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Die Gerechtigkeitspartei Malaysias vor der Zerreißprobe

von Johannes D. Rey
Die vor einem Jahr von der Ehefrau des inhaftierten ehemaligen stellvertretenden Premierministers und Finanzministers Anwar Ibrahim, Dr. Wan Azizah Wan Ismail, gegründete Gerechtigkeitspartei (Keadilan Parti) befindet sich momentan in einer Krise. Bei den letzten allgemeinen Wahlen im November 1999 gewann die vom Geist Anwar Ibrahims getragene Partei fünf der 59 Wahlkreise, in denen sie sich hatte aufstellen lassen.

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Dies war durchaus mehr als nur ein Achtungserfolg. Zusammen mit der islamistischen Parti Islam SeMalaysia (PAS) und der chinesisch geprägten Democratic Action Party (DAP) bildete sie eine beachtliche und erstmalig vereinte Oppositionsbewegung (Barisan Alternatif) gegen Premier Mahathir und seine herrschende Barisan Nasional Koalition (BN).

Nach den Wahlen wurde das Erscheinungsbild der Keadilan Parti jedoch zunehmend unstrukturierter und zerstritten. Auf dem vom 15. bis 18. Juni unter dem Motto "One Platform - One Struggle" abgehaltenen viertägigen Parteitag kamen rund 1.000 Delegierte und Beobachter. Die Vorsitzende, Dr. Wan Azizah, rief in aller Deutlichkeit zur Einigkeit auf. Dies geschah nicht zuletzt auf dem Hintergrund einer im Internet gestarteten Kampagne gegen ihren Stellvertreter, Dr. Chandra Muzaffar. Fünf Websites, die in der Vergangenheit die Reformasi-Bewegung und Keadilan unterstützt hatten, forderten nun Chandra Muzaffar sowie den Generalsekretär der Partei, Mohamed Anuar Tahir, zum Rücktritt auf.

Beide hätten inkompetent agiert und die Reformasi-Bewegung nicht ausreichend unterstützt. Hinzu kommen Beschuldigungen der ehemaligen, vor einigen Wochen aus persönlichen Gründen zurückgetretenen Vizepräsidentin Marina Yusof, Dr. Chandra hätte wie ein Diktator gehandelt und die Vorsitzende Wan Azizah beleidigt.

Seit ihrer Gründung vor etwas über einem Jahr versucht Keadilan mehr zu sein als nur die Partei, die die Freilassung Anwar Ibrahims fordert. Insbesondere der ehemalige Universitätslehrer Dr. Chandra Muzaffar hatte versucht, Themen wie etwa soziale Gerechtigkeit, Gleichheit und Transparenz in den Mittelpunkt zu stellen. Damit hat er sich nicht nur Freunde innerhalb der Partei geschaffen.

Ein weiterer umstrittener Punkt waren die aus Anlaß des ersten Jahrestages der Verurteilung Anwar Ibrahims (am 14. April 1999 wurde dieser aufgrund von Korruptionsvorwürfen zu sechs Jahren Haft verurteilt) geplanten Demonstrationen. Während Keadilans "Pro-Anwar-Fraktion" sich für eine Teilnahme aussprach, waren Chandra, die Vorsitzende Wan Azizah, Mohamed Anuar Tahir und andere dagegen: "We are all for freedom of assembly but at that particular moment it was the wrong strategy because Mahathir was planning something", so Chandra.

Auch er weiß, daß Anwar Ibrahim Keadilans geistiger Führer bleibt. Dessen Gefolgsleute sollten, ginge es nach Chandra, aber nicht die Richtlinien der Partei bestimmen. Sogar die Vorsitzende und Ehefrau Anwar Ibrahims, Wan Azizah, sprach sich auf dem Keadilan Parteitag dafür aus, neue Themen zu suchen: "We started when the Anwar tragedy came about ..., (but) we have to move on and think beyond one man. No one's indispensable".

Zum Abschluß des Parteitages wurde Einigkeit demonstriert. Die Parteiführung sei geeinter als vor einem Jahr, so Chandra. Die Zahl der Parteiaustritte sei nicht so hoch wie von der Regierung behauptet. Seit Anfang Juni hatten einige Mitglieder, darunter auch führende Persönlichkeiten, die Parti Keadilan verlassen und kehrten zur UMNO (United Malays National Organization)zurück. Dies wurde von der regierungstreuen Presse und UMNO natürlich propagandistisch berichtet und ausgeführt.

