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Auslandsinformationen

Gefangen im Krisenmodus des Status quo

Jordanien ist auch dank deutscher Unterstützung stabil – doch eine politische Strategie fehlt

Jordanien ist während der vergangenen Dekade zu einem der Top-Empfänger deutscher Entwicklungsgelder avanciert. Damit wird – durchaus erfolgreich – ein Stabilitätsanker in der sonst so unruhigen Nahost-Region unterstützt, der mit dem Westen kooperiert. Doch nicht nur droht sich die internationale Hilfe für Jordanien im Klein-Klein zu verlieren. Der Zustrom von Geld aus dem Ausland nimmt Reformdruck von den Eliten. Das Land steckt fest im Kreislauf der Abhängigkeit. Anstatt immer neuer Projekte bedarf es einer politischen Strategie – auch für die deutsch-jordanische Entwicklungszusammenarbeit.

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Jordanien ist eine autoritär regierte Monarchie, versetzt mit demokratischen Elementen. Eine öffentliche politische Debatte ist möglich, mitunter auch sehr heftige Kritik an der Regierung, nicht zuletzt im gewählten Parlament des Haschemitischen Königreichs. Doch was sich der Abgeordnete Mohammed Al-Fayez Ende 2022 geleistet hat, ging offensichtlich zu weit. Während wochenlange Streiks und Proteste der Spediteure und Lastwagenfahrer gegen steigende Kraftstoffpreise weite Teile des jordanischen Hinterlands lahmlegten, war der Premierminister des Königreichs zu Konsultationen (und offenbar mit der Hoffnung auf eine Finanzspritze) nach Riad gereist. Al-Fayez veröffentlichte daraufhin einen Brief an den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Darin beklagte er, die großzügige Unterstützung Saudi-Arabiens für Jordanien fülle „nur die Taschen einer korrupten Klasse, die sich auf Kosten der jordanischen Würde bereichert“. Die Jordanier seien zu stolz, um Bettler genannt zu werden, echauffierte sich der Parlamentarier: „Wir wollen eure Hilfe nicht!“ Umgehend wurde Al-Fayez, obgleich aus einer einflussreichen Familie stammend, mit großer Mehrheit per Parlamentsbeschluss seines Mandats enthoben und verschwand von der politischen Bühne.

Mit seinem provokativen Schreiben hat Al-Fayez einen Populismus an den Tag gelegt, der nicht nur Jordaniens Eliten ein Gräuel ist. Viele Jordanier befürchten, dass eine im demokratischen Gewand daherkommende politische Aufwiegelung die Stabilität ihres demografisch und gesellschaftlich heterogenen Landes gefährden könnte. Doch gleichzeitig legte der Parlamentarier den Finger in eine offene Wunde. Täglich hören die Jordanier von Entwicklungsprojekten und Hilfsgeldern, die ins Land fließen, während sich die soziale Ungleichheit verschärft. Die Klagen über eine abnehmende Leistungsfähigkeit des Staates – von der Verwaltung über Bildung bis zur Gesundheitsversorgung – werden lauter; jedenfalls seitens derjenigen, die nicht über gute Kontakte in die Behörden verfügen und die sich die teuren Privatschulen und topmodernen Privatkliniken in der Hauptstadt Amman (oder im Ausland) nicht leisten können.

Inwiefern stetig fließende Entwicklungsgelder von außen den Reformdruck im Empfängerland reduzieren, dysfunktionale Strukturen aufrechterhalten und damit gegebenenfalls kontraproduktiv wirken, ist seit Jahrzehnten immer wieder Gegenstand politischer und akademischer Debatten. In der Wissenschaft ist es mittlerweile Mehrheitsmeinung, dass eindeutige und allgemeingültige Schlussfolgerungen nicht gezogen werden können. Es komme eben auf den Einzelfall an. Und auch Jordanien zeigt, dass es eine einfache Antwort nicht gibt. Die massive internationale Unterstützung ist Segen und Fluch zugleich. Begründet ist sie in der geopolitischen Bedeutung des Landes.

