Asset-Herausgeber

Länderberichte

Die Regierung in kritischem Fahrwasser

Der Fall Pinochet und enttäuschende Arbeitsmarktzahlen

Die Kontroversen um de Fall Pinochet haben die Beziehungen zwischen Militärs und Regierung erneut einer schweren Belastungsprobe ausgesetzt. Daneben haben enttäuschende Arbeitsmarktdaten die Regierung veranlasst, ein wirtschaftliches Paket von Sofortmaßnahmen zur Ankurbelung der Nachfrage zu beschließen.

Asset-Herausgeber

Nachdem die chilenische Regierung unter Präsident Ricardo Lagos seit ihrem Antritt im März 2000 nach übereinstimmender Meinung aller Beobachter gut gestartet war, geriet im August dieses Bild ins Wanken, ausgelöst durch zwei Faktoren:

Die Bestätigung des Obersten Gerichtshofes über die Aufhebung der parlamentarischen Immunität Pinochets sowie die sich daraus ergebenden Spannungen mit den Militärs auf der einen Seite und die jüngsten Wirtschaftsdaten, die die von der Regierung angepeilten Ergebnisse, v.a. bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, in Zweifel ziehen auf der anderen Seite.

Nachdem das Appelationsgericht von Santiago in erster Instanz bereits die Aufhebung der parlamentarischen Immunität Pinochets beschlossen hatte, da es ausreichend Hinweise gesehen hatte, die ein Verfahren gegen Pinochet wegen seiner Mitverantwortung bei den Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der sogenannten "caravana de la muerte" (Todeskarawane, gezielte Exekutionskommandos nach dem Militärputsch 1973) rechtfertigten, kam es zur letztinstanzlichen Berufungsverhandlung vor dem Obersten Gerichtshof.

Waren Anfangs noch aus Kreisen der Concertación und v.a. der Menschenrechtsorganisationen Zweifel an der politischen Neigung der Richter geäußert worden, so schwanden diese im Verlauf des Verfahrens und spätestens nachdem das Gericht gesundheitliche Gutachten zur Feststellung der Prozeßfähigkeit Pinochets mit dem Hinweis abgelehnt hatte, daß dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht relevant sei.

Das Ergebnis selbst, welches tagelang nach Abschluß der Verhandlung und Urteilsspruch bis zur schriftlichen Festlegung desselben geheimgehalten wurde, fiel letztlich überraschend deutlich aus: Mit 14:6 Stimmen wurde das Urteil des Appelationsgerichtes bestätigt, eine weitere Berufung ist nicht möglich, so daß nun zunächst der Weg zu einem ordentlichen Gerichtsverfahren frei ist.

Bei dieses Verfahren, welches vom Richter Juan Guzman Tapia geleitet werden wird, steht dann wieder die Frage des Gesundheitszustandes Pinochets im Raum und damit verbunden seine Prozeßfähigkeit.

Richter Guzman liess bereits verlauten, daß er nun entsprechende medizinische Gutachten anordnen und auch eine direkte Vernehmung Pinochets vornehmen werde.

Hinsichtlich der Gutachten gibt es bisher klare Widerstände von Seiten der Familie (und vermutlich auch von Pinochet selbst), der wohl nicht als kranker Mann in die Geschichte eingehen will, zumal nach gegenwärtiger Rechtsprechung nur die geistige Unzurechnungsfähigkeit (Demenz) als ausreichender medizinischer Grund für eine Prozessunfähigkeit gilt.

Die Strategie der Anwälte, das Verfahren möglichst rasch aus gesundheitlichen einzustellen und der Wille (und Stolz) des Angeklagten stehen somit vorerst im Widerspruch zueinander.

Die Reaktionen auf das Urteil des Obersten Gerichtshofes waren unterschiedlich. Während man sich auf Regierungsseite um eine möglichst neutrale und sachliche Reaktion bemühte und damit der Linie folgte, daß dies eine rein juristische und keine politische Angelegenheit sei, knallten bei den Menschenrechtsorganisationen vor dem Allende-Denkmal in der Innenstadt die Sektkorken und bei den Pinochet-Anhängern und weiten Kreisen der politischen Opposition überwogen heftige Reaktionen, die sich sowohl in Richtung Regierung als auch in Richtung der 14 Richter derart artikulierten, daß ihnen massive politische Intervention und Druck vorgeworfen wurde.

Die entsprechenden Solidaritätsbekundungen blieben nicht aus: Nahezu alle Abgeordneten und Senatoren der UDI und RN besuchten im Anschluß Pinochet in seinem Domizil. Bezeichnenderweise fehlte eine prominente Figur: Der ehemalige Präsidentschaftskandidat Joaquin Lavin, der dieser Demonstration wohlweislich fernblieb, um sein Image als in die Zukunft gewandter und von der Pinochet-Vergangenheit losgelöster Politiker nicht zu gefährden, was ihm ja bei den letzten Wahlen eine so hervorragendes Ergebnis beschert hatte.

