Ausgabe: 1/2020
Das zweischneidige Schwert der sozialen Medien
Die Digitalisierung verändert die Demokratie. Insbesondere die sozialen Medien nehmen zunehmend Einfluss auf politische Entwicklungen. Noch vor einigen Jahren überwogen in den Diskussionen dazu die positiven Einschätzungen. Unter dem Eindruck der Ereignisse des Arabischen Frühlings hatte eine gewisse Euphorie eingesetzt. Soziale Medien galten schnell als Katalysator für sozialen und politischen Wandel. Man versprach sich positive Impulse für die Entwicklung der Demokratie: Informationsvielfalt, Vernetzung progressiver Kräfte, neue Formen der politischen Kommunikation, digitale Transparenz- und Rechenschaftsinitiativen, neue Räume für Aktivismus, Online-Mobilisierung für bürgerschaftliches Engagement. Doch es ist Ernüchterung eingekehrt. Die erhoffte neue Welle der Demokratisierung blieb aus. Stattdessen scheint die liberale Demokratie weltweit immer stärker unter Druck zu geraten. Beobachter schreiben den sozialen Medien dabei eine kritische Rolle zu, einige halten sie gar für eine Bedrohung für die demokratische Gesellschaft. In der Tat sind die Schattenseiten immer mehr in den Fokus gerückt – Desinformation und Fake News, gezielte Manipulation, Datenmissbrauch, Cybermobbing und Hassrede, Polarisierung und Radikalisierung gesellschaftlicher Gruppen. Auch im afrikanischen Kontext zeigt sich Licht und Schatten mit Blick auf die sozialen Medien und deren politische Bedeutung. Das Potenzial ist groß in beide Richtungen: Sowohl demokratische wie undemokratische Kräfte machen sich die neuen Möglichkeiten in der digitalen Sphäre zu Nutzen. Der Kampf um die Hoheit im Netz und die Meinungen in den sozialen Medien ist in vollem Gange.
Internet und soziale Medien in Afrika
Mitte 2019 nutzten über eine halbe Milliarde Menschen in Afrika das Internet – nur in Europa und Asien waren es mehr. Die große Zahl der Nutzer kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Afrika noch erheblich aufzuholen hat. Schaut man sich nämlich den Anteil der Bevölkerung mit Zugang zum Internet an, so liegt Afrika mit rund 40 Prozent abgeschlagen hinter allen anderen Weltregionen. Innerhalb Afrikas zeigen sich dabei erhebliche regionale Unterschiede. Gleichzeitig jedoch wächst der Anteil der Internetnutzer in Afrika mit jährlich rund 20 Prozent schneller als im Rest der Welt.
Dass bisher nicht mehr Menschen in Afrika das Internet nutzen, liegt primär an mangelnder Infrastruktur und hohen Kosten. Vor allem in abgelegenen Regionen fehlt es am Zugang zum Netz bzw. an verlässlicher Bandbreite. Doch die digitale Transformation schreitet voran. Die großen Technologiekonzerne drängen seit Langem schon mit Nachdruck auf die afrikanischen Märkte. Vor allem der Mobilfunksektor boomt. Der Großteil der Nutzer in Afrika ist über das Mobiltelefon im Internet. Noch bleiben jedoch die hohen Kosten für Datenverbindungen ein großes Hindernis – nirgendwo in der Welt sind sie höher. Nichtsdestotrotz haben die Verbreitung des Internets und damit verbunden besonders die Nutzung sozialer Medien erhebliche Auswirkungen auf politische und gesellschaftliche Entwicklungen in Afrika. Vor allem der wachsenden jungen und urbanen Bevölkerung kommt hier eine Schlüsselrolle zu. Statistiken zeigen, dass Nutzer in Afrika im Durchschnitt erheblich mehr Zeit im Internet und in den sozialen Medien verbringen und dabei politische Inhalte eine größere Rolle spielen als zum Beispiel in Europa oder Nordamerika.
Demokratischer Aufbruch durch soziale Medien?
