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Augustin Wamenya, AA, picture alliance

Auslandsinformationen

Zum anhaltenden Konflikt im Ostkongo

Viele Akteure und keine Lösung

Im Osten der Demokratischen Republik Kongo herrschen seit mehr als 30 Jahren kriegsähnliche Zustände. Die daraus folgende humanitäre Katastrophe hat bislang mehrere Millionen Menschenleben gekostet und führte 2024 zu einer neuen Höchstzahl an Binnenvertriebenen. Was aber sind die Hintergründe des Konflikts? Welche Akteure prägen ihn? Und warum scheint ein Ende nach wie vor nicht absehbar?

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Der Osten der Demokratischen Republik Kongo wird, von der deutschen Öffentlichkeit überwiegend unbeachtet, seit Jahrzehnten von einem blutigen Konflikt geprägt. Internationale Beobachter gehen inzwischen von mehr als sechs Millionen Toten in den vergangenen 30 Jahren aus.Damit wäre der Konflikt der weltweit tödlichste seit dem Zweiten Weltkrieg. Da die meisten Opfer allerdings Zivilisten sind und nicht durch direkte Kriegshandlungen, sondern etwa durch Unterernährung starben, gelten die Zahlen als umstritten. Darüber hinaus zählt der Kongo mittlerweile mehr als sieben Millionen Binnenvertriebene. Allein seit dem Jahr 2022 hat sich deren Anzahl noch einmal um 2,2 Millionen erhöht. Die Flüchtlingslager an den Außengrenzen der ostkongolesischen Provinzhauptstadt Goma sind seit Langem überfüllt, chronisch unterfinanziert und teilweise selbst Kriegsschauplatz, was zu katastrophalen hygienischen Bedingungen und der Ausbreitung von Krankheiten wie Cholera oder Typhus geführt hat.

Auch wenn in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa nach der souveränen Wiederwahl des Präsidenten Félix Tshisekedi Ende 2023 politische Stabilität herrscht, bleiben die Ostprovinzen der Konflikt- und Krisenherd des mindestens 100 Millionen Einwohner zählenden Landes. Die kongolesischen Sicherheitskräfte sind seit Jahrzehnten nicht in der Lage, ihr eigenes Territorium im Osten des Landes zu kontrollieren und der Bevölkerung Schutz zu bieten. Mehr als 100 Rebellengruppen, teilweise mit jahrelanger Unterstützung aus den Nachbarländern, drängen in dieses Vakuum. Insbesondere die durch Ruanda mit bis zu 4.000 Soldaten unterstützte Bewegung des 23. März (M23), die heute so große Teile des Ostkongos kontrolliert wie keine andere Rebellengruppe, ist für die Zuspitzung des Konflikts in den vergangenen Jahren verantwortlich.

 

Vorgeschichte und Konfliktreiber

Der Kongo ist Teil der ethnisch durchmischten Region der Großen Seen in Zentralafrika, zu der auch Ruanda, Uganda, Burundi sowie Teile Kenias und Tansanias zählen. Erste koordinierte Migrationsbewegungen aus dem heutigen Ruanda in den Osten des heutigen Kongo wurden während der belgischen Kolonialzeit aufgrund der ruandischen Überbevölkerung bei gleichzeitigem Arbeitskräftemangel im Kongo organisiert.

Für den aktuellen Hauptkonflikt im Ostkongo ist der Genozid im Nachbarland Ruanda die Grundlage, den Angehörige der Volksgruppe der Hutu 1994 an der Ethnie der Tutsi begingen. Der damals in Kinshasa regierende Langzeitdiktator Mobutu Sese Seko versuchte durch die Aufnahme von mindestens einer Million ruandischer Flüchtlinge in seinem Land nicht nur, die leeren Staatskassen durch internationale Zuwendungen zu füllen, sondern wollte insbesondere sein internationales Ansehen erhöhen, nachdem er mit dem Fall des Eisernen Vorhangs für den Westen an Nützlichkeit und Relevanz verloren hatte.