Der Keadilan-Jugendführer Mohd Ezam Mohd Nor hob zum Ende des Parteitages nochmal hervor, ein Hauptziel sei es weiterhin, das Anwar Ibrahim freikäme: "... so let us not forget him. What is important to us is freeing him".

Ebenfalls verabschiedet wurde eine Resolution, die Premier Mahathir zum Rücktritt aufrief. Hintergrund ist die Aussage des ehemaligen Direktors der Anti Corruption Agency (ACA), Datuk Shafee Yahaya. Im laufenden Anwar-Prozeß war herausgekommen, daß der Premierminister im Juni 1998 die Untersuchung wegen Korruptionsvorwürfen gegen seinen engen Mitarbeiter hatte stoppen lassen. Es handelt sich um Ali Abul Hassan Sulaiman, der im Oktober 1998 neuer Zentralbankchef wurde und diesen Posten bis zum Mai 2000 beibehielt. Dies war genau das, was Mahathir Anwar Ibrahim in einem anderen Fall im ersten Prozeß vorgeworfen und ihn deshalb der Korruption bezichtigt hatte.

Anfang Juni widersprach Wan Azizah übrigens Berichten malaysischer Zeitungen, die sich auf einen Artikel der "Asiaweek" (July 7, 2000) beriefen. Dort hatte es geheißen, Wan Azizah würde aus persönlichen Gründen (die Belastung, gleichzeitig Parlamentssitz und Parteivorsitz wahrzunehmen und sechs Kinder zu versorgen, sei zu groß) vom Parteivorsitz zurücktreten. Dies sei, so Wan Azizah, "definitely untrue". Ihr Stellvertreter Chandra Muzaffar bezeichnete den Artikel in der "Asiaweek" als einen Versuch, die Partei zu destabilisieren und fügte hinzu: "There have been no discussions whatsoever within the party leadership about her (Dr. Wan Azizah) resigning at all".

Prozeß gegen Anwar Ibrahim nähert sich dem Ende

Der langwierige zweite Prozeß gegen Anwar Ibrahim, in dem es um Homosexualitätsvorwürfe geht, nähert sich dem Ende. Anwar Ibrahim, der seit dem 07. Juni 1999 erneut vor Gericht steht, verbüßt zur Zeit bereits eine sechsjährige Haftstrafe aufgrund von Korruptionsvorwürfen. Er hat sowohl im ersten als auch im dem zweiten laufenden Verfahren zum wiederholten Mal alle Anklagen abgewiesen und sie als politische Konspiration seiner Gegner bezeichnet.

Die Prozesse hatten zu einer Spaltung innerhalb der ethnischen Malaien (Bumiputra) geführt. Dies manifestierte sich nicht zuletzt bei den Allgemeinen Wahlen am 29. November 1999, bei der Mahathirs United Malays National Organization (UMNO) starke Einbrüche zu verzeichnen hatte. Wenigstens die Hälfte der Malaien des Landes, die traditionell den Wählerstamm der UMNO bilden, wanderten in das Oppositionslager ab.

Auch wenn er im Gefängnis sitzt, ist Datuk Seri Anwar immer noch der stärkste Gegner, den Premierminister Mahathir in seiner 19jährigen Herrschaft hatte. Die neuen Enthüllungen, aufgekommen durch die Aussage des ehemaligen Direktors der ACA, Mahathir habe Untersuchungen zur Aufdeckung von Korruption gestoppt (s. o.), haben dem Ansehen des Premierministers ebenfalls geschadet.

Die Verteidigung hatte während des Verfahrens mehrfach versucht, den Premierminister als Zeugen vorzuladen, was aber am Veto des Richters gescheitert war.

Am 21. Juni hat Richter Arifin Jaka Staatsanwälte und Verteidigung nun dazu aufgerufen, ihre Schlußplädoyers vorzubereiten. Er kündigte an, das Urteil zu angemessener Zeit zu verkünden. Vermutet wird, daß die Urteilsverkündung im Juli erfolgt. Als Höchststrafe kann Anwar bis zu 20 Jahren Gefängnis und eine mögliche Prügelstrafe drohen.