 

Geopolitische Bedeutung Jordaniens

„Stabilitätsanker“ ist das Attribut, das westliche und deutsche Politiker am meisten benutzen, wenn sie von Jordanien sprechen. Und es stimmt ja auch. Mit Syrien und dem Irak grenzt Jordanien an zwei Länder, die in den vergangenen beiden Dekaden von Bürgerkrieg, Stellvertreterkonflikten und Terrorismus erschüttert wurden. Im Westen, jenseits des Jordan, schwelte lange der israelisch-palästinensische Konflikt, bevor dieser mit dem massiven Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und den nachfolgenden israelischen Militäraktionen im Gazastreifen eskalierte. Jordaniens südlicher Nachbar Saudi-Arabien ist für Europa und die USA ein sperriger Partner, der zunehmend eigenständig und selbstbewusst auftritt.

Ungeachtet seiner Beteiligung an den arabisch-israelischen Nahostkriegen 1948/1949, 1967 und (mit geringer Intensität) 1973, pflegt Jordanien seit jeher ein kooperatives Verhältnis zum Westen. Im Kalten Krieg galt das Haschemitische Königreich als Bollwerk gegen den revolutionär aufgeladenen Sozialismus arabischer Republiken. Zuletzt hat es sich zu einem wichtigen Stützpunkt westlicher Truppen für Operationen im Nahen und Mittleren Osten entwickelt. Die Bundeswehr ist seit 2017 in Jordanien und beteiligt sich von dort aus am internationalen Antiterrorkampf im Irak. Die USA erhöhen mit der Reorganisation ihrer Streitkräfte in der Region sogar ihre Präsenz im Land und haben dort mittlerweile mehr als 3.000 Soldaten stationiert. Anfang 2021 wurde ein neues amerikanisch-jordanisches Verteidigungsabkommen unterzeichnet, welches der US-Armee unter anderem erlaubt, Truppen und Material ohne spezifische Kontrollen nach Jordanien einzuführen und dort frei zu bewegen. Als „amerikanischen Flugzeugträger in der Wüste“ betitelt so mancher Diplomat augenzwinkernd das Land.

Für die US-Amerikaner wie für die Deutschen bedeutet eine Unterstützung Jordaniens immer auch eine Unterstützung Israels. Bereits 1994 unterzeichneten Tel Aviv und Amman einen Friedensvertrag. Israel teilt mit Jordanien seine mit 240 Kilometern längste Grenze, die nicht zuletzt dank der Sicherheitskooperation beider Länder seit Jahrzehnten befriedet ist. Jordanien verfügt darüber hinaus immer noch über gute Verbindungen zu den Palästinensern, insbesondere zur Palästinensischen Autonomiebehörde, und bemüht sich um eine moderierende Rolle im Nahostkonflikt. Gerade für Deutschland kommt eine weitere Motivation für die Stabilisierung Jordaniens hinzu: die Aufnahme von Flüchtlingen. Das Land war bereits in der Vergangenheit Zufluchtsort für Hunderttausende Palästinenser, die in den israelisch-arabischen Kriegen aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Seit dem Beginn des Bürgerkriegs in Syrien 2011 flohen zudem von dort mehr als eine Million Menschen nach Jordanien – also eine Größenordnung von rund zehn Prozent der jordanischen Bevölkerung.

Jordanien hat für die Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten eine Schlüsselfunktion.

Doch auch jenseits seiner sicherheits- und flüchtlingspolitischen Rolle hat Jordanien für die Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten eine Schlüsselfunktion. Große regionale Infrastrukturprojekte setzen allein qua Geografie die Beteiligung Jordaniens voraus, das darüber hinaus aufgrund seiner traditionell gemäßigten und dialogorientierten Außenpolitik bei vielen regionalen Akteuren einen guten Ruf genießt. Dies gilt für derzeit noch futuristisch anmutende Ideen wie eine Eisenbahnverbindung zwischen Saudi-Arabien und Israel genauso wie für die konkreten Bemühungen zur Stärkung der regionalen Energie- und Elektrizitätskooperation. Prominentes Beispiel hierfür ist die Wiederinbetriebnahme beziehungsweise der Ausbau der Arab Gas Pipeline, mit der ägyptisches Gas über Jordanien nach Syrien und in den Libanon geliefert werden soll. Vor dem Hintergrund dieser geostrategischen Lage hat Jordanien schon seit seiner Staatsgründung das Interesse – und damit Ressourcen – auch westlicher Mächte angezogen.

