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Länderberichte

Bosnien und Herzegowina - Wahlen mit Überraschungen

von Sven Petke, Suljo Ćorsulić

Stabile Wahlbeteiligung

2020 sollte für Bosnien und Herzegowina (BiH) ein positives Jahr werden. Politiker hatten den Wählern Fortschritte auf dem Weg zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union und der NATO in Aussicht gestellt. Nachdem für die Bildung des gesamtstaatlichen Ministerrates das gesamte Jahr 2019 verwendet wurde, sollten endlich notwendige Reformen umgesetzt werden. Positive Entwicklungen gab es: Bosnien und Herzegowina hat seit 2017 ein in kleinen Schritten wachsendes BIP und eine wachsende Beschäftigungsquote. Die Situation hat sich jedoch gedreht. Die COVID-19-Pandemie hat einen enormen Einfluss auf die Politik und die Wirtschaft. Die Kommunalwahlen am 15. November 2020 in Bosnien und Herzegowina waren deshalb eine besondere Herausforderung für das Land. Die ausgeprägte politische Dezentralisierung von Bosnien und Herzegowina gibt der Kommunalpolitik Kraft und Einfluss. Sie ist zugleich Stimmungsbild für die 2022 anstehenden Wahlen auf der nationalen Ebene und den beiden Entitäten.

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Stabile Wahlbeteiligung

Insbesondere Kommunalwahlen waren in Bosnien und Herzegowina bisher nicht von hoher Wahlbeteiligung geprägt. Die Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen im Jahr 2016 betrug 53,88 %. 2020 sank die Wahlbeteiligung etwas auf 50 %. Es ist möglich, dass unterschiedliche Faktoren die Wahlbeteiligung beeinflusst haben. Der wichtigste dürfte die COVID-19-Pandemie sein, bei der in den letzten Wochen im Oktober und November die Zahl der infizierten Personen sehr stark angestiegen ist. In diesem Zusammenhang gab es eine Reihe von Maßnahmen zur Verhinderung der Infektionen.

In der Politik von Bosnien und Herzegowina spielen in den drei Völkerschaften wenige Parteien eine tragende Rolle. Bei den Kommunalwahlen zeigten sich erneut Änderungen, besonders in den großen Städten. Die bosniakische SDA und die serbische SNSD verloren die größten Städte: Sarajevo und Banja Luka. Die Ergebnisse haben jedoch gezeigt, dass Oppositionsparteien wie die serbische PDP in Banja Luka, und die „Četvorka“-Koalition in Sarajevo zurzeit mehr Zuspruch von den Wählerinnen und Wählern erhalten.

Ein wichtiger Aspekt sind die Wahlen in Mostar am 20. Dezember. 12 Jahren ohne Kommunalwahlen – ein absurder Zustand in einer Stadt in Europa.

Ergebnisse der EVP-Parteien

„Wir haben Sarajevo verloren aber Bosnien und Herzegowina gewonnen”, sagte Bakir Izetbegović über die Ergebnisse seiner Partei auf der Pressekonferenz nach den Wahlen. Die SDA gewann in 30 Gemeinden, aber das war sicherlich keine erfolgreiche Wahlnacht für die SDA. Die Partei hat in den großen Städten Stimmen verloren. Das schwache Wahlergebnis und das Ausscheiden aus der Regierung des landesweit bedeutendsten Kantons Sarajevo können als Niederlagen mit Folgen bezeichnet werden

Der „Četvorka”-Koalition aus SDP, Naša Stranka, NBL und NiP gelang ein Sieg in drei von vier Gemeinden. Die SDA ist noch immer die stärkste Partei in Bosnien und Herzegowina. Die Wahlergebnisse haben aber die Rolle der Partei geschwächt.

Dagegen freut sich die kroatische HDZ BiH über ein gutes Wahlergebnis. Bis jetzt hat HDZ BiH in 20 Gemeinden gewonnen, in Tomislavgrad und Prozor-Rama verloren.  Die HDZ BiH hat auch in Vareš, Novi Travnik, und Stolac gewonnen. Der Präsident Dragan Čović zeigte sich zufrieden mit den Ergebnissen seiner Partei.

Eine Oppositionspartei aus der Entität Republika Srpska sorgte für die größte Überraschung der Kommunalwahlen. In Banja Luka wurde der PDP-Abgeordnete Draško Stanivuković zum Bürgermeister gewählt. 51.620 Wählerinnen und Wähler gaben dem 27-jährigen ihre Stimme in der zweitgrößten Stadt von BiH. Das sind 54,52 %. Der Amtsinhaber der SNSD erhielt 45,48 %.

„Banja Luka wird eine Stadt sein, wo keine Ungleichheit existiert, und in der wir menschliche Werte leben”, sagte Stanivuković nach der Wahl. Die Opposition in Banja Luka betrachtet den Erfolg zu Recht als einen großen Erfolg und als neues Kapitel in der Politik des politischen und wirtschaftlichen Zentrums der Republika Srpska.

