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Grenzüberschreitende Zusammenarbeit: jetzt erst recht!

Ein Zwischenruf

Der jüngst verstorbene Bundespräsident Roman Herzog mahnte bereits vor zwanzig Jahren: „Abschottung und Expansion sind Wege der Vergangenheit, und dahin würde es führen, wenn man sie wieder beginge.“ Man kann diesen Hinweis heute nicht laut genug vortragen, denn die Sorge um eine signifikante Verlangsamung des Welthandels, gar um eine „Rückabwicklung der Globalisierung“ und die Entstehung neuer politischer Konflikte prägt aktuell das internationale Klima.

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Ein Mädchen betrachtet eine digitale Anzeige weltweiter Börsenkurse an der Börse in Taipeh.

In dieser Phase tiefgreifender politischer Umbrüche übernahm die Bundesrepublik Deutschland im Dezember 2016 den Vorsitz der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20). Die Bundesregierung stellt ihre Präsidentschaft unter das Leitmotiv „Eine vernetzte Welt gestalten“ und grenzt sich damit klar von polarisierenden nationalistisch-populistischen Bewegungen ab, denen es im Kern um wirtschaftliche Abschottung gegenüber dem Ausland geht. Angesichts einer zunehmend kritischen Haltung gegenüber Globalisierung, Freihandel und einer integrativen Weltwirtschaft in einigen G20-Ländern wird viel Verhandlungsgeschick und Überzeugungsarbeit notwendig sein, um dem von der Bundesregierung gewählten Leitmotiv Geltung zu verleihen und die internationale Zusammenarbeit zu vertiefen. Insbesondere der wirtschaftspolitische Kurs des neuen amerikanischen Präsidenten Donald Trump, die langfristigen ökonomischen und politischen Folgen des Brexit für Großbritannien und Europa sowie die Gefahr populistischer Bewegungen in Frankreich und Deutschland erschweren dieses Vorhaben.

Für die Handelsnation Deutschland steht viel auf dem Spiel, weil national-populistische Abschottungsstrategien spürbare Wohlstandsverluste zur Folge haben können. Darüber hinaus drohen politische Schäden, wenn Staaten gegeneinander in Stellung gebracht werden. Immerhin existiert mit dem seit 2008 regelmäßig stattfindenden Treffen der G20-Länder ein Format, in dem diese Themen verhandelt werden können. Ob sie einvernehmlich zu lösen sind, hat wesentlich mit der Bereitschaft zum zwischenstaatlichen Kompromiss zu tun und der Frage, ob man einen Konsens über die Gestaltung des Globalisierungsprozesses herstellen kann.

Danach sieht es derzeit nicht aus. Nicht nur weil die Zahl der protektionistischen Maßnahmen zwischen den G20-Staaten zugenommen hat, sondern weil sich auch Positionen innerhalb der Staatengemeinschaft verändern, die jahrzehntelang als unumstößlich galten. Während sich Chinas Präsident Xi Jinping, dessen Land eher durch protektionistische Politik auffällt, auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos als Verteidiger des freien Welthandels gerierte, sind die Regierungen wichtiger westlicher Staaten neuerdings um politisch motivierte Industriepolitik oder die Bildung bilateraler Allianzen bemüht. Ein Indiz dafür ist, dass beim G20-Finanzministertreffen im März 2017 kein Konsens über die zukünftigen, globalen Handelsbeziehungen erzielt werden konnte. Ein Bekenntnis zu freiem Handel und gegen Protektionismus sucht man in der Abschlusserklärung vergeblich. Offenkundig sortieren sich Deutschlands Bündnispartner hinsichtlich handelspolitischer Themen neu. Diese „verkehrte Welt“ bedarf dringend einer genaueren Analyse.

 

Die Globalisierung – ein Megatrend von gestern?

In Industrieländern mit vergleichsweise schwacher Güterexportbasis, etwa in den USA, Großbritannien und Frankreich, steht der Prozess, der mit dem Begriff „Globalisierung“ umschrieben wird, in der Kritik, wesentlicher Treiber für Arbeitsplatzverlagerung, Deindustrialisierung und den als bedrohlich wahrgenommenen Aufstieg einiger Schwellenländer zu sein. Selbst in der Exportnation Deutschland haben sich Globalisierungskritiker in bemerkenswerter Form gesellschaftlich etabliert, jüngst um die Verhandlungen zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zu stoppen. Es entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet ein republikanischer US-Präsident dem Hassprojekt der Linken den vorläufigen Todesstoß versetzt hat. Vorerst sind die regionalen Mega-Abkommen TTIP und die Transpazifische Partnerschaft (TPP) jedenfalls auf Eis gelegt. Der geopolitische Schaden dieser US-Entscheidung ist für den Westen noch nicht absehbar, ein herber Schlag für den Globalisierungsprozess ist sie in jedem Fall.

