Ausgabe: 2/2021
„Stille Giganten“, so wurden die Golfstaaten häufig in der Entwicklungshilfe charakterisiert. Es ist eine Charakterisierung, die deutlich macht, dass die Golfstaaten bisher vergleichsweise wenig Aufhebens um ihr Engagement als Geber von Entwicklungshilfe gemacht haben, zugleich aber sehr aktiv sind. In einem Gespräch mit dem Analysten und Autor Peter Salisbury äußerte ein namentlich nicht genannter Akteur der Entwicklungspolitik im Jahr 2017: „Im Nahen Osten, in Afrika und in den islamischen Ländern Asiens sind die Golfies schon so lange da, wie sie Ölgeld haben. […] Das jüngere Phänomen ist, dass sie in den gleichen Bereichen [wie die OECD-Länder] arbeiten, und sie sind oft nicht so erfahren oder fortgeschritten in ihren Ansätzen, also werden sie als Newcomer gesehen.“
Diese „Newcomer“ vom Golf – insbesondere Katar, Kuwait, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) – verfügen seit den 1970er Jahren über eine Vielzahl an bilateralen und multilateralen Organisationen, die sich der Entwicklungshilfe widmen, und geben im weltweiten Vergleich sehr hohe Summen in diesem Bereich aus. Zwar gibt es nach wie vor große Lücken in der Datenlage bezüglich der Entwicklungshilfe der Golfstaaten. Ein 2020 veröffentlichter Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) liefert dennoch einige interessante Hinweise zu den aufgewendeten Finanzmitteln der Golf-Geber. Demnach waren die VAE und Saudi-Arabien 2017 weltweit unter den größten bilateralen Gebern (Platz 7 bzw. 8). Katar und Kuwait werden ebenfalls als „signifikante“ Geber seitens der OECD klassifiziert (Platz 20 bzw. 22). Bezüglich des Ziels, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe aufzuwenden (Official-Development-Assistance-Quote, ODA-Quote), liegen die VAE seit 2013 über 1 Prozent und hatten 2017 die weltweit höchste ODA-Quote. Kuwait belegt in der entsprechenden OECD-Erhebung den 9., Katar den 11. und Saudi-Arabien den 20. Rang. Laut dem Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs, OCHA) war Saudi-Arabien 2018 viertgrößter und 2020 neuntgrößter Geber humanitärer Hilfe; die VAE waren 2016 der drittgrößte Geber humanitärer Hilfe im Verhältnis zu ihrem Bruttonationaleinkommen. 2013 wurden die VAE zum weltweit größten humanitären Geber, nachdem sie laut der International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies (IFRC) 5,89 Milliarden US-Dollar bereitgestellt hatten. So scheint das Bild der „Giganten“ seine Berechtigung zu haben. „Still“ agieren sie aber eher nicht mehr. Sie sind aktiv insbesondere in den Entwicklungsbereichen Bildung und Ausbildung, Unterstützung und Förderung vor allem von Frauen, Kindern und Jugendlichen, Gesundheit, Elektrizität, Trink- und Abwasser, vergeben beispielsweise Mikrokredite und leisten Budgethilfen.
