Ausgabe: 3/2024
Das einzigartige Experiment Argentinien
Ende 2022 beherrschte Argentinien die internationalen Schlagzeilen. Die Aufmerksamkeit, die der Gewinn der Fußballweltmeisterschaft hervorgerufen hatte, war allerdings schnell wieder verflogen. Als ein Jahr später der durch Talkshows berühmt gewordene Ökonom und politische Nobody Javier Milei Präsident wurde, kehrte die jahrelang vermisste politische Aufmerksamkeit zurück. Die Erwartungen waren hoch: Dollarisierung der Wirtschaft, Senkung der Inflation und Entmachtung der „korrupten politischen Kaste“. Milei setzte sich in der Stichwahl mit einem satten Vorsprung von elf Prozentpunkten gegen den Kandidaten der peronistischen Partido Justicialista (PJ) und bisherigen Wirtschaftsminister Sergio Massa durch.
Mit Javier Milei haben die Argentinier im Jahr der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der Wiedererlangung der Demokratie einen Präsidenten gewählt, der mit seinem ungewöhnlichen Stil und seiner scharfen Kritik am politischen Establishment unerwartet große Unterstützung in der Bevölkerung erfährt. Für ein Land wie Argentinien, das seit der Rückkehr zur Demokratie von etablierten politischen Akteuren geprägt wurde, war der Sieg dieses radikalen Libertären eine große Überraschung. Milei fällt nicht nur durch seine politische Programmatik, sondern auch durch seinen exzentrischen Habitus auf.
Im Jahr 2016 trat Milei erstmals im Fernsehen auf und äußerte sich zur Lage der Wirtschaft, wobei er sich mit seiner konfrontativen Art und seinem Geschrei bekannt machte. In einem Land, in dem drei Viertel der Bevölkerung katholisch sind, bezeichnete er den Papst als Vertreter des Bösen auf Erden und nannte ihn einen Dummkopf, der zudem den Kommunismus fördere. Milei inszenierte sich von Anfang an als Rockstar und trat mit seiner wilden Mähne und seiner Lederjacke in großen Stadien auf, oft mit einer Kettensäge in der Hand als Symbol für den von ihm angestrebten Bruch mit sämtlichen politischen Gewohnheiten. Zudem warb er im Präsidentschaftswahlkampf für extreme Ideen wie die Liberalisierung des Organhandels und die Abschaffung der Zentralbank. Wie eine so ungewöhnliche Persönlichkeit Präsident Argentiniens werden konnte, wird besser nachvollziehbar, wenn man die politische und wirtschaftliche Situation des Landes in den Jahren zuvor betrachtet.
Aus TikTok-Star wird Präsident
Der Wahlsieg von Javier Milei in Argentinien war überraschend, aber angesichts der Situation des Landes durchaus verständlich. Er gewann die Präsidentschaftswahlen zu einem Zeitpunkt, als Argentinien eine monatliche Inflationsrate von 25,5 Prozent und eine jährliche Inflationsrate von 211,4 Prozent verzeichnete. 41,7 Prozent der argentinischen Bevölkerung waren im Wahljahr von Armut betroffen. Die Argentinier waren unzufrieden mit der Regierung des Linksperonisten Alberto Fernández. Dieser hatte sich in den letzten Monaten seiner Präsidentschaft völlig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Zur Wahl standen neben Kandidaten kleinerer Parteien der ideologisch flexible Sergio Massa, damaliger Wirtschaftsminister der peronistischen Partei; Patricia Bullrich, ehemalige Sicherheitsministerin der Regierung von Mauricio Macri (2015 bis 2019), die dem wirtschaftsliberalen Flügel der Mitte-rechts-Partei Propuesta Republicana (PRO) angehört; und der selbsternannte Anarchokapitalist Javier Milei, der weniger als zwei Jahre als Abgeordneter für die von ihm erst im Jahr 2021 neugegründete Partei La Libertad Avanza (LLA) im Parlament gesessen hatte.
