Ausgabe: 3/2024
Als die Welt im Februar 2024 vom Tod des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny erfuhr, bestand weitgehend Einigkeit über den Schuldigen. Russlands Staatschef Wladimir Putin, so die mehrheitliche Meinung, sei zur Verantwortung zu ziehen. Einer scherte jedoch besonders markant aus diesem Chor aus: Brasiliens Präsident Lula da Silva. „Warum leichtfertig urteilen?“, fragte er, um dann weiter zu mutmaßen: „Wenn man jetzt urteilt und dann herauskommt, dass irgendjemand anders als er [Putin] den Mord in Auftrag gegeben hat, dann wird man sich später noch entschuldigen müssen.“ Einmal in Fahrt gekommen, brachte der brasilianische Staatschef seine eigenwillige Sicht auf die internationale Politik auch bezüglich des Gazakonflikts zum Ausdruck. Der israelische Staatschef Benjamin Netanjahu begehe, so Lula, einen „Genozid“. Der von ihm geführte „Krieg zwischen einer gut vorbereiteten Armee und Frauen und Kindern“ sei mit der Zeit vergleichbar, als „Hitler entschied, die Juden zu töten“. In der Folge wurde zum ersten Mal überhaupt ein brasilianischer Präsident in Israel zur Persona non grata erklärt.
Die Aussagen Lulas sind keineswegs eine Ausnahme unter den linken Staatschefs Lateinamerikas. Der kolumbianische Präsident Gustavo Petro verglich die Situation in Gaza mit dem NS-Vernichtungslager in Auschwitz. Auf die Frage nach möglichen Waffenlieferungen an die Ukraine erwiderte Petro: „Selbst wenn die Waffen sonst in Kolumbien verrotten, werden wir sie niemandem hergeben, um einen Krieg weiterzuführen.“ Und während sich Mexikos damaliger linkspopulistischer Staatschef Andrés Manuel López Obrador für seine „pazifistische Einstellung“ zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine feiern ließ, kritisierte seine Außenministerin Alicia Bárcena, ehemalige Direktorin der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL), den Westen dafür, dass er die Ukraine mit Waffen versorgt.
Gerade am Beispiel Lulas lässt sich sehr gut zeigen, dass einige linke lateinamerikanische Staatschefs zwar nach innen weitgehend pragmatisch-demokratisch agieren, international aber die Narrative von autoritären Regimen und Diktaturen verbreiten. Der ehemalige Gewerkschaftsführer Lula gründete im Jahr 1990 gemeinsam mit dem kubanischen Diktator Fidel Castro das Foro de São Paulo, einen Zusammenschluss von heute 127 linken und linksextremen Parteien und politischen Bewegungen. Die Bandbreite der Mitglieder reicht dabei von der brasilianischen Arbeiterpartei Lulas und der etablierten Sozialistischen Partei Chiles bis hin zur Kommunistischen Partei Kubas und den autoritären Staatsparteien Venezuelas und Nicaraguas. Zuletzt fiel das Foro damit auf, dass man sich nicht nur als „Wahlbeobachter“ zu den Präsidentschaftswahlen am 28. Juli in Venezuela einladen ließ, sondern dem „Kameraden Nicolás Maduro“ aller internationalen Kritik zum Trotz zu seiner „Wiederwahl“ als venezolanischer Präsident gratulierte.
Von der rosa Welle zur rosa Galaxie
Die erste Blütephase des Foro de São Paulo fiel in die Zeit der sogenannten rosa Welle. Mit diesem Sammelbegriff wurden die sich in den 2000er-Jahren häufenden Wahlsiege linker Politiker in Lateinamerika bezeichnet – von gemäßigten Linken wie Michelle Bachelet in Chile oder Tabaré Vázquez in Uruguay bis hin zu autoritären Regimen wie denen von Rafael Correa in Ecuador oder Evo Morales in Bolivien. Das Spektrum der rosa Welle reichte dabei von blassrosa (sozialdemokratisch) bis tiefrot (linksautokratisch). Dies zeigt sich insbesondere daran, dass auch der Wahlsieg von Hugo Chávez in Venezuela 1998 zur rosa Welle gezählt wird. So wie die rosa Welle demokratische und autoritäre Kräfte einbezog, existiert heute eine ganze rosa Galaxie an Organisationen und Zusammenschlüssen, in denen demokratisch legitimierte und linksautoritäre Kräfte eine Allianz bilden. Die Konstellationen der rosa Galaxie werden dabei von ihren autoritärsten Elementen dominiert und dienen Diktaturen als Schutzwall gegen internationale Kritik.