Unter den ruandischen Flüchtlingen im Ostkongo versammelte sich allerdings neben vielen Opfern des Genozids auch eine große Anzahl der Völkermörder: die berüchtigten Interahamwe-Milizen und große Teile der ehemaligen ruandischen Regierung inklusive der von der Volksgruppe der Hutu dominierten Streitkräfte. In den kongolesischen Flüchtlingslagern übernahmen diese Hutu-Extremisten schnell die Kontrolle und schufen paramilitärische Strukturen, durch die sich die neue ruandische Regierung bedroht sah. Unter Führung des Milizenführers und späteren ruandischen Präsidenten Paul Kagame verfolgte sie die Völkermörder in die Tiefen des 90-mal größeren Nachbarlandes. 1997 stürzte eine von Ruanda und Uganda unterstützte Militärkoalition schließlich den Langzeitpräsidenten Mobutu, unter anderem da sie ihm vorwarf, Rebellen Schutz zu bieten. Es folgten turbulente Kriegsjahre mit zahllosen schweren Menschenrechtsverbrechen auf kongolesischem Territorium.

Der Kongo verklagte kürzlich Apple, da „gestohlene“ Mineralien in iPhones verwendet würden.

Die von Ruanda und Uganda unter dem Deckmantel des Kampfes gegen kongolesische Rebellengruppen angefachten und bis 2003 dauernden Kriege involvierten zahlreiche afrikanische Staaten als Konfliktparteien. Der Zweite Kongokrieg wird daher auch als „Afrikanischer Weltkrieg“ bezeichnet. Dem dicht besiedelten Ruanda ging es dabei nicht nur um die Sicherung der eigenen Grenzen, sondern ebenfalls um den Ausbau seines politischen und wirtschaftlichen Einflusses in der Region der Großen Seen.

Von herausragender Bedeutung nicht nur für Ruanda, sondern die Weltwirtschaft sowie die globale Energie- und Mobilitätswende sind die immensen Rohstoffvorkommen des Kongo. Viele Rohstoffe, die primär in der Elektronikindustrie benötigt werden, finden sich im Osten des flächenmäßig zweitgrößten afrikanischen Landes. Durch den Schmuggel der oftmals unter menschenunwürdigen Bedingungen abgebauten Mineralien Zinn, Wolfram, Coltan (Tantal), Gold und Diamanten wird der Konflikt befeuert. Bewaffnete Gruppen kontrollieren Abbaugebiete und Schmuggelrouten. Insbesondere Gold und Coltan werden über die Grenze nach Ruanda (und Uganda) transportiert und von dort als „konfliktfreier“ Rohstoff weiterverkauft. Die kongolesische Regierung geht davon aus, jährlich eine Milliarde US-Dollar an Einnahmen durch illegal außer Landes gebrachte Rohstoffe zu verlieren. Das Land verklagte kürzlich gar den Elektronikkonzern Apple, da er „gestohlene“ Mineralien aus dem Kongo in seinen iPhones verwende. Teil dieser komplexen Verflechtungen sind neben ruandischen Profiteuren viele Kongolesen aus dem Sicherheitssektor – ein Umstand, der in der politischen Argumentation auf kongolesischer Seite oft übergangen wird, da auch hier Personen vom Status quo profitieren, was eine Lösung des Konflikts zusätzlich erschwert.

Neben Sicherheitsinteressen spielt somit für Ruanda die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Export von eigentlich aus dem Kongo stammenden Rohstoffen eine entscheidende Rolle, da diese im eigenen Land nur in sehr begrenztem Maße vorhanden sind. So macht Gold mittlerweile ein Drittel aller ruandischen Exporte aus. Zudem stieg der Coltan-Export in den vergangenen Jahren stark an – zeitlich korreliert dies direkt mit der Gebietsausweitung der von Ruanda unterstützten M23. Dabei spielt insbesondere die von Rebellen eingenommene Mine in Rubaya, laut Experten die größte Coltan-Mine der Welt, eine wichtige Rolle. Diese wirtschaftlichen Verflechtungen sind neben Sicherheitsinteressen der – nicht öffentlich zugegebene – Hauptgrund Ruandas, im Ostkongo aktiv zu sein.