Das Ergebnis war eindeutig: Die Argentinier entschieden sich für einen radikalen Bruch mit der traditionellen Politik in der Hoffnung, die Dauerkrise des Landes durch eine Schocktherapie mit drastischen Sparmaßnahmen lösen zu können. Mileis Sieg war landesweit: Er gewann in 21 der 24 Provinzen. Beliebt ist er vor allem bei jungen Wählern. Dies hat er seiner Präsenz in den sozialen Medien zu verdanken, insbesondere auf TikTok, wo ihm mittlerweile mehr als zwei Millionen Menschen folgen. Seine Kritik an der „korrupten politischen Kaste“ traf den Nerv der Zeit und seine Fähigkeit, komplexe ökonomische Sachverhalte in kurzen TikTok-Videos einfach zu erklären, machte ihn für eine Wählerschaft attraktiv, die Argentiniens jahrzehntelange wirtschaftliche Misere nur schwer nachvollziehen konnte. Seine klare Positionierung im Kampf gegen Korruption und für die Befreiung der Wirtschaft aus den Klauen der „Parasiten“, der „politischen Kaste“ und der vielen ineffizienten und unnötig beschäftigten Staatsangestellten spiegelt den Wunsch wider, an den Wohlstand des frühen 20. Jahrhunderts anzuknüpfen, als Argentinien eines der reichsten Länder der Welt war.
Schluss mit den „Usual Suspects“
Die Stimmung im Jahr 2023 war ähnlich wie nach der Krise im Jahr 2001, als überall der Slogan „Que se vayan todos“ („Auf dass alle verschwinden“) an die Politiker gerichtet wurde. Die Argentinier hatten genug von den etablierten Eliten, die keine nennenswerten Ergebnisse geliefert und das Land in einen noch größeren Abgrund geführt hatten. Tatsächlich ist Argentinien seit Jahren auf wirtschaftlicher Talfahrt und mit einem Schuldenberg von fast 44 Milliarden US-Dollar der mit Abstand größte Schuldner des Internationalen Währungsfonds (IWF). Das Land leidet unter einer katastrophalen Wirtschaftsführung, die durch jahrelange öffentliche Mehrausgaben und das Drucken von Zentralbankgeld zu deren Finanzierung die Situation noch verschärfte und die Inflation anheizte.
Die Bürger suchten daher einen Kandidaten ohne politische Verstrickungen und fanden diese Identifikationsfigur im Antisystem-Kandidaten Javier Milei. Eines seiner Hauptanliegen war die Senkung von Steuern und öffentlichen Ausgaben, was sich unter anderem in der Entlassung von Staatsbediensteten, der Einstellung öffentlicher Bauaufträge und der Kürzung von Subventionen für Transport und Energie niederschlug.
Der Alleingang ist nicht der Weisheit letzter Schluss
Angesichts der mangelnden Präsenz von La Libertad Avanza in beiden Kammern des Kongresses und Mileis schlechten Abschneidens bei den Wahlen auf Provinzebene ist nach rund zehn Monaten Regierungszeit klar, dass sein „Kettensägenprojekt“ von Wirtschafts- und Staatsreformen ohne die Unterstützung der politischen Mitte nicht durchsetzbar ist. Ende vergangenen Jahres fanden nämlich nicht nur Präsidentschaftswahlen statt, sondern auch die Parlamentswahlen, bei denen ein Drittel des Senats und die Hälfte der Abgeordnetenkammer neu gewählt wurden. Das Ergebnis dieser Wahlen fiel nicht zugunsten Mileis aus. Seine Partei LLA konnte lediglich 34 neue Sitze im 257-köpfigen Nationalkongress erringen; insgesamt verfügt sie derzeit über 38 Sitze, was etwa 15 Prozent entspricht. Im Senat sieht es mit nur 7 von 72 Sitzen oder rund 10 Prozent noch schlechter aus. Trotz seiner Bemühungen, sich vom politischen Establishment zu distanzieren, wurde deutlich, dass Milei wegen seiner parlamentarischen Schwäche mehr als jeder andere auf die Unterstützung der etablierten politischen Kräfte angewiesen ist, um seine Wahlversprechen umzusetzen. In Argentinien bedeutet dies eine Hinwendung zu den verschiedenen Kräften der politischen Mitte, wobei sich die liberal-konservative PRO als natürlicher Bündnispartner andiente.
