Ausgabe: 2/2021
Taiwans internationaler Status − Zwischen Isolation und gesundem Pragmatismus
Durch den wachsenden politisch-diplomatischen und militärischen Druck vom großen Nachbarn, der Volksrepublik (VR) China, ist Taiwan in der internationalen Politik nur wenig als eigenständiger, prominenter entwicklungspolitischer Akteur sichtbar. Mit der Ein-China-Politik verpflichten sich alle Staaten, die diplomatische Beziehungen zur VR China unterhalten, keine offiziellen Beziehungen mit der Regierung in Taipeh zu führen. In Peking versteht man das Ein-China-Prinzip so, dass Taiwan integraler Bestandteil Chinas sei, das wiederum allein durch die Volksrepublik repräsentiert werde. Diese Sichtweise versucht Peking immer unmissverständlicher gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft durchzusetzen. Im Gegenzug erkennen jene Staaten, die mit Taiwan offizielle Beziehungen unterhalten, das Land ihrerseits als rechtmäßigen Vertreter Chinas im Rahmen der Ein-China-Politik an, auch wenn sich diese Interpretation allmählich dahingehend entwickelt, Taiwan als eigene politische Entität, losgelöst von den Fesseln eines chinesischen Einheitsstaats, zu betrachten.
Heute sind es 15 Staaten weltweit, die diplomatische Beziehungen mit der Republic of China – so die offizielle Bezeichnung Taiwans – unterhalten. Darunter befinden sich eine Zahl von Inseln in der Karibik, mehrere Länder Zentralamerikas und eine Reihe von Inseln im Südpazifik. Und trotz dieser geringen Zahl an diplomatischen Partnerstaaten: Taiwan mit seinen 23,5 Millionen Einwohnern bringt sich international verantwortungsvoll ein, teilt seine Ideen und Innovationen mit der Welt und hat sich nicht zuletzt während des ersten Jahres der Coronapandemie als das Land herausgestellt, dem eine auf Technologie und Vertrauen gegründete Eindämmungspolitik gelang, wie sie effektiver und erfolgreicher nicht hätte sein können. Auch sind die 170 Länder und Territorien weltweit, die den Bürgern Taiwans eine visafreie oder vereinfachte Einreise ermöglichen, Zeugnis dafür, dass Beziehungen mit Taiwan auch jenseits einer De-jure-Anerkennung gestaltet werden können.
Seit ihrer ersten Amtszeit (ab 2016) hat Präsidentin Tsai Ing-wen von der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) mit der New Southbound Policy (xīn nán xiàng zhèngcè) eine außenpolitische Umorientierung mit dem Ziel eingeleitet, Taiwans wirtschaftliche Abhängigkeit von der VR China zu reduzieren (der Anteil der VR China, einschließlich Hongkongs, an Taiwans Außenhandel beträgt gegenwärtig etwa 40 Prozent) und das Beziehungsgerüst mit Ländern in Süd- und Südostasien, aber auch jenen im Süd- und Westpazifik zu stärken. Wesentlicher Bestandteil dieser Politik ist es auch, Taiwan als verantwortungsbewussten Partner in der Region Asien-Pazifik zu präsentieren. Dazu gehört die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit vielen kleinen Inselstaaten im Südpazifik, das Werben für eine freiheitliche und regelbasierte Ordnung im Indopazifik und nicht zuletzt die medizinische und technische Unterstützung vieler Partner in der Region.
Taiwan geht dabei neue Wege, die weit über das klassische Verständnis von Entwicklungs-zusammenarbeit hinausreichen. So bemüht sich Taiwan konkret um die Stärkung des Gesundheitsbereichs in den Ländern der Region, hilft mit technologischer Unterstützung dabei, die Katastrophenvorsorge in Partnerländern (darunter Inselstaaten, die sich regelmäßig Taifunen und Erdbeben ausgesetzt sehen) zu verbessern, und setzt in den Partnerländern gezielt auf den Ausbau einer nachhaltigen Energie- und Ressourcenpolitik: alles Themen, die im Mittelpunkt der VN-Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) stehen, zu deren Erreichen Taiwan, obwohl nicht Mitglied in den Vereinten Nationen, einen aktiven Beitrag leisten will.
