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Länderberichte

Die Ukraine: Ziel russischer Begehrlichkeit?

von Ralf Wachsmuth †, Igor Plaschkin

Das Ergebnis der Duma - Wahlen löst in der Ukraine Sorgen aus.

Die Wahlen in Russland wurden vom ukrainischen Nachbarn mit großem Interesse verfolgt. Dass die von Präsident Putin unterstützte Partei „Vereintes Russland“ als Gewinner aus den Wahlen hervorgehen würde, war schon im Vorfeld absehbar. Aber das unerwartete Scheitern von „Jabloko“ und der „Union der rechten Kräfte“ an der 5%-Hürde und das Erstarken nationalistischer Kräfte wird von vielen ukrainischen Kommentatoren mit großer Sorge betrachtet.

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Dass die Partei „Vereintes Russland“ die Wahlen überzeugend gewinnen würde, war für die meisten Beobachter keine Überraschung. Die Zeitung „Den“ (Der Tag) vergleicht die jetzigen Wahlen in Russland mit den Wahlen in der ehemaligen DDR: „Angeblich gibt es einige Parteien, die im Wettbewerb stehen, aber das Wahlergebnis ist für alle im voraus bekannt. Die Wahlkampagne verläuft zwar recht lebendig, aber die Wähler lassen gleichgültig das Ganze über sich ergehen, wohl wissend, dass ihre Stimmen oder die Wahlen insgesamt nichts im Lande ändern werden. Die Macht von Putin ist heute so groß, dass die Wahlen in der Bevölkerung als eine politische Formalität betrachtet werden, was sich auch in einer ziemlich niedriger Wahlbeteiligung ausdrückt.“

Mykola Tomenko MP, Mitglied der Fraktion „Nascha Ukraina“ und Vorsitzender des Parlamentsausschusses für Medienfreiheit, bringt seine Besorgnis zum Ausdruck, „dass die politischen Kräfte, die die Parlamentswahlen in Russland gewonnen haben, mit der Idee des Wiederaufbaus eines starken russischen Reiches spielen. Daher sollte die Ukraine darauf gefasst sein, dass die nationalen Interessen der Ukraine nun stark auf die Probe gestellt werden.“ Das Beispiel „Tusla“ sei seiner Meinung nach der Anfang einer gegen die Interessen der Ukraine gerichteten Kampagne. Auf der internationalen Arena bedeute das Wahlergebnis aber auch eine Niederlage Russlands, da der Sieg solcher politischen Kräfte nicht nur im Westen, sondern auch in den Nachbarstaaten Russlands eine tiefe Besorgnis erregt hat.

Für Julia Timoschenko waren das Wahlergebnis und vor allem die Niederlage der westlich orientierten Kräfte in Russland eher eine Überraschung. Laut Timoschenko wird sich dies auch auf die ukrainischen Oppositionskräfte negativ auswirken, deren Rating wahrscheinlich sinken wird. Dass die Wahlen von der russischen Bevölkerung eher als eine politische Farce angesehen werden, beweist aus ihrer Sicht nicht nur die niedrige Wahlbeteiligung, sondern auch das erstaunlich hohes Ergebnis der russischen „Ein-Mann-Partei“ von Wolodymyr Shirinowskij (Liberaldemokratische Partei). In der Ukraine, so ihre Befürchtung, kann ebenfalls damit gerechnet werden, dass wegen der Politikverdrossenheit in weiten Teilen der Bevölkerung die Wähler aus Protest z.B. die „Partei der Bierfreunde“ den „richtigen“ Parteien vorziehen werden.

Der Kommunist Georgij Krjutschkow bedauert die Niederlage der linken Kräfte in Russland. Er betont allerdings, dass das Wahlergebnis auf die ukrainisch-russischen Beziehungen keinen besonderen Einfluss nehmen wird, da diese schon ohnehin schon einen Tiefpunkt erreicht haben.