 

Ein Land am Tropf

Der Vorläufer des Königreichs Jordanien, das Emirat Transjordanien, war 1921 aus der Konkursmasse des Osmanischen Reichs nach dessen Niederlage im Ersten Weltkrieg hervorgegangen. Dem damaligen britischen Kolonialminister Winston Churchill wird das Zitat zugeschrieben, er habe das Land „mit einem Federstrich an einem Sonntagnachmittag“ erschaffen. Der zu dieser Zeit noch dünn besiedelte Wüstenstreifen östlich des Jordan war von weitgehend unabhängig agierenden Stämmen dominiert und zugleich Zufluchtsort für arabische Nationalisten aus der Levante, die von dort gegen kolonialen Einfluss und für ein arabisches Großreich kämpften. Zugleich baute sich der haschemitische Prinz Abdullah eine eigene Machtbasis in Transjordanien auf. Abdullah war einer der Söhne des Scherifen von Mekka, der im Weltkrieg auf der Seite Großbritanniens gegen die Osmanen gekämpft hatte. Die Briten unterstützten dessen Herrschaftsambitionen nun auch, um die Gegend in ihrem Sinne zu befrieden. Tatsächlich wäre es Abdullah ohne das Handgeld aus London und die Hilfe der Royal Airforce wohl kaum gelungen, widerspenstige ortsansässige Stammesführer unter Kontrolle zu bringen und die Angriffe von Wüstenkriegern aus der Arabischen Halbinsel abzuwehren. Internationale Unterstützung war also von Anfang an eingeschrieben in das Herrschaftsmodell des jungen Staates, der sich nicht zuletzt deshalb trotz seiner spärlichen Ressourcen und der Expansionsgelüste seiner mächtigeren Nachbarn behaupten konnte.

In den 1950er-Jahren lösten die USA die Briten als Schutzmacht Jordaniens ab. Bis heute sind die Vereinigten Staaten der wichtigste Geber des Landes. Ihre bisherige Finanzhilfe summiert sich auf mehr als 26 Milliarden US-Dollar und hat sich mittlerweile bei rund 1,5 Milliarden US-Dollar jährlich eingependelt. Jordanien ist damit derzeit (nach Israel) der zweitgrößte Empfänger US-amerikanischer Finanzhilfen überhaupt. Nach den USA rangieren die Weltbank und Deutschland in der Geberliste. Im Jahr 2022 verzeichnete die jordanische Regierung ausländische Unterstützung, einschließlich zinsgünstiger Kredite und der Mittel für die Versorgung syrischer Flüchtlinge, in Höhe von 4,4 Milliarden US-Dollar (davon rund 40 Prozent als Budgethilfe) – bei einem Staatshaushalt von insgesamt rund 10 Milliarden US-Dollar. Hinzu kommen Investitionen für spezifische Infrastrukturprojekte wie Schnellstraßen und Krankenhäuser aus den arabischen Golfstaaten, die nicht unbedingt statistisch als Entwicklungshilfe erfasst werden (aber für die jordanische Bevölkerung umso sichtbarer sind).

Gelänge Jordanien eine stärkere Emanzipation von internationalen Hilfsgeldern, könnte seine Außenpolitik unabhängiger werden.

 

Abb. 1: Entwicklung internationaler Finanzhilfen für Jordanien (in Mio. US-Dollar)

https://www.kas.de/documents/d/auslandsinformationen/ratka_abb_1_de

Angaben für 2016 bis 2019 ohne Mittel für Flüchtlingshilfe. Quellen: eigene Darstellung nach Ministry of Planning and International Cooperation 2019: Foreign Assistance Report 2019, in: https://ogy.de/9p85 [28.07.2023].