Zweifelsfrei hat die durch die Globalisierung intensivierte internationale Arbeitsteilung zu einer Beschleunigung des wirtschaftlichen Strukturwandels in den westlichen Staaten geführt, der auch mit Unternehmensabwanderungen und Arbeitsplatzverlusten verbunden war, einzelne Industrieländer aufgrund ihrer hiesigen Wirtschafts- und Sozialpolitik aber sehr unterschiedlich traf. Gleichzeitig hat die Einbindung der Entwicklungs- und Schwellenländer in die Weltwirtschaft positive wirtschaftliche und politische Entwicklungen innerhalb dieser Länder in Gang gesetzt. Niemals zuvor hat die Weltbevölkerung insgesamt größere Zuwächse des Lebensstandards erlebt als in den vergangenen zwei Dekaden.

Unterm Strich haben aber nicht nur die ärmeren Länder der Erde von Handel und internationaler Arbeitsteilung profitiert, sondern ebenso die Industriestaaten. Allerdings ergibt sich hier ein ausgesprochen differenziertes Bild zwischen den entwickelten Ländern selbst sowie zwischen einzelnen Branchen und Bevölkerungsgruppen. Gewinner des wirtschaftlichen Wandels stehen Verlierern gegenüber – eine Entwicklung, die als Konstante der Weltwirtschaftsgeschichte gelten kann. Bei allen marktwirtschaftlichen Prozessen, seien sie ausgelöst durch stärkeren globalen Wettbewerb, technischen Fortschritt oder veränderte Konsumgewohnheiten, liegt die vorrangige Aufgabe politischer Entscheidungsträger darin, durch eine adäquate Wirtschafts- und Sozialpolitik den wirtschaftlichen Wandel zu begleiten und eine kluge Kompensation beider Pole durch Bildungs- und Sozialpolitik zu organisieren. Offenkundig gelang dies in einigen Industriestaaten nur unzureichend. Diese politischen Verfehlungen verfestigten ganz allgemein den Eindruck, die Politik habe „die Kontrolle“ verloren, und stärkte eine Gegenbewegung, die ganz explizit auf die vermeintliche Rückgewinnung nationaler Souveränität setzt.

Der Wahlerfolg Donald Trumps in den USA, die knappe Entscheidung zugunsten des Brexit und der Zuspruch für den französischen Front National begründen sich wesentlich durch Bevölkerungsgruppen, die sich zum Mindesten ökonomisch verunsichert, gelegentlich auch abgehängt fühlen und eine Kurskorrektur staatlicher Politik einfordern. Sie lehnen „die Globalisierung“ ab, weil damit ganz allgemein Strukturwandel, Identitätsverlust und Migrationswellen verbunden werden, und fordern von der Politik Maßnahmen zum Schutz der heimischen Wirtschaft. Interessanterweise schenkt man dem technischen Fortschritt als wesentlichem Treiber weltweiter Umbrüche weniger Beachtung. Tendenziell trägt ein diffuses Konzept von „Globalisierung“ die Schuld.

Der Wunsch, Arbeitsplätze und Kapital innerhalb der eigenen Staatsgrenzen zu halten, führt seit einiger Zeit zu zahlreichen protektionistischen Maßnahmen – ein Phänomen, das sich künftig noch deutlicher zeigen könnte. Folgt man den jüngsten Statistiken der Welthandelsorganisation (WTO), hat sich die Zahl der handelshemmenden Maßnahmen seit 2010 versechsfacht. Im Herbst 2016 waren es weltweit knapp 3.000 Maßnahmen, durch die ex- oder implizit eine Bevorzugung einheimischer Produzenten zu Lasten ausländischer Anbieter erreicht wird. Dabei zeigen sich die von den Regierungen getragenen Abschottungsmaßnahmen in vielerlei Gestalt. So können heimische Anbieter bei öffentlichen Beschaffungsvorgängen bevorzugt werden. Zudem werden in einigen Bereichen heimische Produkte verstärkt subventioniert und selektiv Im- bzw. Exportzölle verhängt. Häufig werden unter dem Deckmantel der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit oder des allgemeinen Verbraucherschutzes unnötig komplizierte Standards eingeführt, um ausländische Wettbewerber zu benachteiligen. Insbesondere für das Exportland Deutschland ist dies eine gefährliche Gemengelage, weil die Ergreifung derartiger Initiativen bei einem Handelspartner Spielräume für Vergeltungsmaßnahmen auf der Gegenseite bietet und damit die Gefahr von Interventionsspiralen und letztlich Handelskriegen wächst.

