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Yannis Behrakis, Reuters

Auslandsinformationen

Digitale Demokratie in der Praxis

von Henri Bohnet, Martha Kontodaimon

Wie Griechenland mit Europa gleichziehen will

Die neue Regierung in Griechenland will keine Zeit verlieren und hat vor, die durch die finanziellen und wirtschaftlichen Turbulenzen verlorenen Jahre nachzuholen. Im digitalen Bereich gibt es noch viel zu tun: 2019 befand sich das Land unter den 28 EU-Mitgliedstaaten auf Rang 26 des Index für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI). Ohne Digitalisierung und die Abschaffung der aufgeblähten und überbesetzten Bürokratie wird das Land sein Ziel, ein attraktiver Ort für Investitionen zu werden, nicht erreichen können. Die derzeitigen Bemühungen bieten die Chance, die Wahrnehmung Griechenlands als kranken Mann Europas zu revidieren.

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Raus aus der Krise

In den letzten zehn Jahren gestaltete sich das Leben für die Griechen schwierig: Während der Finanzkrise wurden ihre Löhne gekürzt, die Renten reduziert und viele Arbeitsplätze abgeschafft, da viele Unternehmen aus dem Land flohen. Vor allem junge Menschen verließen ihre Heimat zu Tausenden, um Arbeit zu finden. Die Jahre, in denen die Troika aus Europäischer Zentralbank, IWF und EU-Kommission die Regierung Griechenlands unter Druck setzte, indem sie finanzielle Unterstützung an Reformen koppelte, werden im Land als Zeit des Memorandums bezeichnet.

Es funktionierte – zumindest teilweise: Die Wirtschaft wurde stabilisiert, erforderliche Reformen wurden auf den Weg gebracht, der Haushalt wurde ausgeglichen und eine Liquiditätsreserve für zukünftige Konjunkturabschwünge angelegt. Doch das Wachstum kehrt nur langsam zurück – die griechische Wirtschaft verlor nach 2008 mehr als ein Viertel seines Bruttoinlandsprodukts. Die Arbeitslosenquote ist zwar gesunken, liegt aber immer noch bei über 17 Prozent – mit Abstand der höchste Wert in der Europäischen Union. Bei den Staatsschulden hat sich kaum etwas verändert – diese liegen weiterhin bei erstaunlichen 181 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Bisher war der Reformprozess der vergangenen griechischen Regierungen in den Krisenjahren eher durch Zögern und Hartnäckigkeit als durch eine gesunde Eigenverantwortung und den Willen zum Fortschritt gekennzeichnet. Unter der linken Syriza-Regierung von Alexis Tsipras machte die Privatisierung kaum Fortschritte, florierte die Bürokratie und stiegen die Steuern derart an, dass Privatunternehmen zugrunde gingen und Investitionen abnahmen. Unternehmen beschwerten sich über hohe Steuersätze, viel Verwaltungsbürokratie und schwache Streitschlichtungsmechanismen.

Mit der neuen Regierung Kyriakos Mitsotakis (aus der Mitte-rechts-Partei Nea Dimokratia, die einen überwältigenden Sieg bei den Parlamentswahlen letzten Juli erlangte und eine absolute Mehrheit an Mandaten im Griechischen Parlament innehat) möchte Griechenland das alte Kapitel nun endlich abschließen. Das Land sei wieder handlungsfähig, ließ der Ministerpräsident verlauten. Und tatsächlich: einige Steuern wurden gekürzt, eingefrorene Wirtschaftsförderungen wurden reaktiviert und ausländische Investoren werden umworben. Nach sechs Monaten Amtszeit der neuen Führung sind sich internationale Beobachter einig, dass Athen nun offenbar die Notwendigkeit neuer Anstöße für Reformen erkannt hat und sich ernsthaft mit den Herausforderungen befassen will, die einer gesunden Wiederbelebung der griechischen Wirtschaft bisher im Weg standen. Eine dieser fundamentalen Herausforderungen ist die leistungsschwache Staatsbürokratie mit ihren komplizierten Verwaltungsabläufen. Die Regierung hat erkannt, dass sie die Funktionalität des Landes erheblich steigern kann, wenn sie diesen Bereich umgestaltet und setzt nun auf Digitalisierung.