Weitaus kritischer waren die Reaktionen der Militärs. Zum einen die Äußerungen des Oberkommendierenden der Luftwaffe, General Patricio Rios, der unverblümt androhte, daß mit diesem Urteil die Lösung der Menschenrechtsfragen (im Kontext der Mesa de Dialogo) nun deutlich erschwert würden und zum anderen der Besuch des Oberkommandierenden des Heeres, General Izurieta bei Pinochet.

Dieser Besuch wurde von Seiten der Regierung (zu Recht) als politische Geste interpretiert und dementsprechend waren die deutlichen Worte von Präsident Lagos im Anschluß zu verstehen. Izurietas Reaktion darauf ("Ich lasse mir von niemanden vorschreiben, wann ich wo bin") sind als Überschrift gelesen schon hart an der Grenze dessen, was selbst unter chilenischen Verhältnissen noch als akzeptabel gilt, müssen aber wohl in einem hohen Masse auch als Signal nach innen, d.h. an die Streitkräfte selbst gewertet werden, um hier keinerlei Unruhe aufkommen zu lassen.

Der Senat beschäftigte sich dann auf Antrag der rechten Opposition in einer Sondersitzung mit den Ereignissen vom September 1973, wobei die unterschiedlichen Positionen der rechten Opposition und der Regierungsparteien erwartungsgemäß sehr unterschiedlich waren und keine nennenswerten Ergebnisse erbrachten.

In der Abgeordnetenkammer lieferte die reche Opposition (mal wieder) ein Schauspiel für politische Unreife, indem sie der Sitzung unmittelbar nach dem Rechtsspruch aus Protest fernblieb.

Durch die Aufhebung der Immunität wird Pinochet auch seines Amtes als Senator auf Lebenszeit enthoben, wodurch nun die Regierungsparteien zum ersten mal seit 1990 eine einfache Mehrheit im Senat haben (24 von 47 Senatoren, einschließlich des ebenfalls enthobenen Senators Errazuriz und des ExPräsidenten Eduardo Frei), was allerdings für tiefgreifende Reformvorhaben mit Verfassungsreformen immer noch nicht reicht, da hier zwei Drittel Mehrheiten erforderlich sind.

Die Beziehungen Militärs - Regierung erreichten Ende August so ihren bisher spannungsgeladensten Augenblick, als im Rahmen eines Festaktes der Pinochet-Stiftung für die während der Militärdiktatur gefallenen Uniformierten auch ein hochrangiger aktiver Offizier (General Candia) in Vertretung von General Izurieta an diesem Festakt teilnahm.

Auch dies wurde wiederum von der Regierung völlig zu Recht als politische Demonstration wahrgenommen und interpretiert, wobei hier der Überraschungsmoment eine große Rolle spielte.

Verteidigungsminister Mario Fernandez (PDC) unterstrich dies mit seiner Äußerung: "Dieser Tag war der schlimmste Tag (als Minister) für mich. Ich wurde überrascht."

Die sorgfältig aufgebauten Beziehungen zwischen Militärs und Regierung, an denen Minister Fernandez einen hohen Anteil hatte, waren plötzlich erheblichen Spannungen ausgesetzt, die noch zusätzlich durch die offenen Budgetfragen (Erneuerungen von Waffenmaterial wie Fregatten, Kampfflugzeuge, Panzer) belastet wurden.

Erst die geballte Autorität des Staatspräsidenten und intensive Bemühungen des Ministers, die in einem Essen in der Residenz von Ricardo Lagos am 30.8. mündeten, scheinen fürs Erste die Gemüter wieder beruhigt zu haben.

Es stehen allerdings hochemotionale Momente im Monat September an. Der 11.9. ist zwar kein offizieller Feiertag mehr, aber nach wie vor ist dieser Tag für beide Seiten von einer erheblichen Symbolik.

Erfahrungsgemäß ist auch die Militärparade anläßlich des Nationalfeiertages am 18.9. ein weiterer Moment, bei dem sich die Qualität der Beziehungen an zahlreichen Gesten zwischen Militärs und Regierung ablesen läßt.

Der erste Sturm ("Im Auge des Hurrikans", wie El Mercurio sein Interview mit Minister Fernandez überschrieb) mag zwar vorüber sein, endgültige Entwarnung kann aber noch nicht gegeben werden.

Es zeigt sich wieder einmal, wie sensibel und komplex die Beziehungen zwischen Militärs und Regierung auch 10 Jahre nach der Rückkehr zur Demokratie nach wie vor sind.

Neben dieser kritischen Komponente wurde die Regierung vor eine weitere harte Probe gestellt. Nachdem in den zurückliegenden Monaten noch die positiven Wachstumszahlen des BIP für Optimismus gesorgt hatten, folgte mit der Veröffentlichung der Arbeitslosenzahlen für das Quartal Mai-Juli eine neue Höchstmarke im Jahr 2000 mit 10,2% , womit sich der steigende Trend seit Dezember fortsetzte.

Das von der Regierung angepeilte Ziel von 200.000 neuen Arbeitslätzen im Jahr 2000 rückt damit in weite Ferne, wie Präsident Lagos auch selbst vor der Presse zugab.