Die hieraus resultierende, sich Schritt für Schritt entwickelnde weltwirtschaftliche Situation gleicht einem überfüllten Theater: Sieht einer schlecht, steht er auf. Er wird zwar kurzfristig besser sehen – wenn aber alle anderen (gezwungenermaßen) ihrerseits aufstehen, sieht zum Schluss keiner besser als vorher – und alle müssen stehen. Das Problem dieser Maßnahmen ist folglich, dass sie die gesamtwirtschaftliche Aktivität und zukünftige wirtschaftliche Wachstumspotenziale schwächen. Darüber hinaus würden sie vermutlich einen Teufelskreis in Gang setzen. Keine Volkswirtschaft würde das so hart treffen wie die der Bundesrepublik, in der ein immenser außenwirtschaftlicher Überschuss von rund einer Viertel Billion Euro erzielt wird und etwa jeder vierte Arbeitsplatz am Außenhandel hängt. Um dieses Szenario zu verhindern, sollte Deutschland im Rahmen seines G20-Mandats gegen Handelsschranken und für eine regelgebundene Globalisierung plädieren.

 

Globaler Ordnungsrahmen statt nationales Schneckenhaus

Deutschland ist wie kaum ein anderes Land in die globalen Wertschöpfungsketten und Warenströme eingebunden und damit auch ein klarer Gewinner der Globalisierung. Allerdings wird das derzeitige Modell der internationalen Arbeitsteilung in verschiedenen Ländern in Frage gestellt. Dabei werden regelmäßig auch die Handelsbilanzüberschüsse der Bundesrepublik Deutschland kritisiert, ohne dass individuelle Handelsgewinne und gesellschaftliche Wohlstandseffekte, die daraus in anderen Ländern entstanden sind, nur ansatzweise erwähnt werden. Nach dem Willen vieler Freihandelskritiker soll die Ära der arbeitsteiligen Kooperation auf der Grundlage der Regeln der Welthandelsorganisation durch eine Epoche der handelspolitischen Konfrontation abgelöst werden. Bilaterale „Deals“ sollen regelbasierte Handelsräume ersetzen.

Solchen Vorhaben muss Deutschland gemeinsam mit seinen Partnern entgegenwirken und für freie Weltmärkte eintreten, die in einen globalen Ordnungsrahmen eingebunden sind. In der unzureichenden Regulierung des Globalisierungsprozesses liegt ein begründeter Kritikpunkt, den es nach wie vor zu adressieren gilt. Es braucht globale Regeln für den internationalen Handel. Diese Erkenntnis hatte sich nach der Finanzkrise 2007/2008 eigentlich als Konsens innerhalb der G20-Gruppe herausgebildet und wurde beim ersten Treffen dieser Ländergruppe im November 2008 ebenso hervorgehoben wie die Absage an Protektionismus. Bis heute sind die Arbeiten an einer robusteren Weltwirtschaftsordnung nicht abgeschlossen, wenngleich auf einzelnen Gebieten, beispielsweise bei der Finanzmarktregulierung, der Bekämpfung von Steuerflucht oder dem Kampf gegen den Klimawandel, Fortschritte erzielt wurden. Statt das mühsam Erreichte weiter zu festigen, stellen einzelne G20-Staaten diese Punkte nun wieder in Frage.