Auf der anderen Seite verlor die PDP Ost-Sarajevo an die SNSD. Diese gewann auch in Doboj, eine Stadt, in der traditionell die SDS gewählt wurde. In Bijeljina wurde – trotz zahlreicher Anstrengungen der SNSD - ein Bürgermeister der SDS gewählt.

Frauen in der Politik

Das Gleichstellungsgesetz und das Wahlgesetz von Bosnien und Herzegowina schreiben vor, dass 40 % der Kandidaten auf der Liste vom Geschlecht, das weniger vertreten ist, besetzt werden müssen. In der Praxis sind das allein die Frauen. 12.832 Frauen und 17.977 Männer kandidierten bei den Kommunalwahlen 2020. 29 Frauen wollten Bürgermeisterin werden, 142 Ämter wurden insgesamt vergeben. Die Kommunalwahlen haben gezeigt das Frauen in der Politik in Bosnien und Herzegowina noch sehr weit entfernt von Gleichberechtigung sind. Keine einzige große Stadt hat eine Frau zur Bürgermeisterin gewählt.

Nur drei Frauen wurden in der RS als Bürgermeisterin, meist kleinerer Gemeinden, gewählt. Damit halbierte sich die Zahl der Bürgermeisterinnen von sechs auf drei. In der Entität FBiH wurde keine Bürgermeisterin gewählt.

Neue Parteien

Obwohl die politische und organisatorische Kraft und Erfahrung der traditionellen Parteien den politischen Wettbewerb stark einschränken, haben neue Bewerber Erfolge erreicht. Die erstmalig bei Wahlen antretende Platforma za progres (Plattform für Fortschritt) gewann Plätze in Gemeinderäten besonders in den Städten. Das Ergebnis dieses neuen Bewerbers war zum Teil besser als die Ergebnisse etablierter Parteien wie DF oder SBB.

Kommunalwahlen nach 12 Jahren in Mostar

Mostar hatte bisher vier Kommunalwahlen, und die letzte fand 2008 statt. Am 20. Dezember werden die Wähler in Mostar endlich das Wahlrecht wahrnehmen können. Der Bürgermeister soll im Anschluss durch den neuen Stadtrat gewählt werden.

Nach den Ergebnissen in den größeren Städten wie Sarajevo, Banja Luka, Tuzla, Bihać, Bijeljina, Bihać, und Zenica wird es interessant sein, wie die Parteien den Wahlkampf in der fünftgrößten Stadt des Landes führen.

Dass die Wahlen überhaupt stattfinden ist dem Druck der Europäischen Union, der OECD, der Botschaft der USA und Großbritanniens zu verdanken. Durch den Einfluss der internationalen Gemeinschaft erfolgte die Einigung der SDA und HDZ BiH.

Die Wahlen in Mostar werden die getrennte Verwaltung in der Stadt nicht beenden. Dazu sind weitere Schritte notwendig.

Nach der Wahl ist vor der Wahl

Natürlich werden nun zunächst die Gewählten ernannt. Die Parteien suchen Bündnisse und ringen um Inhalte. Bereits in zwei Jahren werden in Bosnien und Herzegowina Wahlen auf der nationalen Ebene und in beiden Entitäten, der Föderation von Bosnien und Herzegowina und ihren 10 Kantonen, der Republika Srpska sowie im Brčko-Distrikt stattfinden.

Neben dem Umgang mit den tiefen Folgen der COVID-19-Pandemie muss die Politik weitere Schritte zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union umsetzen. Unter den Staaten des Westbalkans befindet sich BiH zurzeit am Ende des Zuges nach Brüssel. Fraglich ist, ob die Kraft in dem bisherigen politischen System vorhanden ist.

Die Kommunalwahlen zeigen, dass Kräfte der Modernisierung und des europäischen Weges an Kraft gewonnen haben. Deren Erfolg hat seine Ursache auch in der modernen Kommunikation mit den Menschen. In dieser Hinsicht hat der erfolgreiche Wahlkampf des neuen Bürgermeisters von Banja Luka Draško Stanivuković Maßstäbe gesetzt.

Sowohl in Sarajevo als auch in Banja Luka hat sich eine Mehrheit für Veränderung entschieden. Bereits in den ersten Stunden nach Bekanntwerden der Ergebnisse wurde die Zusammenarbeit mit den neu Gewählten abgelehnt. Sicher ist, dass der Start in den Ämtern nicht ohne Konflikte erfolgen wird. Die Art und Weise der Politik in den nächsten Jahren – von Gewinnern und Verlierern - wird für die Menschen auch ein Zeichen dafür sein, ob der demokratische Wechsel gut für ihre Stadt ist.

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