Argentinien ist ein föderaler Staat mit 24 Provinzen, von denen keine einzige von einem Gouverneur der Milei-Partei geführt wird. Aufgrund der Sparmaßnahmen und der erheblichen Kürzungen der Transferleistungen von der Nationalregierung an die Provinzen kam es zu Konflikten mit vielen Gouverneuren. Da diese Gouverneure auf die Überweisungen aus Buenos Aires angewiesen sind, versuchten einige, Druck auf Milei auszuüben. So drohte beispielsweise der Gouverneur von Chubut, Ignacio Torres, mit der Blockade von Gas- und Benzinlieferungen. In den ersten vier Monaten des Jahres 2024 sanken die gesamten nicht-automatischen Transferleistungen an die Provinzen und Gemeinden um 89,5 Prozent. Auch hier erkannte Milei, dass er die Probleme nicht allein lösen kann, und versuchte einen Weg zu finden, um die Unterstützung der Gouverneure für einen Zehn-Punkte-Pakt für die Zukunft Argentiniens zu erhalten, der jedoch nicht wie angekündigt rechtzeitig zum Nationalfeiertag am 25. Mai, sondern erst am 9. Juli 2024 mit der Unterstützung von nur 18 der 24 Gouverneure zustande kam.
Die politische Mitte in Argentinien wiederum sieht sich seit Amtsantritt des neuen Präsidenten mit der Frage konfrontiert, in welcher Form sie mit einem Staatsoberhaupt wie Milei zusammenarbeiten will. Das Auftreten einer neuen politischen Kraft in der Person von Javier Milei hat die etablierten Parteien gezwungen, einen Schritt zurückzutreten, ihre Programmatik und Ziele neu zu bewerten und ihre Wählerschaft nicht als gegeben zu betrachten. In diesem Sinne spielt der Erfolg eines radikalen Kandidaten durchaus eine positive Rolle: Er setzt die Parteien der Mitte unter Druck, ihr Profil zu schärfen und sich neu zu organisieren.
Zwischenbilanz der Präsidentschaft Milei
Mileis ehrgeizige, aber unrealistische Pläne, in einer reifen Demokratie wie Argentinien per Dekret durchzuregieren, scheiterten. Im Bewusstsein seiner parlamentarischen Schwäche griff Milei zu Beginn seiner Amtszeit wie bereits seine Vorgänger auf das Instrument des Präsidialdekrets wegen Bedarf und Dringlichkeit (DNU) zurück. Ein Mega-Dekret, das mehr als hundert Gesetze ändern, ersetzen und aufheben sollte, wurde nicht in vollem Umfang umgesetzt. Der Senat lehnte es als erstes Regierungsdekret seit der Einführung dieser Rechtsfigur bei der Verfassungsreform von 1994 ab, es blieb jedoch trotzdem in Kraft, da es nur durch eine Ablehnung in beiden Kammern des Parlaments seine Wirksamkeit verliert. Aufgrund fehlender parlamentarischer Unterstützung ist die Umsetzung jedoch nicht weit fortgeschritten.
Erfolgreicher war Milei, als er seine kompromisslose Haltung bezüglich seiner Reformvorhaben aufgab. Nach monatelangen Beratungen wurde ein von seiner Regierung eingebrachtes Omnibusgesetz nach anfänglichem Scheitern im Nationalkongress von ursprünglich 664 Artikeln auf rund ein Drittel reduziert und dann verabschiedet. Der Gesetzesentwurf führt eine Art Notstandsverordnung für Verwaltungs-, Wirtschafts-, Finanz- und Energiefragen ein und überträgt Milei für ein Jahr die Gesetzgebungskompetenz in diesen Bereichen. Der Reformvorschlag wurde im Senat mit knapper Mehrheit angenommen, wobei die Vizepräsidentin Victoria Villarruel die entscheidende Stimme abgab, nachdem es 36 Ja- und 36 Nein-Stimmen gab.