Politikverflechtung in der Entwicklungshilfe – Zakat, Sicherheit, Stabilität und wirtschaftliche Prosperität
Das Bild der heutigen Golf-Monarchien ist geprägt von glitzernden Hochhausfassaden, klimatisierten Shoppingmalls, weltumspannenden Airlines, einer Mars-Mission und Rentiersystemen, in denen die Bürgerinnen und Bürger mit allem Nötigen versorgt werden und ein gutes Leben führen können – und es verwundert nicht, dass hohe finanzielle Mittel für Entwicklungshilfe ausgegeben werden können. Dabei gerät leicht in Vergessenheit, dass in den Erfahrungen der handelnden Akteure wie auch der Bürgerinnen und Bürger am Golf ihre eigenen Länder noch in den 1970er Jahren selbst „unterentwickelt“ waren. In einer 1979 erschienenen Themen-Ausgabe zu „Arab Aid“ des zur Ölgesellschaft Saudi Aramco gehörenden Magazins Saudi Aramco World wird ein Repräsentant des Abu Dhabi Fund mit folgenden Worten zitiert: „Man muss vor zehn Jahren hier gewesen sein, um zu wissen, wie wir uns fühlen. […] Wir hatten keine Straßen, keine Schulen, überhaupt keine Infrastruktur. Die Leute liefen barfuß herum. Es war ein armes Leben. All das ist noch sehr frisch in unserem Bewusstsein; deshalb fühlen wir uns verpflichtet, anderen Menschen zu helfen, jetzt, wo wir in der Lage sind, dies zu tun.“ Mit diesem Bewusstsein für die eigene Vergangenheit sowie der auch religiös motivierten Betonung von Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Großzügigkeit – 2,5 Prozent des persönlichen Wohlstands wird abgegeben an Arme (islamische Verpflichtung des Zakat) – hat sich auch eine Kultur des Helfens am Golf herausgebildet: „Der Wille, den weniger Begüterten zu helfen und großzügig zu sein, ist […] im kulturellen Bewusstsein der Region verankert. Die gemeinsame religiöse und kulturelle Affinität kann teilweise die Beobachtung erklären, dass sich die Hilfe der Golfstaaten tendenziell auf die unmittelbare Nachbarregion konzentriert, mit einer nachweislichen Bevorzugung der arabischen und muslimischen Länder.“
Zwar gibt es Unterschiede zwischen den Golfstaaten bezüglich der Adressaten ihrer Entwicklungshilfe, wenn sie politische Motive leiten. So verfolgten zum Beispiel Katar einerseits und Saudi-Arabien sowie die VAE andererseits unterschiedliche Strategien in Ägypten. Saudi-Arabien hat beispielsweise ein stärker ausgeprägtes Interesse am Jemen, was sich auch darin niederschlägt, dass der größte Teil der saudischen Finanzmittel für Jemen bereitgestellt wird. Insgesamt besteht jedoch eine allgemeine Präferenz für arabische und muslimische Staaten als Zielländer golfarabischer Hilfe. Diese prägte schon immer die Golf-Geber. So leisteten sie beispielsweise schon seit den 1960er Jahren Hilfe an die Palästinensischen Gebiete. Zwischen 1975 und 1990 flossen Hilfsleistungen an den Libanon, um das bürgerkriegsgeplagte Land zu stabilisieren, und in den 1970er und frühen 1980er Jahren versuchte insbesondere Saudi-Arabien, andere Monarchien gegen die Idee des arabischen Nationalismus und Einflussnahme der Sowjetunion zu stärken. In den 1980er Jahren war Saudi-Arabien der größte Pro-Kopf-Geber der Welt, der seine Hilfe an regionale Verbündete richtete (vor allem Jordanien, Marokko, Nordjemen, Irak und Syrien). Schließlich sei verwiesen auf die Hilfe der Golfstaaten an den Irak nach der islamischen Revolution im Iran 1979, um den Irak als Bollwerk gegen iranischen Einfluss aufzubauen. Vor diesem Hintergrund kam es auch zu dem, was als Export des sehr konservativen, wahhabitischen Islams durch Saudi-Arabien bezeichnet wird. Die Verbreitung dieses Glaubensverständnisses mittels Entwicklungshilfe, religiöser Erziehung auch im Ausland, finanzieller Förderung entsprechender Religionsschulen und Moscheen bildete über viele Jahre auch eine Motivation in der Entwicklungspolitik. Dies hat sich jedoch seit den Anschlägen vom 11. September 2001 (15 der 19 Attentäter waren saudische Staatsbürger) und der nachfolgenden Kritik an der Religionspolitik des Königreichs sowie schließlich der neuen Haltung Saudi-Arabiens unter König Salman und Kronprinz Mohammed bin Salman geändert. Der Einfluss des Klerus und der Religionspolizei wurde massiv zurückgedrängt und neue, striktere Regeln für religiöse Organisationen, ihre Tätigkeiten und Finanzflüsse wurden erlassen. Dies entspricht Mohammed bin Salmans Politik einer „Rückkehr zum moderaten Islam“.