 

Zentrale Akteure und ihre Interessen

Die M23: Entstehung, Wiedererstarken und die Rolle Ruandas

Die Rebellengruppe M23 ist ein zentraler Akteur im Ostkongo-Konflikt. Sie wurde 2012 von Tutsi-stämmigen Offizieren der kongolesischen Armee gegründet. Diese warfen dem kongolesischen Staat vor, ein früheres Armeeeingliederungsabkommen vom 23. März 2009 gebrochen zu haben, und rebellierten. Von dem Datum leitet sich der Name ab. Internationale Beobachter gingen auch damals schon von einer direkten Einflussnahme Ruandas auf diese Gruppierung aus. Die M23 fand ab 2013 vorläufig im Dreiländereck Kongo-Uganda-Ruanda Unterschlupf, wo sie für mehrere Jahre ihre Aktivitäten einstellte. Bereits zwischen dem offiziellen Ende des Zweiten Kongokriegs 2003 und der Gründung der Rebellenbewegung M23 neun Jahre später hatte Ruanda immer verschiedene bewaffnete Gruppierungen im Ostkongo unterstützt, um seinen Einflussbereich zu sichern. Entsprechend ist die Angst vieler Kongolesen vor fremder Einflussnahme historisch gewachsen und in der Mentalität tief verwurzelt. So wird beispielsweise jedes Jahr am 2. August der Gedenktag für den „Genocost“ – einen Genozid aufgrund ökonomischer Interessen – von der Regierung in Kinshasa begangen.

Die M23 bezeichnet sich selbst als multiethnische politische Bewegung, die sich für die Rechte der kongolesischen Tutsi und gute Regierungsführung einsetze. Mehrere UN-Berichte belegen zwar, dass die Kommandostrukturen der M23 aus Ruanda kontrolliert werden, doch Kigali bestreitet weiterhin jede direkte Beteiligung und bezeichnet die M23 als ein rein kongolesisches Phänomen mit „legitimen“ Anliegen.

 

Abb. 1: Operationsgebiet der Rebellengruppe M23 im Osten des Kongo (Stand August 2024)

Quelle: eigene Darstellung nach Human Rights Watch 2024 basierend auf Angaben von Camp Coordination and Camp Management (CCCM), Internationale Organisation für Migration (IOM) und Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), in: DR Congo: Rwandan Forces, M23 Rebels Shell Civilians, Human Rights Watch, 26.09.2024, in: https://ogy.de/ki16 [22.11.2024], Karte: Natural Earth.
Es gibt immer wieder Berichte über M23-Verbrechen an der Zivilbevölkerung.

Nachdem die Kämpfer der M23 Ende 2021 nach mehrjähriger Feuerpause wieder zu den Waffen griffen, haben sie heute Millionen Menschen im Ostkongo vertrieben und weite Teile Nord-Kivus, inklusive des berühmten Virunga-Nationalparks, unter ihre Kontrolle gebracht. Allein diese Ostprovinz des Kongo, in der seit 2021 das Kriegsrecht herrscht und die Zivilregierung durch Militärs ersetzt wurde, ist etwa doppelt so groß wie Ruanda. Neben Hunderttausenden von Flüchtlingen gibt es immer wieder Berichte über M23-Verbrechen an der Zivilbevölkerung, darunter das besonders schwere Massaker in Kishishe im November 2023, bei dem 171 Zivilisten hingerichtet wurden.

Dass die M23 aus der Bedeutungslosigkeit wiederauftauchte, steht vermutlich im Zusammenhang mit einer weiteren Rebellengruppe, den Allied Democratic Forces (ADF). Diese terroristische Vereinigung steht in Opposition zu dem ugandischen Langzeitpräsidenten Yoweri Museveni, hat sich im Jahr 2019 dem sogenannten Islamischen Staat angeschlossen und ist unter anderem für Überfälle auf Schulen sowie die tödlichen Terroranschläge in der ugandischen Hauptstadt Kampala im November 2021 verantwortlich.

Eine Folge der Anschläge war eine Militärkooperation zur Terroristenbekämpfung zwischen Uganda und dem Kongo. Neben der Präsenz ugandischer Soldaten auf kongolesischem Territorium sah das Bündnis auch den Ausbau von Infrastruktur im Ostkongo vor. Seit Langem gilt auch Uganda als Abnehmer für aus dem Ostkongo geschmuggeltes Gold. Eine neue Handelsroute zwischen den beiden größten Städten der ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu, Beni und Goma, erschien möglich. Dadurch lief Ruanda Gefahr, bestehende Netzwerke in seinem Einflussgebiet in der Provinz zu verlieren. Um dies zu vermeiden, begann Ruanda Ende 2021 die erneute militärische Unterstützung für die M23, die gegen die kongolesische Armee und andere Rebellengruppen agiert.