Der vorliegende Artikel soll einen tiefergehenden Blick auf Taiwans Rolle in der Entwicklungszusammenarbeit werfen und deren Mechanismen, Akteure und Schwerpunkte vorstellen. Nicht zu-letzt sollen Elemente in Taiwans Ansatz beleuchtet werden, mit denen auch angesichts wachsender geopolitischer Auseinandersetzungen rund um den Einfluss und die wachsenden Abhängigkeiten vieler Staaten von China wichtige Rückschlüsse für unsere Diskussionen in Deutschland und Europa gezogen werden können.
Taiwans Außenpolitik zwischen zurückhaltendem Pragmatismus und der Ausstrahlung von „Wärme“
Schon in der ersten Phase der Coronapandemie im Frühjahr 2020, als die Pandemiewelle rasant den europäischen Kontinent überrollte, schickte sich Taiwan an, Maskenkontingente in die Welt zu verschiffen. Binnen weniger Wochen hatte es Taiwan geschafft, die heimische Maskenproduktion zu vervielfachen, und konnte die sich abzeichnenden Engpässe im Land rasch überwinden. Nachdem sichergestellt war, dass Taiwans Bürger über ausreichend Masken verfügen würden, schlug die Stunde einer bewusst nach außen getragenen Botschaft: „Taiwan can help“. Der Slogan, mit dem Taiwan seit Jahren darauf aufmerksam macht, dass das Land seine Zukunft fest eingebettet in der internationalen Staatengemeinschaft sieht, wurde ergänzt um den nun sichtbar werdenden Einsatz Taiwans für andere Länder in Not: „Taiwan can help, and Taiwan is helping“. Der Regierung unter Präsidentin Tsai Ing-wen, die erst im Januar 2020 bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Amt bestätigt worden war und mit der Demokratischen Fortschrittspartei die absolute Mehrheit im Parlament verteidigen konnte, gelang es von Beginn an, Verlässlichkeit und einen klaren Kurs während der Pandemie zu demonstrieren. Mehr noch: Der Welt wurde vor Augen geführt, was für ein wichtiger Partner Taiwan ist.
Genese von Taiwans Entwicklungszusammenarbeit
Taiwan in der Nachkriegszeit
Taiwan, das nach der Kapitulation Japans im Zweiten Weltkrieg formal der Republik China (zhōnghuá mínguó) zugeteilt wurde und mit der Flucht Chiang Kai-sheks und seiner Truppen vom chinesischen Festland auf die Insel 1949 zu deren Hauptsitz und einzig verbliebenen Bastion wurde, erhielt mit Ende des Koreakriegs 1953 und der fortwährenden Unterstützung der USA erstmals offizielle Entwicklungshilfeleistungen. Im Gegenzug für die US-Kredite, die die unter Kriegsrecht regierende Kuomintang-Partei auf Taiwan zum Aufbau und zur Entwicklung der Wirtschaft erhielt, versprach die Regierung ihrerseits, Reserven für Zuschüsse anzulegen, die sie später ebenfalls im Ausland zur Verfügung stellen wollte. Die während der japanischen Kolonialzeit auf der Insel etablierten Strukturen hatten eine effizient organisierte Holz- und Landwirtschaft hinterlassen – Ausgangspunkt für Taiwans späteren Aufstieg zum „Tigerstaat“ und den Drang der jungen, gut ausgebildeten Generation, sich in den nach und nach entstehenden Industriezweigen rasch zurechtzufinden. Bereits 1959 wurde das erste Projekt zur Verbesserung der agrarwirtschaftlichen Produktivität in Vietnam angestoßen, 1960 folgten dann erste Agrar-Missionen in Afrika. Bis 1971 war Taiwan als Republik China Mitglied der Vereinten Nationen. Allerdings wurde dann mit der Resolution 2758 die Vertretung Chinas in den Vereinten Nationen nach Abstimmung in der Generalversammlung an die 1949 gegründete Volksrepublik China übertragen. Taiwan verlor damit seinen Sitz in den VN sowie nach und nach auch eine Vielzahl seiner diplomatischen Verbündeten an Peking.
