Länderberichte
Das Recht auf Asyl für politisch Verfolgte gilt in der Europäischen Union gemeinhin als verbrieft und unantastbar. Nationalkonservative oder rechtspopulistische Parteien versuchen mit ihren Vorschlägen zur Lösung der vor allem seit 2015 auf der Agenda befindlichen Migrations- und Flüchtlingskrise zwar immer wieder an dieser Regelung zu rütteln, stoßen dabei jedoch zumeist auf den breiten Widerstand der anderen politischen Parteien, vor allem aus dem politisch linksgerichteten Spektrum. Umso mehr lässt daher nun ein Vorstoß von Mette Frederiksen, Vorsitzende der dänischen Socialdemokraterne, aufhorchen. In einem kürzlich veröffentlichten Papier zur Migrationspolitik macht sie sich dafür stark, das Asylrecht in Dänemark faktisch abzuschaffen und etwaige Einwanderungsverfahren für nicht westliche Bewerber an bestimmte Orte außerhalb des Staatsgebietes zu verlagern, um die Aufnahme von nicht westlichen Einwanderern besser steuern zu können.
Dänische Flüchtlingslager in Nordafrika sollen Anträge bearbeiten
Gemäß ihrem Vorschlag sollen Asylbewerber in von Dänemark finanzierten und geführten Flüchtlingslagern außerhalb Dänemarks und der Europäischen Union ihre Asylanträge stellen und dort auch im Falle einer positiven Begutachtung verbleiben. Eine Antragstellung sowie ein Verbleib in Dänemark wären damit ausgeschlossen . Im Gegenzug würde sich Deutschlands nördlicher Nachbar wieder an den Verteilungsquoten des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen (UNHCR) beteiligen, aus dem sich das Land im Jahr 2017 zurückgezogen hatte. Frederiksen begründet ihren Vorstoß mit der Tatsache, dass das 5,7-Millionen Einwohnerland Dänemark mit der Integration tausender Asylbewerber in den vergangenen Jahren an die Belastungsgrenze gestoßen sei und sich die Bevölkerung Dänemarks in den vergangenen Jahrzehnten drastisch verändert habe: „1980 hatten ein Prozent der in Dänemark lebenden Personen eine nicht westliche Herkunft, heute sind es acht Prozent“, betonte die Politikerin bei der Vorstellung ihres Papiers in Kopenhagen.
Geteiltes Echo bei politischer Konkurrenz
Die Reaktionen der anderen Parteien fielen unterschiedlich aus. Die rechtspopulistische und zuwanderungskritische Dänische Volkspartei (Dansk Folkeparti) begrüßte den Vorstoß Frederiksens und betonte, dass man auf eine schnelle Umsetzung des Vorhabens hoffe. Die anderen Parteien reagierten zurückhaltend bis offen ablehnend auf das Papier. Ein Vertreter der liberalkonservativen Venstre-Partei, die mit Lars Løkke Rasmussen den amtierenden Ministerpräsidenten stellt, betonte, dass die Lage in vielen nordafrikanischen Staaten viel zu instabil sei, um ein solches Vorhaben umzusetzen. Gleichzeitig bezweifelte er, dass Staaten, in denen eine größere Stabilität vorhanden sei, sich auf ein solches Abkommen mit Dänemark einlassen würden. Kleinere und stärker linksgerichtete Parteien kritisierten das Vorhaben scharf und bezeichneten es als unmenschlich, unrealistisch und unsolidarisch, da die vorhandenen Probleme einfach nach Nordafrika abgeschoben werden würden. Auch die Frage, ob eine solche Vorgehensweise mit internationalem Recht in Einklang zu bringen sei, steht noch im Raum.
