Länderberichte
Darin heißt es: "Bis zum Ende ihrer Amtsperiode ist die Volksversammlung (Parlament) aufgerufen, konsequent und kategorisch die Umsetzung der Wahlplattform '97 und des Regierungsprogramms - Bulgarien 2001 fortzuführen und in Zusammenhang damit folgende Prioritäten in den Vordergrund zu rücken":
- Erfolgreiche Verhandlungen mit der Europäischen Union;
- Erreichung eines nachhaltigen, nichtinflationären Wirtschaftswachstums, verbunden mit einer Steigerung der Realeinkommen;
- Entwicklung von konkurrenzfähiger Industrie, Landwirtschaft und Dienstleistungssphäre;
- Durchführung einer realistischen Sozialpolitik;
- Gewährleistung der Menschenrechte.
Die parlamentarische Demokratie scheint in Bulgarien mittlerweile ziemlich fest verankert. Demgegenüber steht in den Augen nicht unbeträchtlicher Bevölkerungsteile der Beweis für die Überlegenheit der Marktwirtschaft gegenüber der vor 1989 herrschenden Planwirtschaft noch aus.
Freilich kann die Statistik gegenwärtig nicht alle Einkommensquellen der Bürger erfassen; zudem ist bekanntlich nicht so sehr die absolute Höhe der Einkünfte wie deren Kaufkraftparität - 1 DM hat in Bulgarien in Durchschnitt eine erhebliche höhere Kaufkraft als z.B. in Deutschland - ausschlaggebend, so daß sich die Lage vielleicht nicht ganz so dramatisch darstellt, wie es auf den ersten Blick aussehen könnte. Aber trotz aller Reformmaßnahmen, insbesondere seit 1997, bleibt die wirtschaftliche Situation für viele Haushalte angespannt. Die in den letzten Monaten um ca. 4 Prozent auf über 17% gestiegene Arbeitslosenquote aufgrund der Schließung unrentabler Unternehmen und des Stellenabbaus in der öffentlichen Verwaltung im Zuge der administrativen Reform rundet dieses wenig erfreuliche Bild ab. Wachsende Segmente der Öffentlichkeit beurteilen infolgedessen die ökonomischen Reformen nicht so positiv wie das Ausland.
Im klaren Bewußtsein dieser Tatsachen ruht der Akzent im aktualisierten Programm der UDK vordergründig auf den wirtschaftlichen Aspekten, weil diese weiterhin zweifellos im Zentrum der Aufmerksamkeit der bulgarischen Öffentlichkeit stehen und nach einhelliger Ansicht gerade die ökonomischen Probleme den Hauptgrund für den Vertrauensschwund in die Regierungsparteien, für die Entfremdung von den Politikern und die Desorientierung bilden. Wenn es gelänge, die Einkommensverhältnisse einigermaßen erträglich zu gestalten sowie zu einem gewissen Abbau der Arbeitslosigkeit zu gelangen, dürfte die Akzeptanz der freiheitlichen Demokratie und der Sozialen Marktwirtschaft wieder steigende Werte verzeichnen. Dies wäre seinerseits Voraussetzung für eine gutes Abschneiden der Regierungsparteien bei den Parlamentswahlen 2001.
Als wichtigste Punkte in der wirtschaftlichen Sphäre sind im Programm herauszuheben:
- Unterstützung der Unternehmer: Im laufenden Jahr müssen durch die Gesetzgebung und die Tätigkeit der Regierung die Mechanismen zu direkten Unterstützung derjenigen gefunden werden, die Arbeitsplätze schaffen, produzieren, besonders für den Export, Steuern zahlen und die Haushaltseinnahmen sicherstellen.
- Verringerung der Arbeitslosigkeit: Die Wirtschaftspolitik muß mit einer Belebung des Arbeitsmarktes auf regionalem Niveau einhergehen. Die Struktur-, Sozial- und Regionalfonds müssen in Regionen dirigiert werden, wo die Probleme der Armut und Arbeitslosigkeit am größten sind und es fertige Lösungen zu ihrer Überwindung gibt. Es ist auch eine direkte Förderung der kritischen Regionen sowie die breite Anwendung von Expertenhilfe und die Nutzung sämtlicher Mittel aus allen möglichen Quellen erforderlich.