Parteitag der Parti Islam SeMalaysia (PAS)

Vom 01. bis 04. Juni fand der 46. Parteitag der islamistischen Parti Islam SeMalaysia (PAS) in Kuala Terengganu statt. In der Hauptstadt des ölreichen Bundesstaates Terengganu, den die PAS bei den letzten Allgemeinen Wahlen im November 1999 hinzugewinnen konnte, wurde über das zukünftige Programm der Partei gesprochen. Es war dies der erste Parteitag nach dem großen Erfolg bei den letzten Wahlen. PAS regiert seit November 1999 in zwei Bundesstaaten. Sie ist nun die größte Oppositionspartei des Landes. Zur Zeit hat die PAS nach eigenen Angaben ca. 800.000 Mitglieder – Tendenz steigend.

PAS gab sich auf dem Parteitag nach außen hin ausgesprochen fortschrittlich: Themen waren die Globalisierung und die Informationstechnologie (IT). Als Ziel für die nächsten Wahlen wurde festgelegt, noch stärker die Jugend anzusprechen und auch weibliche Kandidaten aufzustellen. Ein westlicher Diplomat bemerkte zur Rede des Vorsitzenden Fadzil Mohamed Nor: "He was talking a world view instead of focusing on PAS and the Malays. He was speaking if as president of a party which may rule one day".

Herausragende Führungspersönlichkeiten sind neben Fadzil Nor der stellvertretende Vorsitzende und Chief Minister von Kelantan Abdul Nik Aziz, der eher die religiöse Seite vertritt. Aber auch der Chief Minister von Terengganu, Hadi Awang, hat bereits einige Maßnahmen durchgeführt, um "seinen" Bundesstaat islamischer zu machen. So wurden z. B. nur acht von 39 Alkohollizenzen erneuert, die letzten Wettannahmestellen und Karaoke-Bars geschlossen. Berufstätige Frauen sollen in Zukunft den Tudung (Schleier) tragen und in Supermärkten soll es nach Geschlechtern getrennte Kassen geben. Hadi hat außerdem angekündigt, das islamische Strafrecht (hudud) in Terengganu einzuführen.

Mahathirs UMNO bemüht sich derweil, sich selber als den wahren Verteidiger des Islam darzustellen. So wurden zwei neue Organisationen geschaffen: Zum einen den National Islamic Action Council, der den Menschen den wahren Islam erklären soll und den Malaysia Islamic Welfare Council, in dem sich 80 muslimische NGO's vereinigt haben. Außerdem gibt es von Juli an obligatorischen Religionsunterricht (zweimal pro Woche) für alle Muslime, die im Staatsdienst beschäftigt sind.

Ob derartige Gegenmaßnahmen allerdings ausreichen, um die Wähler wieder für die UMNO zu gewinnen, bleibt höchst zweifelhaft. Solange UMNO nichts an ihrer Führungsstruktur, Vettern- und Korruptionswirtschaft ändert, werden die "volksnahen" PAS-Politiker Zulauf haben.

Mahathir ernennt Supreme Council-Mitglieder

Auf dem Parteitag der UMNO, deren Vorsitzender PM Mahathir ist, waren im Mai die drei Vizepräsidenten und das oberste Parteigremium (Supreme Council) neu gewählt worden.

Bei der Wahl zum Supreme Council fielen zahlreiche "große Namen" durch, darunter Chief Minister und Minister. Dafür wählten die Delegierten des Parteitages konfliktfreudige, kritische Bewerber, wie Shahrir Samad, ehemaliger Kabinettsminister und im Wahljahr 1995 für ein Jahr aus der UMNO ausgeschlossen.

Für die zehn von Mahathir zu ernennenden Plätze im Supreme Council ernannte er überraschenderweise gleich vier neue Namen: Die Juristin und TV-Gastgeberin Azlina Othman, die Vorsitzende der Bank Rakyat Dr. Norraesah Mohamad, UMNO Youth Information Chief Azimi Daim und Erziehungsminister Tan Sri Musa Mohamad. Außerdem erfüllte er die Forderung der neugewählten Vorsitzenden der UMNO-Frauenvereinigung (Wanita UMNO) und langjährigen Industrieministerin Rafidah Aziz. Sie hatte einen größeren Frauenanteil gefordert, nachdem auf dem Parteitag alle fünf aufgestellten Wanita UMNO-Kandidatinnen bei den Delegierten durchgefallen waren. Mahathir berief drei Frauen in den Supreme Council.