Wirtschaftliches Engagement als Initiator für Entwicklungshilfe
Mit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik in der VR China Ende der 1970er Jahre wurde ein Großteil der ausländischen Direktinvestitionen in Festlandchina von Seiten der Überseechinesen (huárén) aus der direkten Umgebung der VR China geleistet, darunter insbesondere aus Taiwan, Singapur, Hongkong und Malaysia. Der einsetzende Wirtschaftsboom lockte unzählige taiwanesische Geschäftsleute (táishāng) in die VR China. Zu den Hochzeiten in den 2000er Jahren lebten geschätzt bis zu einer Million Taiwanesen ständig auf dem chinesischen Festland. Zunächst vor allem, weil Produktionen von Taiwan auf das chinesische Festland verlagert wurden; später aber, weil sie dort zu Innovationstreibern in den Metropolregionen im Yangtse-Delta rund um Shanghai und die Provinzen Zhejiang und Jiangsu wurden oder weil sie im südchinesischen Guangdong, im Perlflussdelta, die Industrialisierung anstießen und damit ganz wesentlich zum Mythos der „Werkbank der Welt“ beitrugen. Neben dem rein wirtschaftlichen nahm auch das karitative Engagement vieler Taiwanesen zu, die nun beruflich in ihre alte Heimat oder diejenige ihrer Vorfahren gekommen waren und auch privat viel Geld in Bildungsinitiativen steckten oder auch den kulturellen Austausch zwischen den beiden Seiten der Taiwanstraße förderten.
Entwicklungspolitik als stimmiges Gesicht des liberalen Taiwans
1989, in einer Zeit allmählicher politischer und wirtschaftlicher Liberalisierung (das Kriegsrecht war erst 1987 ausgesetzt worden), setzte Taiwans Wirtschaftsministerium einen Entwicklungsfonds auf, über den vor allem Kredite und technische Unterstützung für diplomatische Partnerstaaten finanziert werden sollten. 1996 hatte sich Taiwan bereits zu einer vollen Demokratie gewandelt und hielt in jenem Jahr die ersten freien Präsidentschaftswahlen ab. Seinerzeit wuchs auf der Insel auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer effektiveren außenpolitischen Kommunikation. Mit Gründung einer auf Entwicklungshilfe spezialisierten Hilfsorganisation, des Taiwan International Cooperation and Development Fund (ICDF), sollte eine stärkere Koordinierung aller entwicklungspolitischen Vorhaben gelingen, die gleichzeitig dabei helfen sollte, Taiwans internationale Sichtbarkeit zu vergrößern und den außenpolitischen Spielraum des Landes zu erweitern.
In den 1990er Jahren begannen Nichtregierungsorganisationen in Taiwan sich in ihrer Arbeit stärker international auszurichten. Die offizielle Entwicklungszusammenarbeit von Taiwans Regierung war dabei Impulsgeber, an dem sich die NGOs in ihren Länder- und Projektschwerpunkten zunächst maßgeblich orientierten. Seit den 2000er Jahren rückte die Einbindung zivilgesellschaftlicher Organisationen dann auch in den Mittelpunkt der strategischen Ausrichtung von Taiwans Entwicklungsengagement. So gründete das Außenministerium des Landes im Jahr 2000 das Komitee für NGO-Angelegenheiten mit dem Ziel, die internationalen Aktivitäten der taiwanischen NGOs zu fördern. Deren damit einsetzende stärkere Koordinierung im Inland war dabei auch hilfreich, die Rahmenbedingungen für Taiwans NGOs so zu erleichtern, dass Barrieren für die Vernetzung mit internationalen Counterparts abgebaut wurden. Damit konnten die NGOs auch zunehmend eine eigene Agenda in ihrem internationalen Engagement herausbilden, die als komplementär zu den Regierungsinitiativen verstanden wird und ihrerseits hilft, die Wahrnehmung Taiwans im Ausland, gerade auch auf Grassroots-Ebene, zu stärken und damit zur Etablierung von „gemeinsamem Dialog, Kooperationen und Koalitionen“ beizutragen.