 

Der analoge Staat

Unter den EU-Staaten findet sich Griechenland meist auf den hinteren Plätzen wieder, wenn es um Indikatoren der Digitalisierung und des E-Governments geht. Bei der Nutzung des Online-Bankings oder der Bereitstellung schneller Breitbandanschlüsse befindet es sich auf Rang 26. Geht es um die Zahl der E-Government-Nutzer und den Vernetzungsgrad insgesamt, belegt Griechenland sogar nur den letzten Rang. Eine großflächige Breitbandversorgung ist für ein europaweites Wachstum und Innovationen in allen Wirtschaftsbereichen von strategischer Bedeutung. Außerdem spielt sie eine wichtige Rolle für den sozialen und territorialen Zusammenhalt. Die Digitalisierung kann auch zu einer Aufwertung der unternehmerischen Aktivität in der Region führen, wie beispielsweise im Bereich des digitalen Unternehmertums und des Smart Farming – den Sektoren, die von der EU-Kommission als besonders vielversprechend für die wirtschaftliche und ökologische Entwicklung genannt werden.

Theorietisch liegt Griechenlands Breitband-abdeckung bei 96 Prozent. Doch die Abdeckung des Netzwerks der neuen Generation beschränkt sich auf 66 Prozent, was weit unter dem EU-Durchschnitt von 83 Prozent liegt. Auch bei den Breitbandkosten liegt das Land unter den EU-Staaten auf dem letzten Platz. Umfragen ergaben zudem, dass ca. 25 Prozent der griechischen Bürger noch nie das Internet genutzt haben und ein Großteil der Bevölkerung Online-Transaktionen misstrauisch gegenübersteht. Diese Zahlen stehen in deutlichem Kontrast zum EU-Durchschnitt: hier haben lediglich elf Prozent der Bürger noch nie das Internet genutzt, in Deutschland sind es sogar nur fünf Prozent.

Auch im Privatsektor, beispielsweise bei elektronischen Rechnungen und der Nutzung von Cloud-Lösungen, liegen griechische Unternehmen weit zurück. Der FinTech-Sektor – vom mobilen Banking bis zum elektronischen Handel – ist ebenfalls unterentwickelt. Insgesamt zeigt sich, dass das Fundament für eine stärkere Digitalisierung Griechenlands bisher noch nicht gelegt ist. Der Breitbandzugang und die Nutzung des Online-Banking sind jedoch von großer strategischer Bedeutung für das Land, das die Finanzkrise hinter sich lassen, seine Unternehmertätigkeiten vorantreiben und ausländische Investoren anziehen möchte.

 

Die Krisenjahre: Der falsche Weg, die griechische Wirtschaft zu modernisieren

Zu Beginn der Finanzkrise war Griechenlands öffentliche Verwaltung durchweg analog und versuchte erst spät die Digitalisierungspraktiken einzuführen, die schon Jahre zuvor in anderen europäischen Ländern angewandt wurden. Bis 2018 ließen sich Kopien offizieller Papiere, wie z. B. Geburts- oder Heiratsurkunden, nur offline beantragen. Zusätzlich konnten derartige Urkunden nur nach Absprache zwischen drei unterschiedlichen Behörden ausgestellt werden. Renten wurden mit einer Verzögerung von bis zu zweieinhalb Jahren nach Beginn des Ruhestands ausgezahlt. Laut des „Ease of Doing Business Report“ der Weltbank benötigte man zur Gründung eines Unternehmens bis 2014 durchschnittlich 15 verschiedene Genehmigungen. In Deutschland waren es neun, in Zypern nur sechs.

Wegen der hohen Kosten zahlreicher unpopulärer Modernisierungsmaßnahmen nahmen Politiker aller großen Parteien davon Abstand, den Reformbedarf anzusprechen.

Diese Beispiele zeigen den weiten Weg, den Griechenland zur Modernisierung seiner Wirtschaft und Verwaltung hinter, aber auch noch vor sich hat. In den letzten Jahren wurden die Modernisierungsbemühungen hauptsächlich von der „Zuckerbrot und Peitsche“-Politik der Troika vorangetrieben, die darauf abzielte, die griechische Regierung zu Reformen zu drängen. In der Theorie wurden dadurch viele Teile der Wirtschaft und Verwaltung bereits modernisiert. In der Praxis ist die Umsetzung der Maßnahmen aufgrund der mangelnden Eigenverantwortung bei den Reformen jedoch oft unzureichend. In dem Wissen um die hohen Kosten vieler unpopulärer Maßnahmen zur Modernisierung der Wirtschaft nahmen die Politiker aller großen Parteien davon Abstand, Verantwortung zu übernehmen und den Reformbedarf zu thematisieren.