Durch den Einsatz der sogenannten „administrativen Ressourcen“ und der einseitigen Berichterstattung in den Medien während der Wahlkampagne in Russland sind die Kreml-Partei „Vereintes Russland“ bevorzugt, die anderen Parteien und Kandidaten benachteiligt und das Wahlergebnis entstellt worden, so der Präsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, Bruce George, der von mehreren ukrainischen Zeitungen zitiert wurde. Die OSZE hat den Ablauf der Parlamentswahl in Russland in scharfer Form kritisiert. Die Wahl habe nicht internationalen Standards entsprochen. Bruce sprach von einem Rückschritt des demokratischen Reformprozesses in Russland.

Die GUS-Beobachter allerdings sind der Auffassung, dass die Parlamentswahlen frei, offen und demokratisch waren. So jedenfalls war es in der gemeinsamen Erklärung der GUS-Länder zu lesen, die der GUS-Sekretär Juri Jarow veröffentlicht hat.

Zitate aus der Presse

Aus der Internet-Zeitung „Ukrainska prawda“ (Ukrainische Wahrheit) vom 8.12.2003

„In der Nacht auf Montag des 8. Dezember fand in Russland ein Wechsel der Machtelite statt. Der Begriff „Demokratie“ wurde zum Sprachmüll. Die Demokraten haben eine bittere Niederlage erlitten. Das russische Volk sprach sich für eine starke Hand aus und will von Putin-Leuten, Chauvinisten und Roten regiert werden.“

Die Hauptsensationen der Wahlen sieht die Zeitung in dem phantastischen Ergebnis der „Rodina“, dem unerwartet guten Ergebnis der Liberaldemokratischen Partei, dem Fiasko der Kommunistischen Partei und der schockierenden Niederlage der demokratischen Kräfte „Jabloko“ und „Union der rechten Kräfte“. „Für Jawlinski, Hakamada oder Nemzow bedeuten vier Jahre außerhalb der Duma und der aktiven Politik einen politischen Mord“.

Putin, der sich auch früher über die fehlende Unterstützung im Parlament nicht beschweren konnte, erhielt nun ein Parlament, das eher mit einer Gummipuppe zu vergleichen ist. Mit den Stimmen der Parteien „Vereintes Russland“, „LDPR“ und „Heimat“ ist Putin in der Lage, jede Entscheidung bis hin zu Verfassungsänderungen durchzusetzen“.

„Die neue Staatsduma ist das kennzeichnende Merkmal eines neuen Russlands. Keiner zweifelt daran, dass Putin in den Präsidentschaftswahlen im März 2004 bereits in der ersten Wahlrunde siegen wird. In Russland gibt es heute nicht einmal einen Embryo, der es mit ihm aufnehmen könnte“.

Aus der Zeitschrift „Politytschna dumka“ (Politische Meinung) vom 9.12.2003

„Russland hat seine Wahl getroffen, und diese Wahl tut der Demokratie nicht gut. Praktisch alle, die in die Duma gekommen sind, betrachten die Ukraine als Satellit und Objekt für wirtschaftliche und politische Expansion“.

„Vor dem Hintergrund von kritischen Stellungnahmen aus europäischen Hauptstädten zu den Parlamentswahlen in Russland kann man die Reaktion der ukrainischen Regierung kurz als ‚alles wird gut sein’ bezeichnen. Sowohl der Präsident als auch der Parlamentspräsident und eine Reihe von Politikern aus der pro-präsidentiellen Mehrheit sind der Meinung, dass die neue Duma keinesfalls die Situation in der Ukraine und die ukrainisch-russischen Beziehungen beeinflussen wird“.

„Heute unterscheidet sich die russische Duma kaum von den Parlamenten in Weißrussland oder Kasachstan. Man kann davon ausgehen, dass in Russland demokratische Werte und Tendenzen zurückgehen werden und sich die demokratische Entwicklung im ganzen degradiert“.