Spekulationen über Hintergrund des Vorstoßes in vollem Gange
Während die Diskussion über den inhaltlichen Vorschlag, der an die rigorose australische Einwanderungs- und Asylpolitik erinnert, weitergeführt wird, sehen einige Experten ein größeres Vorhaben hinter Frederiksens Vorstoß. Mit Blick auf die in anderthalb Jahren stattfindenden Parlamentswahlen werten zahlreiche politische Beobachter das Papier als Annäherungsversuch an die Dänische Volkspartei, die aktuell als zweitstärkste Fraktion im Parlament die Minderheitsregierung aus Venstre, Liberal Alliance und konservativer Volkspartei (Det Konservative Folkeparti) stützt. Einige Beobachter gehen davon aus, dass Mette Frederiksen über eine mögliche Koalition mit der Dansk Folkeparti nach dem nächsten Urnengang das Amt der Ministerpräsidentin anstrebt. Bereits im Juni hatte ein gemeinsamer Auftritt mit DF-Parteichef Kristian Thulesen Dahl für Aufsehen gesorgt, bei dem beide einen gemeinsamen EU-Plan vorstellten, welcher den „Ansturm von Billigarbeitern“ aus Osteuropa eindämmen oder vollständig stoppen sollte. Seither wird über eine mögliche engere Kooperation zwischen Sozialdemokraten und Dänischer Volkspartei, welche gegenwärtig die größten Fraktionen im dänischen Parlament (Folketing) stellen, spekuliert.
Seit 2015 mehr als 60 Verschärfungen des Asylrechts
Der aktuelle sozialdemokratische Vorstoß passt sich – unabhängig von jedweden Interpretationen über die Hintergründe - thematisch an den vorherrschenden politischen Diskurs im Königreich an, welcher sich in den vergangenen Monaten und Jahren immer wieder auf die Asylpolitik fokussierte. Seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise nahm die Regierung (teilweise unter Zustimmung der Sozialdemokraten) mehr als 60 Anpassungen des geltenden Asylrechts vor, welche allesamt das Ziel verfolgten, Dänemark aus Asylbewerber-Sicht zunehmend unattraktiver zu machen. So wurde unter anderem der Familiennachzug erschwert, staatliche finanziellen Leistungen gekürzt und die Grenzkontrollen an Land- und Seegrenzen nach Deutschland verstärkt. Betrachtet man die Zahl der eingegangenen Asylanträge, scheint sich diese Politik aus Sicht ihrer Initiatoren auszuzahlen. Hatten im Jahr 2015 noch über 21.000 Menschen Asyl in Dänemark beantragt, lag die Zahl im Jahr 2017 bei nur noch 3.500 Anträgen. Einer der Hauptgründe dieser Entwicklung dürfte die Abhängigkeit der gegenwärtigen Minderheitsregierung von der Dänischen Volkspartei sein. Erst vor wenigen Wochen kündigte das Kabinett Rasmussen weitere Verschärfungen des dänischen Asylrechts an.
Mehr illegale Einwanderer an dänisch-deutscher Grenze
Die rigoroser werdende Asylpolitik der nordischen Länder führte zuletzt auch zu Migrationsbewegungen über die dänisch-deutsche Grenze. Wie aus einer Anfrage der Zeitung „Welt“ an das Bundesinnenministerium hervorgeht, nahm die Zahl der unerlaubten Grenzübertritte von Skandinavien nach Deutschland im Jahr 2017 im Vergleich zum Vorjahr um 35 Prozent zu. Betrachtet wurden die Einreisen auf dem Landweg sowie über die Fährverbindungen nach Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden. Nach Angaben der im Grenzbereich eingesetzten Bundespolizei handelte es sich bei den rund 2.700 angekommenen Personen zumeist um Afghanen, Iraker oder Syrer, deren Asylantrag in einem der nordischen Länder abgelehnt worden war.
Fazit
Die Parteienlandschaft Dänemarks erlebt durch den Vorschlag der Sozialdemokraten einen weiteren Schwenk in Richtung einer einwanderungskritischeren Ausrichtung der Politik. Nachdem sich in den vergangenen Jahren bereits die bürgerlich-konservativen Parteien mehr und mehr auf die rechtspopulistische Dänische Volkspartei und ihre Forderungen zubewegt haben, scheint dies nun auch die erste Partei des linksgerichteten Spektrums zu tun. Unabhängig von Hintergrund oder möglichen Kalkül-Überlegungen Frederiksens kann die Dansk Folkeparti dies als Erfolg für sich werten. Sie könnte nachdem sie den politischen Diskurs in den vergangenen Jahren schon immer deutlicher mitgestaltete in Zukunft einen noch größeren Einfluss gewinnen, möglicherweise erstmals direkt an der Regierung beteiligt sein. Sollte es dazu kommen hätte der von den Sozialdemokraten eingebrachte Vorschlag zur faktischen Abschaffung des Asylrechtes zumindest eine Chance in Kabinett und Parlament beschlossen zu werden. Ob eine konkrete Umsetzung praktisch und innerhalb des geltenden Völkerrechts möglich ist, darf dagegen bezweifelt werden.