2009 veröffentlichte Taiwans Außenministerium erstmals ein Weißbuch zur Entwicklungszusammenarbeit, in dem vor allem der nationale Beitrag zur Erfüllung der acht Millenniums-Entwicklungsziele betont und eine kohärentere, messbare Herangehensweise an Entwicklungskooperationen anvisiert wurde. Im Laufe der Jahre etablierten sich immer mehr Programme zu festen Austauschformaten und konkreten Hilfsleistungen auf Basis der technischen Zusammenarbeit. Seit 2016 zeigt sich eine systematische Einbettung der taiwanischen Entwicklungszusammenarbeit in die strategische außenpolitische Hinwendung zu den Ländern Süd- und Südostasiens sowie des Südpazifiks. Für diese hat sich im Rahmen der New Southbound Policy ein ganzheitlicher Politikansatz herausgebildet, in den auch Fördermittel fallen, die abseits der klassischen Entwicklungszusammenarbeit bereitgestellt werden.
Entwicklungszusammenarbeit im Kontext der New Southbound Policy
Trotz fehlender diplomatischer Beziehungen zu den ASEAN-Ländern und den anderen Ländern in der Nachbarschaft hat Taiwan in den vergangenen Jahren eine stetige Intensivierung der Beziehungen zu diesen Staaten vorantreiben können. Dies beinhaltete unter anderem ein stärkeres Investitionsaufkommen taiwanischer Wirtschaftsakteure in der Region, das 2019 im Vergleich zum Vorjahr um 16 Prozent wuchs. Nach der VR China sind die Länder der ASEAN Economic Community (AEC) kumuliert der zweitgrößte Handelspartner Taiwans. Hinzu kommt, dass sich dessen Aufstieg vom Agrarstaat zu einem der innovativen Ankerzentren der Region Asien-Pazifik als Modell für ökonomische Transformationsprozesse eignet. Dies trifft vor allem auf jene Länder zu, die sich ihrerseits in Wachstumsprozessen befinden und den entscheidenden Schritt zu Gesellschaften gehen wollen, die innovativ sind, ein hohes durchschnittliches Beschäftigungslevel erzielen und über eine gerechte Wohlstandsverteilung verfügen. Taiwan hat deswegen den Wissensaustausch, Trainingsprogramme und die gezielte Förderung und Ausbildung von Nachwuchskräften zu einem zentralen Themenfeld in den Kooperationen mit den Ländern Süd- und Südostasiens gemacht.
Dabei kommt auch privaten Unternehmen und akademischen Institutionen eine zentrale Rolle zu. Ganz gezielt hat die Regierung in Taipeh die Förderung und den Austausch im Innovationsbereich in den Mittelpunkt der New Southbound Policy gestellt. Internet of things-basierte Lösungen, sei es für das Gesundheitssystem, Mautsysteme oder intelligente Schulcampus-Systeme, können hier entscheidende Treiber für vernetzte und effiziente Dienstleistungsangebote sein. Über die rein bilateralen Kooperationsmechanismen hinaus setzt man aber auch auf Synergieeffekte, die sich vor allem durch das Engagement von taiwanischen Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Organisationen ergeben und sich dabei auch für gemeinsame, strategische Initiativen mit Akteuren in Drittländern eignen. In Taiwan ist man sich der Grenzen eines rein staatlichen Engagements aufgrund der Ein-China-Politik bewusst und fördert gezielt den Expertenaustausch in ausgewählten Politikfeldern. Dabei stehen gemeinsame Projekte im Mittelpunkt, die Antworten auf bestehende Problemstellungen in den Einsatzländern suchen und beispielsweise über die technische Zusammenarbeit Taiwans außenpolitischen Gestaltungsspielraum vergrößern sollen.