Zu den in der rosa Galaxie zusammengefassten autoritär-demokratischen Zusammenschlüssen gehören neben dem Foro de São Paulo weitere gewichtige Akteure. Im Juli 2019 wurde die heute aus mehr als 60 linken politischen Persönlichkeiten der Region bestehende Grupo de Puebla als „progressive“ Aktivistengruppe gegründet. Zu den Hauptakteuren der Gruppe gehören der kolumbianische Ex-Präsident Ernesto Samper, der ecuadorianische Ex-Staatschef Rafael Correa, der ehemalige bolivianische Präsident Evo Morales, die brasilianische Ex-Präsidentin Dilma Rousseff und der ehemalige spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero. Inhaltlich vertritt die Gruppe unter anderem einen nachsichtigen Umgang mit dem autoritären Regime in Venezuela.
Nur wenige Monate nach der Grupo de Puebla formierte sich die Progressive International als weltweite Plattform linker Organisationen. Die Gründung folgte einer Initiative des dem US-amerikanischen Senator Bernie Sanders verbundenen Sanders Institute sowie des Democracy in Europe Movement (DiEM25) des linken ehemaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis, gegen den von den deutschen Behörden im April 2024 ein Einreiseverbot erlassen wurde, weswegen er nicht zu einem letztlich von der Polizei wegen antisemitischer Inhalte aufgelösten Palästina-Kongress in Berlin anreisen konnte. Unter Führung des spanischsprachigen Generalkoordinators der Progressive International, David Adler, zeigt die Organisation einen enormen Aktivismus in Lateinamerika, etwa durch Solidaritätserklärungen mit Politikern wie dem innenpolitisch unter Druck stehenden kolumbianischen Präsidenten Gustavo Petro. Weitgehend speist sie sich aus demselben Kreis an Personen und Organisationen wie das Foro de São Paulo und die Grupo de Puebla. Die 25 Punkte umfassende Gründungserklärung der Progressive International ist von linksradikal klingender Klassenkampf- und Befreiungsrhetorik durchzogen. Mal fordert man, den „Kapitalismus überall auszulöschen“, mal sieht man sich als „Völker der Welt, die sich gegen die reaktionären Kräfte der autoritären Oligarchien erheben“.
Eine besondere Rolle innerhalb der rosa Galaxie spielt der bereits 1957 gegründete Consejo Latinoamericano de Ciencias Sociales (CLACSO), zu Deutsch: Lateinamerikanischer Rat für Sozialwissenschaften. CLACSO ist mit 883 Mitgliedsinstituten heute der größte Zusammenschluss sozialwissenschaftlicher Forschungszentren in Lateinamerika. Auf der Liste der CLACSO-Mitglieder befinden sich zahlreiche renommierte akademische Einrichtungen in Lateinamerika und assoziierte Forschungseinrichtungen auf der ganzen Welt, auch aus Deutschland. Weit entfernt vom rein akademischen Image, das sich CLACSO gibt, fällt die Organisation auf ihrer Führungsebene durch politischen Aktivismus auf. Im November 2022 warf eine CLACSO-Arbeitsgruppe der „bolivianischen Rechten“ „faschistische und neonazistische Gewalt“ vor. Im November 2019 begrüßte eine weitere Arbeitsgruppe „den breiten und umfassenden Volksaufstand, der die chilenische Gesellschaft […] bewegt und der sich in den vielfältigen Formen des Straßenkampfes“ gegen „die Auswirkungen des Neoliberalismus ausdrückt“. Eine dritte Arbeitsgruppe veröffentlichte im April 2020 ein „Kommuniqué zur Verteidigung Venezuelas gegen US-Aggression“ und stellte das venezolanische Modell als „gegenhegemoniale Alternative zu transnationalen Interessen“ dar, welche Unterstützung verdiene. All dies stellt das in der Grundsatzerklärung von CLACSO festgelegte Ziel der „Förderung der demokratischen Teilhabe und des kritischen Denkens“ infrage.
Die vier beschriebenen Organisationen Foro de São Paulo, Grupo de Puebla, Progressive International und CLACSO eint, wie alle Akteure der rosa Galaxie, die unverbrüchliche Treue zur kubanischen Diktatur. Havanna, gern genutzter Tagungsort der Akteure der rosa Galaxie, ist eine Art sozialistischer Vatikan, dessen Dogmen vonseiten der linksautoritären Gefolgschaft nicht infrage gestellt werden. So preist die Progressive International die kubanische Revolution als „Inspiration“ zur Umgestaltung des internationalen Systems und verkauft Sticker von Fidel Castro und Ché Guevara im organisationseigenen Onlineshop. CLACSO-Generaldirektorin Karina Batthyány posierte in Havanna nicht nur lächelnd auf einem Foto mit Diktator Miguel Díaz-Canel, sondern ging so weit, beim Besuch der dortigen vom Regime gleichgeschalteten CLACSO-Mitgliedsinstitute im Januar 2023 per Twitter/X kundzutun: „Uns eint ein offener, kritischer und gesellschaftlich relevanter wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn.“ Das Foro de São Paulo widmete sein 2017 in Managua (Nicaragua) verabschiedetes politisches Grundsatzprogramm „dem Beispiel für revolutionäre Konsequenz des Kommandanten Fidel Castro“. Und der kubanische Außenminister Bruno Rodríguez trat als umjubelter Stargast beim Treffen der Grupo de Puebla 2023 auf.