Vom Hype um soziale Netzwerke als vermeintliche „Befreiungstechnologien“ mag wenig geblieben sein, dennoch sollte man die Wirkung sozialer Medien auf demokratische Entwicklungen nicht unterschätzen. Gerade im politischen Kontext Subsahara-Afrikas, geprägt von demokratischen Defiziten, bieten Online-Plattformen wichtige Instrumente für pro-demokratisches und bürgerschaftliches Engagement. Die digitale Sphäre bietet neue Räume für den offenen politischen Diskurs sowie für einen interaktiven Austausch jenseits geografischer Grenzen und der Einschränkungen durch politische Machtverhältnisse und staatliche Kontrolle. Daraus ergeben sich auch neue Möglichkeiten der zivilgesellschaftlichen Organisation. Besonders in autokratisch regierten Ländern geht es neben dem Informationsaustausch auch um die Mobilisierung von Protest. Online-Kampagnen können politische Entscheidungsträger unter Druck setzen und Themen auf die politische Agenda heben. Aber sie können auch zum Katalysator und Hilfsmittel für Proteste und zivilen Widerstand jenseits der digitalen Sphäre werden. Dabei bieten sie gleichzeitig die Möglichkeit, eine (weltweite) Öffentlichkeit herzustellen und Beobachter unmittelbar an Geschehnissen teilhaben zu lassen. Live-Tweets und Smartphone-Videos im Netz sorgen für Aufmerksamkeit und Solidarität und machen es der staatlichen Propaganda schwer, die Narrative zu bestimmen und Ereignisse unter den Teppich zu kehren.
Zehn Jahre nach dem Arabischen Frühling ist Beobachtern klar, dass die sozialen Medien nicht das Schlüsselelement für erfolgreiche Revolutionen sind. Gleichwohl können sie ein wichtiger Faktor für gesellschaftlichen und politischen Wandel sein. Das zeigen auch Ereignisse und Trends der letzten Jahre in Afrika südlich der Sahara.
Als im Oktober 2014 der damalige Präsident Burkina Fasos, Blaise Compaoré, versuchte, sich über eine Verfassungsänderung eine weitere Amtszeit zu ermöglichen, kam es zu massiven Protesten, die schließlich das Ende seiner 27-jährigen Präsidentschaft besiegelten. Es waren vor allem junge Menschen, die die Proteste vorantrieben, indem sie sich über die sozialen Netzwerke organisierten.
In Gambia spielten soziale Medien eine wichtige Rolle rund um die Wahlen im Dezember 2016. Zunächst nutzten die Opposition und junge Aktivistengruppen Facebook, Twitter und WhatsApp, um Wähler zu mobilisieren und der Regierungspropaganda entgegenzuwirken. Und nachdem man es in der Tat geschafft hatte, den langjährigen diktatorischen Amtsinhaber Yahya Jammeh an der Wahlurne knapp zu schlagen, dieser sich aber weigerte, das Ergebnis anzuerkennen, trug man den Protest in die sozialen Medien und damit weit über die Grenzen des kleinen Landes hinaus. Am Ende war es eine Intervention der Regionalorganisation ECOWAS, die Jammeh mit militärischem Druck zur Aufgabe bewegte. Aber die Ausgangslage für den letztlich friedlichen Machtwechsel hatten die jungen Gambier mit ihren Protesten geschaffen – im Netz wie auf der Straße.
Auch die ab Mitte 2016 in Simbabwe stattfindenden Proteste gegen die politischen und wirtschaftlichen Zustände unter Diktator Robert Mugabe nahmen ihren Ausgang in den sozialen Medien. Über Facebook, Twitter und WhatsApp mobilisierten die Menschen landesweit zum sogenannten Stay-away-Tag am 6. Juli 2016. Doch es blieb nicht bei einer einmaligen Streikaktion, sondern es folgten wochenlange Proteste. Diese keimten erneut auf, als es im November 2017 zu einem Militärputsch kam. Tausende Demonstranten solidarisierten sich mit den Putschisten und forderten den Rücktritt Mugabes. Dieser gab nach einigen Tagen dem Druck des Militärs nach und legte das Präsidentenamt nach fast 30 Jahren nieder.
Seit 2018 ist Äthiopien unter Premierminister Abiy Ahmed auf einem – wenngleich wackligen – Reformkurs. Noch vor wenigen Jahren wäre dies undenkbar gewesen. Auch in Äthiopien spielten soziale Medien eine nicht unerhebliche Rolle für den Wandel. Als Ende 2015 Proteste in der Region Oromia blutig niedergeschlagen wurden, kam es zu einer Welle der Entrüstung. Die Proteste erfassten schnell weitere Landesteile und richteten sich zunehmend gegen allgemeine Missstände. Die Koordinierung der Proteste erfolgte vielfach über soziale Medien, unter Umgehung staatlicher Zensur und mit starker Unterstützung aus der Diaspora. So wurde auch das brutale Vorgehen der Regierung gegen Protestierende kontinuierlich dokumentiert und angeprangert. Schließlich sah diese sich zu einem Kurswechsel gezwungen. Politische Gefangene wurden freigelassen, die Blockade kritischer Webseiten aufgehoben. Im Februar 2018 schließlich räumte Premierminister Hailemariam Desalegn seinen Stuhl und die Regierungspartei wählte wenig später Abiy Ahmed zu seinem Nachfolger.