Schwerpunkte und Akteure in Taiwans Entwicklungszusammenarbeit
Nicht von ungefähr spricht man in Taiwan heute bewusst von der eigenen „warm power“, die das Land und seinen Austausch mit der Welt auszeichne. Konkret geht man von einem gemeinsamen Grundverständnis mit Demokratien weltweit und einer von Vertrauen geprägten zwischenstaatlichen Beziehungsgestaltung aus. Dabei wird neben den staatlichen Akteuren in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit auch bewusst Raum für nichtstaatliche Akteure geschaffen. Taiwans außenpolitische Ziele sollen so auf Basis eines wertebasierten Beziehungsfundaments und unter starker Einbeziehung kultureller soft power verfolgt werden.
Seit 2010 erfasst Taiwan die jährlichen Schwerpunkte der an der internationalen Entwicklungszusammenarbeit beteiligten Regierungsinstitutionen in der „Official Development Assistance (ODA)“-Übersicht, die auf Basis der OECD-DAC-definierten Kriterien erstellt wird. Für das Jahr 2018 setzte sich die Verteilung (ODA-Vergabe) zusammen wie in Tabelle 1 aufgeschlüsselt.
Tabelle 1: Verteilung der taiwanischen ODA-Mittel 2018
Schwerpunkte sind hier vor allem im Aufbau und in der Unterstützung der sozialen Infrastruktur und der Dienstleistungen zu finden. Dabei ist insbesondere eine Orientierung an den VN-Nachhaltigkeitszielen Nr. 1 (Armutsbekämpfung), 6 (Wasser und Hygiene), 7 (Zugang zu verlässlicher und nachhaltiger Energieversorgung) sowie 9 (nachhaltige und inklusive Industrialisierung; Förderung von Innovationen) zu erkennen. Für das Jahr 2018 schlugen Gesamtausgaben von 302 Millionen US-Dollar zu Buche, was einem Anteil am Bruttonationaleinkommen von 0,051 Prozent entspricht. Im Vergleich zum Vorjahr waren die Zahlen etwas rückläufig (0,056 Prozent) und liegen auf den ersten Blick auch weit hinter dem von den VN gesetzten Ziel von 0,7 Prozent des BNE der Geberländer. Neben den bilateralen Projekten und Grants ist Taiwan aber auch an regionalen und multilateralen Initiativen beteiligt, so unter anderem auch als eines von 68 Mitgliedern der Asian Development Bank (aufgrund der fehlenden Anerkennung als staatlicher Akteur hier als Taipei, China) und trug zuletzt zu etwa 1,1 Prozent des Gesamtbudgets der Organisation bei.
Beispiel Gesundheitsbereich
Taiwans Gesundheitssystem gilt als eines der modernsten und effektivsten im ganzen Gebiet des Indopazifik. Entsprechend hat sich das Thema Gesundheit als eines von fünf Kernthemen in Taiwans New Southbound Policy etabliert. Aufgrund der vielfältigen Risiken für Epidemien in der Region (bereits lange vor Corona) bleiben Best Practices einer qualitativ hochwertigen gesundheitlichen Fürsorge für viele Länder besonders wichtig. Mit den Taiwan Health Centers und Mobile Medical Mission Projects leisten Krankenhäuser aus Taiwan ihren eigenen Beitrag als Akteure in der Entwicklungszusammenarbeit. So zum Beispiel das renommierte Taiwan University Hospital, das bereits seit 2005 vietnamesische Akteure im Gesundheitsbereich schult, oder das Mackay Memorial Hospital, das jedes Jahr Ärzte und Mitarbeiter aus der Krankenhausverwaltung in die Länder Südostasiens schickt, um vor Ort in unterversorgten Gemeinden auszuhelfen.