Neben dieser Gesetzgebung hat Milei weitere Reformpläne umgesetzt, darunter die Abwertung des argentinischen Pesos um 50 Prozent, die Kürzung staatlicher Subventionen für Treibstoff und die Halbierung der Zahl der Ministerien. Die Inflation hat sich deutlich verlangsamt – die Rate fiel im Mai auf 4,2 Prozent, den niedrigsten Stand seit zwei Jahren. Die Kehrseite der Medaille besteht darin, dass die argentinische Wirtschaft stark geschrumpft ist: Die Konsumausgaben sind in den ersten drei Monaten dieses Jahres deutlich zurückgegangen, die Armutsrate ist auf 55 Prozent gestiegen. Besonders betroffen von Mileis Maßnahmen sind die Rentner. So haben die Renten seit Jahresbeginn – nach Abzug der Inflation – rund 30 Prozent an Wert verloren.
Dominant in Mileis Diskurs ist die Frage nach der Rolle des Staates. So wie er damit geworben hatte, ohne die „politische Kaste“ regieren zu wollen, hatte er auch angekündigt, die staatlichen Aufgaben auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. Von Anfang an verordnete er dem Staatsapparat eine Schrumpfungskur, zum einen durch die Reduzierung der Zahl der Staatsbediensteten, die unter den drei Kirchner-Regierungen (2003 bis 2015) um 65 Prozent gestiegen war, zum anderen durch die Privatisierung staatlicher Unternehmen. In der Praxis treten jedoch auch Inkongruenzen auf. So finanzierte Milei 90 Prozent seines Wahlkampfes aus staatlichen Mitteln und scheint sich durchaus darüber bewusst zu werden, dass Argentinien allein mit einem Nachtwächterstaat nicht zu regieren ist.
Trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten kann Javier Milei auf die Unterstützung der Mehrheit der argentinischen Bürger bauen. Jüngsten Umfragen zufolge ist er mit einer Zustimmungsrate von 55,7 Prozent der Präsident Lateinamerikas mit dem höchsten Ansehen. Angesichts der aktuellen Wirtschaftslage mag es für Außenstehende schwer nachvollziehbar sein, warum Milei hohe Zustimmungswerte genießt, aber viele Argentinier sehen in ihm den einzigen Ausweg aus der Krise. Milei hatte die nun umgesetzten radikalen Sparmaßnahmen bereits im Wahlkampf angekündigt und die Bevölkerung auf schwere Zeiten eingestimmt, was ihn glaubwürdig macht. Zudem sind die Alternativen schwach: Keine der Oppositionsparteien hat einen attraktiveren Plan zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage vorgelegt und sie haben auch nicht die Kraft, der Regierung vereint entgegenzutreten.
Argentiniens Parteien in Aufruhr
Das argentinische Parteiensystem ist vom Aufstieg Javier Mileis und seiner Partei nicht unberührt geblieben. Im Gegenteil: Die Oppositionsparteien sehen sich seit den Präsidentschaftswahlen gezwungen, die Scherben der Wahlniederlage aufzusammeln und stellen sich in einem von internen Machtkämpfen geprägten Prozess inhaltlich neu auf. Besonders hart trifft der Erfolg des Libertären die PRO, die sich bereits vor den Präsidentschaftswahlen in einer Identitätskrise befand. Seit ihrer Gründung hatte die Partei mit ihrer Position der Fundamentalopposition zur Politik der Regierungen des Ehepaars Néstor und Cristina Fernández de Kirchner, die Argentinien von 2003 bis 2015 regierten, nur wenig Konkurrenz in der argentinischen Parteienlandschaft.