In den heute eroberten Gebieten unterhält die M23 eine Paralleladministration. Sie finanziert sich unter anderem durch Gold- und Coltan-Schmuggel sowie durch die Erhebung von Zöllen, beispielsweise in der Stadt Bunagana an der Grenze zu Uganda. Mittlerweile ist die M23 zudem einer neuen politischen Gruppierung beigetreten, der im Dezember 2023 gegründeten Kongo-Fluss-Allianz (AFC). Die von den USA sanktionierte Gruppierung will die aktuelle kongolesische Regierung absetzen und wird von Corneille Nangaa, dem Ex-Chef der kongolesischen Wahlkommission (CENI) der umstrittenen Wahlen 2018, geführt.

Ruanda und der Kongo werfen sich gegenseitig vor, einen Genozid zu befeuern.

Ruanda sieht sich seit dem Völkermord von 1994 als Schutzmacht der im Kongo lebenden Tutsi. Nach Ruandas Argumentation ist die kongolesische Regierung für eine Situation verantwortlich, nach der sich ein weiterer – staatlich gestützter – Völkermord im Ostkongo abzeichnet. Kigali weist dabei auf die (vermeintliche) Diskriminierung von Tutsi im Kongo seit dem Völkermord 1994 hin. Wenngleich es tatsächlich Stereotypen, Vorurteile und vereinzelt ethnisch motivierte Gewalt gegen Tutsi gibt, ist dies aktuell keinesfalls direkt aus Kinshasa gesteuert. Paradoxerweise führt die ruandische Unterstützung der Tutsi-Rebellengruppe M23 zu einer Diskreditierungsspirale und somit dazu, dass die kongolesischen Tutsi immer wieder mit der im Land weitgehend verhassten Rebellengruppe gleichgesetzt und so Vorurteile gegen die Ethnie geschürt werden. Gleichzeitig wirft die kongolesische Regierung Ruanda vor, durch die Aktivitäten der M23 einen Völkermord an den kongolesischen Hutu zu begehen. Ruanda und der Kongo instrumentalisieren den Begriff des Völkermords und werfen sich gegenseitig vor, einen sogenannten Genozid zu befeuern.

Ein im Juni 2024 veröffentlichter UN-Bericht bestätigt die Präsenz von bis zu 4.000 ruandischen Soldaten im Ostkongo, was mehr als zehn Prozent des ruandischen Militärs ausmachen würde.Die M23 selbst umfasst laut internationalen Beobachtern lediglich circa 2.000 bis 3.000 Kämpfer, sodass die Gruppierung ohne die ruandische Unterstützung kaum die quantitative Relevanz sowie qualitative Struktur und Organisationskraft hätte, die sie tatsächlich besitzt. Die ruandische Armee – das leistungsfähigste Militär der Region mit Boden-Luft-Raketen und gelenkten Mörsersystemen – ermöglichte es der M23 vermutlich im März 2022, einen Hubschrauber der Vereinten Nationen abzuschießen. Mit der militärischen Unterstützung der M23 verletzt Ruanda zudem ein Waffenembargo der Vereinten Nationen gegenüber nichtstaatlichen Truppen im Ostkongo. Um dieser technischen Übermacht etwas entgegenzusetzen, versucht der Kongo stetig, seine militärischen Kapazitäten auszubauen, trifft dabei jedoch immer wieder auf finanzielle und strukturelle Hürden.

Aus Ruandas Perspektive ist der Kongo nicht in der Lage, im Osten des eigenen Landes für Sicherheit zu sorgen.

 

Die unberechenbaren kongolesischen Streitkräfte

 

Die Streitkräfte des Kongo (FARDC) sind seit Jahrzehnten von Missmanagement, Desorganisation, Korruption und Demotivation durchdrungen, während zugleich klare Kommando- und Kommunikationsstrukturen fehlen. Mehrere Reformversuche blieben im Gesamtbild ineffektiv, weshalb Kinshasa bis heute keine vollständige Kontrolle über die eigene Armee im Osten des Landes besitzt. Die aus knapp 100.000 Mann bestehenden FARDC zählen somit zu den zentralen Verursachern des Konflikts.

