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Länderberichte

Auf dem Weg zu einem modernen Prozessrecht

von Reinhard Junghanns
Zur Eröffnung des Juristischen Jahres am 16. März 2001 stellte die "Mündlichkeitskommission" der Corte Suprema de Justicia de Costa Rica der Öffentlichkeit ihren Entwurf eines einheitlichen konsolidierten Prozessrechts vor.

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Die aus drei Büchern bestehende "Allgemeine Prozessordnung" (Codigo Procesal General) vereinheitlicht und vereinfacht nicht nur das Verfahrensrecht für verschiedene Verfahrensarten, sondern führt darüber hinaus wichtige Elemente der Mündlichkeit ein. Die beabsichtigte tiefgreifende Reform des Prozessrechts greift dabei auf europäische, insbesondere in Deutschland, Österreich und Italien etablierte Verfahrensmodelle zurück und berücksichtigt die mit einer ähnlichen Prozessrechtsreform in Uruguay gemachten positiven Erfahrungen.

Die Reform stellt eine radikale Abkehr vom langwierigen tradierten schriftlichen Verfahren dar. Wie Ricardo Zeledón Zeledón, einer der Verfasser des Entwurfs und Richter am Zivilsenat des Obersten Gerichtshofs, anlässlich der öffentlichen Vorstellung des Entwurfs formulierte, wird die beabsichtigte Reform zu einer "Humanisierung, Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahren" führen. Das Projekt wird in Kürze vom Obersten Gerichtshof dem Präsidenten der Republik und dem Parlament zur Beschlussfassung zugeleitet werden.

Juristische Streitkultur und Streitfreudigkeit der Bevölkerung sind in Costa Rica weit entwickelt. Statistisch gesehen ist jeder fünfte Bürger Partei eines Rechtsstreits. Dabei ist man stolz darauf, dass diese Streitigkeiten im Rahmen von gerichtlichen Verfahren ausgetragen werden, was nicht in allen Ländern der Region selbstverständlich ist. Dies hat in jüngster Vergangenheit zunehmend zu einer Überlastung der Gerichte und Verlängerung der Verfahrensdauer geführt.

Im arbeitsgerichtlichen Verfahren beträgt diese beispielsweise bis zu 34 Monate. Folge ist der drohende Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Justiz. Vor diesem Hintergrund hat die Corte Suprema de Justicia sich vor über einem Jahr zur Vorlage einer tiefgreifenden am deutsch-österreichischen Prozessrecht orientierten Reform entschlossen. Eine vom Präsidenten des Gerichtshofs eingesetzte Mündlichkeitskommission unter Vorsitz des Richters Ricardo Zeledón studierte die verschiedenen Verfahrensmodelle und erarbeitete unter Hinzuziehung internationaler Experten aus Deutschland, Italien, Uruguay, Argentinien, Peru, Mexiko, Venezuela, El Salvador und Guatemala den jetzt vorgelegten Entwurf einer "Allgemeinen Prozessordnung".

Der aus drei Büchern (Erstes Buch: Allgemeine Vorschriften; Zweites Buch: Verfahrensarten; Drittes Buch: Spezialgerichtsbarkeiten) bestehende Text schafft ein einheitliches konsolidiertes Verfahrensrecht für den allgemeinen Zivilprozess, die speziellen arbeitsgerichtlichen und familienrechtlichen Verfahren, den Umweltprozess und den Agrarprozess. Ausgenommen bleibt das verwaltungsgerichtliche Verfahren (Contencioso Administrativo), das Gegenstand eigenständiger Kommissionsberatungen ist, die im Jahre 2001 abgeschlossen werden sollen. Im Strafprozessrecht wurde das Mündlichkeitsprinzip bereits vor Jahren mit Erfolg eingeführt.

Anlässlich der Vorstellung seines Jahresberichts 2000 hob der Präsident des Obersten Gerichtshofs, Luis Paulino Mora Mora, im Beisein des Staatspräsidenten und der Parlamentspräsidentin die Unterstützung des Reformvorhabens seitens der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) besonders hervor. Bereits im Februar 2000 war eine sechsköpfige Delegation bestehend aus Richtern, Parlamentariern und Rechtsanwälten zu einem Informationsbesuch nach Deutschland gereist, um hier insbesondere den deutschen Zivilprozess mit seiner mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht und ein modernes Beweisrecht kennenzulernen und im Hinblick auf seine eventuelle Modellfunktion zu analysieren.