 

 

De facto folgt Jordanien damit teilweise einem Rentier-Staatsmodell, wobei der externe Kapitalzufluss nicht (wie beispielsweise typisch für die Monarchien am Golf) durch den Export von Öl und Gas, sondern durch das Einwerben internationaler Hilfsgelder generiert wird. Dass ein Rentiermodell Nachteile für die demokratische Entwicklung eines Landes und für eine diversifizierte und innovative Wirtschaft hat, ist seit Langem gerade mit Blick auf die arabische Welt konstatiert worden. Dies trifft zumindest in abgeschwächter Form auch auf Jordanien zu, wie jüngst der ehemalige Außenminister des Landes Marwan Muasher ganz offen beklagte: „Die derzeitige wirtschaftliche Lage Jordaniens ist in erster Linie das Ergebnis von der wirtschaftlichen und politischen Entscheidung, sich weitgehend auf Zahlungen und Hilfen aus dem Ausland zu verlassen. Die Regierung hat es schlicht versäumt, eine Wirtschaft zu entwickeln, die auf Leistung, Produktivität und eigenen Ressourcen beruht.“ In der Tat hat sich das jährliche Wachstum in Jordanien im vergangenen Jahrzehnt auf knapp mehr als zwei Prozent der Wirtschaftsleistung beschränkt. Jeder dritte jordanische Beschäftigte arbeitet im öffentlichen Sektor, dessen Aufnahmekapazität mittlerweile erschöpft ist. Die Arbeitslosenquote in Jordanien liegt bei mehr als 20 Prozent, bei jungen Erwachsenen ist sie doppelt so hoch. Die Frauenerwerbsquote gehört mit 14 Prozent zu den niedrigsten weltweit.

Das Volumen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit Jordanien hat sich innerhalb einer Dekade verzehnfacht.

Hinzu kommt die mit der Abhängigkeit von internationalen Hilfsgeldern einhergehende Einschränkung politischer Handlungsfreiheit. Jordanien spürte dies besonders deutlich, als es sich gegen den US-geführten Militäreinsatz gegen den Irak 1991 stellte und daraufhin die USA und die Golfstaaten ihre Unterstützung vorübergehend einstellten. Heutzutage hört man in Amman immer öfter die Klage, dass Jordanien im Nahostkonflikt und vor allem gegenüber Israel seine eigenen Interessen nicht entschiedener vertreten könne, weil es zu viel Rücksicht auf die Positionen in westlichen Hauptstädten nehmen müsse. In der Wirtschaftspolitik müsse Jordanien ebenfalls den Vorgaben internationaler Finanzinstitutionen folgen, mit negativen Auswirkungen für die Legitimität politischer Entscheidungen innerhalb der eigenen Bevölkerung. Umgekehrt gilt auch: Gelänge Jordanien eine stärkere Emanzipation von internationalen Hilfsgeldern, könnte seine Außenpolitik unabhängiger werden – und damit eben auch unabhängiger vom Westen. Liegt das im deutschen Interesse?

 

Abb. 2: Deutsche Entwicklungsgelder für Jordanien (in Mio. Euro)

https://www.kas.de/documents/d/auslandsinformationen/ratka_abb_2_de

Quellen: eigene Darstellung auf Basis von durch die OECD veröffentlichten Angaben, umgerechnet in Euro, siehe OECD Library, in: https://stats.oecd.org [28.07.2023].

 

 

Doch bis auf Weiteres bleibt das jordanische Staats- und Wirtschaftsmodell auf externe Unterstützung angewiesen. Seit dem Ausbruch des „Arabischen Frühlings“ und der syrischen Flüchtlingskrise vor mehr als zehn Jahren haben sich die internationalen Hilfsgelder für Jordanien verdreifacht und auf hohem Niveau stabilisiert.

 

Deutsche Entwicklungszusammenarbeit in Jordanien

Mit den als „Arabischer Frühling“ bekannten Bürgerprotesten begann eine Schockwelle in der arabischen Welt, die mit dem Bürgerkrieg in Syrien eine besonders zerstörerische Wendung nahm. Jordanien wurde durch den Flüchtlingsstrom aus seinem Nachbarland und den Zusammenbruch der syrisch-jordanischen Wirtschaftsbeziehungen hart getroffen. Gleichzeitig gewann es als einer der verbleibenden stabilen Staaten in der krisen- und kriegsgeschüttelten Region an Bedeutung – gerade auch für Deutschland. Das Volumen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit Jordanien hat sich innerhalb einer Dekade verzehnfacht – von rund 40 Millionen Euro vor dem „Arabischen Frühling“ auf mittlerweile um die 400 Millionen pro Jahr. 2019 machte Deutschland eine Rekordzusage von 729 Millionen Euro (für teils mehrjährige Projekte), wovon der größte Teil auf die finanzielle Zusammenarbeit und zinsvergünstigte Kredite entfiel.

