Ausgabe: Sonderausgabe 2021/2021
Wenn die Frage gestellt wird, wie Europa in Afrika wahrgenommen wird, kann es darauf keine einfache Antwort geben. Zu vielfältig und divers sind die Perzeptionen; zu mannigfaltig die prägenden Erfahrungen. Für die Flüchtlinge, die danach streben, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen, ist der alte Kontinent ein Sehnsuchtsort, der ihnen und ihren Familien Hoffnung auf ein besseres Leben verspricht. Für viele Vertreter der Zivilgesellschaft in Afrika steht Europa für gut gemeinte Entwicklungshilfe, die danach trachtet, die nicht selten schwierigen Governance-Strukturen auf dem Kontinent in Richtung wahrer Demokratie zu verbessern – einer Demokratie, in der Regierungswechsel möglich sind und sich eine freie Zivilgesellschaft auch in Reibung zur herrschenden Elite entwickeln kann. Aber gerade dieses Ziel europäischer Entwicklungszusammenarbeit betrachtet mancher Präsident in Afrika als Fortsetzung der Bevormundung durch den alten Kontinent mit anderen Mitteln. Hinzu kommt die aktuelle Diskussion um Restitution und Wiedergutmachung von Kolonialverbrechen; hier wird Europa an seine eigene, nicht immer ruhmvolle Vergangenheit erinnert.
Dabei gibt sich Europa zweifellos Mühe, seine vielfältigen Beziehungen zu Afrika gerade zum jetzigen Zeitpunkt weiter zu intensivieren. Dass die erste Auslandsreise der neuen Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, im Dezember 2019 nach Addis Abeba – dem Sitz der Afrikanischen Union – geführt hat, war ein deutliches Zeichen in diese Richtung. Und dieses Zeichen wurde von vielen afrikanischen Politikern auch tatsächlich als solches wahrgenommen und begrüßt.
Die EU in der Kritik: Agrar-, COVID-, Versöhnungspolitik
Auch der Entwurf für eine neue Strategie für die Entwicklung der bilateralen Beziehungen soll die gestiegene Bedeutung Afrikas in den Außenbeziehungen der EU hervorheben. Jedoch wird von afrikanischer Seite vielfach kritisiert, dass dieser Vorschlag ohne Beteiligung der afrikanischen Seite vorgelegt worden sei und damit legitime Interessen Afrikas nicht ausreichend berücksichtigt würden. Ein afrikanischer Diplomat in Brüssel brachte es auf den Nenner: „Es sollte Partnerschaft geben, bei der nicht eine Seite der anderen vorschreibt, was zu tun ist.“
Ein zentraler Bereich, der immer wieder von afrikanischer Seite kritisiert wird, ist die Agrarpolitik der EU. So hat der ehemalige VN-Generalsekretär Kofi Annan schon vor Jahren einen Witz wiedergegeben, wonach die EU „ausreichend Subventionen an die eigenen Bauern verteile, um jede Kuh in Europa einmal erster Klasse um die Welt fliegen zu können und immer noch Geld übrig zu haben.“ Und er ergänzte: Landwirtschaftssubventionen in den reicheren Ländern stellen eine „Herausforderung“ für Afrika dar. So wird berichtet, dass 90 Prozent des in Ghana in Supermärkten verkauften Hühnerfleisches nicht aus heimischer Produktion stammen, sondern aus der EU und den USA importiert sind. Aber auch darüberhinausgehend wird Kritik an Europa geübt. So sagte der CEO von Casablanca Finance City, Said Ibrahimi, mit Blick auf die mangelhafte Integration des afrikanischen Marktes recht resigniert und durchaus auch selbstkritisch: „In der Vergangenheit sagten wir, dass die europäischen Länder nur in Afrika seien, um unsere natürlichen Ressourcen auszubeuten, heute nehmen sie unsere menschlichen Ressourcen aufgrund des Mangels an afrikanischen Märkten und inner-afrikanischer Integration.“
Auch in der aktuellen COVID-Krise wird Europa immer wieder kritisiert. Obwohl man durchaus anerkennt, dass die EU mit Team Europe einen enormen Beitrag zur COVAX-Initiative leistet, mit der Impfstoffe insbesondere für ärmere Länder weltweit bereitgestellt werden, haben hohe Repräsentanten aus Südafrika und Kenia in den vergangenen Monaten auch den Vorwurf der „Impfstoff-Apartheid“ (vaccine apartheid) in den Raum gestellt. Dies bezieht sich nicht zuletzt darauf, dass 75 Prozent aller Impfdosen weltweit bislang (Sommer 2021) in nur zehn Ländern verabreicht worden sind. Dieser Vorwurf, der sich nicht allein gegen Europa, sondern den gesamten Westen richtet, wurde auch vom Generaldirektor der WHO, dem Äthiopier Tedros Adhanom Ghebreyesus, geteilt.
Wird hier versucht, eine historische Analogie für aktuelle Herausforderungen anzuführen, gibt es auch zunehmend die Notwendigkeit, Geschichte aufzuarbeiten. Die aktuellen Bemühungen Deutschlands, seine historische Schuld gegenüber den Hereros und Nama für begangenes Unrecht während der Kolonialzeit im heutigen Namibia aufzuarbeiten, stoßen dort auch auf Widerstände. Zu divers sind auch hier die Interessen und die Perspektiven. So konnten die sechs Jahre andauernden Verhandlungen zwischen den Regierungen Deutschlands und Namibias zwar kürzlich zu einem erfolgreichen Ende geführt werden. Manche Vertreter der betroffenen Volksstämme lehnen dieses Abkommen jedoch als „PR-Coup“ ab: „Das sogenannte Aussöhnungs-, nicht Wiedergutmachungsabkommen, ist ein PR-Coup Deutschlands und ein Akt des Verrats durch die namibische Regierung.“
Blick auf die Gegensätze
Jenseits der hohen Politik jedoch gibt es durchaus Positives zu vermelden. Eine kürzliche, nicht-repräsentative Umfrage unter afrikanischen Stipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung in Deutschland hat sehr positive Rückmeldungen ergeben. So antworteten die Stipendiaten auf die spontane Frage, was sie mit Europa assoziieren und wie sie Europa wahrnehmen: „Europa ist ein Kontinent mit sehr hoch entwickelten Ländern und einem sehr hohen Organisationsniveau insbesondere auf Ebene der Regierungen“; „Europa ist ein Ort der Macht und der Hochtechnologie“; „ein Ort vielfältiger Möglichkeiten und herausragender Bildungsqualität“. Eine Stipendiatin sprach mit vergleichendem Blick davon, dass sich die beiden Kontinente sowohl in Klima als auch wirtschaftlicher Situation fundamental unterschieden und es sich bei ihnen letztlich um Nachbarkontinente handele, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Vielleicht ist es gerade das, was die Wahrnehmung Europas durch Afrika letztlich lenkt: der Blick auf das eigentlich Gegensätzliche.
Dr. Stefan Friedrich ist Leiter der Abteilung Subsahara-Afrika der Konrad-Adenauer-Stiftung.