Aus Ruandas Sicht ist ein Hauptproblem des Kongo die Kooperation von Teilen seines Militärs mit Rebellengruppen. Hier gibt es keinen Dissens zu westlichen Regierungen inklusive Deutschlands und der EU, die in jeglichen State­ments zu Ruandas Verantwortung auch die Kooperation zwischen den FARDC und verschiedenen Milizen verurteilen. Schlecht bezahlte und mangelhaft ausgebildete kongolesische Soldaten verkaufen Uniformen, Waffen und Informationen an Rebellengruppen. Die finanzielle Notsituation spielt dabei ebenso eine Rolle wie jahrelang gewachsene Abhängigkeitsverhältnisse auf persönlicher Ebene.

Am umstrittensten ist die Zusammenarbeit zwischen Teilen der FARDC und den Rebellen der Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas (FDLR, siehe Abschnitt weiter unten). Zwar kämpften die FDLR in der Vergangenheit bereits mehrfach – wann immer es in der jeweiligen politischen Lage opportun war – auf der Seite des Kongo, doch veröffentlichte die Regierung in Kinshasa Ende 2023 eine Erklärung, dass alle Soldaten, die mit der FDLR kooperieren, verhaftet würden. Nichtsdestotrotz ist der Kontakt nie abgerissen: Zu verkrustet erscheinen bestehende Abhängigkeiten. Da die FDLR und die ruandische Regierung verfeindet sind, liefert genau diese Verflechtung Ruanda die Argumentationsgrundlage, um selbst im Ostkongo militärisch aktiv zu werden. Aus Ruandas Perspektive (und faktisch ist das richtig) ist die kongolesische Regierung militärisch nicht in der Lage, für Sicherheit im Osten ihres Landes zu sorgen. Dies liegt nicht nur an den großen Entfernungen innerhalb des Kongo und an der mangelnden Infrastruktur, sondern auch an der fehlenden Motivation innerhalb des Militärs, die ihr Machtmonopol schwächt.

Fast alle bewaffneten Milizen im Ostkongo rekrutieren Kindersoldaten.

Nur durch eine bessere Bezahlung, transparentere Finanzflüsse und einen Mentalitätswechsel innerhalb des Militärs könnte hier eine Verbesserung erzielt werden. Wenn überhaupt ausgezahlt, ist der Sold einiger kongolesischer Soldaten trotz steigenden Wehretats auf monatlich nur knapp 100 US-Dollar bemessen. Die Entlohnung erfolgt dabei über einflussreiche Generäle, die häufig hohe Vermögenswerte besitzen und den Lohn nur sporadisch weiterleiten. Neben der schlechten Bezahlung, der mangelhaften Ausstattung und logistischen Schwierigkeiten ist Misstrauen der Soldaten gegenüber der eigenen Hierarchie – der Kongo führte kürzlich die Todesstrafe für Hochverrat wieder ein – weit verbreitet und ein zusätzlicher Destabilisierungsfaktor.

 

Die FDLR: Eine Gefahr für Ruanda?

 

Eine nach dem ruandischen Völkermord aus Teilen der geflüchteten Hutu organisierte militärische Bewegung sind die FDLR, bis heute als Rebellentruppe im Ostkongo aktiv. Das Hauptziel der FDLR und daraus entstandener Splittergruppierungen ist es, die ruandische Regierung zu stürzen. Sie finanziert sich durch Rohstoffschmuggel, den Holzkohlehandel sowie durch das Erheben illegaler Zölle und Abgaben. Der FDLR werden ebenfalls Guerillaattacken und Überfälle auf Zivilisten vorgeworfen, wie etwa die Ermordung des italienischen Botschaf­ters Luca Attanasio 2021. Auch wenn ihre gegenwärtige Schlagkraft als gering gilt und ruandisches Territorium derzeit nicht angegriffen wird, werden die Kämpfer von Kigali immer wieder als Grund (beziehungsweise – je nach Sichtweise – Vorwand) angesehen, militärische Interessen im Kongo zu verfolgen. Da die FDLR nach Kigalis Argumentation eine existenzielle Gefahr für die ruandische Regierung und die im Kongo lebenden Tutsi darstellen, übernimmt Ruanda die Aufgabe, indirekt über die M23 „für Ordnung“ im Ostkongo zu sorgen. Eine nach inoffiziellen Schätzungen noch maximal 2.000 Kämpfer zählende Rebellengruppe wie die FDLR stellt in Wirklichkeit allerdings keine ernsthafte Gefährdung für ein hochgerüstetes Land wie Ruanda dar.