Die Kirchners bildeten den Gegenentwurf zur wirtschaftsliberalen Politik des ehemaligen Präsidenten und peronistischen Parteifreundes Carlos Menem (1989 bis 1999) und standen für linkspopulistische Maßnahmen wie Devisenkontrollen, Preisobergrenzen und protektionistische Handelspolitik, was zu massiv steigenden Staatsausgaben führte. Das Ziel des PRO-Parteivorsitzenden Mauricio Macri war die Beendigung der unter den Vorgängerregierungen weit verbreiteten Korruption, ähnlich wie es Milei mit seiner jetzigen Politik anstrebt. Macri gelang 2015 der Sieg bei den Präsidentschaftswahlen und er konnte als einziger nicht-peronistischer Präsident seit Rückkehr zur Demokratie seine Amtszeit regulär beenden. Aber seine Regierungszeit von 2015 bis 2019 war für viele enttäuschend, der versprochene Wandel unter seiner Wahlallianz Juntos por el Cambio (Zusammen für den Wandel) mit der Unión Cívica Radical (UCR) und der Coalición Cívica (CC) blieb aus und die Reformversuche scheiterten. Mit dem Aufkommen von LLA reichte es für die PRO nicht mehr aus, sich hauptsächlich gegen die Kirchner-Politik und deren Vertreter zu richten. Weder 2019 noch 2023 war das Angebot der PRO für den Wandel für die Argentinier überzeugend genug, um ihr die Präsidentschaft wieder anzuvertrauen.
Aber nicht nur die Mitte-rechts-Akteure, sondern auch die Peronisten, die sich programmatisch im Mitte-links- bis Linksbereich des politischen Spektrums bewegen (mit einem Ausflug in den Neoliberalismus in den 1990er-Jahren unter der Regierung Menem) befinden sich in einer Identitätskrise. Sie erkennen selbst, dass sie sich dringend neu erfinden müssen, wie Malena Galmarini, die Ehefrau des peronistischen Präsidentschaftskandidaten Sergio Massa, betonte. Sogar die mächtige ehemalige Präsidentin (2007 bis 2015) und Vizepräsidentin (2019 bis 2023) Cristina Fernández de Kirchner hat die Notwendigkeit einer neuen Agenda für den Peronismus zum Ausdruck gebracht. In den ersten sechs Monaten der Regierung Milei äußerte sie sich nur bei wenigen Gelegenheiten öffentlich, unter anderem am Jahrestag des ersten Wahlsiegs ihres Mannes Néstor Kirchner. Sie argumentierte, dass die Argentinier ein unnötiges Opfer bringen müssten, und bezeichnete Mileis Regierung als anarcho-kolonialistisch. Der interne Machtkampf zwischen ihrem Sohn Máximo Kirchner, dem Vorsitzenden der PJ in der Provinz Buenos Aires, und dem dortigen Gouverneur Axel Kicillof um die Führung der Partei wurde öffentlich ausgetragen und verdeutlichte die Schwäche der Peronisten nach den Präsidentschaftswahlen. Der Kirchnerismus, also die linkspopulistische politische Strömung des Peronismus, verliert an Einfluss. Umfragen zufolge identifizieren sich die Argentinier immer stärker mit einem Peronismus der politischen Mitte, immer weniger jedoch mit dem Kirchnerismus, was sich allerdings noch nicht auf die politische Führung der PJ übertragen hat.
Die UCR, die älteste Partei des Zentrums und Bündnispartner von PRO in Juntos por el Cambio, blieb von internen Konflikten im Zusammenhang mit der Regierung Milei nicht verschont. Luis Petri von der UCR wird von vielen Parteifreunden kritisiert, weil er in der Regierung Milei die Rolle des Verteidigungsministers übernommen hat. Während sich große Teile der PRO für die Unterstützung des Regierungsprojekts entschieden haben, herrscht in der UCR größere Uneinigkeit.
Soll die politische Mitte die Regierung von Javier Milei unterstützen?
Unter den Politikern des politischen Zentrums gibt es unterschiedliche Meinungen darüber, ob und wie das Experiment Milei unterstützt werden soll. Entscheidungen darüber mussten zunächst innerhalb der PRO getroffen werden, die den Einzug in den zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl verpasst hatte. Während einige, wie der ehemalige Präsident Mauricio Macri und die Sicherheitsministerin Patricia Bullrich, Milei sofort nach der eigenen Wahlniederlage im ersten Wahlgang schon in der Stichwahl unterstützten, sprachen sich andere, wie der ehemalige Regierungschef von Buenos Aires, Horacio Rodriguez Larreta, klar dagegen aus. Der Konflikt um die Unterstützung der Regierung Milei hat eine neue Dimension erreicht, da eine interne Auseinandersetzung innerhalb der PRO über eine mögliche Fusion mit der LLA öffentlich geworden ist. Die Fusion wird insbesondere von Patricia Bullrich unterstützt, die jetzt in der Regierung von Javier Milei erneut als Sicherheitsministerin fungiert. Auch die Peronisten stehen vor der Frage, ob sie Milei unterstützen sollen, insbesondere im Hinblick auf die Gesetzgebungsverfahren im Kongress. Außerdem gehören der Regierung Milei mehr als 40 Peronisten an, darunter Guillermo Francos, der Chef des Ministerkabinetts.