Der Sudan ist das jüngste Beispiel eines wirksamen Volksaufstands in Afrika. Nach Monaten intensiver Proteste mit zahlreichen Toten in der Hauptstadt Khartum zwang das Militär im April 2019 den seit fast 30 Jahren herrschenden Diktator Omar Al-Bashir aus dem Amt. Um eine anhaltende Militärherrschaft unter neuer Führung zu verhindern, setzten die Bürger ihre Proteste fort und erzwangen einen Kompromiss zwischen dem Militär und zivilen Kräften zur Bildung einer Übergangsregierung. Zur Mobilisierung wurden Plattformen wie Facebook, Twitter und die Nachrichten-App Telegram genutzt. Über die sozialen Medien wurde zudem intensiv über die Proteste und das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte berichtet. Fotos und Smartphone-Videos mit teils drastischen Bildern gingen um die Welt. Das Regime versuchte, dies durch eine Blockade des Internets zu verhindern. Doch Aktivisten waren schnell in der Lage, die Blockade durch Nutzung von VPN-Diensten zu umgehen und die Welt weiter über die Lage zu informieren und den öffentlichen Druck aufrecht zu halten.
Niemand käme bei den oben genannten Beispielen auf die Idee, von „Facebook-Revolutionen“ zu sprechen, wie es noch bei den Ereignissen des Arabischen Frühlings der Fall war. Soziale Medien sind nicht der eigentliche Auslöser von Aufständen und auch nicht der alles entscheidende Faktor für den Erfolg solcher Aufstände. Man könnte auch sagen: Die Revolution wird nach wie vor auf der Straße gemacht, nicht in den digitalen Kanälen. Und dennoch zeigen die genannten Beispiele, welch wichtigen Einfluss soziale Medien auf die Geschehnisse haben können. Sie können das kollektive Bewusstsein für gemeinsame Probleme schärfen und ein Gefühl der Gemeinschaft und Solidarität vermitteln. Sie eröffnen alternative Kanäle zur Kommunikation und Koordination, helfen bei der Umgehung staatlicher Zensur, der Mobilisierung von Widerstand und der Herstellung von Öffentlichkeit. In den oben genannten Fällen wäre es ohne die sozialen Medien kaum möglich gewesen, in kürzester Zeit so viele Bürger zum Protest zu versammeln und eine weltweite Öffentlichkeit unmittelbar an den Ereignissen teilhaben zu lassen.
Zum vollständigen Bild gehört aber auch die Erkenntnis, dass die Euphorie nach den erfolgreichen Aufständen schnell der Ernüchterung weicht und der vermeintliche demokratische Aufbruch oft nicht hält, was er verspricht. Burkina Faso und Simbabwe sind dafür beste Beispiele, wie ein Blick auf die aktuelle Lage in beiden Ländern zeigt. Hier bestätigt sich auch in Subsahara-Afrika die bittere langfristige Erkenntnis des Arabischen Frühlings: dass der Sturz eines Regimes weitaus einfacher gelingt als die danach erhoffte Gestaltung einer demokratischen Zukunft mit stabilen Verhältnissen. Soziale Medien erscheinen bei Ersterem weitaus hilfreicher als bei Letzterem.
Jenseits von Revolutionen: Vielfältige Beiträge zur demokratischen Entwicklung
Man sollte also die Erwartungen an die sozialen Medien mit Blick auf demokratische Umstürze nicht zu hoch hängen. Aber Demokratie ist ja auch mehr als die Frage, ob und wie sich Machtwechsel vollziehen. In einem substanziellen Demokratieverständnis geht es um die Interaktion der Bürger untereinander und mit dem Staat, um Partizipation an Entscheidungsprozessen, um individuelle Rechte und Freiheiten, um Transparenz und Rechenschaft. Auch jenseits dramatischer Umbrüche und Umstürze können soziale Medien in Afrika in diesen Bereichen einige Beiträge leisten:
- Für politische Bewegungen und Parteien ergeben sich neue Formen der Kommunikation. Sie erlauben einen unmittelbareren Kontakt mit Mitgliedern und Wählern, helfen bei der Koordinierung von politischen Aktivitäten und der Mobilisierung von Unterstützern. Wo es in den etablierten Medien oft an Raum für kritische und oppositionelle Stimmen fehlt, bieten soziale Medien alternative Plattformen für die Vermittlung politischer Positionen.