 

Unzählige weitere Akteure

 

Die M23 ist die militärisch stärkste und am meisten Territorium kontrollierende Rebellengruppe im Ostkongo. Daneben sind mindestens 120 weitere bewaffnete Milizen, die oft kleiner sowie regional begrenzt sind und häufig wie Selbstverteidigungstruppen wirken, in der Region aktiv. Fast alle rekrutieren Kindersoldaten. In einer Region ohne funktionierende staatliche Strukturen konkurrieren sie um Macht, Ressourcen und wirtschaftlichen Einfluss. Einige Konflikte haben dabei auch einen ethnischen Ursprung. So kämpfen die Lendu-Milizen, als Ackerbauern, vornehmlich gegen die viehzüchtenden Hema. Andere Akteure wie die ADF oder die RED-Tabara stehen jeweils in Opposition zu den Regierungen in Uganda und Burundi. Die Mai-Mai-Milizen sind geografisch breit gestaffelt und weniger eindeutig zu definieren. Auch bei einer Niederschlagung der M23 bliebe das Problem der unzähligen weiteren Rebellengruppen ungelöst, weswegen eine Gesamtbefriedung des Ostkongo derzeit äußerst unrealistisch erscheint.

Als stärker institutionalisierte Konfliktparteien sind neben der kongolesischen Armee auch burundische und ugandische Truppen im Rahmen bilateraler Militärabkommen im Ostkongo aktiv. Zudem sind die Mission der Vereinten Na­tionen für die Stabilisierung in der Demokratischen Republik Kongo (MONUSCO) und eine Eingreiftruppe der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas (SADC) mit bis zu 4.800 Soldaten aus Südafrika, Malawi und Tansania im Einsatz, nachdem die von Kenia geführte Mission der Ostafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (EAC) im vergangenen Jahr erfolglos abzog.

Zusätzlich sind seit Beginn des Jahres 2023 das private rumänische Sicherheitsunternehmen Asociatia RALF sowie einige wenige eigenständig arbeitende Militärausbilder französischer Nationalität aufseiten der kongolesischen Regierung aktiv. Die bis zu 1.000 Mann zählende osteuropäische Truppe wurde durch ihre Präsenz im Stadtbild von Goma von der Zivilbevölkerung schnell fälschlicherweise als Russen benannt. Die kongolesische Regierung bezeichnet die Söldner weiterhin als Militärberater.

Trotz gegenseitiger Drohungen ist ein direkter Krieg zwischen Ruanda und dem Kongo unrealistisch.

Zudem drückt sich die Verzweiflung der Regierung in Kinshasa auch dadurch aus, dass sie Jugendbanden und Schlägertrupps militärisch ausstattet. Die Koalition der kongolesischen Streitkräfte mit verschiedensten bewaffneten Gruppen, Wazalendo („Patrioten“ auf Swahili) genannt, ist langfristig ein unkalkulierbares Risiko und vermutlich Ausgangspunkt neuer in­nerkongolesischer Konflikte. Sie steht im krassen Gegensatz zu der wünschenswerten Implementierung von Demobilisierungskampagnen. Die Wazalendo, denen gravierende Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden und die sich teils aus (ehemaligen) Milizionären rekrutieren, unterstehen keiner Weisung durch die Armee.

 

Was tun?

Der kongolesische Präsident Tshisekedi hatte ab 2019 zu Beginn seiner ersten Amtszeit zahlreiche diplomatische Schritte in Richtung seiner Nachbarländer unternommen und den Vorsitz der Afrikanischen Union (AU) inne. Er führte den Kongo außerdem zur Mitgliedschaft in der EAC. Zudem traf Tshisekedi seinen ruandischen Counterpart Kagame 2019 und 2021 in Kigali. Seitdem ging es in dem bilateralen Verhältnis allerdings steil bergab. Diplomatische Ausrufezeichen wie die Ausweisung des ruandischen Botschafters und das Überflugverbot für die staatliche Fluggesellschaft Rwandair blieben wirkungslos.

Ruanda tritt in dem Konflikt sehr selbstbewusst auf. Kagame, der Mitte Juli 2024 in Wahlen, die keinen demokratischen Standards genügten, mit einem offiziellen Ergebnis von 99 Prozent im Amt bestätigt wurde, äußerte bereits seine Bereitschaft zu einer direkten bewaffneten Konfrontation mit dem Kongo. Er antwortete dabei in gewisser Weise Tshisekedi, der im Wahlkampf Ende 2023 prophezeite, bei einem Wahlsieg mit der Billigung des kongolesischen Parlaments Kigali einzunehmen. Ein direkter Krieg ist allerdings unrealistisch, da Ruanda mit dem Status quo zufrieden ist. Zudem ist sich die kongolesische Seite ihrer militärischen Unterlegenheit bewusst.