Der regionale Fokus besteht fort und zeigt ein zweites Motiv der Entwicklungszusammenarbeit der Golfstaaten auf: die Stabilisierung der Nachbarschaft und die Sicherung der eigenen Staatssysteme. So wurden etwa finanzielle Unterstützungsleistungen im Sinne des Rentiermodells nach dem „Arabischen Frühling“ zunächst in den eigenen Ländern ausgeweitet, aber auch große finanzielle Hilfen beispielsweise an Bahrain, Jordanien, Marokko und Oman geleistet – sowie später auch an Ägypten. Dadurch sollten monarchische Modelle sowie die Nachbarschaft, zu der auch Ägypten zählt, stabilisiert, der Status quo gesichert, jene als Sicherheitspartner geltenden Staaten gefördert und das regionale Ausgreifen Irans eingedämmt werden. Diese Interessen veranlassten auch Saudi-Arabien zu einer Politik der militärischen Intervention bei gleichzeitig hohen saudischen Ausgaben für humanitäre Hilfe im Jemen. Entwicklungs- und Stabilisierungs- bzw. Sicherheitspolitik werden so miteinander verflochten. Diese Politikverflechtung spiegelt sich in den von der OECD veröffentlichten Daten. Demnach haben die Golf-Geber zwischen 2013 und 2017 68 Prozent ihrer finanziellen Hilfen für Entwicklungsmaßnahmen im Nahen Osten und in Nordafrika ausgegeben. Ägypten, Jemen und Marokko erhielten dabei 60,3 Prozent.
Allerdings sind die für die MENA-Region bestimmten Mittel zwischen 2013 und 2017 um 11,2 Prozent zurückgegangen, während die Mittel für Subsahara-Afrika im selben Zeitraum um 46,6 Prozent zunahmen. Hier sind insbesondere die Länder am Horn von Afrika, in der Sahel-Zone und in Westafrika Empfängerländer – und der Blick auf die Schwerpunkte der Hilfe zeigt drei weitere Motive der Entwicklungspolitik der Golfstaaten auf: Nahrungsmittelsicherung, wirtschaftliche Prosperität und geopolitische Mitbestimmung.
Die Golfstaaten (insbesondere Katar) haben in den vergangenen Jahren zwar große Anstrengungen unternommen, eigene Nahrungsmittelinfrastrukturen in ihren Ländern aufzubauen, sind aber nach wie vor in sehr hohem Maße auf Importe angewiesen. Daher fördern und investieren sie in die Agrarwirtschaft anderer Länder (insbesondere in Afrika) sowie in die Sektoren Transport, Infrastruktur und Logistik, um so einen Beitrag zur Sicherung der eigenen Nahrungsmittelversorgung zu leisten – eine Notwendigkeit, die durch die Unterbrechung von Lieferketten im Zuge der COVID-19-Pandemie nochmals deutlich wurde. Die beschriebenen regionalen Schwerpunktsetzungen sowie die Investitionsfelder verweisen auch auf die geopolitischen Interessen, die im Wettbewerb miteinander bzw. mit anderen Staaten verfolgt werden. So hat sich ein neues Great Game am Horn von Afrika entwickelt. Saudi-Arabien, die VAE, Katar sowie die Türkei, aber auch Russland, China und die USA bauen ihre Präsenz aus. Dabei verfolgen die Golfstaaten mehrere Interessen: Nahrungsmittelsicherung, Zugang zu Afrika sowie Sicherung der Seewege und der westlichen Grenzen.
Auch verfolgen die Golfstaaten eine Strategie des Exports von Elementen der eigenen wirtschaftlichen Reformmodelle und versuchen, selbst wirtschaftlichen Nutzen aus ihren Aktivitäten in den Empfängerländern zu generieren sowie ihre wirtschaftspolitischen Strategien der Diversifizierung zu stützen. So investierten die VAE etwa in Ägypten direkt in Immobilienwirtschaft und Industrie. Das entspricht dem eigenen Wirtschafts- und Entwicklungsmodell, das vor allem auf Infrastruktur- und Immobilienprojekte setzt. So werden Entwicklungspartnerschaften geschlossen, um Absatzmärkte zu erschließen, Folgeaufträge zu sichern, den eigenen Standort zu stärken sowie (wirtschaftliche) Netzwerke zwischen Geber- und Empfängerländern zu spannen. So kommt es zu einer Verflechtung von Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik.
Da Entscheidungen über Volumen, Art und Empfängerland von Entwicklungshilfe von den Königshäusern getroffen werden, wird diese Hilfe zu einer stark personalisierten Hilfe. Vor diesem Hintergrund dürfte auch prestige seeking und nation branding ein Motiv der Entwicklungshilfe sein. Die Golfstaaten stellen viel stärker als in der Vergangenheit öffentlich dar, was sie an Hilfe leisten, sei es durch entsprechende crossmediale Begleitung, sei es durch die Ausrichtung von entwicklungspolitischen Foren oder Großkonferenzen. So wird auch der Wille gezeigt, international mehr Verantwortung zu übernehmen, zuverlässiger Partner zu sein und in der internationalen Politik mitzugestalten.