- Soziale Medien bieten alternative Kanäle für die Verbreitung unabhängiger und unzensierter Informationen – vor allem dort, wo die traditionellen Medien durch staatliche Einflussnahme eingeschränkt sind. In der Tat sehen viele junge Afrikaner Facebook und Twitter als ihre Hauptinformationsquellen. Damit verliert auch die Gatekeeper-Funktion der herkömmlichen Massenmedien zunehmend an Bedeutung. Informationen gelangen unabhängig von redaktionellen Prioritäten und vorbei an staatlicher Zensur ins Netz. Jeder einzelne Bürger wird zur potenziellen Informationsquelle. So können es auch Themen und Stimmen in den öffentlichen Diskurs schaffen, die andernfalls weitgehend ausgeschlossen blieben.
- Soziale Medien können einen Beitrag zu mehr Transparenz und Rechenschaft leisten. Zum einen können staatliche Einrichtungen die digitalen Möglichkeiten proaktiv nutzen und Informationen und Dienstleistungen online zugänglich machen. Zum anderen können Bürger die Plattformen nutzen, um Rechte einzufordern, Missstände anzuprangern und konkrete Anliegen vorzutragen. Öffentlichen Einrichtungen wird es erheblich schwerer gemacht, Anliegen zu ignorieren, wenn diese in den sozialen Medien verbreitet werden. Auch für die Bekämpfung der Korruption ergeben sich Chancen. Whistleblower aus öffentlichen und privaten Institutionen können abseits der mitunter wenig vertrauenswürdigen offiziellen Kanäle ihre Einblicke teilen, ebenso wie einfache Bürger, die zu Betroffenen oder Zeugen von Korruption wurden. Erfahrungen in Uganda zeigen, dass auch auf lokaler Ebene soziale Medien einen entscheidenden Beitrag zu mehr Transparenz, Bürgerbeteiligung und Service-Orientierung der Behörden leisten können.
- Besonders mit Blick auf junge Zielgruppen bieten soziale Medien zusätzliche und innovative Ansätze für Bildungs- und Aufklärungsangebote, vor allem in den Bereichen Menschenreche und politische Bildung. Staatliche Akteure wie Menschenrechts- und Wahlkommissionen ebenso wie Nichtregierungsorganisation nutzen die Online-Plattformen bereits auf vielfältige Weise, um wichtige Grundlagen und Werte zu vermitteln – nicht nur, aber besonders auch rund um Wahlen.
- Soziale Medien können neue Formen des bürgerschaftlichen Engagements befördern. Durch den Austausch im Netz können sich gemeinsame Anliegen herauskristallisieren und kann ein Gefühl der Gemeinschaft und Solidarität entstehen, das sich im Idealfall in kollektive Anstrengungen übersetzt. Dabei muss es sich nicht zwangsläufig um Proteste handeln. Die Möglichkeiten des konstruktiven Engagements sind vielfältig: von der Verbreitung von Online-Petitionen über soziale Netzwerke und Fundraising-Kampagnen für soziale und humanitäre Anliegen, bis hin zur Koordinierung schneller Hilfe in Krisenfällen, wie zum Beispiel bei den Westgate-Terroranschlägen in Kenia.
Die hässliche Seite kommt zum Vorschein
Als der äthiopische Premierminister Abiy Ahmed im Dezember 2019 in Oslo den Friedensnobelpreis in Empfang nahm, fand er deutliche Worte: Die sozialen Medien würden Hass und Spaltung in seinem Land befördern und eine „Botschaft von Rache und Vergeltung“ verbreiten. Eine zunächst erstaunlich wirkende Äußerung. Aber nicht nur in Äthiopien zeigt sich mehr und mehr auch die Kehrseite, das hässliche Gesicht der sozialen Medien – wo sie doch eben dort eine so wichtige Rolle für den politischen Wandel spielten, der Abiy ins Amt brachte.