Entsprechend teilen die vier Organisationen auch eine zutiefst ambivalente Haltung zur Demokratie. Das Foro de São Paulo beispielsweise fordert in seinem Grundsatzprogramm „einen Zusammenschluss der demokratischen Kräfte, um weiter Richtung Sozialismus voranzuschreiten“. Die Demokratie wird also hierarchisch dem Sozialismus untergeordnet beziehungsweise als Mittel zum Zweck von dessen Erreichen instrumentalisiert. Weiter wird gefordert, die Demokratie müsse „notwendigerweise ihren volksnahen, direkten, partizipativen und kommunitarischen Charakter vertiefen“. Den Ausdruck „direkte und partizipative Demokratie“ nutzte insbesondere die Propaganda des Chávez-Regimes in Venezuela als Ersatz für die repräsentative Demokratie und als Element der Dekonstruktion des venezolanischen Staates.
Die rosa Galaxie und ihre internationalen Vernetzungen
In den letzten Monaten des Jahres 2023 begannen in Teilen Mexikos Plakatwände im Rahmen einer großangelegten Werbekampagne im Neongrün von Russia Today (RT) zu leuchten. Diese massive Propagandawelle wäre in Mexiko-Stadt ohne die Zustimmung der Stadtregierung unmöglich gewesen. Angeführt wurde diese von Claudia Sheinbaum, die am 2. Juni mit überwältigender Mehrheit und von der internationalen Presse vielfach unkritisch gefeiert zur Präsidentin Mexikos gewählt wurde. Russia Today berichtete im Wahlkampf ausnehmend positiv über Claudia Sheinbaum. Die Wahlsiegerin ist seit Jahren eng mit der rosa Galaxie verbunden – zuletzt als Gastgeberin des Treffens der Grupo de Puebla 2023. Zudem gehört die mexikanische Regierungspartei MORENA dem Foro de São Paulo an. Entsprechend euphorisch fielen die Glückwünsche aus Caracas, Havanna, Managua und auch Moskau zur Wahl von Sheinbaum aus.
Das spanischsprachige Programm von RT ist als meist geteilte spanischsprachige Quelle über den Ukrainekrieg nicht nur sehr erfolgreich, sondern praktisch überall zur Stelle, wo es darum geht, linksautoritäre Politiker in ein gutes Licht zu stellen. Der ecuadorianische Ex-Präsident Rafael Correa, in allen vier genannten Organisationen an zentraler Stelle aktiv, moderiert eine eigene Talkshow auf RT, in der er Freunde aus der rosa Galaxie interviewt. Russische Staatsmedien übernehmen bereitwillig Narrative der linksautoritären Regime Lateinamerikas, bis hin zur Behauptung, Venezuela sei „eine lebendige Demokratie“. Umgekehrt rezipieren der rosa Galaxie verbundene Medien Kreml-Narrative. So feierte der venezolanische Fernsehkanal Telesur die „Befreiung“ von ukrainischen Städten durch die russische Armee. Das chilenisch-mexikanische Onlineportal El Ciudadano, Medienpartner beim Treffen der Grupo de Puebla 2023, führte völlig unkritisch eine „Studie“ der staatlichen russischen Agentur Sputnik an, wonach 54 Prozent der Europäer der medialen Berichterstattung in Europa zum Konflikt in der Ukraine nicht vertrauen. Dies wertete man als Beweis für die „offensichtliche Realität“ der mangelnden Objektivität der wichtigsten westlichen Medien und deren „Manipulation der Tatsachen“. Berichte wie dieser führten dazu, dass das US-State Department El Ciudadano als Hauptakteur einer „laufenden, gut finanzierten Desinformationskampagne“ des Kremls in der Region identifizierte.
Im akademischen Bereich spielt CLACSO eine wichtige Rolle bei der Kontaktpflege mit Moskau. Die Organisation führte mitten im Krieg gemeinsam mit der Agentur Sputnik einen Russland-Iberoamerika-Dialog in St. Petersburg durch, an dem im Oktober 2023 neben der CLACSO-Führungsriege allerlei wissenschaftliche Kreml-Loyalisten sowie der stellvertretende russische Außenminister Sergei Rybakow teilnahmen. Atilio Borón, ehemaliger CLACSO-Exekutivdirektor und der Organisation weiterhin eng verbunden, behauptet in Zeitungskolumnen, es könne „keinen Zweifel“ daran geben, dass sich Russland in der Ukraine gegen eine NATO- und US-Aggression verteidige.