Einher gehend mit der Senkung der Leitzinsen durch die Zentralbank um 0,5 Prozent auf nunmehr 5 Prozent beschloss die Regierung daraufhin unter der Federführung von Finanzminister Eyzaguirre ein Paket wirtschaftspolitischer Maßnahmen, deren zentrale Stoßrichtung die Ankurbelung der Nachfrage ist:

  • Auszahlung eines Sonderbonus von chil. $ 10.000 (ca. DM 40.-) an 800.000 Familien, die unter der Armutsgrenze leben
  • Vorzeitige Lohnsteuerrückerstattung an rund 1 Mio. Familien
  • Umschuldung und Reduzierung von Steuerschulden von Privatpersonen und v.a. von Kleinunternehmen
  • Krediterleichterungen für Kleinunternehmen
  • Erhöhung des Investitionslimits der Pensionsfonds (AFP) im Ausland
  • Reformvorhaben beim Fischerei- und Elektrizitätsgesetz
  • Gesetzesvorhaben zur Entbürokratisierung von Amtsgeschäften
Die Kritik aus der Opposition konzentrierte sich auf den Punkt, daß mit diesen Maßnahmen ein politischer Schachzug erfolgt sei, womit die Stimmung in der Bevölkerung im Vorfeld der Kommunalwahl Ende Oktober beeinflußt werden sollte.

Darauf konterte Präsident Lagos mit der Äußerung: "Ein Wähler läßt sich nicht mit 10.000.- Pesos kaufen".

Insgesamt zielen diese Maßnahmen aber zweifelsohne auf die Nachfrageseite und sollen demzufolge den Konsum ankurbeln. Inwieweit sich dies kurzfristig auf die Arbeitsmarktsituation auswirken wird, ist mehr als zweifelhaft.

Für die exportorientierte chilenische Wirtschaft war die sprunghafte Steigerung des Wechselkurses nach der Leitzinsabsenkung ein weitaus attraktiveres Signal als diese binnenmarktorientierten Maßnahmen, die bei der hochverschuldeten Bevölkerung kaum nennenswerte Konsumexplosionen nach sich ziehen werden.

Die Arbeitsmarktsituation ist und bleibt in der Tat kritisch. Man darf sich allerdings nicht von der Kurve blenden lassen, die Mitte 1999 abfiel und im Dezember mit rund 8 Prozent wieder einen Tiefpunkt erreichte.

Ein wesentlicher Grund für dieses Absinken waren die Arbeitsplatz beschaffenden Maßnahmen, die von der Regierung mit einem Sonderfond für die Kommunen im Vorfeld des Präsidentschaftswahlkampfes implementiert wurden und die zwar kurzfristig Arbeitsplätze schufen. Diese hatten jedoch exakt solange Bestand, bis dieser Fond aufgebraucht war.

Es gibt offensichtlich seit der Wirtschaftskrise 1998/1999 eine strukturelle Arbeitslosigkeit, die durch diese kurzfristigen Maßnahmen nicht beeinflußt werden kann.

Die chilenischen Unternehmer sind vorsichtiger geworden und werden nun kaum auf diese Art Anreize oder gar auf Grund von Appellen an ihre soziale Verantwortung durch die Regierung neue Arbeitskräfte einstellen.

Die von einigen Verbandsfunktionären mehr oder weniger unverblümt geäußerten Drohungen, daß die Investitionen durch das Pinochet-Urteil ausbleiben, dürften allerdings auch getrost in den Bereich der politischen Agitation gestellt werden.

Kaum ein noch so pinochet-freundlich eingestellter Unternehmer dürfte seine Investitionsentscheidungen von diesem Urteil abhängig machen.

Bekanntlich reagiert der Arbeitsmarkt immer mit einer signifikanten Verzögerung auf wirtschaftliche Entwicklungen. Erst wenn sich die Wachstumszahlen als konstant und nachhaltig erweisen, dürften die Unternehmer in Chile wieder mit Neueinstellungen reagieren.

Man darf sich von daher durchaus fragen, wie verantwortungsvoll unter diesen Umständen vollmundige Versprechungen der Regierung (die im übrigen auch von Joaquin Lavin gemacht wurden) über die Schaffung von Arbeitsplätzen sind, wenn diese im wesentlichen vom Privatsektor gestellt werden.

Es bleibt als Fazit, daß die Regierung Lagos mit diesen beiden Szenarien erstmals seit der Amtsübergabe in kritisches Fahrwasser geraten ist. Die schon angesprochenen Ereignisse im September sowie die anstehenden Kommunalwahlen werden auch in den nächsten Wochen bis Ende Oktober diese Spannung weiter anfachen, wenn nicht sogar intensivieren.

Asset-Herausgeber

Kontakt

Andreas Michael Klein

Andreas Michael Klein

Leiter des Regionalprogramms Politikdialog Asien

andreas.klein@kas.de +65 6603 6162

comment-portlet

Asset-Herausgeber