ihrer umfangreichen Waffenlieferungen sind die VAE der mit Abstand wichtigste Verbündete der RSF. Die Einmischung in den Krieg im Sudan stellt eine Fortsetzung der Politik Abu Dhabis der vergangenen Dekade dar und zielt darauf ab, den eigenen Einfluss auf der arabischen Halbinsel sowie in Ostafrika durch wirtschaftliche Investitionen und die Unterstützung nichtstaatlicher Gewaltakteure auszubauen. So investierten die VAE in den vergangenen Jahren mehr als sechs Milliarden US-Dollar im Sudan, insbesondere in die Hafeninfrastruktur von Port Sudan. Offenbar setzt Abu Dhabi darauf, dass die RSF militärisch die Überhand gewinnen und auf absehbare Zeit die sudanesische Küstenlinie in Besitz nehmen. Ein weiteres starkes Interesse der VAE liegt in der Rolle des Sudan als drittgrößter Goldproduzent Afrikas begründet. Zahlreiche Minen werden seit Jahren von der RSF General Hemedtis kontrolliert, der als bedeutendster Goldhändler seines Landes einer der zentralen Lieferanten für Märkte am Persischen Golf ist. Dass die VAE in großem Stil vom Goldhandel mit einer Konfliktpartei profitieren, sollte seitens der EU stärker thematisiert werden.
Äthiopien
Von zentralem Interesse für die äthiopische Regierung ist die Sicherheit des ökonomisch bedeutenden und nur 45 Kilometer von der sudanesischen Grenze entfernt gelegenen Grand Ethiopian Renaissance Dam. Der Bau des Staudamms am Nil stellte über zwei Jahrzehnte hinweg einen gravierenden Streitpunkt zwischen Äthiopien und Ägypten dar. Ägypten befürchtet eine starke Abhängigkeit von Äthiopien bei der Trinkwasserversorgung des Landes. Sudan hatte bisher eine ausgleichende und neutrale Position. In Addis Abeba wird nun mit Argusaugen beobachtet, ob und inwieweit sich die Machtverhältnisse in der Konstellation dieser drei Staaten verschieben. Vor diesem Hintergrund gilt Äthiopien als Unterstützer Hemedtis, des Gegenspielers des ägyptischen Protegés. Zumindest eine indirekte militärische Unterstützung der RSF wurde der Regierung in Addis Abeba regelmäßig unterstellt. Ein weiteres Sicherheitsinteresse aus äthiopischer Sicht besteht darin, ein Wiederaufflammen des Grenzkonflikts um die Region al-Fashaga zu vermeiden. Dieses fruchtbare Agrarland war 2008 Gegenstand einer Kompromisslösung („weiche Grenze“), wobei der sudanesische Anspruch anerkannt wurde, äthiopische Bürger dort aber weiterhin Landwirtschaft betreiben dürfen. Infolge des Tigray-Konflikts haben bewaffnete Milizen, die nicht unter Kontrolle der Zentralregierung in Addis Abeba stehen, jedoch einen unumschränkten Besitzanspruch artikuliert.
Tschad
Das seit 2005 für die Region Darfur in Westsudan bestehende Waffenembargo der Vereinten Nationen konnte nicht verhindern, dass die Hauptroute für Waffennachschub aus dem Tschad in ebendiese Region führt. Auch kämpften zahlreiche tschadische Staatsbürger, fast ausschließlich ethnische Araber, von Beginn an in den Reihen der RSF. Dies birgt wiederum das Risiko eines spill-over des Konflikts auf tschadisches Staatsgebiet. Der De-facto-Präsident des Tschad, Mahamat Idriss Déby Itno, und ein Großteil der Elite des Landes gehören der Ethnie der Zaghawa an, die wiederum größtenteils im sudanesischen Darfur beheimatet ist und gegen die arabischen Gruppen kämpft. Mit ungefähr 900.000 sudanesischen Flüchtlingen, davon geschätzt 88 Prozent Frauen und Kinder, die in den vergangenen 18 Monaten in den östlichen Gebieten des Tschad angekommen sind, hat das Land, das zu den ärmsten der Welt gehört, zudem eine erhebliche humanitäre Bürde zu tragen.
Südsudan und Uganda
Ebenfalls stark betroffen von den Fluchtbewegungen sind die südlichen Nachbarn Uganda und Südsudan. Gegenwärtig halten sich geschätzt knapp 500.000 sudanesische Flüchtlinge in dem Staat auf, der bis 2011 Teil ihres eigenen Herkunftslandes war. Vor Ausbruch des Krieges befanden sich etwa 55.000 sudanesische Flüchtlinge in Uganda, mittlerweile kamen weitere 170.000 Personen hinzu, die aufgrund von Vorbehalten der ugandischen Behörden jedoch keinen offiziellen Flüchtlingsstatus erhalten haben. Eine ähnliche Gefahr, in den Konflikt hineingezogen zu werden, wie sie im Tschad gesehen wird, ergibt sich auch für den Südsudan. Südsudanesische Staatsbürger haben sich sowohl den RSF als auch den SAF angeschlossen. Darüber hinaus gefährdet der Krieg im Sudan die Ausfuhr von südsudanischem Öl, das ausschließlich über Port Sudan exportiert wird und etwa 90 Prozent der südsudanesischen Staatseinnahmen ausmacht. Abgesehen von den Nachschubrouten für die RSF über Libyen und Tschad wird immer wieder über Nachschub und Unterstützernetzwerke in Südsudan und Uganda berichtet.