Ein direkt auf den politischen Bereich abzielendes Propagandainstrument des Kremls war die von Wladimir Putin selbst eröffnete internationale Parlamentarierkonferenz „Russland-Lateinamerika“ in der russischen Staatsduma vom 29. September bis 2. Oktober 2023. Teilnehmer waren größtenteils Parlamentarier von Mitgliedsparteien des Foro de São Paulo. Auf Panels mit Titeln wie „Eine gerechte multipolare Welt: Die Rolle der parlamentarischen Diplomatie“ fanden die Narrative des Kreml-Herrschers Echo. Grupo de Puebla-Mitglied Jorge Rodríguez, Präsident der venezolanischen Nationalversammlung, solidarisierte sich angesichts der Sanktionen des Westens mit Russland, und der Sondergesandte Nicaraguas für die Beziehungen zu Russland und Diktatorensohn Laureano Ortega erklärte, ein Sieg Russlands über die Ukraine käme einem Sieg des „Lichtes über die Finsternis“ gleich.
Auch in den Kommuniqués der Akteure der rosa Galaxie kommt eine Nähe zu den Putin-Narrativen zum Ausdruck. So beinhaltete die Abschlusserklärung des IX. Treffens der Grupo de Puebla 2023 den Passus: „Wir fordern die Ukraine und Russland auf, einen vorübergehenden Waffenstillstand zu schließen und die Möglichkeit von Frieden zu sondieren.“ Die russische Aggression wurde noch nicht einmal erwähnt, dafür aber „die Einmischung der NATO und die Verschärfung der geopolitischen Konflikte“ angeprangert. Einige Mitglieder der Grupo de Puebla loben Putin nachdrücklich. Am deutlichsten tut dies Boliviens Ex-Staatschef Evo Morales. So grüßte er per X seinen „Bruder“ Putin zu dessen 70. Geburtstag und erklärte: „Die würdigen, freien und antiimperialistischen Völker begleiten Ihren Kampf gegen den bewaffneten Interventionismus der USA und der NATO.“
Neben Russland blickt die rosa Galaxie auch mit viel Wohlwollen auf China. Für das Foro de São Paulo ist das Reich der Mitte „ein Faktor der Stabilität und des Gleichgewichts für die lateinamerikanische und karibische Region, der sich in der Verteidigung der Grundsätze des Völkerrechts niederschlägt, insbesondere der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der lateinamerikanischen Länder“. Zudem feiert man China für seine „politischen Kooperationen ohne Vorbedingungen“.
Ein wichtiges Bindeglied der Grupo de Puebla zu China ist der ehemalige spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero. Beim virtuellen Treffen der Grupo de Puebla im Mai 2020 sorgte er mit der Forderung für Aufsehen, die lateinamerikanische Linke müsse im Dialog mit China „eine multilaterale Ordnung wiederherstellen“. Laut spanischen Medienberichten setzt Zapatero seine Kontakte nach Peking massiv zur Beziehungspflege zwischen der KP Chinas und der Grupo de Puebla ein. Ein Ergebnis war die Teilnahme einer hochrangigen chinesischen Delegation beim Treffen der Grupo de Puebla in Santa Marta (Kolumbien) im Jahr 2022.
Die Progressive International unterstützt genau wie die Grupo de Puebla nicht nur die von China geforderte Abkehr vom US-Dollar als internationaler Leitwährung, sondern führt seit 2020 auch das sogenannte Qiao-Kollektiv als Mitgliedsorganisation. Dieses ist nach Angaben der Progressive International ein „chinesisches Medienkollektiv in der Diaspora, das die Aggression der USA gegen China anprangert und für Sozialismus und Internationalismus wirbt“. Qiao kritisierte in der Vergangenheit etwa die demokratischen Demonstrationen in Hongkong scharf.
Auch CLACSO verfügt über enge Verbindungen zu China. Gemeinsam mit staatlichen chinesischen Akteuren und lateinamerikanischen akademischen Partnern fungierte man als Co-Organisator des VI. „Dialogs der Zivilisationen“ zwischen China und Lateinamerika, der am 11. September 2023 in Buenos Aires stattfand. Bei dieser Gelegenheit wurde in Kooperation mit einem staatlichen chinesischen Verlag auch ein von CLACSO veröffentlichtes Buch zur Geschichte Chinas in spanischer Sprache vorgestellt, dessen Einleitung die „bewundernswerte Veränderung“ preist, welche das Land „unter der Führung der Kommunistischen Partei Chinas“ durchlaufen habe.