Was die Unterstützung der von Milei angestrebten Reformen anbelangt, so befürworten viele Politiker, die die Programmatik von Milei vielleicht nicht vollkommen teilen, die legislative Unterstützung von dessen Zielen, da sie ihm darin zustimmen, dass es tiefgreifender Reformen des Wirtschaftssystems bedarf. Dies scheint zumindest bei einigen politischen Akteuren eine Identitätskrise ausgelöst zu haben. Zunehmend wird in den Parteien der Mitte die Frage diskutiert, ob die Politiker, die den grundlegenden Kurs der Regierung unterstützen, nicht ihre Ursprungsparteien verlassen und der LLA beitreten müssten. Das Parteiensystem in Argentinien ist derzeit sehr fragil und könnte vor massiven Umwälzungen stehen. Dies gilt insbesondere für die PRO, die Tendenzen zu einer Fusion mit der LLA gezeigt hat. Tatsächlich aber sollte die Partei Mileis Sieg zum Anlass nehmen, sich neu zu formieren und ihre Ziele und Programmatik zu definieren. Selbst wenn die PRO mit Teilen von Mileis Wirtschaftsagenda einverstanden ist, muss sie diese Agenda nicht bedingungslos akzeptieren. Es ist ihre Aufgabe, darüber zu debattieren und eine gemeinsame Basis zu finden, sowohl innerhalb der PRO selbst, als auch mit der Regierungspartei. Bis zu den nächsten Zwischenwahlen, bei denen beide Kammern neu gewählt werden, hat die PRO ein Jahr Zeit, ihre Strategien und Positionen zu überdenken. Die politische Mitte sollte präsent sein, insbesondere unter einer radikalen und unbeständigen Regierung wie der von Milei, um aufmerksame und anhaltende parlamentarische Kontrolle zu gewährleisten.
Fazit
Mileis Erfolg als Präsidentschaftskandidat hat das argentinische Parteiensystem zweifellos in Aufruhr versetzt. Aufgrund der schwachen eigenen Präsenz in beiden Kammern des Nationalkongresses war Javier Mileis Regierung gezwungen, von ihren radikalen Reformplänen Abstand zu nehmen und Kompromisse mit den anderen Parteien zu suchen. Was die Parteien der Mitte bisher erreicht haben, ist eine Diskussion und Modifizierung der Reformpläne Mileis, da sie nicht alle seine Ideen bedingungslos akzeptieren. Milei hat die Oppositionsparteien der Mitte, vor allem die konservativ-liberale PRO, gezwungen, ihre Identität zu überdenken, einen Dialog mit der Partei des Präsidenten in Erwägung zu ziehen und ihre internen Strukturen zu überprüfen. Das ist nicht unbedingt ein schlechter Ansporn für die heutigen Oppositionsparteien, die seit Jahren in ihrem Trott feststecken.
Um aus der Asche der chronischen Wirtschaftskrise, die Argentinien durchlebt, auferstehen zu können, sind neue Lösungen gefragt. In diesem Sinne könnte Milei für frischen Wind sorgen. Allerdings haben seine Reformmaßnahmen Auswirkungen auf den Geldbeutel und die soziale Situation der Argentinier, denen sich auch die Oppositionsparteien stellen müssen. Sie können die Umsetzung der Reformen unterstützen, ohne ihre Parteiidentität zu ändern oder mit der LLA zu fusionieren.
Jana Lajsic ist Trainee im Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Argentinien mit Sitz in Buenos Aires.
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