Pragmatische Geber
Diese Mitgestaltung geschieht unter anderem durch bilaterale wie multilaterale Organisationen, die sich in der 1975 gegründeten Coordination Group of Arab National and Regional Development Institutions zusammengeschlossen haben, sowie weitere Organisationen in den einzelnen Golfstaaten. Die eingesetzten Finanzierungsinstrumente sind Kredite, Zuschüsse, Budgethilfen, Schuldenerlasse und (religiös motivierte) Spenden. Hinzu kommen Sachlieferungen in Form von teils subventioniertem Öl und Gas sowie Investitionen im Bau- und Immobilienwesen. Beiträge an internationale Organisationen fallen vergleichsweise geringer aus; die Golfstaaten leisten aber Beiträge für spezifische Programme, wenn es ihnen wichtig erscheint (beispielsweise für das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten oder humanitäre Hilfe für syrische Flüchtlinge). Entwicklungshilfe vom Golf bleibt bilateral.
Diese kann als besonders pragmatisch auf die Empfängerländer zugeschnitten beschrieben werden: Die Golfstaaten reagieren eher auf Nachfragen, als dass sie vorformulierte Hilfen oder selbst entwickelte Strategien umsetzen. Zudem stützen sie sich auf Berater, Expertise und Regierungsrepräsentanten in den Empfängerländern selbst. Konditionalität in dem Sinne, dass Finanzhilfen an Reformen in den Bereichen Finanzen, Wirtschaft oder Governance gebunden werden, ist nicht nur nicht zu erkennen, sondern wird abgelehnt. Die Entwicklungshilfe-Akteure der Golfstaaten sind skeptisch bis ablehnend, ihre Entwicklungshilfe im Rahmen internationaler Institutionen bzw. multilateral zu geben, wenn daran politische Forderungen geknüpft werden. Nichteinmischung und staatliche Souveränität sind seit jeher dominierende Argumentationsmuster. Hilfe, so der frühere Vorsitzende des Arab Fund im Jahr 2003 mit Blick auf die Coordination Group, müsse frei von politischen oder wirtschaftlichen Bedingungen gegeben werden.
„Giganten“ unter Druck
Ob die Golfstaaten ihr relativ starkes Engagement in der Entwicklungspolitik beibehalten können, bleibt abzuwarten. Die Entwicklung der Hilfsausgaben der „Giganten“ vom Golf verlief in der Vergangenheit meist parallel zur Entwicklung der Öleinnahmen beziehungsweise zur wirtschaftlichen Situation sowie den politischen Prioritäten. So wuchsen in den 1970er Jahren die Einnahmen durch Ölverkäufe in einem Maße, das es den in der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) vertretenen Staaten erlaubte, durchschnittlich 12,48 Prozent des Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe aufzuwenden. In den 1980er und 1990er Jahren waren die Golf-Geber zurückhaltender, da die finanziellen Erlöse durch Öleinnahmen zurückgingen und sich nach der irakischen Invasion in Kuwait die politischen Prioritäten am Golf Richtung eigener Sicherheit verschoben. Während des Ölbooms 2003 bis 2008 bauten die Golfstaaten zwar finanzielle Reserven von bis zu 514 Milliarden US-Dollar auf, die Entwicklungshilfe wurde jedoch nur moderat angehoben und bewegte sich eher auf dem Niveau der späten 1980er Jahre. Erklärt wird dies auch mit den Folgen des 11. September 2001: Finanzielle Leistungen der Golfstaaten an Länder wie Afghanistan und Pakistan, aber auch die Tätigkeiten islamischer Wohltätigkeitsorganisationen wurden besonders kritisch betrachtet. Insbesondere in der Ölpreishochphase 2010 bis 2014 erzielten die Staatshaushalte hohe Überschüsse und die Mittel für Entwicklungshilfe stiegen.