Beispiel Nachhaltigkeit und Katastrophenschutz
Auch spezialisierte Behörden in Taiwan sind wichtige Akteure in der Zusammenarbeit mit Partnerländern. So werden für das Projekt „Enhancing Agricultural Adaptive Capacity to Climate Variability“ digitale Lösungen zur Generierung von meteorologischen Daten für den Einsatz in wichtigen landwirtschaftlichen Produktionsgebieten angewandt, die basierend auf den Erfahrungen des Council of Agriculture und des Central Weather Bureau (CWB) in Taiwan entwickelt wurden und dabei helfen sollen, die Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit karibischer Staaten gegenüber dem Klimawandel zu erhöhen.
Auch die akut vom Klimawandel bedrohten Inselstaaten werden dabei durch die Zusammenarbeit mit Personal des CWB unterstützt, sei es durch die Installation von Beobachtungsinstrumenten und Informationssystemen für seismische Frühwarnsysteme oder durch die wissenschaftliche Auswertung generierter Daten.
Zivilgesellschaftliche Initiativen
Die im Laufe der Jahre gewachsene Rolle nichtstaatlicher Akteure wie Stiftungen und klassischer NGOs im Umwelt- und Sozialbereich in Taiwans Entwicklungszusammenarbeit spricht für das geschickte Ausfüllen von Nischen, die kleinen und international marginalisierten Staaten bleiben, um auf andere Weise ihre Sichtbarkeit zu vergrößern. Während die strategische Orientierung Taiwans lange Zeit entlang eines diplomatischen Wettstreits mit der VR China verlief und den Schwerpunkt auf diplomatische Partnerstaaten – etwa in Lateinamerika – legte, ist sie heute einem Konzept gewichen, das vor allem die Kernthemen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit aufgreift. Insbesondere anthroposophische Stiftungen wie die Taiwan Asia Exchange Foundation sind elementare Brücken zu akademischen und nichtstaatlichen Akteuren im Ausland. Religiöse Organisationen wie die Tzu Chi Foundation sind weltweit an vielen Brandherden karitativ zur Stelle. Gerade über die soziale Dimension seiner internationalen Entwicklungszusammenarbeit grenzt sich Taiwans Ansatz damit von dem der VR China ab und schafft Synergieeffekte zu den aktuellen Schwerpunkten in den Strukturen der internationalen Zusammenarbeit. Mehr als 40.000 NGOs sind heute in Taiwan registriert, über 2.000 davon mit Anbindung an internationale NGOs.
Plattformen zur Generierung von Expertise und Fähigkeiten
Gemeinsam mit den USA etablierte Taiwan 2015 das Global Cooperation and Training Framework (GCTF), mit dem gemeinsamen globalen Herausforderungen begegnet werden soll und das sich gezielt an Experten und Vertreter des öffentlichen Dienstes im ganzen Indopazifik richtet. Themenschwerpunkte der Veranstaltungen und Training Sessions sind unter anderem öffentliche Gesundheit, die Zusammenarbeit in der Strafverfolgung, Cybersicherheit, Medienkompetenz, Entwicklungen im E-Commerce-Bereich, humanitäre Hilfe und Katastrophenhilfe. Nicht zuletzt also alles Themen, zu denen Taiwan einen entscheidenden Beitrag in der Wissens- und Erfahrungsvermittlung leisten kann. Mittlerweile haben in dem Rahmen 32 Trainings und Workshops stattgefunden. Japan beteiligt sich als offizieller Partner der Plattform und Länder wie Schweden und die Niederlande sind an Kooperationen beteiligt.