Etliche Staaten, darunter die Volksrepublik China, die Türkei, Israel, Kenia und Katar haben ebenfalls erhebliche (sicherheits-)politische und ökonomische Interessen im Sudan und pflegen deshalb Beziehungen zu beiden Seiten, ohne sich eindeutig zu positionieren.
Friedensgespräche – viele Initiativen, wenig Hoffnung
Seit Ausbruch des Krieges gab es verschiedene Vermittlungsbemühungen, um einen temporären oder dauerhaften Waffenstillstand zu erreichen oder einen strukturierten Friedensprozess einzuleiten. Große Beachtung erfuhren die Gespräche in Dschidda unter Vermittlung Saudi-Arabiens und der USA, die im Mai 2023 begonnen wurden und letztlich in die Gespräche in Genf im August 2024 mündeten. Neben den Gastgebern USA, Saudi-Arabien und Schweiz nahmen Ägypten, die VAE, die AU und die UN als Beobachter teil. Auch diese Runde der Vermittlungsbemühungen endete ohne substanzielle Ergebnisse. Die SAF hatten ihre Teilnahme zurückgezogen, während die RSF nach anfänglichem Zögern mit einer kleinen Delegation teilnahmen. Bemerkenswert ist, dass die Beobachter Ägypten, VAE und AU alle über Erfahrungen aus eigenen, zeitweise parallelen Sondierungsinitiativen verfügen. Allein die AU hat in drei verschiedenen Formaten versucht, substanzielle Gespräche zu initiieren, scheiterte aber genauso wie die ostafrikanische Regionalorganisation Intergovernmental Authority on Development (IGAD) mit ihrem IGAD Quartet on Sudan.
Während die Vielzahl an Verhandlungsformaten und der geringe Grad an Koordination regelmäßig kritisiert werden, besteht das Haupthindernis für einen wirklichen Friedensprozess und selbst nur für temporäre Waffenstillstände in der fehlenden Verhandlungs- beziehungsweise Kompromissbereitschaft der beiden Hauptkonfliktparteien. Durch das hohe Maß an Einflussnahme durch externe Akteure in dem Konflikt haben sich die Rahmenbedingungen für eine politische Lösung deutlich verkompliziert. Im Vertrauen auf ihre regionalen Allianzen und die Unterstützung von außen scheinen die Führungen von SAF und RSF im Glauben zu sein, ihre jeweilige Position auf dem Gefechtsfeld noch deutlich verbessern zu können. Fraglich ist in diesem Kontext, inwieweit sie in ihrer Entscheidungsfindung noch eigenständig agieren oder beim Aspekt „Verhandlungen versus Fortsetzung der Kämpfe“ bereits in Abhängigkeit von ihren externen Verbündeten geraten sind.
Für einen Erfolg künftiger Friedensinitiativen werden regelmäßig zwei Voraussetzungen angeführt: Zum einen müsste die Belieferung der Kriegsparteien mit Waffen von außen unterbunden werden, zum anderen müssten die externen Verbündeten der beiden Kontrahenten diese an den Verhandlungstisch zwingen. Neben Ägypten und den Golfstaaten werden vor allem die Türkei und die USA als potenzielle Vermittler und relevante Akteure mit ausreichendem Einfluss gesehen.
Menschenrechtsverletzungen in kaum vorstellbarem Maße
Da ein Großteil der stark umkämpften Gebiete urban geprägt ist, war der Krieg im Sudan von Beginn an durch eine sehr hohe Zahl ziviler Opfer gekennzeichnet. Mittlerweile hat die Hälfte der Einwohner die Hauptstadt Khartum verlassen. Nach Angaben der UN befinden sich gegenwärtig mehr als 13 Millionen Menschen infolge der Kämpfe auf der Flucht. Hiervon gelten 10,7 Millionen als Binnenvertriebene (Internally Displaced People, IDP); 2,3 Millionen sudanesische Staatsbürger haben außerhalb des Landes Schutz gesucht. Seit Beginn des Konflikts haben mehr als 20.000 Sudanesen ihr Leben verloren, wobei einige Quellen von deutlich höheren Zahlen ausgehen. Rund 25 Millionen Menschen – etwa die Hälfte der Bevölkerung des Sudan – benötigen humanitäre Hilfe. Die Dimension der humanitären Katastrophe übersteigt mittlerweile jene der syrischen Flüchtlingskrise vor acht Jahren. Zuletzt sprachen Vertreter europäischer Hilfsorganisationen von einer Hungerkrise historischen Ausmaßes und die UN stellen die schlimmste Hungersnot seit mehr als 40 Jahren fest – die Preise für Grundnahrungsmittel im Sudan stiegen zuletzt um bis zu 200 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Beide Konfliktparteien haben Lebensmittelknappheit bereits absichtlich herbeigeführt, um Hunger als Waffe gegen Teile der Zivilbevölkerung einzusetzen.