Mittlerweile gilt Jordanien als eines der wasserärmsten Länder der Welt.

Bei den jüngsten Regierungsverhandlungen im Oktober 2022 sagte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) beispielsweise 95 Millionen Euro allein für die Bildung und Beschäftigung syrischer Flüchtlinge zu. Seit Jahren fördert Deutschland unter anderem einen „Schichtbetrieb“ an jordanischen Schulen, indem unter anderem zusätzliche Lehrergehälter gezahlt werden. Damit ermöglicht es eine regelmäßige Schulbildung für 150.000 syrische Kinder. Auch dank der internationalen und gerade auch deutschen Unterstützung bei der Versorgung der Flüchtlinge konnten diese in Jordanien besser aufgenommen werden als in den anderen Nachbarländern Syriens. Gleichwohl drängt sich zunehmend die Frage auf, inwieweit die syrischen Flüchtlinge in die jordanische Gesellschaft integriert werden sollen oder ob in erster Linie auf eine baldige Rückkehrperspektive nach Syrien hingearbeitet werden soll. Letztgenanntes präferiert die jordanische Regierung, die langfristig keine Aufnahmekapazität für die Syrer in ihrem Land sieht und auch deshalb eine Annäherung an das Assad-Regime in Damaskus sucht. Deutschland und andere westliche Geber drängen hingegen auf verstärkte Integration. Zwar hofft eine Mehrheit der syrischen Flüchtlinge, „eines Tages“ zurückzukehren. Aber nur drei Prozent gaben in einer aktuellen Umfrage des UN-Flüchtlingshilfswerks an, sie beabsichtigten dies innerhalb des nächsten Jahres wirklich zu tun. Hier stellt sich also, wie in anderen Bereichen der deutsch-jordanischen Entwicklungszusammenarbeit, die Frage nach einer gemeinsamen Zielperspektive, die über eine unmittelbare Krisenbewältigung hinausgeht.

Bildung und Beschäftigung sind auch jenseits der Unterstützung für syrische Flüchtlinge Schwerpunkte deutscher Entwicklungszusammenarbeit, wobei der Fokus auf Frauen und ländlichen Regionen liegt. Aushängeschild Deutschlands im Bildungsbereich ist die 2005 gegründete Deutsch-Jordanische Hochschule (German Jordanian University, GJU). Rund 5.000 Studenten werden dort nach dem Modell einer deutschen Fachhochschule ausgebildet und absolvieren ein Pflichtsemester in Deutschland. Die GJU gilt zu Recht als Erfolgsmodell: Immer wieder trifft man in Jordanien Alumni, die als junge Führungspersonen mit Deutschlandbezug an verschiedenen Stellen im öffentlichen und privaten Sektor wirken. Doch die Breitenwirkung der Deutsch-Jordanischen Hochschule, die sich auch über hohe Studiengebühren finanziert, bleibt zwangsläufig begrenzt. Sie schreibt sich vielmehr ein in die in Jordanien zunehmende Aufteilung in gute, meist private Bildungseinrichtungen mit internationaler Ausrichtung einerseits und öffentliche Schulen und Universitäten andererseits, deren Qualität bestenfalls stagniert und deren Absolventen keinen Anschluss an den Arbeitsmarkt finden.

Der dritte und traditionell wichtigste Schwerpunktbereich deutscher Entwicklungszusammenarbeit behandelt mit dem Wassersektor eine für Jordanien existenzielle Ressource. Die Einwohnerzahl hat sich seit den 1960er-Jahren verzehnfacht, entsprechend stark stieg der Wasserbedarf. Doch drei Viertel der Landfläche Jordaniens bestehen aus Wüste, mittlerweile gilt es als eines der wasserärmsten Länder der Welt. Seit Jahrzehnten engagiert sich Deutschland in diesem Bereich – von Infrastrukturprojekten wie dem Bau von Kläranlagen und Brunnen bis zur Beratung bei der Reform des Wassertarifs. Allein die deutsche Entwicklungsbank KfW verzeichnet laufende Vorhaben im Wassersektor in Jordanien mit einem Volumen von mehr als 800 Millionen Euro. Derzeit plant Jordanien neue Großprojekte, die über die Entsalzung von Meerwasser an der israelischen Mittelmeerküste sowie vor der südjordanischen Hafenstadt Aqaba am Roten Meer zusätzliche Wasserressourcen erschließen sollen. Für letzteres Projekt hat auch die Europäische Investitionsbank einen Kredit von mehr als 500 Millionen Euro zugesagt. Bilateral wird Deutschland über die KfW weitere 65 Millionen Euro beisteuern.