In Afrika ist das Bewusstsein für die negativen Auswirkungen der sozialen Medien in den letzten Jahren enorm gewachsen. Immer mehr machen die Menschen die Erfahrung, dass der Einfluss sozialer Medien sich polarisierend und radikalisierend auf die Gesellschaft auswirkt, anstatt – wie zuvor beschrieben – verbindend zu wirken. Auch in Afrika lässt sich eine Verrohung der Umgangsformen im Netz erkennen. Täglich aufs Neue wird übelste Hassrede in den sozialen Netzwerken verbreitet. Die Effekte von Algorithmen, Filterblasen und Echokammern führen dazu, dass viele Nutzer eben nicht ihren Horizont durch Informationsvielfalt erweitern, sondern stattdessen im Austausch mit Gleichgesinnten eben jene Informationen übermittelt bekommen, die ihre Weltsicht bestätigen. Im Kontext anhaltender Konflikte und ethnischer Spannungen in vielen afrikanischen Ländern erweist sich dies als besonders bedrohlich. Die konfliktverschärfende Wirkung der sozialen Medien ist unter anderem im Südsudan zu beobachten. Laut einer Studie aus dem Jahr 2016 waren 60 Prozent der südsudanesischen Nutzer an der Verbreitung von Hassnachrichten beteiligt, die ethnische Spannungen befeuerten und zur Gewalt anstachelten. Politisch Verantwortliche auf beiden Seiten des dort tobenden Bürgerkriegs machten sich dies zu Nutzen, oft durch bewusste Manipulation mit Hilfe von Falschnachrichten.
Überhaupt: Fake News scheinen aktuell das Thema schlechthin zu sein, wenn es um die Schattenseiten der sozialen Medien geht. Von dreisten Lügen individueller Nutzer bis hin zu irreführender Propaganda politischer Gruppen – jeden Tag aufs Neue werden die sozialen Medien auch in Afrika mit verfälschten oder gänzlich erfundenen Informationen geflutet. Für den normalen Nutzer wird es immer schwieriger, den Wahrheitsgehalt von Nachrichten einzuschätzen und verlässliche Informationen herauszufiltern. Nicht selten stecken dahinter gezielte Kampagnen zur Desinformation, insbesondere in den heißen Phasen des politischen Wettbewerbs. Keine der nationalen Wahlen auf dem Kontinent im Laufe des Jahres 2019 verlief ohne Diskussionen zum Thema Fake News. Befeuert wurden diese von immer neuen Enthüllungen systematischer Manipulation via Facebook & Co. Im Mai 2019 gab Facebook bekannt, dass eine israelische Consulting-Firma gesperrt wurde, die ein Netzwerk gefälschter Nutzerprofile koordinierte, über das systematisch versucht wurde, politische Stimmungen in mehreren afrikanischen Ländern zu beeinflussen. Im Oktober folgten ähnliche Schlagzeilen. Wieder ging es um die Sperrung Hunderter gefälschter Accounts, über die versucht wurde, auf Wahlprozesse in acht afrikanischen Ländern Einfluss zu nehmen. Diesmal führten die Verbindungen nach Russland. Bereits 2018 war ans Licht gekommen, dass die berüchtigte Firma Cambridge Analytica unter anderem auch in Kenia und Nigeria am Werk war, um über den Missbrauch massiver Facebook-Datenmengen und gezielte Desinformation Einfluss auf das Wählerverhalten zu nehmen.
Kontrollieren, manipulieren, blockieren – Reaktionen afrikanischer Regierungen
Diese Hinweise auf gezielte Manipulationen weisen auf einen weiteren Grund für die gewachsene Skepsis gegenüber den sozialen Medien hin: Regierungen in Afrika verstehen es immer besser, letztere für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren und zu manipulieren, die Online-Aktivitäten der eigenen Bürger auszuspähen und im Zweifelsfall die Nutzung durch Regulierung und Blockaden einzuschränken. Die bereits erwähnten Diskussionen um Hassrede und Fake News spielen ihnen dabei in die Karten, denn sie liefern eine willkommene Rechtfertigung für stärkere Kontrolle.