Im Sudan kommt es außerdem regelmäßig zu ethnisch motivierten Gräueltaten und gezielten Tötungen von Angehörigen nichtarabischer Bevölkerungsgruppen. Kontinuierliche ethnische Säuberungen werden vor allem aus der Region Darfur berichtet. Allein im November 2023 wurden dort mehr als 1.000 Zivilisten getötet, vornehmlich aus der Volksgruppe der Masalit. Darüber hinaus setzen die Kriegsparteien auf die gezielte Zerstörung von Versorgungsinfrastruktur, Plünderungen und Brandschatzungen, was in großem Umfang Flucht und Vertreibung nach sich zieht und teilweise zum Ausbruch von Epidemien wie der Cholera führt. Die weit überwiegende Mehrheit der sudanesischen Bevölkerung hat keinen Zugang zu adäquater Gesundheitsversorgung mehr. Berichten zufolge sind 70 Prozent der Krankenhäuser nicht mehr funktionsfähig. Weitere Verbrechen gegen die Menschlichkeit schließen die Anwendung von Folter und den systematischen Einsatz von Vergewaltigungen, teilweise an Minderjährigen, ein. Die humanitäre Katastrophe im Sudan sowie die hohe Gefahr eines Ausgreifens auf die gesamte Region werden mittlerweile in einem Atemzug mit den Kriegen in der Demokratischen Republik Kongo oder Syrien genannt.
Ausblick und Implikationen für deutsche und europäische Politik
Selbst wenn die Ressourcen der deutschen und europäischen Politik nicht durch die Kriege in der Ukraine sowie im Nahen und Mittleren Osten absorbiert würden und der politische Wille für ein Engagement am Horn von Afrika oder für einen Stabilisierungseinsatz im Sudan vorhanden wäre, so blieben dennoch viele Fragen. Nach den desaströsen Bilanzen der Stabilisierungsbemühungen in Afghanistan und im Sahel stehen sämtliche Konzepte zu Interventionen mit dem Ziel der Friedensbildung, Fluchtursachenbekämpfung und dem Erhalt oder Aufbau staatlicher Strukturen auf dem Prüfstand. Obwohl der politische Wille vorhanden ist und Zusagen gemacht wurden, beteiligt sich Deutschland aufgrund seiner sehr begrenzten militärischen Mittel derzeit nicht wie geplant an der EUNAVFOR Aspides, obwohl diese auf den Schutz vitaler deutscher Interessen abzielt. Die seit Februar 2024 eingesetzte EU-Mission hat den Auftrag, den internationalen Schiffsverkehr im Roten Meer vor Angriffen der jemenitischen Huthis zu schützen. So stellt sich die Frage nach einem deutschen Engagement im Sudan, jenseits der Kostenübernahme für humanitäre Hilfe und der Beteiligung an diplomatischen Initiativen, in Berlin ohnehin nicht.
Im diplomatischen Bereich spielt Deutschland bilateral oder im Rahmen der EU, trotz der sehr begrenzten direkten Einflussmöglichkeiten auf die beiden Hauptkonfliktparteien, eine wichtige Rolle und sollte bestrebt sein, diese auszubauen. Angesichts des gegenwärtigen Migrationsdrucks auf die europäischen Grenzen besteht ein objektives Interesse deutscher Politik, die humanitäre Krise im Sudan einzugrenzen und einer weiteren Destabilisierung der gesamten Region entgegenzuwirken. Sollte eine adäquate Versorgung der Binnenflüchtlinge innerhalb des Sudan nicht sichergestellt werden können, droht eine Flüchtlingswelle in Richtung Europa in der Größenordnung von 2015. Erst jüngst wurde berichtet, dass bereits 60 Prozent der Menschen in den Flüchtlingslagern im französischen Calais sudanesische Staatsbürger sind. Mit Blick auf Bevölkerungsentwicklung und Migrationspotenzial in den Staaten am Horn von Afrika kann sich Europa das Abgleiten einer weiteren benachbarten Region ins Chaos nicht leisten. Das Nachsehen der europäischen Staaten im Systemkonflikt mit Russland und China in ebendieser Region und das Szenario des Eindringens islamistischer Terrororganisationen in das sudanesische Vakuum stellen im Vergleich zu den Flucht- und Migrationsszenarien fast noch die geringeren sicherheitspolitischen Herausforderungen dar.
Steffen Krüger ist Leiter des Auslandsbüros Ägypten der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Gregory Meyer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Regionalprogramm Sicherheitspolitischer Dialog Ostafrika der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Kampala.
Nils Wörmer ist Leiter des Regionalprogramms Sicherheitspolitischer Dialog Ostafrika der Konrad-Adenauer-Stiftung.
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