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Länderberichte

Die politische Lage in Venezuela bleibt aufgeheizt, spannend und politisch gefährlich

von Michael Lingenthal

Generalstreik: Erfolg für die Zivilgesellschaft

Unternehmer und freie Gewerkschaften haben den Generalstreik um 24 Stunden bis zum 10. April (12.00 Ortszeit-D) verlängert. "Circulos Bolivarianos" (Revolutionäre Zellen) des Oficialismo hatten zuvor Demonstrationen der Opposition gezielt und gewaltsam angegriffen.

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Unternehmer und freie Gewerkschaften haben den Generalstreik um 24 Stunden bis zum 10. April (12.00 Ortszeit-D) verlängert. "Circulos Bolivarianos" (Revolutionäre Zellen) des Oficialismo hatten zuvor Demonstrationen der Opposition gezielt und gewaltsam angegriffen. Während die Regierung landesweite Schaltungen, sog. "cadenas" in allen Medien "nutzt" um einen relativ normalen Arbeitstag zu "vermitteln" und aktiv gegen die Opposition hetzt, befolgten landesweit zwischen 75 und 80% der Bevölkerung den Aufruf zum Generalstreik. Die interamerikanische Menschenrechtskommission der OEA sieht das Grundrecht auf Informationsfreiheit durch die extensiven "cadenas" gefährdet. Die politische Lage bleibt aufgeheizt, spannend und politisch gefährlich.

Der nationale, unabhängige Gewerkschaftsdachverband CTV (Central de Trabajadores de Venezuela) hatte am Samstag, dem 6. April d.J., für den 9. April den Generalstreik ausgerufen. Der nationale Unternehmerverband FEDECAMERAS, Organisationen der Zivilgesellschaft, die Mehrheit der Presse und die politischen Parteien der Opposition schlossen sich dem Aufruf an.

Hervorzuheben ist, dass zum zweiten Mal in der Geschichte Venezuelas Unternehmer und freie Gewerkschaften ein politisches Bündnis schlossen. Zum 10. Dezember 2001 hatte FEDECAMERAS zu einem nationalen Protesttag aufgerufen, CTV hatte sich mit den Unternehmern solidarisiert. Mehr als 90% des Arbeitslebens ruhten. Eine demütigende Niederlage für Präsident Chávez, der dazu aufgerufen hatte "normal" zu arbeiten, um die Aktion der Opposition zurückzuweisen.

Am 9. April war die Arbeitsniederlegung nicht so total, wie am 10. Dezember des Vorjahres, aber mehr als 75% der Bevölkerung folgten dem Aufruf zum Generalstreik. Caracas und die Regionen glichen ab den frühen Morgenstunden einem Sonntag, d.h. im Vergleich zu einem Arbeitstag kaum Verkehr, keine Staus auf den Straßen, die Mehrheit der Geschäfte und Unternehmen geschlossen, kein Unterricht in den Privatschulen, deutlich weniger Schüler in den öffentlichen Schulen.

Wiederum konnte die Allianz aus Unternehmern und Gewerkschaften einen politischen Erfolg verzeichnen. Unternehmer, Gewerkschaften und Kirche bilden den Kern der Kräfte, die für eine demokratische Erneuerung Venezuelas, für die Rückkehr zu einem Rechtsstaat und für die Stabilisierung und Unabhängigkeit der Institutionen eintreten. In ihrem "Pakt für die Demokratie" haben sie wenigstens thesenhaft begonnen, die reine Protesthaltung zu verlassen und konstruktive Pläne für die Erneuerung und die Zukunft des Landes zu entwickeln.

Angesichts des Streikerfolgs und der Gegenmaßnahmen des Oficialismo, haben Unternehmer und Gewerkschaften beschlossen, den Streik um mindestens 24 Stunden zu verlängern. "Chávez fuera" (Chávez raus) und "no tenemos miedo" (wir haben keine Angst) skandieren die Streikenden zusammen mit den sich solidarisierenden Vertretern der Zivilgesellschaft und einiger Parteien der Opposition, wobei die Menge besonders die Vertreter der jungen Partei, "Primero Justicia" (Gerechtigkeit zuerst) feiern.

Gegenmaßnahmen des Oficialismo - Informationsmissbrauch und teilweise gewaltsame Akte bei Gegendemonstrationen

Ohne Zweifel hat der Oficialismo den Generalstreik ernster genommen, als seinerzeit den nationalen Protesttag am 10. Dezember 2001. Die "Circulos Bolivarianos", also die revolutionäre und teils auch militante Speerspitze der Revolution, waren landesweit präsent, protestierten, forderten zur Arbeit auf, verteidigten die Revolution und bedrohten teilweise Unternehmer und ihre Familien.

Die Regierung hat die Möglichkeit, landesweite Schaltungen von Radio und TV zu veranlassen, um Regierungsmitteilungen zu verbreiten. Ein Instrument, welches Präsident Chávez extensiv nutzt. Was aber seit dem Wochenende und besonders am 8. und 9. April zu beobachten war, überschritt jedes bisher bekanntes Maß in der Ausübung dieses Rechts.