- Steuersenkung: Die neuen niedrigeren Steuersätze, die am 1.1.2001 in Kraft treten, müssen das Unternehmertum fördern. Zugleich muß ein verbessertes Steuer- und Sozialbeitragsaufkommen durch die Schaffung der neuen effektiven Verwaltung, die Erleichterung der Verfahren und die Zurückdrängung der Schattenwirtschaft gewährleistet werden.
Das aktualisierte Programm wurde auch im Parlament debattiert und dabei von der Opposition einer scharfen Kritik unterzogen. Das Dokument sei leer und unrealistisch, demagogisch und populistisch. Besonders das letzte Adjektiv wird in letzter Zeit immer häufiger von den Oppositionsparteien zur Umschreibung der Regierungspolitik gebraucht. Merkwürdigerweise ist in der bulgarischen politischen Elite offenbar die Ansicht vorherrschend, bürgerliche Parteien wie die UDK seien ihrem Wesen nach geradezu antisozial ausgerichtet; die sozialen Elemente werden als Domäne der linken Kräfte betrachtet.
In diesem Sinne werden bestimmte Punkte im aktualisierten Regierungsprogramm sowie Äußerungen von Delegierten auf der Nationalkonferenz der UDK zur Steigerung der Renten, zur "Einfrierung" der Strom- und Heizungspreise, zur Schaffung von 250 000 neuen Arbeitsplätzen usw. innerhalb eines Jahres als "sozialer Populismus" interpretiert. Die BSP reagiert hier besonders empfindlich und befürchtet eine Vereinnahmung ihres vermeintlichen Monopols auf Werte wie Solidarität und Gerechtigkeit, die sie im nächsten Wahlkampf wieder verstärkt einzusetzen gedenkt.
So sagte der sozialistische Abgeordnete Rumen Owtscharov während der Parlamentsdebatte: " (...) Nach drei Jahren haben sowohl (der Premier) Iwan Kostov als auch die UDK (...) buchstäblich unsere Positionen und Grundsätze übernommen. Ihr Vokabular werden immer linker und folglich - immer vernünftiger (...)" Das Mitglied des Obersten Parteirates (=Parteivorstand) der BSP, Swetoslav Mitschev, äußert in einem Zeitungsinterview: "Der Versuch der Regierungsparteien, den sozialen Populismus für ihre Zwecke einzuspannen, wird mißlingen. Selbst wenn sie die Reformen stoppen sollten, wofür es Anzeichen gibt, und selbst wenn sie die Situation mit irgendwelchen fiktiven inneren und äußeren Ressourcen übertünchen sollten (...). Wir werden uns gegen diese erfolglose, gescheiterte Reform stellen."
Natürlich beinhalten die neuen sozialen Akzente in der Politik der UDK keinerlei Versuche zur Umverteilung des Bruttoinlandsprodukts nach sozialistischem Muster. Die Parteiführung ist sich sehr wohl dessen bewußt, daß die Sozialpolitik den wirtschaftlichen Leistungen Rechnung tragen muß und daß gerade eines der auslösenden Momente für den Zusammenbruch des Realsozialismus 1989 eben die Abkopplung der (vielfach sogar unzulänglichen) "sozialen Errungenschaften" von der wirtschaftlichen Effektivität war. Dennoch sind hier nicht alle Reserven im Sinne einer differenzierteren Verteilung usw. gänzlich ausgeschöpft. Auch hat die UDK bisher den Umstand, daß in einer christlich-demokratischen Volkspartei liberale, konservative sowie auch und vor allem soziale Elemente parallel nebeneinander bestehen, viel zu wenig in den Vordergrund gerückt und kaum propagandistisch genutzt.