Es kommt nicht von ungefähr, dass sich die Kommunistische Partei Chinas in Lateinamerika bei der Zusammenarbeit mit autokratischen Staatsparteien sowie Parteienorganisationen, die diese einbeziehen, am wohlsten fühlt. In ihrem Verständnis einer Einheit zwischen Staat und Partei sind sich die KP Chinas und die Staatsparteien Kubas oder Nicaraguas besonders ähnlich. Die im Foro de São Paulo zusammengeschlossenen Parteien gehören seit Jahren zu den treuesten Teilnehmern aller Veranstaltungen der chinesischen „Parteienzusammenarbeit“. Zudem sind autoritäre Regime für China langfristig besser zur Durchsetzung seiner Machtinteressen geeignet als Demokratien, zumal wenn es gelingt, jene langfristig an sich zu binden. Im Gegensatz zu Parteien der Mitte, die einen kritischen Dialog mit der KP Chinas führen, verbreitet die rosa Galaxie als Resultat derartiger Kontakte unkritisch chinesische Narrative und Kritik am Westen.
Auch der Iran versucht immer mehr, seinen Fußabdruck in Lateinamerika zu hinterlassen, und findet in der rosa Galaxie besonders enthusiastische Verbündete. Dies schlägt sich etwa in intensiver Wirtschaftskooperation zwischen Teheran und Havanna oder Caracas nieder. Mit HispanTV leistet sich der iranische Staat auch einen spanischsprachigen Fernsehkanal, der in weiten Teilen Lateinamerikas empfangbar ist. Politiker der rosa Galaxie nutzen HispanTV regelmäßig als Propagandaplattform. Eine beliebte Sendung hierfür war bis 2019 Fort Apache, eine vom linken ehemaligen spanischen stellvertretenden Ministerpräsidenten und heutigen Medienunternehmer Pablo Iglesias moderierte Talkshow. Im Kontext des Gazakrieges verbreiten die spanischsprachigen iranischen Auslandsmedien das Narrativ eines israelischen Genozids und sprechen dem israelischen Staat gänzlich das Existenzrecht ab. So steht der Kanal für eine Mischung aus antiisraelischen, antiwestlichen und linken Narrativen.
Auch die Akteure der rosa Galaxie schlugen sich im jüngsten Konflikt schnell auf die Seite der Gegner Israels. Bereits am 10. Oktober 2023 veröffentlichte die Progressive International ein auch von zahlreichen lateinamerikanischen Akteuren unterzeichnetes Kommuniqué, in dem der Terrorangriff der Hamas als „Operation vom 7. Oktober aus dem Gazastreifen“ verharmlost wird. Die Progressive International adelte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah zudem als „Führer der libanesischen Widerstandsbewegung“ und kritisierte seine Eliminierung durch Israel als „Mord“ und als „skrupellos“. Als „Genozid“ bezeichnen das israelische Vorgehen in Gaza neben der Progressive International auch die Grupo de Puebla, das Foro de São Paulo und verschiedene CLACSO-Arbeitsgruppen.
Eine transnationale linksautoritäre Struktur
Es fällt auf, dass sich die Protagonisten in den verschiedenen Organisationen überlappen. Viele Repräsentanten der lateinamerikanischen Linken sind mit mehr als einem Netzwerk gleichzeitig verbunden. Enge Beziehungen zu mehreren der hier beschriebenen Akteure haben etwa Lulas außenpolitischer Chefberater, der ehemalige brasilianische Außenminister Celso Amorim, Ecuadors Ex-Außenminister Guillaume Long, die kommunistische chilenische Abgeordnete Carol Kariola, der ehemalige argentinische Staatschef Alberto Fernández, der ehemalige bolivianische Vizepräsident Álvaro García Linera, die mexikanische Außenministerin unter Präsident López Obrador und ehemalige CEPAL-Generaldirektorin Alicia Bárcena oder die kubanische Abgeordnete und Diktatorentochter Mariela Castro.