 

Viel hilft viel?

Wenngleich Deutschland also an für Jordanien wichtigen Schwachstellen beziehungsweise Bedürfnissen ansetzt, zeigen sich grundsätzliche Herausforderungen für die Entwicklungszusammenarbeit – sowohl auf der strategischen als auch auf der operativen Ebene. Denn ungeachtet der Schwerpunktsetzung fehlt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit die Einbettung in eine politische Vision für das Land. Sie droht sich stattdessen in der ständigen Vermehrung und Verästelung von Projekten zu verlieren. Die Multiplikation deutscher Organisationen und politischer Stellen in immer mehr Themenbereichen führt unweigerlich zu Duplizierungen und macht eine Hebelwirkung der deutschen Unterstützung schwieriger – so sehr sich die involvierten Akteure vor Ort auch um Abstimmung bemühen mögen.

Im Bereich der Förderung der Zivilgesellschaft beispielsweise sind in Jordanien traditionell die politischen Stiftungen aktiv, hinzu kommen kirchliche und andere nichtstaatliche Organisationen. Obgleich diese teilweise mit einer Finanzierung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung arbeiten, beauftragt das BMZ die staatseigene Durchführungsorganisation, die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), mit immer neuen Vorhaben in diesem Bereich. Daneben verfügt seit einigen Jahren auch das Auswärtige Amt über seine eigene Stabilisierungsabteilung mit Fördersträngen für die Zivilgesellschaft, die auch in Jordanien ausgerollt werden. Im Juni 2023 lancierte dann noch die Europäische Union ein eigenes als „Demokratisierungsprojekt“ tituliertes Vorhaben mit einem Volumen von mehr als zehn Millionen Euro für die nächsten Jahre.

Der beständige Mittelfluss aus Europa und den USA birgt die Gefahr, die jordanische Politik aus der Pflicht zu nehmen.

Der deutschen und europäischen Sichtbarkeit und Gestaltungskraft dient ein solches Nebeneinander und Überlappen von Akteuren und Projekten, das es auch in anderen Themenbereichen gibt, nur bedingt. In einer repräsentativen Umfrage vom September 2023 sprechen sich zwar zwei Drittel der befragten Jordanier für eine Stärkung der Beziehungen zu Deutschland aus. Doch als wichtigste Partner Jordaniens werden Saudi-Arabien und die USA genannt. Auf der Liste der Länder, denen am meisten Einfluss in Jordanien zugeschrieben wird, stehen – nach den Spitzenreitern USA und Saudi-Arabien – unter anderem Großbritannien, China, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar und die Türkei vor der Bundesrepublik.

Der beständige, zunehmend unüberschaubare und politisch kaum konditionierte Mittelfluss aus Europa und den USA birgt zudem die Gefahr, die jordanische Politik aus der Pflicht zu nehmen. Anstatt beispielsweise die Rahmenbedingungen für zivilgesellschaftliches Engagement zu verbessern – etwa durch eine Stärkung bürgerlicher Freiheiten – wird lieber auf die nächste und übernächste Workshop-Reihe gedrängt. Doch wenn die unzähligen international finanzierten und für sich genommen durchaus sinnvollen Trainings- und Dialogmaßnahmen für jordanische Jugendliche sich in einen strukturellen Wandel übersetzen sollen, muss es einen realen gesellschaftlichen Raum für eine praktische Anwendung geben.