Natürlich kommt mit Blick auf die sozialen Medien auch das klassische Instrumentarium autoritärer Regime im Umgang mit kritischen Stimmen – den Journalisten im Dienst der traditionellen Medien wohlvertraut – zum Einsatz. Unliebsame Online-Inhalte werden zensiert, immer wieder kommt es zu Verhaftungen von Bloggern und Aktivisten, die für ihre Äußerungen im Internet bestraft werden. Wo die Instrumente zur Kontrolle der Inhalte im Internet fehlen, greifen afrikanische Regierungen immer öfter zum radikalsten Mittel und blockieren die Nutzung des Internets oder, sofern technisch möglich, gezielt die sozialen Netzwerke. In den vergangenen Jahren waren weit mehr als ein Dutzend afrikanische Länder zumindest temporär von derartigen Blockaden betroffen. Anlass waren zumeist aufkeimende oder eskalierende Proteste oder es handelte sich um „präventive“ Blockademaßnahmen rund um Wahlen.
Unterdessen wird vielerorts auch die gesetzliche Regulierung weiter verschärft. In Tansania wurde ein striktes Cybercrime-Gesetz verabschiedet, in dem Kritiker ein weiteres Mittel zum Vorgehen gegen kritische Stimmen sehen. In Nigeria stoßen Pläne für ein ähnliches Gesetz auf erheblichen Widerstand. Uganda dagegen wurde zum Vorreiter eines weiteren Ansatzes: der Besteuerung sozialer Medien. Seit Juli 2018 ist dort die Nutzung von Diensten wie Facebook, Twitter und WhatsApp nur noch nach Zahlung einer speziellen Steuer möglich. Die Regierung begründete den Schritt mit der Notwendigkeit der Erhöhung des Steueraufkommens, aber auch der Eindämmung des „verantwortungslosen Umgangs“ mit sozialen Medien. In mindestens fünf weiteren Ländern Afrikas sind ähnliche Pläne bereits umgesetzt oder in Vorbereitung. Die Organisation Reporter ohne Grenzen kritisiert die Steuern als massive Einschränkung der Informationsfreiheit, die die Demokratie untergräbt. Die Juristin Justine Limpitlaw kommt in einer Studie zu dem Schluss, dass das ugandische Modell ebenso wie die in Tansania erhobenen Lizenzgebühren für die Veröffentlichung von Online-Inhalten, die unter anderem auch Blogger betreffen, einen Verstoß gegen internationale Menschenrechtsnormen darstellt. Die auf den ersten Blick gering erscheinenden Beiträge sind für die große Masse der armen Menschen in den betroffenen Ländern kaum aufzubringen und stellen somit eine massive Einschränkung des Zugangs zu Informationen dar.
Sowohl bei den technischen Schritten zur Überwachung des Internets als auch bei den gesetzlichen Maßnahmen zur Regulierung orientieren sich viele afrikanische Staaten am Beispiel Chinas, das seinen politischen und wirtschaftlichen Einfluss auf dem Kontinent in den letzten Jahren massiv ausgebaut hat. In seiner Studie zur Freiheit im Netz aus dem Jahr 2018 beschreibt der US-Think-Tank Freedom House ausführlich den maßgeblich von China betriebenen globalen Push in Richtung „digitalem Autoritarismus“. China exportiert nicht nur seine Technologie für digitale Infrastruktur und Überwachung, sondern auch seine Vorstellung der „Cyber-Souveränität“, in dem der Staat die volle Kontrolle über das Internet und den digitalen Raum ausübt. Es ist kein Zufall, dass den bereits beschriebenen Gesetzesmaßnahmen in Uganda und Tansania intensive Fortbildungsmaßnahmen für Regierungsbeamte zum chinesischen Modell vorangingen. Aktuell arbeitet Simbabwe offenbar an den rechtlichen und technischen Grundlagen für ein am chinesischen Modell orientiertes Überwachungssystem. Hartnäckig halten sich auch die zuerst im Wall Street Journal vorgebrachten Anschuldigungen, der chinesische Technologiekonzern Huawei hätte die Regierungen Sambias und Ugandas beim Ausspionieren Oppositioneller unterstützt.