Immer wenn die unabhängigen Medien, besonders der Nachrichtensender "Globovisión" wichtige Interviews bzw. Berichterstattung ausstrahlte, schaltete das Präsidialamt eine "Cadena", mit dem offensichtlichen Ziel, die unabhängige Berichterstattung zu beeinträchtigen und die Verbreitung der für den Oficialismo unbequemen Nachrichten zu unterbinden. Unzweifelhaft sind die Organisationen der Opposition auch darauf angewiesen, dass die Medien ihre Aufrufe zum Generalstreik verbreiten, um eine hohe Beteiligung zu garantieren.

Augenscheinlich dienten die regierungsamtlichen "Störungen" auch der Verhinderung dieser Funktion der Medien. Überproportional wurde ebenfalls die "Berichterstattung" des Regierungssenders, Canal 8 (Venezuela de Televisión), geschaltet. Dieser Sender hat längst eine reine Propagandafunktion übernommen und kann nicht mehr als ein objektives Medium eingeordnet werden. Umso befremdlicher und erstaunlicher, dass die Kooperation der DW-TV mit diesem Sender fortbesteht.

Nichts unterstreicht die Propagandafunktion des Regierungssenders mehr als die unmittelbaren Eindrücke während des Generalstreiks. Während Canal 8 "volle Normalität und Arbeit" berichtete, konnten die Stadt und ihre Autobahnen durcheilt werden. An Arbeitstagen um diese Uhrzeit unmöglich, weil man sich durch Staus quälen muss. Unternehmen, Geschäfte und Dienstleistungen waren geschlossen.

Die Fülle der Zwangsschaltungen mit einem offensichtlichen Zweck kann nur als Missbrauch eingeordnet werden, auch wenn der Oficialismo betont, dass die Bevölkerung durch die Zwangsschaltungen objektiv informiert werden soll, da die übrigen Medien nur subjektiv berichten und fast ausnahmslos die Rolle der Opposition gegenüber der Regierung und der Revolution eingenommen haben.

Die Menschenrechtskommission der OEA hat sogar in einem Extrakommuniqué ihre Befürchtung ausgedrückt, dass die extensiven, zwangsweisen TV/Radioausstrahlungen der Regierung, das Grundrecht der Bürger - garantiert in Art. 13 der OEA - auf freie Informationswahl einschränken.

"Círculos Bolivarianos", die revolutionäre Speerspitze von Präsident Chávez, haben nicht nur den Präsidenten auf seinem Marsch durch Caracas unterstützt, sondern auch gezielt und gewaltsam die friedlichen Demonstrationen der PDVSA - Angestellten angegriffen und Demonstranten verletzt.

An Brennpunkten der Demonstrationen hat inzwischen die Berufsarmee (Guardia Nacional) die örtlichen Polizeikräfte verstärkt bzw. das Kommando übernommen, weil das Militär, besonders die GN, in Venezuela auch für die öffentliche Sicherheit verantwortlich ist. Techniker der Streitkräfte haben zudem Funktionen in bestreikten Raffinerien übernommen, um diese wieder anzufahren.

Der Ölkonflikt

Die politische Dauerkrise Venezuelas hat sich im Konflikt um die staatliche Ölholding PDVSA noch gesteigert. Präsident Chávez hatte die Geschäftsleitung neu besetzt und der Revolution verpflichtete bzw. ergebene Funktionäre installiert. Abgelöst wurden anerkannte Fachleute, die sich dem Unternehmenserfolg des größten Arbeitgebers und größten Devisenbringers (70% der Devisen des Landes) Verdienste erworben hatten. Die Ablösung des Präsidenten der Ölholding, General a.D. Lameda, verdeutlicht zudem einen weiteren Bruch in der Gefolgschaft des Präsidenten. Der General war vor seiner Ernennung zum PDVSA-Vorsitzenden als Minister (Leiter) des Präsidialamtes enger und machtvoller Vertrauter von Chávez.

Die landesweiten Proteste der PDVSA-Angestellten kann auch die Regierung nicht mehr als Manifestation einiger Spitzenangestellten abtun. Die breite Masse der Angestellten fordern die Entpolitisierung der Firma und die Entlassung der installierten neuen Unternehmensführung.

Präsident Chávez hat in seiner, präsidialen Art reagiert. In seiner wöchentlichen Radiosendung "Aló Presidente" hat er die Entlassung von 7 Spitzenangestellten und den vorzeitigen Ruhestand von 12 weiteren angekündigt und die Entlassung persönlich verkündigt, indem er höhnisch die Namen und Funktionen der Betroffenen nannte, ihnen für ihre Arbeit dankte (muchas gracias pro su colaboración - vielen Dank für Ihre Mitarbeit) und sie dann öffentlich "feuerte".

Das PDVSA-Hauptquartier im Stadtteil Chuao war auch heute das Zentrum der Demonstrationen und öffentlichen Forderungen nach Rücktritt (Entlassung) des Präsidenten. Alle Spitzenvertreter der Zivilgesellschaft sowie der Unternehmerverbände und Gewerkschaften solidarisierten sich mit den streikenden PDVSA-Angestellten und forderten die demokratischen Grundrechte und den Rechtstaat ein, "queremos democracia" (wir wollen Demokratie) skandierten Demonstranten und Sympathisanten.

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Henning Suhr

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