Unter externer Aufsicht und im Tausch gegen enorme finanzielle Unterstützung zur Aufrechterhaltung der griechischen Wirtschaft stimmte Athen gewissen Reformen in der öffentlichen Verwaltung, Privatisierungen, der Gewährleistung finanzieller Stabilität und der Verbesserung seines Justizsystems zu. Seit 2011 liegt der Fokus auf der Konsolidierung des Rentensystems, dem Erhalt des öffentlichen Energieunternehmens PPC und dem Abbau administrativer Belastungen in der griechischen Wirtschaft. Bis Juni 2014 setzte die Regierung Antonis Samaras 265 der 329 OECD-Empfehlungen zur Abschaffung von Wettbewerbsbarrieren um. Der Finanzsektor wurde durch eine zweite Rekapitalisierung stabilisiert und gefestigt. Ein erstes Antikorruptionsgesetz wurde verabschiedet und eine Zivilprozessordnung verfasst. Auf dem Papier zahlten sich die Reformen aus: 2014 befand sich Griechenland im „Ease of Doing Business Report“ der Weltbank 17 Ränge höher als im Vorjahr. Doch in der Realität und vor dem Hintergrund der politischen Linie der Syriza-Regierung unter Alexis Tsipras waren die Reformen mit hohen Kosten für die griechischen Bürger verbunden. Deren Einkünfte, Ersparnisse und Renten fielen drastisch. Rentenfonds wurden zusammengelegt, Ausschüttungen und Zuschüsse gestrichen – das System wurde vereinheitlicht und schrittweise digitalisiert. Das in Misskredit stehende Steuersystem wurde modernisiert, doch gleichzeitig wurden die Steuersätze erhöht. Es wurden Schritte gegen Steuerhinterziehung unternommen und eine umfassende Neubewertung der Vermögenssteuer vorgenommen. Das Ergebnis: Bei der Steuerbelastung von Privatpersonen und Unternehmen steht Griechenland heute ganz oben auf der OECD-Liste.

Dabei traf die Reformwelle vor allem den Privatsektor. Die öffentliche Verwaltung versinkt hingegen weiterhin in Bürokratie, ist immer noch überbesetzt und in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens nicht bürgerorientiert. Trotz einiger Reformen widersetzen sich öffentliche Behörden häufig immer noch dem erklärten Ziel, effizientere, einfachere und transparente Verfahren einzuführen.

 

Bemühungen um eine digitale Transformation

Schon frühere Regierungen unternahmen wichtige Schritte im Bereich der Digitalisierung, doch führten diese nicht zu den oben genannten Zielen in Bezug auf Effizienz, Einfachheit und Transparenz. In Hinblick auf die enormen Herausforderungen des Landes ist dies verständlich. Dass die neue Regierung in Athen die Digitalisierung ganz oben auf ihre innenpolitische Agenda gesetzt hat, lässt hoffen. Bei seinem Besuch des neugegründeten Ministeriums für digitale Regierung im Juli erklärte der Ministerpräsident die digitale Transformation des griechischen Staats zur Einbahnstraße. „Der Staat muss seinen Bürgern dienen und dies kann nur erzielt werden, wenn der Staat die Verfahren dramatisch vereinfacht und digitalisiert,“ so Kyriakos Mitsotakis. Seitdem ist es das Ziel vieler Reforminitiativen, die Digitalisierung zu einem Querschnittsthema zu machen, das allen Ministerien und Behörden dient und gleichzeitig mit Verfahren des öffentlichen Lebens harmoniert. Die Schlagworte lauten hier Interoperabilität sowie Vereinfachung und sollen Griechenlands digitaler Transformation endlich zum Absprung verhelfen. Denn bis heute laufen die Internetseiten der griechischen Verwaltung auf unterschiedlichen Systemen, sind wenig nutzerfreundlich sowie aufgrund mangelnder Wartung ausgesprochen störungsanfällig. Zudem sind sie durch Cyberattacken angreifbar, wie die Ereignisse Mitte Januar 2020 gezeigt haben.