Der südafrikanische Think-Tank SAIIA (South African Institute of International Affairs) warnt in Anbetracht der beschriebenen Maßnahmen afrikanischer Regierungen vor einer schleichenden Entwicklung hin zur „digitalen Diktatur“:
„Afrikanische Führer haben mittlerweile erkannt, dass sie Technologie kontrollieren und die Freiheit und Fairness politischer Prozesse manipulieren können. Langsam aber sicher erweitern sie den Spielraum dessen, was akzeptabel ist und was nicht. Während soziale Medien anfangs als Bedrohung für die verschlossene und restriktive Kultur der alten Garde afrikanischer Führer gesehen wurden, haben Regierungen und politische Parteien diese Gleichung auf den Kopf gestellt und nutzen digitale Technologien nun zu ihrem Vorteil.“
Schlussfolgerungen für das pro-demokratische Engagement
Die anfangs erwähnten Beispiele für demokratischen Wandel sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die demokratische Entwicklung in Afrika in der Gesamtschau – von wenigen Ausnahmen abgesehen – aktuell eher stagniert als fortschreitet. In den meisten Ländern Afrikas halten sich alte autoritäre Herrscher an der Macht – erfolgreiche Proteste bleiben die Ausnahme. Aktuelle Entwicklungen lassen befürchten, dass daran auch die sozialen Medien nicht viel ändern werden. Dennoch wäre es falsch, ihren Beitrag zu ignorieren oder auf die negativen Aspekte zu reduzieren. Die Ausführungen in diesem Artikel zeigen Licht und Schatten gleichermaßen. Diese Widersprüchlichkeit gilt es zunächst einmal anzuerkennen.
Darüber hinaus sind gerade Akteure in der Demokratieförderung gut beraten, sich intensiv mit diesen Entwicklungen auseinanderzusetzen und sie in der Gestaltung von Maßnahmen explizit zu berücksichtigen. Regierungen in den liberalen westlichen Demokratien müssen ihrerseits überzeugende Gegenentwürfe zum politischen Umgang mit den Chancen und Herausforderungen der sozialen Medien entwickeln und ihre Umsetzung fördern. Natürlich stellt sich hier auch die Frage nach den rechtlichen Rahmenbedingungen und dem Regulierungsbedarf, gerade mit Blick auf die Rolle der großen Technologiekonzerne und Anbieter der Online-Plattformen. Aber dabei muss die Verteidigung des Rechts auf Informationsfreiheit und freie Meinungsäußerung auch und gerade im digitalen Raum das höchste Gebot bleiben. Mit Blick auf Afrika sollte man unter keinen Umständen China und anderen autoritären Vorbildern das Feld überlassen, deren Modell für viele Regierungen in Afrika offenbar attraktiv erscheint.
Zudem lohnt sich der Blick auf die junge Generation von Aktivisten und Innovatoren in den afrikanischen Ländern, die ihrerseits um Antworten auf die Herausforderungen bemüht sind. Initiativen, deren Förderung sich lohnt, sind zahlreich – von Kampagnen gegen den Hass im Netz, wie zum Beispiel #defyhatenow im Südsudan, bis hin zu Initiativen zur Entlarvung von Fake News, wie sie unter anderem die Organisation Africa Check erfolgreich betreibt. Auch die Stärkung der traditionellen Medien muss weiterhin Aufmerksamkeit genießen. Der Vertrauensverlust in die etablierten Medienformate ist einerseits Teil des Problems, andererseits kann der Kampf gegen Desinformation im digitalen Raum nur im Zusammenspiel mit unabhängigem Qualitätsjournalismus gelingen.
Investitionen bedarf es insbesondere in Afrika auch noch stärker in den Ausbau der digitalen Infrastruktur, denn die digitale Ungleichheit bleibt eines der Grundprobleme. Solange weite Teile der Bevölkerung vieler afrikanischer Länder von den modernen Technologien und damit vom Zugang zu Informationen ausgeschlossen bleiben, bleibt auch die erhoffte emanzipatorische, demokratisierende Wirkung der Digitalisierung eine Illusion.
Letztlich bleibt auch mit Blick auf soziale Medien vor allem die eigentlich plumpe Erkenntnis, dass nicht die Technologie an sich das Problem ist, sondern der Umgang damit. Und damit rücken die Nutzer in den Vordergrund. Somit ist die wohl wichtigste und gleichzeitig schwierigste Aufgabe die Bildung und Aufklärung der Bürger. Die Verinnerlichung grundlegender Werte wie Toleranz und Respekt und ein kritisches Bewusstsein der Nutzer nicht nur zur technischen Funktionsweise, sondern auch zu ihren Rechten und Pflichten bleibt der entscheidende Faktor, damit die positiven Seiten der sozialen Medien die eigenen Nachteile überwiegen können. In anderen Worten: Das beste Mittel sind mündige, aufgeklärte Bürger – ohnehin die wichtigste Säule für eine funktionierende Demokratie.
Mathias Kamp ist Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Uganda.
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