Taiwans Ansatz als Referenzbeispiel für Deutschland und Europa?
Taiwans Ansatz zeigt, wie eng eine wertegebundene Außenpolitik mit dem klar formulierten Interesse, mehr Sichtbarkeit und internationalen Gestaltungsspielraum zu erlangen, im Einklang stehen kann. Gerade in den vergangenen Jahren hat das Verständnis für eine engere Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Partnern in der Welt an Bedeutung hinzugewonnen. Damit geht nicht zuletzt auch eine konsistente und effektive Außendarstellung einher. Das Engagement Taiwans in der Welt entspringt dabei einem gesellschaftlichen Konsens und einer politischen Kultur, die ganz bewusst einen praktischen Mehrwert für die Akteure in den Zielländern erreichen will, der im Einklang mit sozialen, wirtschaftlichen und demokratisch-pluralistischen Vorstellungen steht.
Unter dem in den vergangenen Jahren massiv gestiegenen Druck aus Peking, der von einer sich zunehmend aufbauenden militärischen Drohkulisse über Desinformationskampagnen in sozialen Medien bis hin zu Versuchen reicht, Taiwans Wirtschaftselite auf die politische Seite Pekings zu ziehen, hat Taiwans Regierung sich für einen klaren Richtungswechsel entschieden und die Länder in der Region Asien-Pazifik als wichtige wirtschaftspolitische Partner ausgemacht – dies auch als Alternative zu den gewachsenen Abhängigkeiten von der VR China. Dabei stellt sich die Regierung in Taiwan bewusst auf die Seite von Forderungen nach Demokratie und Teilhabe, wirbt für eine regionale Ordnung auf Basis von Gleichberechtigung und Freiheit und scheut nicht davor zurück, dies auch klar zu benennen – wie zuletzt ganz konkret im Fall von Thailand, Myanmar und Hongkong. Taiwans New Southbound Policy ist eine wertebasierte Antwort auf chinesische hard power in der Region. Das Land pflegt enge zivilgesellschaftliche Brücken in die Region und setzt gezielt auf die eigenen Erfahrungen in ausgewählten Handlungsfeldern und deren Einbindung als strategische Themen in der Entwicklungszusammenarbeit.
Was Deutschland und Europa aus dem Beispiel Taiwans lernen können, ist die Überzeugung, dass Entwicklungszusammenarbeit auch attraktive Angebote für die Gesellschaften des jeweiligen Landes zur Verfügung stellen muss, die problem- und praxisorientiert sind. Dies sind im Fall Taiwans als Insel in einer der seismografisch am stärksten aktiven Regionen der Welt nicht zuletzt die Erfahrungen des Landes im Katastrophenschutz und in der gesundheitlichen, auch den ländlichen Raum umfassenden Fürsorge. Als pluralistische Gesellschaft mit ethnischen Minderheiten verfügt Taiwan aus der eigenen Geschichte zudem über wertvolle Erfahrungen in der Frage, wie Integrationsangebote geschaffen werden können. Auf den Punkt gebracht entspringt Taiwans „warm power“ also einer konsistenten politischen Kultur, die Teil des gesellschaftlichen Selbstverständnisses geworden ist – trotz aller bestehenden und zukünftigen Streitfragen, die die politische Landschaft in dem Land immer wieder aufs Neue herausfordern. Entscheidend bleibt die Botschaft an die Welt, die Taiwan wohl nie stärker und stimmiger als während der aktuellen Pandemie nach außen getragen hat: Hilfsangebote an die Welt müssen kohärent und zum Nutzen des Ziellandes sein. Und diese Botschaft muss vor allem auch von den Bürgerinnen und Bürgern in der jeweiligen Gesellschaft angenommen werden.
David Merkle ist Länderreferent China in der Abteilung Asien und Pazifik der Konrad-Adenauer-Stiftung.
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