Mit Blick auf die Vorgabe einer höheren Transparenz gibt die Regierung an, die offiziellen Dateneigentümer und Behörden, die für die Bereitstellung digitaler Dienstleistungen zuständig sind, stärker kontrollieren zu können. Eine Neugestaltung der administrativen Verfahren im Sinne einer umfassenden Digitalisierung ist geplant. Für die Einbindung bewährter internationaler Methoden hat das Digitalisierungsministerium ein Expertenkomitee als institutionalisierten Konsultationsmechanismus berufen, in dem auch der ehemalige estnische Präsident Toomas Hendrik Ilves sitzt. Dieser strukturierte sein Land erfolgreich zu einer der am weitesten entwickelten digitalen Gesellschaften und wettbewerbsfähigsten Wirtschaften der Welt um.

Im Gegensatz zu den Esten haben bislang jedoch nur 36 Prozent der Griechen eine E-Government-Leistung in Anspruch genommen – der EU-Durchschnitt liegt bei 64 Prozent. Die EU weist darauf hin, dass die griechische Bevölkerung im Vergleich zu anderen EU-Mitbürgern kaum digitale Kompetenzen aufweist. Um eine größere Akzeptanz für digitale Behördendienste zu erreichen, müssen diese nicht nur als hilfreich, sondern auch als zeitsparend, effektiv und leicht handhabbar gesehen werden. Es wird deutlich, dass hier digitale Bildung in öffentlichen Schulen, Einrichtungen für lebenslanges Lernen und anderen Bereichen notwendig ist.

Führende Akteure des Privatsektors sind große Befürworter eines stärkeren Antriebs der Digitalisierung durch die Regierung. Die Vereinfachung der Bürokratie, eine Anpassung des Besteuerungsrahmens und ein größeres Vertrauen in den Staat wurden immer als führende Prinzipien auf dem Weg aus der Krise und in das 21. Jahrhundert gesehen.

Die Digitalisierung der Behörden würde zu einer effektiveren Korruptionsbekämpfung führen und die stark beklagte öffentliche Verwaltung verbessern.

Renommierte heimische Forschungsinstitute wie der griechische Industrieverband, das Institut für Wirtschafts- und Industrieforschung, die Open Technologies Alliance und das unabhängige Expertengremium diaNEOsis sind sich darin einig, dass die Digitalisierung und Vereinfachung von Abläufen der einzige effektive Weg zu diesen Zielen sind. Für Griechenland würde die Digitalisierung nicht nur einen markanten Anstieg des Bruttoinlandsprodukts, sondern auch eine höhere Lebensqualität für seine Einwohner bedeuten: 2017 errechneten führende Experten, dass eine erfolgreiche und umfassende digitale Transformation das Bruttoinlandsprodukt bis 2021 um vier Prozent steigern und 50.000 neue Arbeitsplätze schaffen könnte. Außerdem würde die Digitalisierung der Behörden zu einer effektiveren Korruptionsbekämpfung führen und die stark beklagte öffentliche Verwaltung verbessern. So würde das Vertrauen in die Administration wiederaufgebaut und das Bürgerengagement gefördert werden.

 

Der Privatsektor: Überleben und Widerstandsfähigkeit

Griechische Unternehmen trugen die Hauptlast der Rezession nach 2008. Einen großen Teil des nationalen Bruttoinlandsprodukts steuern die ungewöhnlich vielen Klein- und Kleinstunternehmen bei. In der Krise mussten zahlreiche Läden jedoch schließen, Arbeitsplätze wurden gestrichen und der Konsum nahm drastisch ab. Die Unternehmen, die diese Jahre überlebten, bewiesen Innovation und Widerstandsfähigkeit – sie zeigten sich flexibel gegenüber neuen Herausforderungen und Umständen. Einige große Unternehmen haben ihre eigenen digitalen Initiativen gegründet, die ihnen halfen, ihre Aktivitäten weltweit auszuweiten. Die Smart Factories der Mytilineos Gruppe zum Beispiel nutzen digitale Schmelzanlagen in der Metallurgie. Andere kleinere Betriebe schlossen sich zusammen und schufen Initiativen wie das Data Science Lab powered by TITAN Greece als Teil eines digitalen Transformationsplans. Doch sowohl bei der Verbesserung der Kundenerlebnisse als auch bei der Automatisierung und Rationalisierung der Produktion befinden sich die meisten großen Unternehmen nach wie vor in der Anfangsphase der digitalen Transformation.