Unterstützung, Beratung und praktischen Anschauungsunterricht erhielt die Delegation dabei vor allem anlässlich ihrer Besuche des Landgerichts Landshut und der Universität Bayreuth. Eine erste internationale Expertenkonferenz unter Beteiligung der KAS und des UNDP in San José folgte im März 2000.

Nach Fertigstellung der drei Bücher der neuen "Allgemeinen Prozessordnung" wurde der Entwurf im Rahmen eines weiteren Seminars vom 12. bis 14. März 2001 erneut auf den Prüfstand einer internationalen Expertenrunde gestellt. Nach Ansicht der anwesenden Experten aus neun Ländern, unter ihnen auch der Vize-Präsident des Landgerichts Landshut Claus Heinrichsen, hat der Entwurf die Prüfung bestanden. Dies brachten sie in einer gemeinsamen Erklärung zum Ausdruck ("Declaración de Juristas de Europa y America Latina sobre el Codigo Procesal General de la Corte Suprema de Justicia de Costa Rica" vom 14. März 2001).

Nach Vornahme kleinerer Änderungen im Lichte der von den anwesenden ausländischen Experten und costaricanischen Richtern des Obersten Gerichtshofs und der Berufungsgerichte abgegebenen Kommentare wird der Entwurf des Reformwerkes nunmehr zügig dem Staatspräsidenten und dem Parlament zugeleitet werden.

In den parlamentarischen Beratungen wird es darauf ankommen, den Entwurf gegen den zu erwartenden starken Widerstand aus traditionalistischen Juristenkreisen, insbesondere innerhalb der Anwaltschaft, zu verteidigen und zu verabschieden. Um die Parlamentsfraktionen der beiden großen costaricanischen Parteien von Anfang an in die Beratungen einzubeziehen und damit die Bedingungen der Verabschiedung des Codigo Procesal General durch das Parlament zu verbessern, waren deren Obleute im Rechtsausschuss, Frantz Acosta (PLN) und Belisario Solano (PUSC), von Beginn an an den Beratungen der Mündlichkeitskommission beteiligt.

Die Annahme des neuen Verfahrensrechts stellt die costaricanische Justiz aber auch vor große Herausforderungen. Nicht nur Richter, Anwälte und Justizbeamte gilt es zu schulen. Eine derart tiefgreifende Reform stellt das Gerichtswesen des mittelamerikanischen Landes auch vor logistische Probleme. Insbesondere die Kritiker des Reformvorhabens führen an, dass die baulichen Voraussetzungen zur allgemeinen Durchführung mündlicher Verhandlungen noch nicht vorliegen.

Die notwendigen Investitionen in Ausbildung und Bauvorhaben würden die Justizverwaltung überfordern. Dem entgegnen die Anhänger der Reform mit Entschiedenheit, dass die Beibehaltung des Status quo keine Alternative darstelle. Dem demokratischen Musterland Mittelamerikas drohe ansonsten der "Justizinfarkt". Dieser könne nicht nur das Vertrauen der Bürger in die Justiz, sondern in das demokratische Staatswesen und den Rechtsstaat insgesamt erschüttern. Dies gelte es, durch eine mutige zukunftsweisende Reform zu vermieden.

Die auf den Weg gebrachte durchgreifende Modernisierung des Prozessrechts strahlt bereits jetzt aus Costa Rica auf die Nachbarstaaten der Region aus. So bildet die Einführung des Mündlichkeitsprinzips bereits den Gegenstand von Beratungen in El Salvador und Guatemala.

In anderen Ländern sind -ebenso wie in Costa Rica- Bemühungen um die alternative Streitbeilegung im Gange. In Mexiko hat das renommierte Instituto de Investigaciones Jurídicas der UNAM eine vorbereitende Studie in Angriff genommen um auszuloten, ob die Notwendigkeit besteht, den Entwurf eines einheitlichen Zivilprozessrechts (Código Uniforme de Procedimientos Civiles) zu erarbeiten.

Reformdruck besteht vor allem in den nördlichen, an der Grenze zu den USA gelegenen mexikanischen Bundesstaaten, die alle über ihr eigenes Zivilprozessrecht verfügen. Eine Kommission unter Vorsitz des Präsidenten des Tribunal Superior del Distrito Federal hat sich dieser Frage im Auftrag der einzelstaatlichen Gerichtspräsidenten angenommen.

Das KAS-Rechtsstaatsprogramm unterstützt derartige verfahrensrechtliche Reformvorhaben, wenn diese geeignet sind, zur Verfahrensbeschleunigung, einer Steigerung der Effizienz der Gerichte und verbessertem Zugang der Bürger zur Justiz zu führen, und damit das Vertrauen der Bürger in die Justiz und den Rechtsstaat stärken.

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