Auch die Organisationen selbst überlappen sich und kooperieren ständig. So ist CLACSO Mitglied der Progressive International. Beide arbeiten gemeinsam an einem Forschungsprojekt, in dem die Existenz einer „reaktionären Internationalen“ als Gefahr für die Demokratie beklagt wird. Als Teil dieses Netzwerks werden unter anderem die Hanns-Seidel-Stiftung oder die spanische Volkspartei (PP) genannt. Die Exekutivsekretärin des Foro de São Paulo, die der brasilianischen Arbeiterpartei angehörende Mónica Valente, sitzt zudem im Rat der Progressive International. Auch nimmt deren Exekutivdirektor David Adler an Treffen der Grupo de Puebla teil und CLACSO veröffentlicht Bücher der Gruppe. Das Foro de São Paulo verlinkt CLACSO auf seiner Homepage. Erst Ende Juni 2024 trafen sich Foro de São Paulo, Progressive International und Grupo de Puebla gemeinsam in Honduras, um dort auf Einladung der linken Regierung im Rahmen einer Art Gipfel der rosa Galaxie den 15. Jahrestag des angeblichen Staatsstreiches gegen Ex-Staatschef Manuel Zelaya zu begehen. Mitglieder aller dieser Allianzen schließlich laden gern Akteure aus Russland oder China zu ihren Treffen ein und lassen sich selbst in diese Länder einladen.
Diese Überlappung schließt zahlreiche weitere Akteure ein. Institutionen wie das Centro Estratégico Latinoamericano de Geopolítica (CELAG), die Escuela de Estudios Latinoamericanos y Globales (ELAG), die Internacional Feminista oder das in den USA ansässige Center for Economic Policy Research (CEPR) sind ebenfalls zur rosa Galaxie zu zählen. Da sich diese Organisationen trotz ihres unterschiedlichen institutionellen Aufbaus weder mit Blick auf die inhaltliche Schlagrichtung noch hinsichtlich des ihnen angehörenden Personenkreises wesentlich unterscheiden, ist es sinnvoll, sie als Teil einer gemeinsamen internationalen Struktur zu begreifen.
Aufbauend auf dem traditionellen Internationalismus der Linken funktioniert die rosa Galaxie in vielen Bereichen nach der Logik einer transnationalen linksautoritären Partei. Erstens teilen ihre Akteure in der Ablehnung von „US-Imperialismus“, „Neoliberalismus“ und freiheitlicher Demokratie eine ausreichende ideologische Basis. Weiterhin verfügt die rosa Galaxie wie beschrieben über formalisierte institutionelle Kommunikationskanäle. Und drittens eint sie ein korporativer Machtinstinkt. Dieser schlägt sich nicht nur bei der Unterstützung verbündeter Kandidaten für jegliche Positionen auf internationalem Parkett nieder, sondern auch etwa darin, dass man Mitglieder der rosa Galaxie auch dann noch verteidigt, wenn sie wegen krimineller Machenschaften verurteilt wurden. Während man etwa zur Verfolgung und Inhaftierung venezolanischer oder kubanischer Oppositioneller schweigt, beklagt man die juristische Belangung linker Führungsfiguren als sogenanntes lawfare.
Der Begriff „Demokratie“ wird seitens der rosa Galaxie vor allem benutzt, um gegen die politische Konkurrenz auszuteilen – wohl wissend, dass die trotz aller Krisenanzeichen mehrheitlich demokratisch gesinnte Bevölkerung Lateinamerikas für Angriffe auf die demokratische Überzeugung des politischen Gegners empfänglich ist. Durch einen permanenten Angriffsmodus und den Appell an negative primäre Emotionen wie Angst, Wut oder Frustration ist die rosa Galaxie oft erstaunlich erfolgreich darin, sich Kritik an der eigenen fehlenden demokratischen Kohärenz zu entziehen.
Zudem gelingt es der rosa Galaxie, sich trotz der offensichtlichen Nähe zu Russland, China und dem Iran auch durch europäische Entwicklungsgelder zu legitimieren. Ein Beispiel ist die intensive Zusammenarbeit zwischen der staatlichen schwedischen Entwicklungsagentur SIDA und CLACSO. So ist bereits ein beachtlicher Bestand an Literatur entstanden, die, finanziert mit europäischen Steuergeldern, den „Neoliberalismus“ und den „Imperialismus“ anklagt, die angebliche Verfolgung linker Politiker kritisiert und Narrative aus Kuba oder Venezuela verbreitet.
Die Aushöhlung der politischen Mitte
Der enorme Erfolg der rosa Galaxie hat innerhalb der lateinamerikanischen Linken auch dazu geführt, dass die gemäßigten Fraktionen der (sozial-)demokratischen Linken es immer schwerer haben, sich gegen sie diskursiv durchzusetzen. Ein Beispiel aus dem politischen Alltag ist die Weigerung des als gemäßigt geltenden Kandidaten für die Vorwahlen der uruguayischen Frente Amplio, Mario Bergara, Kuba öffentlich als „Diktatur“ zu bezeichnen. Auch die ehemalige spanische Regierungssprecherin und Ministerin der Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei PSOE, Isabel Rodríguez, wollte eine derartige Aussage nicht treffen. Bemerkenswert ist auch, dass die orthodoxen Linken den eigentlich auf eine moderne Linke hindeutenden Begriff „progressiv“ gekapert haben und ihn mit autoritärem Inhalt füllen – viel zu oft, ohne dabei auf entschiedenen Widerstand der eigentlichen „progressiven“, gemäßigten Linken zu stoßen.