Bemerkenswert ist jedoch die Entstehung einer erfolgreichen Start-up-Szene in Griechenland in den letzten Jahren, die bereits einige erfolgreiche Unternehmensgeschichten generierte und weit über die Grenzen Griechenlands expandiert. Tech-Unternehmen wie Blueground, TaxiBeat und Workable konnten rasante Entwicklungen, hohe Gewinne und ein steigendes internationales Interesse an ihren Produkten verzeichnen. TaxiBeat wurde 2017 sogar vom deutschen Daimler-Konzern übernommen und feiert Erfolge in Lateinamerika. Wie andere erfolgreiche griechische Start-ups behält es seinen Hauptsitz in Athen. Auch große Tech-Unternehmen aus den USA wie Google, Amazon und Tesla sind auf die griechische Start-up-Szene aufmerksam geworden und fördern die dortigen Aktivitäten. Gleichzeitig starten sie eigene Pilotprojekte im Lefkippos Technologiepark im Außenbezirk Athens. Unter anderem unterhält Tesla hier einen Forschungs- und Entwicklungsstandort.

Abgesehen von der kühnen und zunehmend lebhaften Start-up-Szene leiden kleine Unternehmen und Privatinitiativen immer noch darunter, dass der Staat nicht die angemessenen Rahmenbedingungen und administrative Transparenz bereitstellen kann, um sie zu unterstützen. Ein anschauliches Beispiel ist das Gesetz zur Investitionsförderung aus dem Jahre 2016, welches ein Hilfsprogramm für private Investitionen zur regionalen und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes schaffen sollte: Die Internetseite des Programms war bis vor Kurzem nicht aufrufbar und die verschiedenen bürokratischen Hürden sorgten dafür, dass nur ein kleiner Teil der Förderungen tatsächlich ausgezahlt wurde. Stattdessen häufte sich die Kritik. Der amtierende Minister für Entwicklung und Investitionen reagierte sarkastisch auf die Funktionalität des Programms: „So, wie die Dinge gerade laufen und unter der Annahme, dass ein Unternehmen, das sich für die Förderung bewirbt, alles richtiggemacht hat, die nötigen Papiere vorliegen und dass alles glatt läuft, braucht es 43 bürokratische Schritte und sieben Jahre Wartezeit, um die versprochenen Gelder zu bekommen.“ Die Bereitschaft der Regierung, die Dinge für kleine inländische Betriebe grundlegend zu verändern, wird wohl die Messlatte für ihren politischen Willen darstellen. Es wird notwendig sein, die Bürokratie mit besonderer Entschlossenheit zu vereinfachen und die wirtschaftliche Entwicklung zu unterstützen – vor allem bei Investitionen außerhalb der Hauptstadt Athen.

 