Zwar haben sich König Abdullah II. und die jordanische Regierung einem Reformdiskurs verschrieben und werben für mehr politisches Engagement gerade von jungen Menschen. Im Mai 2022 trat ein neues Wahl- und Parteiengesetz in Kraft, das zu einer Stärkung politischer Parteien und einem politisch aktiveren Parlament führen soll. Doch nach wie vor ist die Kontrolle der Behörden engmaschig. Manche Menschrechtsorganisationen beklagen sogar zunehmende Behinderungen für die kritische Zivilgesellschaft. Zuletzt löste ein im August 2023 verabschiedetes neues Gesetz zur Bekämpfung von Internetkriminalität Sorgen um eine Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit aus. Zu einem kuriosen Vorfall kam es im Sommer 2022 während der „Deutschen Woche“ auf dem Campus der Deutsch-Jordanischen Hochschule: Geheimdienstmitarbeiter sammelten Publikationen einer politischen Stiftung ein, die sich dort mit einem Stand präsentierte – obgleich die Bücher (zu den Themen Islamismus und israelisch-jordanische Beziehungen) bereits vor Jahren veröffentlicht und bei der jordanischen Nationalbibliothek registriert worden waren.

So überrascht es nicht, dass trotz der Appelle von höchster Regierungsebene für mehr politisches Engagement und einer Novelle des Rechtsrahmens, der nunmehr Parteiaktivitäten an Hochschulen erlaubt, viele junge Jordanier skeptisch bleiben: 60 Prozent der Studenten gehen einer Umfrage zufolge davon aus, sie würden von den Sicherheitsbehörden befragt werden, wenn sie an einer Parteiveranstaltung auf dem Campus teilnähmen.

 

Vom Krisenmodus zu einer politischen Strategie

Im Zuge des Zerfalls der regionalen Ordnung und der zahlreichen innerstaatlichen Konflikte im Nahen und Mittleren Osten hat die deutsche Außen- und Entwicklungspolitik Jordanien als Schlüsselstaat erkannt. Mit einem hohen Mitteleinsatz und der Fokussierung auf wichtige Bereiche wie Flüchtlinge, Bildung/Beschäftigung und Wasser hat sie einen Beitrag geleistet, das Land zu stabilisieren. Doch mehr als ein Jahrzehnt nach dem „Arabischen Frühling“ ist es höchste Zeit für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit, den Weg aus dem Modus der Krisenbewältigung und der Dauerfinanzierung des Status quo heraus zu finden. Drei Orientierungspunkte können hierfür hilfreich sein.

 

1. Weniger ist mehr


In Zeiten knapper öffentlicher Haushalte und mit Blick auf Herausforderungen der deutschen Außenpolitik andernorts, etwa in der Ukraine, wird die außergewöhnlich hohe finanzielle Unterstützung für Jordanien der vergangenen Dekade auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten sein. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit sollte dies als Chance begreifen, ihre Aktivitäten in Jordanien auf den Prüfstand zu stellen und stärker am eigenen Engagement der Jordanier auszurichten. Nur wo ein ernsthaftes und ehrliches Bemühen der jordanischen Regierung erkennbar ist, Strukturen zugunsten der Bevölkerung nachhaltig zu verbessern, sollte sich Deutschland einbringen. Würde deutsches Steuergeld am Ende vor allem Governance-Defizite und die Reformunwilligkeit von Machteliten kompensieren, drohte die gutgemeinte Unterstützung zum Hemmschuh substanzieller Entwicklung zu werden.

 

2. Komplementarität statt Dopplung


Der traditionell eher dezentrale Ansatz deutscher Außen- und Entwicklungspolitik hat nach wie vor seine Vorteile. Während beispielsweise die GIZ mit ihren in den Ministerien des Gastlandes eingebetteten Fachleuten ein enges Arbeitsverhältnis mit den Behörden hat, verfügen die unabhängig agierenden politischen Stiftungen über einen ausdifferenzierten und intensiven Kontakt in die Tiefenschichten der jordanischen Gesellschaft. Doch insbesondere in einem relativ kleinen Land wie Jordanien mit einer hohen Dichte an Entwicklungsprojekten müssen die spezifischen Aktionsfelder klar definiert sein und die betreffenden Organisationen ihre jeweiligen Kernkompetenzen ausspielen – gerade wenn verschiedene Bundesministerien in der Projektförderung aktiv sind. Das kann nur gelingen, wenn die Entwicklungszusammenarbeit in eine außenpolitische Gesamtstrategie eingebettet ist. Dabei gilt es, auch handels- und sicherheitspolitische Aspekte immer mitzudenken.

Deutschland kann nicht mehr nur ein großer Geber sein, sondern muss seine neue Rolle als politischer Partner finden.