Der Politikwissenschaftler Miguel Martínez Meucci wirft der sozialdemokratischen Linken Lateinamerikas deshalb vor, nicht nur offen mit linken autoritären Regimen zu kokettieren, sondern auch zu kooperieren. Diese Tendenz bleibt nicht auf Lateinamerika beschränkt. Offenbar pflegen europäische Sozialdemokraten nicht nur Austausch mit Personen aus dem Umfeld der rosa Galaxie, sondern verstehen Organisationen wie die Grupo de Puebla als ihnen ideologisch nahestehende Kooperationspartner. So werden sie selbst Teil der autoritären Schutzmauer. Dies zieht lateinamerikanischen Sozialdemokraten, die sich aus demokratischen Grundüberzeugungen von autoritären Regimen absetzen, den Boden unter den Füßen weg.
Eine entscheidende Rolle beim Schwenk der europäischen Sozialdemokratie zur orthodoxen Linken spielte die spanische PSOE, die spätestens seit der Regierungszeit von José Luis Rodríguez Zapatero (2004 bis 2011) nicht nur einen Ansatz der Annäherung, sondern der zumindest punktuellen Eingliederung in linksautoritäre Netzwerke verfolgt. Regelmäßig schickt die Partei von Ministerpräsident Pedro Sánchez prominente Vertreter zur Grupo de Puebla. Die sozialdemokratische S&D-Fraktion im Europäischen Parlament führte im Juni 2023 eine Großveranstaltung mit der Grupo de Puebla durch, bei welcher der wegen Korruption in Ecuador zu acht Jahren Haft verurteilte Ex-Staatschef Rafael Correa die angebliche lawfare gegen ihn beklagen durfte.
Die tonangebenden autoritären Kräfte der rosa Galaxie verstehen die Politik nach einer tribalen Logik. Auf der einen Seite die Guten, die „Revolutionären“, die „Linken“, die „Antikapitalisten“ oder die „Progressiven“; auf der anderen Seite die Schlechten – also die „Neoliberalen“, „Kapitalisten“, „Imperialisten“ oder „Rechten“. Zu welcher Seite man gehört, wird nach identitätspolitischen Grundsätzen zu einer dogmatischen Glaubensfrage, die keinerlei Grautöne zulässt und für gemäßigte Linke und die politische Mitte insgesamt fatal wirkt.
Die Versuchung einer rechtsautoritären Reaktion
Die Schwierigkeit, autoritären Ansätzen aus der politischen Mitte heraus zu begegnen, zeigt sich auch auf der rechten Seite des politischen Spektrums. Als Reaktion auf den linken Internationalismus gibt es bei den Rechten Bestrebungen, gemeinsame Netzwerke zwischen konservativen und rechtsdemokratischen Kräften sowie rechtsautoritären Akteuren zu knüpfen. Die Bewunderung, die der autoritäre Präsident von El Salvador, Nayib Bukele, in weiten Teilen der politischen Rechten genießt, zeigt dies sehr deutlich. Auch das Konzept des ungarischen Staatschefs Viktor Orbán, der eine „illiberale Demokratie“ verspricht, findet in Lateinamerika Zuspruch, wie sich nicht nur an der Präsenz der lateinamerikanischen Rechten bei der europäischen Version der aus den USA stammenden rechten Conservative Political Action Conference (CPAC) in Budapest zeigte. Insbesondere die spanische Rechtspartei Vox war sehr geschickt darin, mit dem Foro Madrid ein öffentlichkeitswirksames Gegengewicht zur autoritären Linken zu schaffen. Statt jedoch die linke Identitätspolitik der rosa Galaxie aus der demokratischen Mitte heraus zu bekämpfen, bekämpft das Foro Madrid diese teilweise mit rechter Identitätspolitik. Dies zeigt sich im inflationären Gebrauch von Begriffen wie „totalitär“ oder „kommunistisch“ genauso wie in der oft wenig differenzierten Haltung zu populistischen Führungsfiguren der Rechten. Interessant ist, dass auch rechtsautoritäre Netzwerke Akteure enthalten, die mit kremlfreundlichen Narrativen für Aufsehen sorgen.