Einige Kommunalverwaltungen gehen voran

In einem zentralisierten Staat wie Griechenland ist es bemerkenswert, dass einige Gemeinden trotz der Tatsache, dass sie nur über sehr eingeschränkte Möglichkeiten und ein zentralisiertes Budget verfügen, zu Experimentierfeldern für Innovationen im Bereich der Digitalisierung werden. Unter den 332 verzeichneten Gemeinden hebt sich Trikala im Norden Griechenlands besonders hervor. In der öffentlichen Diskussion wird sie die Smart City Griechenlands genannt. Dadurch, dass sie sich der Digitalisierung im Vergleich zum Rest des Landes in einer sehr frühen Phase geöffnet hat, konnten die Kommunalverwaltung und der Stadtrat strategische Entscheidungen treffen und wichtige internationale Partnerschaften aufbauen, um den Einwohnern effektive Dienste zur Verfügung zu stellen. Die mobile Trikala Check App bietet in Zusammenarbeit mit privaten Unternehmen drahtlosen Internetzugang und ein intelligentes Parksystem im örtlichen Einkaufszentrum. Außerdem hat die Stadt fahrerlose Linienbusse getestet und ist offen für Smart City-Konzepte wie intelligente Beleuchtung. Andere Gemeinden haben Teile ihrer Digitalisierungsvorhaben von Dienstleistungen an eine übergreifende Bürgerengagement-Plattform für Kommunalverwaltungen ausgelagert (unter anderem Athen, Dionysos und Igoumenitsa). Dies hat die Zusammenarbeit der Bürger mit ihrer Stadtverwaltung erheblich verbessert sowie die Möglichkeiten erweitert, Daten zu verschiedenen Themen wie Kundenzufriedenheit, öffentlichen Beschwerden oder Vandalismus-Meldungen zu sammeln. Die Gemeinden, in denen digitale Dienste immer stärker angenommen werden und Offenheit gegenüber öffentlich-privaten Kooperationen besteht, können ein Vorbild für andere Gemeinden sein. Der Erfolg dieser Pioniere sollte auch die nationale Regierung dazu motivieren, Initiativen zu einer direkteren Interaktion zwischen Kommunalverwaltungen und ihren Bürgern zu fördern – vor allem bei der Nutzung und Erweiterung digitaler Dienstleistungen. So könnten bewährte Methoden zur Verbesserung von Dienstleistungen und einer effizienten, nachhaltigen Nutzung der staatlichen Förderungen aufgezeigt werden und als Beispiel dienen.

 

Mithilfe der Digitalisierung wird Griechenland wieder mitmischen können

Seit zwei Jahren befindet sich Griechenlands Wirtschaft in einem Aufwärtstrend. 2020 erwartet der Finanzminister ein Wachstum von 2,8 Prozent – es wäre das höchste Wachstum seit Beginn der Krise vor zehn Jahren. Vor Kurzem stuften zudem diverse Ratingagenturen den Status Griechenlands hoch und gaben der Wirtschaft des Landes einen positiven Ausblick. Unter anderem die Financial Times berichtete darüber, dass internationale Märkte eine hohe Nachfrage nach griechischen Anleihen beobachten, da die Kapitalmarktzinsen zeitweise unter denen Italiens liegen. Das Land scheint auf einem Weg der Besserung. Wie es mit den Herausforderungen der Digitalisierung umgeht, wird ausschlaggebend dafür sein, ob der Aufschwung nachhaltig bleibt.

Im 21. Jahrhundert ist die Digitalisierung eine Einbahnstraße: 2020 gehört es zum Allgemeinwissen, dass effiziente öffentliche Dienstleistungen und transparente Politikgestaltung den Bürgern am meisten dienen. Dies kann heutzutage am besten mithilfe des Internets sichergestellt werden. Griechenland, die Geburtsstätte der Demokratie, fand sich in den letzten Jahren jedoch nicht an der Spitze der Innovation. Es hat den ersten Zug der Informationstechnologie zu Beginn des Jahrtausends verpasst und tut sich nun schwer, auf den nächsten Zug der Digitalisierung und des effektiven E-Governments aufzusteigen. Da aktuell nur 1,13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung fließen, was Griechenland innerhalb der EU Rang 18 verschafft, scheint der aktuellen Regierung in Athen die Herausforderung bekannt zu sein. Nichtsdestotrotz wurden ermutigende Schritte in die richtige Richtung unternommen und einige Kommunalverwaltungen und Teile des Privatsektors zeigen die nötige Motivation, um das Land voranzutreiben. Diese Anzeichen für Veränderung und Innovation basieren größtenteils auf Lektionen aus der Vergangenheit und sind ein Beweis für die kreative Widerstandskraft einiger führender Akteure im griechischen Privatsektor. Nun muss auch der öffentliche Sektor diesem Beispiel folgen. In ihren ersten sechs Monaten zeigte die Regierung unter Mitsotakis, dass sie die Fehler der Vergangenheit in Zukunft zu verhindern und aus bewährten Methoden im Ausland zu lernen versucht. Doch der Großteil der Arbeit steht noch bevor.

Mithilfe effizienter Online-Dienstleistungen für Bürger und Unternehmer könnte die öffentliche Verwaltung ein zuverlässiger Partner für internationale Investoren werden.