 

3. Politische Vision


Die verschiedenen Akteure der deutschen Entwicklungszusammenarbeit können freilich nur dann an einem Strang ziehen, wenn die Richtung klar definiert ist. Mit einer bloßen Finanzierung des Status quo wird zwar Zeit gekauft – doch wofür und wie lange noch? 2021 und 2022 hat die jordanische Regierung auf persönliche Initiative von König Abdullah II. eine große Modernisierungsoffensive gestartet. Durch Reformen in Politik, Verwaltung und Wirtschaft soll das Land zukunftsfest gemacht werden. Das ist eine Chance auch für die Partner des Landes wie Deutschland, die jordanische Seite beim Wort zu nehmen und ihre Unterstützung neu zu fokussieren.

Anknüpfungspunkte und positive Ansätze gibt es dabei durchaus: Jordanien will sich beispielsweise zu einem Drehkreuz für regionale Energiekooperation entwickeln und gleichzeitig seineProduktion erneuerbarer Energien steigern. Deutschland unterstützt dies seit 2019 im Rahmen der vom Bundesministerium für Wirtschaftund Klimaschutz gesteuerten (und von der GIZ umgesetzten) Deutsch-Jordanischen Energiepartnerschaft. An der Deutsch-Jordanischen Hochschule wird derzeit ein binationaler Studiengang im Bereich Wasserstofftechnik entwickelt. Die KfW hat 2018 für das Flüchtlingslager Zaatari eine hochmoderne Photovoltaikanlage aus 30.000 Solarmodulen gebaut, die perspektivisch auch die umliegenden jordanischen Gemeinden versorgen könnte. Wenn es gelingt, solche Elemente noch stärker zu verzahnen, kann in der Tat in ausgewählten Sektoren eine wirkliche Hebelwirkung im Empfängerland erreicht werden.

In anderen Bereichen sind das Fehlen einer übergeordneten Strategie für das Land und die bislang unzureichende politische Konditionierung der deutschen Zusammenarbeit mit Jordanien offensichtlich. Wenn es Deutschland beispielsweise ernst meint mit der Unterstützung von Demokratisierungsprozessen und der Förderung der Zivilgesellschaft, müsste von der Bundesregierung gegenüber jordanischen Stellen das Defizit bei bürgerlichen Freiheiten, wie der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, deutlicher artikuliert werden. Und trotz aller deutschen Unterstützung im Wassersektor geht immer noch ein Viertel des Wassers durch technische Probleme an den Leitungen verloren. Durch Missmanagement und Diebstahl erreicht schließlich nur etwas mehr als die Hälfte des produzierten Wassers den Endkunden. Die jordanische Regierung hielt gleichzeitig ihre hohen Wassersubventionen aufrecht und scheute sich lange, der Wasserverschwendung in der Agrar- und Bauwirtschaft sowie in den wohlhabenderen Privathaushalten zu begegnen. Eine graduelle Preisreform soll nun Abhilfe schaffen.

Mit den Jordaniern in einen ernsthaften und ehrlichen Dialog zu treten und die deutsche Unterstützung stärker zu konditionieren, muss für die deutsch-jordanischen Beziehungen keine Belastung sein – im Gegenteil. Jordanien als gleichberechtigtem Partner zu begegnen bedeutet auch, dessen eigene Verantwortung herauszustellen und offen nach gemeinsamen Interessen und zukunftsträchtigen Kooperationsfeldern zu suchen. Der Nahe und Mittlere Osten verändert sich, die regionalen Akteure streben zunehmend nach eigener Gestaltungskraft. Für Jordanien heißt das, sich langfristig aus dem Kreislauf internationaler Abhängigkeit herauszuarbeiten – auch um den Preis mühsamer innenpolitischer Reformen. Und Deutschland braucht eine außen- und entwicklungspolitische Debatte, was es in der Region erreichen kann und will. Ein „Weiter so“ jedenfalls wird den neuen geopolitischen Dynamiken nicht gerecht. Deutschland kann nicht mehr nur ein großer Geber sein, sondern muss seine neue Rolle als politischer Partner finden.

 


 

Dr. Edmund Ratka ist Leiter des Auslandsbüros Jordanien der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 


 

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