Mehrere UN-Friedensmissionen mit unterschiedlichen Namen und Mandaten sind im Ostkongo überwiegend daran gescheitert, die Zivilbevölkerung komplett zu schützen – so auch MONUSCO, obwohl ihr derzeitiges Jahresbudget immer noch knapp eine Milliarde US-Dollar beträgt und sie einmal die größte und teuerste UN-Mission der Welt war. Trotz kleiner Erfolge wie dem Schutz der Zivilbevölkerung in unmittelbarer Nähe ihrer Militärbasen haben die verschiedenen UN-Missionen aus vielerlei Gründen nie die hohen Erwartungen erfüllen können. Im Dezember 2023 beschloss der UN-Sicherheitsrat einen beschleunigten Abzug der MONUSCO, der bereits begonnen hat. Bereits jetzt sind die kongolesischen Sicherheitskräfte allerdings mit dem entstandenen Vakuum überfordert. Aus Kinshasa heißt es mittlerweile, dass erst Bedingungen – wie der Rückzug ruandischer Truppen – vor dem Komplettabzug der UN-Mission erfüllt werden müssten. Da dies kurzfristig unrealistisch ist, ist im Kongo kein überstürzter Abzug der UN-Mission zu erwarten.

Obwohl die aktuelle kongolesische Regierung als prowestlich gilt, wirft sie Europa und den USA im Ostkongo-Konflikt gern Zynismus und Heuchelei vor. Insbesondere werden Sanktionen gegen Ruanda gefordert. Dabei wird auch die Ukraine als Beispiel angeführt, die aus kongolesischer Sicht einem „ähnlichen Schicksal“ der Fremdaggression ausgesetzt ist. Besonders aufgrund der Nähe der EU zu Ruanda wird Europa als parteiisch wahrgenommen und es entsteht für viele Kongolesen der Eindruck, dass Europäer das Völkerrecht nur dann respektieren, wenn es den eigenen Interessen dient.

Nach drei Jahrzehnten des Konflikts sind allerdings auch erste Anzeichen zu erkennen, dass sich westliche Länder zunehmend kritisch gegenüber Ruandas Rolle im Ostkongo verhalten. Neben unzähligen Presserklärungen, in denen Ruanda aufgefordert wird, die Unterstützung für die M23 einzustellen, blockierte die EU, vor allem auf Drängen der ehemaligen Kolonialmacht Belgien, zunächst Zahlungen von 20 Millionen Euro für die ruandische Anti-Terrorbrigade im nordmosambikanischen Cabo Delgado.

Es sollte im Interesse Deutschlands sein, die Beziehungen zur im Kern prowestlichen Regierung des Kongo auszubauen.

Von russischer Seite wurden zuletzt Gerüchte über bilaterale Militärvereinbarungen mit dem Kongo gestreut. Dies wird zwar von kongolesischer Seite dementiert, doch ist Kinshasa seit Langem als Ziel potenzieller politischer Einflussnahme, beispielsweise durch das Streuen von Fake News über westliche Akteure in den sozialen Medien, im Visier Moskaus. Diese Annährungsversuche Russlands und weiterer Player (so erwarb Kinshasa beispielsweise kürzlich chinesische Drohnen und türkische Polizeiausstattung) werden sich aufgrund der geostrategischen Wichtigkeit des Kongo intensivieren. Westliche Länder hingegen bieten bisher über die Entwicklungszusammenarbeit hinaus vergleichsweise wenige Kooperationsmöglichkeiten an. Es sollte im strategischen Interesse Deutschlands sein, die Beziehungen zu schwierigen, im Kern allerdings prowestlichen Regierungen wie der des Kongo auszubauen.