Wie könnte eine dynamische und digitale Demokratie in Griechenland aussehen? Erstens könnte sie dort Transparenz schaffen, wo bisher Klientelismus und Bürokratie für Nebel sorgten und Entwicklung sowie Wachstum verhinderten. Zweitens könnte sie Vertrauen stärken. Durch eine stärkere Interaktion mit seinen Bürgern und die Möglichkeit, in Echtzeit auf ihre Wünsche und Vorschläge zu reagieren und sie die Ergebnisse beobachten zu lassen, könnte das Vertrauen in öffentliche Behörden und auch das Bürgerengagement wachsen. Drittens würde sie das Wirtschaftswachstum fördern. Mithilfe einer Vielzahl effizienter Online-Dienstleistungen für Bürger und Unternehmer könnte die öffentliche Verwaltung ein zuverlässiger Partner für internationale Investoren werden. Das Potenzial, die Minderung, Vereinfachung und Harmonisierung dieser Vorgänge zu erreichen, ist groß. Diese und andere Vorteile könnten Griechenlands Attraktivität für ausländische Direktinvestitionen erhöhen. Außerdem könnte eine Umstellung auf einen stärkeren digitalen Marktplatz mehr Know-how aus dem Ausland bringen.

Eine funktionierende digitale Demokratie würde darüber hinaus eine bessere Lebensqualität mit sich bringen, wenn gesammelte Daten dazu genutzt würden, Städte und Gemeinden smarter und nachhaltiger zu gestalten. Fortschritte ließen sich in verschiedenen Bereichen erzielen – von der Abfallwirtschaft über den Stromverbrauch bis hin zu intelligenten Verkehrssystemen. In Bereichen also, in denen Griechenland weit unten in europäischen und internationalen Rankings liegt.

Die Digitalisierung könnte auch Vorteile für die Bildung bringen. Obwohl das griechische Bildungssystem bei seinen Einwohnern ein hohes Ansehen genießt, gibt es im internationalen Vergleich viel Verbesserungsspielraum. Fernunterricht und Online-Studiengänge sind nahezu unbekannt. Die Vorteile eines modernisierten Bildungssystems auf Grundlage digitaler Kompetenzen könnten durchaus umfangreich sein. Vor allem würde es dabei helfen, Menschen mit besonderen Bedürfnissen miteinzubeziehen und den Anteil beschäftigter Frauen zu erhöhen, der im Vergleich zu anderen europäischen Staaten ebenfalls relativ gering ist.

Ein weiterer Bereich, der von einer stärkeren Digitalisierung profitieren würde, sind öffentlich-private Partnerschaften, die in Griechenland immer noch eine Ausnahme darstellen. Ein höheres Aufkommen dieser Partnerschaften könnte das Land mithilfe von Kooperationen statt einseitiger Regierungsinitiativen oder Unternehmensideen in eine neue Ära der Entwicklung führen. In fast jedem Bereich könnten diese Kooperationen stattfinden – auch im Bankensektor, in dem Griechenland immer noch die Folgen der Finanzkrise spürt. Aktuell arbeitet das Ministerium für Entwicklung und Investments mit der Hellenic Bank Association zusammen, um die digitale Plattform des Investitionsförderungsgesetzes voranzutreiben und bis April 2020 funktionsfähig in Betrieb zu nehmen.

Das Leben in einer digitalen Welt bringt Herausforderungen mit sich. Um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, muss Griechenland seine Stärken hervorheben, seine Ressourcen effektiv nutzen und vor allen Dingen ein sicheres und offenes Umfeld schaffen, in dem seine Bürger und Unternehmen florieren können. Zu Beginn des neuen Jahrzehnts ist es Zeit, die Grundlage für eine digitale Demokratie und Wirtschaft zu legen. Erweisen sich diese Bemühungen als erfolgreich, kann Griechenland zu einem attraktiven Ziel nicht nur für Sonnenhungrige und Essensliebhaber, sondern auch für führende Unternehmen und kluge Köpfe auf der Suche nach Gelegenheiten und Innovationen werden.

 

– übersetzt aus dem Englischen –

 


 

Henri Giscard Bohnet ist Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Griechenland.

 


 

Martha Kontodaimon ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Griechenland.

 

 


 

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