Diese kleine Geschichte der Entwicklungshilfe der Golfstaaten zeigt, dass sie sehr volatil sein kann – je nach wirtschaftlicher Situation und aktueller politischer Prioritätensetzung. Mehrere Entwicklungen legen nahe, dass die Golfstaaten ihr entwicklungspolitisches Engagement künftig etwas zurückfahren könnten. Seit 2014 ist der Ölpreis auf einem niedrigen Level (unter anderem aufgrund der Schiefergas-Revolution, eines allgemeinen Trends weg von fossilen Energieträgern sowie eines schwächeren globalen Wachstums). Damit gingen die staatlichen Einnahmen zurück, der Druck auf die Haushalte wuchs. Zudem markierte der Beginn der COVID-19-Pandemie für die Golfstaaten den Beginn einer mehrfachen Krise: Die Öleinnahmen gingen weiter zurück, der internationale Warentransport verlangsamte sich, Tourismus und Flugverkehr brachen ein. Es sind jene Felder, auf die die Golfstaaten besondere Hoffnungen setzen, um sich auf ein Post-Öl-Zeitalter vorzubereiten. Als Reaktion auf die Pandemie wurden unter anderem Gehälter im öffentlichen Sektor erhöht, Leitzinsen gesenkt, Kreditrückzahlungen aufgeschoben und Stützungsprogramme für den Privatsektor aufgelegt. Die Haushaltsdefizite steigen und die Finanzreserven nehmen ab. Für alle Golfstaaten wird mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts gerechnet. Diese Problematiken sind Anfang 2021 nicht überwunden. Damit wird der schon vor der COVID-19-Pandemie bestehende Druck auf die Golfstaaten noch größer; mindestens sind die wirtschaftlichen Aussichten ungewiss. Da die Golfstaaten bisher als Rentierstaaten aufgebaut waren, liegt die Vermutung nahe, dass sie externe Entwicklungshilfe dann zurückfahren, wenn sie intern finanzielle Hilfen ausweiten müssen. Diese Vermutung wird durch die Beobachtung gestützt, dass die Golfstaaten angesichts der Pandemie zwar materielle und finanzielle Soforthilfe an eine Reihe von Staaten leisteten (insbesondere Marokko, Ägypten, Tunesien, Iran, Jordanien, Jemen), zugleich aber ihr entwicklungspolitisches Engagement teilweise zunächst ins Inland verlagerten.
Neben der wirtschaftlich begründeten Volatilität lässt sich auch eine politisch begründete Volatilität aufzeigen. So war etwa die politische und finanzielle Unterstützung der Palästinensischen Gebiete über Jahrzehnte Teil der Staatsräson aller Golfstaaten. Hier scheinen sich aber Risse abzuzeichnen. Der Kern der arabischen Friedensinitiative von 2002 – perspektivische Normalisierung der Beziehungen zu Israel, wenn zuerst ein für die Palästinenser akzeptabler Friedensschluss mit Israel eingegangen wird – gilt jedenfalls nicht mehr für die VAE und Bahrain. Beide normalisieren ihre Beziehungen mit Israel und zeigen damit, dass die palästinensische Sache nicht mehr prioritär ist. In allen Golfstaaten finden sich kritische Stimmen zur Leistungsfähigkeit der palästinensischen Autonomiebehörde und es ist nicht auszuschließen, dass Entwicklungshilfe entweder als Druckmittel für Reformen eingesetzt oder weiter abnehmen wird.
Potenziale einer gemeinsamen Entwicklungspolitik
Seit den 1970er Jahren gibt es verschiedene Modi der Zusammenarbeit zwischen den Golfstaaten und dem OECD Development Assistance Committee (DAC). Bisher hat sich laut OECD die Zusammenarbeit in drei Dimensionen manifestiert: Erstens ermutigt das DAC die Golfstaaten, ihr Engagement an die OECD in Form von Daten und Statistiken zu übermitteln, um das globale Entwicklungsgeschehen abbilden zu können. Auch ermutigt das DAC, die Genauigkeit, Aktualität und Transparenz der Daten zu verbessern. Zweitens wird der regelmäßige politische Austausch und die Zusammenarbeit zwischen DAC- und Golf-Gebern gefördert (durch den Arab-DAC Dialogue on Development und Arab-DAC Task Forces zu Themen wie Bildung, Energie und Wasser). Drittens können die VAE, Katar, Saudi-Arabien und Kuwait als DAC-Teilnehmer allen DAC-Sitzungen beiwohnen und sich in DAC Communities of Practice einbringen; sie tauschen sich also aus zu Themen wie Statistik und Evaluierung, Umwelt, Konflikt und fragile Staaten oder Geschlechtergerechtigkeit. Das DAC und die Coordination Group of Arab National and Regional Development Institutions treffen sich regelmäßig zum Arab-DAC Dialogue on Development; zuletzt im Februar 2021. „Alles in allem“, so die OECD, „hat die Zusammenarbeit den DAC-Mitgliedern und anderen Staaten ein besseres Verständnis der arabischen Entwicklungszusammenarbeit vermittelt. […] Durch den Politikdialog mit dem DAC und seinen Mitgliedern profitieren die arabischen Länder und Institutionen vom Austausch von Wissen [und] Erfahrungen […] zu unterschiedlichen Themen der Entwicklungszusammenarbeit.“ Auch beteiligen sich Organisationen der Golfstaaten seit 2014 an Dreieckskooperationen in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit und bekennen sich zu den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs). International mehr Verantwortung übernehmen, sich am internationalen Dialog zu Entwicklungspolitik beteiligen, mehr Transparenz durch die Veröffentlichung von Daten zur Entwicklungshilfe herstellen: Die Golfstaaten sind in diesen Bereichen große Schritte auf die OECD-Länder zugegangen.