Überdies gerät die multilaterale Welthandelsordnung, die wesentlich durch die WTO geprägt wurde, insgesamt unter Beschuss. Jüngst hatte die WTO noch durch einen diplomatischen Erfolg auf sich aufmerksam machen können. Die 164 Mitglieder konnten sich erstmals seit mehr als zwei Jahrzehnten wieder auf ein multilaterales Abkommen (Trade Facilitation Agreement, TFA) verständigen, das vor allem den Abbau bürokratischer Hürden im grenzüberschreitenden Warenverkehr vorsieht. Es geht beispielsweise darum, Dokumentationspflichten zu reduzieren, nationale Vorschriften transparenter zu machen sowie die nötige Infrastruktur und Zahl an Mitarbeitern für eine effiziente, möglichst diskriminierungsfreie Handelsabwicklung sicherzustellen. Ob diese Übereinkunft vollends implementiert werden kann, wenn die USA beginnen, Importe zu besteuern sowie Exporte zu subventionieren (Grenzausgleichssteuer) und damit auf Konfrontationskurs zu geltenden WTO-Regeln gehen, bleibt abzuwarten.

 

Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Ziel der deutschen G20-Präsidentschaft muss es sein, den ergebnisorientierten Dialog-Prozess der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer aufrechtzuerhalten und auf greifbare Ergebnisse für den globalen Ordnungsrahmen hinzuwirken. Insbesondere sollte einer neuerlichen Deregulierung der Finanzmärkte eine Absage erteilt werden. Auch einem möglichen Dumping-Wettbewerb bei der Unternehmensbesteuerung muss entschieden begegnet werden. Der Kampf gegen Steuervermeidung und Gewinnverlagerung sollte im Interesse aller G20-Staaten sein, bedarf aber beharrlicher Argumentation. Zudem sollte man sich darum bemühen, die Welthandelsorganisation weiter zu stärken und das Bekenntnis zu einer multilateralen Handelspolitik zu erneuern. Bilaterale Gespräche am Rande des Gipfels sollten dazu genutzt werden, europäische Freihandelsinitiativen etwa mit Japan, Mexiko oder dem Mercosur voranzutreiben. Europas Binnenmarkt ist für diese Partner hochinteressant, seine Stärkung und Vernetzung mit Partnern muss im vorrangigen Interesse Deutschlands bleiben.

Es sollte außerdem deutlich gemacht werden, dass aggressive Außenhandelspolitik generell schädlich ist. Eine solche wirtschaftspolitische Ausrichtung nimmt nicht nur den Verbrauchern Warenvielfalt und Kaufkraft. Sie würde auch die Gewinn- und Investitionsbasis von Unternehmen minimieren, tendenziell Arbeitsplätze gefährden und somit die Einnahmenbasis des Staates schwächen. Mit Blick auf die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse sollte man ein Stück auf die Kritiker zugehen, wobei die Sachlage recht eindeutig ist: Geld- und Wechselkurspolitik liegen nicht mehr in deutscher Hand, hier gibt es also wenig Spielraum. Höhere Löhne kann der Staat ferner mit Blick auf die Tarifautonomie kaum flächendeckend durchsetzen. Größere Infrastrukturinvestitionen aus den Budgetüberschüssen brächten bei weitgehend ausgelasteten (Bau)Kapazitäten nicht viel. Ein adäquates Mittel wäre daher eine moderate Einkommensteuersenkung für Unternehmen und private Haushalte, um dadurch die deutsche Binnennachfrage zu stärken und den Import von Konsum- und Investitionsgütern anzukurbeln. Die Überschüsse in einzelnen Sozialversicherungszweigen könnten über Beitragssenkungen darüber hinaus zur Stärkung der Binnennachfrage beitragen. Der hohe deutsche Leistungsbilanzüberschuss könnte so tendenziell verringert werden.

Jenseits dieser ökonomischen Erwägungen gilt eine Erkenntnis des eingangs zitierten Bundespräsidenten Roman Herzog allerdings nach wie vor: „Weil wir wechselseitig voneinander abhängig sind – ökonomisch wie ökologisch, die ‚jungen‘ wie die ‚alten‘ Industrieländer, Nord und Süd, Ost und West –, müssen wir auch in der internationalen Politik mehr globale Abstimmung und Rücksichtnahme praktizieren – im eigenen wie im gemeinsamen Interesse.“ Es ist Zeit, an diesen Zusammenhang zu erinnern!

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David Gregosz ist Koordinator für Internationale Wirtschaftspolitik im Team Politikdialog und Analyse.

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Analysen und Argumente
20. September 2016
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