Darüber hinaus gehören nun Sabahs Chief Minister Datuk Osu Sukam – mit dem die Konrad-Adenauer-Stiftung über das Partnerinstitut Institute for Development Studies (IDS) eng zusammenarbeitet – und Tengku Razaleigh Hamza dem Supreme Council an. Mahathir hatte auf dem Parteitag die Bewerbung Osu Sukams für den Posten als einen der drei Vizepräsidenten unterstützt. Osu Sukam konnte sich im Mai allerdings nicht durchsetzen. Mit Razaleigh Hamza hat der Vorsitzende neben Shahrir Samad (s. o.) einen weiteren "kritischen Geist" in seinem Team. Razaleigh hatte auf dem UMNO-Parteitag 1987 versucht, Mahathir als Vorsitzenden der UMNO abzulösen. Er unterlag damals mit 43 Stimmen und gründete daraufhin eine eigene Partei (Semangat '46), der u. a. auch der erste Premierminister Malaysias, Tunku Abdul Rahman, beitrat. Im letzten Jahr kehrte Razaleigh, nach einer offiziellen Versöhnung mit Mahathir, zurück zur UMNO, um als deren Landesvorsitzender den seit 1990 von der PAS regierten Bundesstaat Kelantan für die regierende Barisan Nasional Koalition zurückzugewinnen. Dieses gelang ihm allerdings nicht.

Mahathir: "Zukünftiger Premierminister muß kein Malaie (Bumiputra) sein"

In einer Gastrede am 27. Juni auf dem Parteitag der chinesisch dominierten Malaysian Chinese Association (MCA) erklärte Premierminister Mahathir, er könne sich vorstellen, daß eines Tages ein "Non-Malay", d. h. ein Chinese oder Inder Premierminister werden könne.

Hintergrund ist der bei den "Bumis" (Malaien) sehr oft übertriebene Nationalstolz. Chinesen und ganz besonders die Inder werden als sich unterzuordnende Rasse (dieses Wort wird hier wie selbstverständlich benutzt) angesehen. Diese Arroganz seiner Landsleute hat inzwischen auch Mahathir erkannt. Gerade von den Chinesen könnte man sehr viel lernen, so der Premierminister weiter. Beabsichtigt waren mahnende Worte an "seine" Malaien, sich ein Beispiel an den fleißigen Chinesen zu nehmen. Natürlich sollte auch dem – seit den Wahlen im letzten Jahr immer wichtiger gewordenen chinesisch dominierten Bündnispartner – MCA geschmeichelt werden.

Während UMNO im November 1999 durch die Abwanderungsbewegung der ethnischen Malaien hin zur PAS Verluste hinnehmen mußte, setzte besonders die Bevölkerungsgruppe der Chinesen ihr Vertrauen weiterhin in die regierende Koalition, in der sie mit der MCA vertreten sind. Rechtzeitig zum Parteitag hat der MCA-Vorsitzende und Transportminister im Kabinett Mahathirs, Dr. Ling Liong Sik, sein Verbleiben im Amt verkündet.

Im Mai hatte er seinen Rücktritt von allen Ämtern angedroht. Mahathir schickte ihn daraufhin in den Urlaub, um seine Entscheidung nochmals überdenken zu können. Mit diesen Rücktrittsdrohungen – es folgten übrigens von allen Seiten inner- und außerhalb der Partei Solidaritätsbekundungen – und seiner triumphalen Rückkehr, hat Dr. Ling nun innerparteiliche Kritiker und Konkurrenten wie z. B. seinen Stellvertreter im Parteivorsitz, Lim Ah Lek, wenn auch (noch) nicht ausgeschaltet, so doch zum Schweigen gebracht. Jetzt ist im MCA nur noch von Harmonie die Rede: "Differences are resolved", so Dr. Ling. Die New Sunday Times titelte am 25. Juni: "All quiet on the MCA front".

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Wolfgang Hruschka †

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