Nichtsdestotrotz überwiegt der bilaterale Ansatz weiterhin. Das Grundkonzept der Nicht-Konditionalität wird nicht infrage gestellt, die Autonomie der eigenen Entwicklungspolitik soll gewährleistet werden und Stabilität und Sicherheit sowie der Erfolg der eigenen Reformpolitiken werden der Entwicklungspolitik übergeordnet.
Zugleich könnten die oben beschriebenen Imperative der Golf-Entwicklungspolitik bei gleichzeitig zurückgehenden finanziellen Ressourcen dazu führen, dass nach Wegen gesucht wird, sich regional und international noch stärker abzustimmen und Synergien zu erreichen. Eine weitere Folge zurückgehender Finanzmittel für externe Entwicklungsmaßnahmen könnte eine Neujustierung der Schwerpunktsektoren sein: weniger die Investition großer Finanzvolumina in Transport, Infrastruktur und Logistik, dafür mehr Entwicklungshilfe in Bereichen wie der Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen sowie von Gründerinnen und Gründern, Start-ups, Bildung, Ausbildung und capacity building von Jugendlichen und insbesondere Frauen sowie Geschlechtergerechtigkeit. Dabei sind die genannten Bereiche auch jene, die im Zentrum der eigenen Reformpläne am Golf stehen und mit denen das Ziel verbunden sein dürfte, durch die gewonnenen Erfahrungen und wirtschaftlichen Netzwerke den eigenen Diversifizierungspfad breiter zu machen und die Gefahren, die durch Arbeitslosigkeit und soziale Unzufriedenheit für die regionale Stabilität entstehen können, abzumildern. Außerdem sind es Bereiche, in denen es Interessenkongruenzen beispielsweise mit deutscher Entwicklungspolitik geben dürfte. Ein weiteres mögliches Feld der Kooperation zwischen DAC- und Golf-Entwicklungspolitik ergibt sich in der Energie- und Umweltpolitik. Die Golfstaaten haben in den vergangenen Jahren Kapazitäten aufgebaut, um sich auf ein Post-Öl-Zeitalter vorzubereiten. So haben sie beispielsweise Forschungskapazitäten für alternative Energien und Energieeffizienz geschaffen und fördern entsprechende Programme und Initiativen im In- und Ausland. Auf diesen Feldern würde sich das Instrument der Dreieckskooperation – beispielsweise unter Beteiligung einer deutschen Entwicklungsorganisation und einer Golf-Organisation – anbieten. Die im DAC organisierte Entwicklungspolitik könnte so auch von dem Know-how profitieren, das die Golfstaaten in ihren Schwerpunktsektoren aufgebaut haben, sowie von dem Vertrauen, das ihnen als arabische Geber im arabisch und muslimisch geprägten Raum entgegengebracht wird.
In den genannten Bereichen ergeben sich nicht nur Anknüpfungspunkte, sondern werden bereits gemeinsame Vorhaben umgesetzt. Die deutsche Entwicklungspolitik hat hinsichtlich der Kooperation mit den Golfstaaten Pionierarbeit beispielsweise durch die Aktivitäten des GIZ-Programms „Zusammenarbeit mit Gebern aus den arabischen Golfländern (CAD)“, Partnerschaftsabkommen oder Kofinanzierungen geleistet. Dies zeigt, dass bei allen Unterschieden in Motiven und Ansätzen eine partnerschaftliche Zusammenarbeit möglich ist. Eine Zusammenarbeit, die angesichts perspektivisch abnehmender finanzieller Mittel bei gleichzeitig zunehmenden globalen Herausforderungen geboten ist.
Fabian Blumberg ist Leiter des Regionalprogramms Golf-Staaten der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Amman, Jordanien.
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