Länderberichte
Die CDA als derzeit größte Partei wird ihren Vorsprung wahrscheinlich halten bzw. sogar noch etwas ausbauen können. Premierminister Jan-Peter Balkenende kommt im Wahlvolk gut an und sollte auch nach dem 22. Januar im Amt des Ministerpräsidenten verbleiben. Wer aber mit ihm die Niederlande regieren wird, ist offener denn je.
Balkenende, erst seit 2001 an der Parteispitze der Christdemokraten, macht aus seinen Absichten keinen Hehl: Am liebsten würde der Wirtschaftsprofessor mit der rechtsliberalen VVD des ehemaligen Finanzministers Gerrit Zalm weiterregieren. Doch den derzeitigen Umfragen zufolge dürfte dem christlich-liberalen Bündnis keine absolute Mehrheit zufallen. Ein dritter Koalitionspartner müsste hinzugenommen werden, ist aber momentan nicht in Sicht. Mit der Liste Pim Fortuyn (PLF), die wohl mit nur fünf statt wie bisher mit 26 Sitzen zufrieden sein muss, will Balkenende es auf gar keinen Fall wieder versuchen.
Aufschwung für die Sozialdemokraten
Die Sozialdemokraten von der Arbeitspartei PvdA macht sich nun erneute Hoffnung, regierungsfähig zu werden. Ihr Spitzenkandidat Wouter Bos, Ende dreißig, charmant und unkonventionell auftretend, schießt sich vor allem auf Balkenendeein, der das Feuer erwidert und damit den bislang unbekannten Konkurrenten erst hoffähig macht. Zuletzt räumte der Christdemokrat sogar ein, dass ihm vor allem „ein Zweiparteienkabinett“ am Herzen liege und öffnete so das Tor zu einer möglichen CDA-PvdA-Koalition, wie viele Analysten prognostizieren. Damit wäre die Arbeitspartei unerwartet wieder im Geschäft. Anfang 2002 war die sozialliberale Koalition mit Ministerpräsident Wim Kok bekanntlich zurückgetreten, nachdem eine Parlamentskommission Fehler bei der niederländischen Beteiligung an der Srebrenica Mission festgestellt hatte. Die Wahl vom 15. Mai letzten Jahres verwies die Sozialdemokraten erstmals auf den dritten Platz hinter CDA und PLF – mit 15 % war die PvdA-Fraktion seinerzeit beinahe halbiert worden.
Wirtschaftliche Lage stagniert – Wahlversprechen: Steuererleichterungen
Die wirtschaftliche Lage –eines der Hauptthemen im Wahlkampf- hat sich drastisch verschlechtert. Die nach jahrelangem Boom verwöhnten Niederländer müssen sich dieses Jahr auf ein Wirtschaftswachstum von mageren 0,75 % einstellen – nach lediglich 0,2 % im vergangenen Jahr. Der Export stagniert, ebenso der Privatkonsum. Deshalb wird der Staatshaushalt in diesem Jahr mit minus 0,8 % des Bruttoinlandsprodukts wieder rote Zahlen schreiben. Vor zwei Jahren erzielte Den Haag noch einen Überschuß von 2,2 %.
Die neue Regierung müsste nach diesen Eckdaten –so das Zentrale Planbüro- rund 14 Mill. € einsparen oder die Steuern erhöhen, um das Budget wieder zu stabilisieren und den Schuldenberg, wie vorgesehen, in einer Generation abzubauen.
Die Antwort der Parteien auf die wirtschaftliche Situation wird durch den Ruf nach Steuererleichterungen und nach Lohnmäßigung gegeben. Letztere soll die Hälfte der erforderlichen Einsparungen bringen.
Die Christdemokraten planen 7,5 Mill. € an Einsparungen und wollen den Kinderfreibetrag bei der Einkommenssteuer erhöhen. Bemerkenswert ist, dass die Sozialdemokraten in den Umfragen wieder von der viert- zur zweitstärksten Kraft avancieren. Nach der herben Wahlschlappe vom Mai letzten Jahres brauchte die Partei lange, um sich zu erneuern und zu positionieren. Die Wende brachte letztlich die Nominierung von Wouter Bos als Spitzenkandidat. Jetzt heißt es in den Niederlanden: Jugendlicher Herausforderer gegen jugendlichen Ministerpräsidenten.
Bos will ebenfalls sparen, daneben aber 2 Mrd. € für Steuererleichterungen vorsehen, um im typisch niederländischen Konsens einen langfristigen „sozialen Vertrag“ zwischen den Tarifparteien zu ermöglichen. Die PdvA profitiert natürlich auch von der Selbstzerfleischung der LPF.
Das Schicksal der Protestpartei habe gezeigt, dass die Traditionsparteien doch nicht so schlecht seien, heißt es denn auch in vielen Pressekommentaren zur Wahl. Die Liberalen (VVD) wollen sogar 8,5 Mill. € einsparen. Da das Wahlvolk diese Ankündigungen bislang aber nicht so recht goutiert –die VVD stagniert in den Umfragen, und dürfte drittgrößte Partei werden- lässt Spitzenkandidat Gerrit Zalm die Zügel etwas schleifen. Die Staatsverschuldung müsse doch nicht unbedingt in einer Generation getilgt werden, proklamiert Zalm neuerdings.
Vielleicht wird eine der Kleinparteien das Zünglein an der Waage werden. Bos hatte Mitte Dezember laut über eine nach seinen Worten „progressive“ CDA-PvdA-Koalition, unter Einschluß der Grünen, der Sozialisten oder der streng religiös ausgerichteten Christenunion gedacht.
Diese drei kleinen Parteien sind allerdings ohne jede Regierungserfahrung und könnten sich schnell zum Dauerquerulanten einer Koalition entwickeln. Die linksliberalen Demokraten 66 von Thom de Graaf bleiben in allen bisher angestellten Koalitionsverhandlungen außen vor – mit den Verlierern der Wahlen von 1998 und 2002 möchte sich augenscheinlich niemand identifizieren.