In der hypermilitarisierten Umgebung des Ostkongo werden auch zusätzliche Militärbündnisse wie die SADC-Truppen keine Befriedung des seit Jahrzehnten andauernden Konflikts bewirken. Für Kinshasa kann es daher keine langfristige Lösung sein, lediglich die Opferrolle einzunehmen; vielmehr sollte in der innenpolitischen Debatte stärker an die Eigenverantwortung appelliert werden. Jegliche Kooperationen staatlicher Akteure mit Rebellengruppen wie der FDLR sollten dringend beendet werden. Das allein würde aber noch keine Lösung herbeiführen. Obwohl die FDLR von Ruanda als existenzielle Gefahr bezeichnet werden, veranlasste dies Ruanda zwischen 2013 und 2021 nicht zu einer direkten militärischen M23-Unterstützung. Die Wiederaufrüstung der M23 kann daher nicht allein durch dieses Problem erklärt werden. Stattdessen sollte ein regionaler und inklusiver Ansatz zur Lösung der Rohstoffproblematik gefunden werden, wobei Transparenzmaßnahmen einen Schritt in die richtige Richtung darstellen.

Der von der AU initiierte und von Angola geführte Luanda-Prozess, den auch die USA eng begleiten, drängt weiterhin auf direkte Friedensverhandlungen zwischen Tshisekedi und Kagame. Dies schließt Kinshasa derzeit (noch) aus. Bemerkenswert bleibt, dass sich Ruanda am Verhandlungstisch immer wieder zu Waffenstillstandsabkommen bekennt. Auch wenn bisher starke Zweifel an der Ernsthaftigkeit solcher Aussagen bestehen, räumt Ruanda damit indirekt seinen Einfluss auf die M23 ein.

Ruanda verkauft sich auf diplomatischer Bühne geschickt und kann nicht nur mit politischer Stabilität, sondern auch mit einem guten Investitionsklima auf internationaler Ebene punkten. Das Land lässt sich zudem sein Tourismus-Branding auf den Fußballtrikots von Bayern München oder Arsenal London einiges kosten und investiert damit in sichtbare und positiv konnotierte Bindung zum Westen. Außerdem ist Ruanda einer der größten Truppensteller für weltweite UN-Friedensmissionen. Jedoch ist weiterhin ein großer Teil des Staatsbudgets von internationalen Gebern abhängig. Zukünftige Zahlungen internationaler Geber könnten demzufolge stärker an Ruandas Rolle im Ostkongo geknüpft werden. Nachdem die M23 im Jahr 2012 kurzzeitig die Millionenstadt Goma einnahm, stellte Ruanda auf internationalen Druck und nach Kürzung von Entwicklungsgeldern – auch durch Deutschland – seine bislang geleugnete Unterstützung für die Rebellentruppe ein, mit dem Ergebnis, dass sich die M23 aus Goma zurückzog und seitdem keinen weiteren Versuch zur Einnahme der Stadt unternommen hat. Deutschland sollte sich seinen guten Ruf in beiden Ländern zunutze machen und in dem Konflikt aktiver vermitteln. Besonders auf die neue kongolesische Außenministerin Thérèse Kayikwamba Wagner, in Deutschland sozialisiert und ausgebildet, könnte dabei gebaut werden. Auf ruandischer Seite bestehen nicht zuletzt aufgrund der mehr als 40-jährigen Partnerschaft mit dem Bundesland Rheinland-Pfalz exzellente Kontakte. Die Geschehnisse im Ostkongo sollten zudem in aktuellen Diskussionen um mögliche Migrationsabkommen mit Ruanda immer wieder aktiv angesprochen werden.

Zudem gilt weiterhin: Auch wenn die M23 besiegt werden sollte, gibt es immer noch eine immense Anzahl an nichtstaatlichen militärischen Gruppen in der Region. Eine langfristige Linderung der humanitären Katastrophe im Ostkongo erfordert eine Reform des kongolesischen Sicherheitssektors mit einer besser organisierten kongolesischen Armee und Verwaltung sowie regionale Verhandlungen, die die Nachbarländer einbeziehen. Dabei könnten die AU oder die Internationale Konferenz der Region der Großen Seen (ICGLR) eine wichtige Rolle spielen. Auch die EU sollte mit ihrem Sonderbeauftragten für die Region (zukünftige) Friedensprozesse sowohl inhaltlich als auch finanziell enger begleiten. Ein gesteigertes internationales Interesse und damit verbundene diplomatische Friedensbemühungen sind entscheidend, um nachhaltige Fortschritte auf dem langfristigen Weg zu einer Stabilisierung im Ostkongo zu erzielen.

 


 

Jakob Kerstan ist Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Demokratischen Republik Kongo.

 


 

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