Die politische Mitte steht somit vor der Herausforderung, die Aktivitäten und Gefahren der rosa Galaxie deutlich zu benennen und ihr eigene überzeugende Narrative entgegenzusetzen. Gleichzeitig muss sie der Versuchung widerstehen, populistische Vertreter rechts der Mitte zu verharmlosen oder diese gar in die eigenen Reihen einzubeziehen, wenn jene nicht mit beiden Beinen auf dem Boden der Demokratie und des Rechtsstaates stehen. Ein Versuch, sich diesen Herausforderungen zu stellen, ist das Foro América Libre. Dieses 2023 zum ersten Mal durchgeführte Forum versammelte unter Mitwirkung der Konrad-Adenauer-Stiftung rund 30 Organisationen aus 25 Ländern in einem gemeinsamen Aktionsraum der Mitte beziehungsweise des Mitte-rechts-Spektrums. Der große mediale Zuspruch zeigte die Notwendigkeit eines solchen Unterfangens.
Fazit: Vereint gegen die liberale Demokratie westlicher Prägung
Auch wenn die verschiedenen Akteure der rosa Galaxie auf den ersten Blick wenig mit den Diktaturen in Russland, China oder gar dem iranischen Gottesstaat gemein haben, existieren konvergente geopolitische Interessen. In erster Linie ist dies die Gegnerschaft zum „Neoliberalismus“ und „US-Imperialismus“. Letztlich spielt aber auch die Ablehnung der freiheitlichen Demokratie als solche eine Rolle. Die Forderung nach einer „Nichteinmischung in innere Angelegenheiten“ und nach einer „multilateralen Weltordnung“ ist nach dem Verständnis der rosa Galaxie direkt gegen das freiheitlich-demokratische Modell westlicher Prägung und seinen universellen Anspruch gerichtet. Die Demokratie wird zur rhetorischen Figur, die inhaltlich ausgehöhlt und umgedeutet sowie hierarchisch als Mittel zum Zweck anderen Zielen untergeordnet wird, vordergründig dem „Sozialismus“ und insbesondere dem eigenen Machterhalt. Während in den zwei Dekaden seit Beginn der rosa Welle linke Regierungen in Lateinamerika den Ton angaben, gingen die Zustimmungswerte für die Demokratie in Lateinamerika allen Umfragen zufolge enorm zurück. Zwischen beiden Phänomenen kann durchaus ein kausaler Zusammenhang erkannt werden.
Die Anknüpfungspunkte für Russland, China und den Iran sind evident. Es ist ihnen ein Leichtes, an die Weltsicht der rosa Galaxie anzuknüpfen, sie mit ihrer medialen Macht, etwa durch RT oder HispanTV, zu verstärken und ihr internationale Sichtbarkeit zu verleihen. Die rosa Galaxie einerseits und Russland, China oder der Iran andererseits verleihen sich dabei wechselseitig internationale Legitimität. Lukrative bilaterale Wirtschaftsabkommen ohne jeglichen Anspruch auf Demokratisierung oder die Wahrung von Menschenrechten machen diese Allianzen für die Akteure der rosa Galaxie zusätzlich attraktiv.
Bündnisse zwischen internationalen und lateinamerikanischen autoritären Regimen haben dabei eine lange Tradition, etwa in der engen Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion und Kuba. Noch aus jener Zeit stammt die politische Sozialisierung einiger Protagonisten der heutigen rosa Galaxie, wie etwa Lula da Silva. Der Antiamerikanismus und die Sympathie für autoritäre Regime sind fester Teil seiner politischen DNA. Seine regionale Machtbasis liegt zuallererst im von ihm mitgegründeten Foro de São Paulo sowie bei seinen Alliierten der rosa Galaxie. Vor diesem Hintergrund erscheinen Lulas irrlichternde Aussagen zu aktuellen Fragen der internationalen Politik nicht länger überraschend.
Es ist dringend notwendig, dass Demokraten aller politischer Couleur die Gefahr erkennen, welche die rosa Galaxie für die Demokratie als solche beinhaltet, und aus der politischen Mitte heraus ein Gegengewicht zu ihr setzen. Die rosa Galaxie darf dabei keinesfalls als ein auf Lateinamerika beschränktes Phänomen verharmlost werden. Stattdessen ist sie eine ernstzunehmende Gefahr für die werte- und regelbasierte multilaterale Ordnung insgesamt. Spätestens die Resonanz aus der rosa Galaxie auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine hat dies in aller Deutlichkeit unter Beweis gestellt.
Dieser Text basiert auf der Argumentation des Buches „Die rosa Galaxie. Wie linksautoritäre Netzwerke und ihre internationalen Alliierten die Demokratie in Lateinamerika untergraben“, erschienen beim KAS-Regionalprogramm Parteiendialog und Demokratie in Lateinamerika im April 2024 und abrufbar unter https://ogy.de/mcx7.
Sebastian Grundberger ist Leiter des Regionalprogramms Parteiendialog und Demokratie in Lateinamerika der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Montevideo.
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