„Die Bürgergesellschaft ist im Parlament kaum vertreten. Russland baut einen autoritären Staat auf. Das politische Russland hat mit diesen Wahlen gezeigt, dass es keine Absicht hat, nach Europa zu gehen, dass dort eine anti-westliche, anti-europäische und anti-amerikanische Stimmung herrscht. Das aber würde für die Ukraine bedeuten, dass sie sich nun ernsthaft der EU und der Nato im Falle einer möglichen neuen Aggression seitens Russlands wie im Beispiel mit der Insel Tusla zuwenden sollte“.

Aus der Tageszeitung „Den“ (Der Tag) vom 9.12.2003

„Es sind die letzten Hindernisse für den Übergang Russlands von der „geleiteten Demokratie“ zur konstitutionellen Monarchie oder einer anderen Form der Autokratie verschwunden. Nichts beschränkt die Macht von Wladimir Putin außer sein eigener guter Wille“.

„Als positiv für die Ukraine kann nur eines angesehen werden: die Parlamentswahlen in Russland erleichtern unsere historische Wahl, indem sie diejenigen wachrütteln, die immer noch Illusionen im Hinblick auf demokratische Veränderungen in Russland gehegt haben“.

Aus der Tageszeitung „Ukraina moloda“ (Junge Ukraine) vom 10.12.2003

„Das kommende Jahr wird unter dem Zeichen der Verstärkung einer neokolonialen Politik Russlands verlaufen. Die attraktivste Zielscheibe der russischen Interessen im postsowjetischen Raum ist die Ukraine. Der Kreml wird in unserem Staat seine Interessen aktiv durchsetzen: durch direkten politischen Einfluss, durch das Kapital und durch die Kontrolle über den Wechsel der ukrainischen Elite“.

Um diesen negativen Tendenzen zu widerstehen, sollen die euro-atlantischen Bemühungen der Ukraine, vor allem ihr Beitritt zur NATO beschleunigt werden. „Nur der NATO-Schirm wird uns helfen, uns vor dem kaltem Nordwind zu schützen“, rät der Politikwissenschaftler Malinkowitsch.

Fazit

Der Tenor der Kommentare der meisten Politiker und Journalisten lässt sich wie folgt zusammenfassen: Putin ist gestärkt aus den Wahlen hervorgegangen und Russland verwandelt sich langsam aber sicher zur einer Präsidialdiktatur, zu der die Ukraine auf Distanz gehen sollte.

Es besteht Anlass zu der Vermutung, dass der Druck Russlands auf die Ukraine anwachsen wird. Der vom Zaun gebrochene Konflikt um die Insel Tusla, der Streit um die Anerkennung von Russisch als zweite Nationalsprache und der Versuch der russischen Einflussnahme auf das Odessa-Brody Projekt sind nur drei Beispiele für die härtere Gangart, die der Ukraine gegenüber vom Kreml an den Tag gelegt wird. Erschwerend für die Ukraine kommt hinzu ihre fast vollständige Abhängigkeit von russischen Energielieferungen, die politischer und wirtschaftlicher Erpressung Tor und Tür öffnen.

Auf Hilfe vom Westen wird die Ukraine wahrscheinlich vergeblich hoffen dürfen. Schon seit Jahren wartet sie vergeblich auf konkrete Signale aus Brüssel. Sie trifft im Augenblick auf eine Europäische Union, die, wie nicht zuletzt die Diskussion um die Europäische Verfassung und den Stabilitätspakt deutlich gemacht haben, mit sich und der Integration 10 neuer Mitglieder beschäftigt und kaum bereit ist, öffentlich eine Diskussion um eine Assoziierung oder gar Mitgliedschaft der Ukraine zu führen.

Statt dessen ist sie bemüht, den quengelnden neuen Nachbarn mit einem „Aktionsplan“ erst einmal ruhig zu stellen. Die Ukraine sitzt bildlich gesprochen zwischen Baum und Borke oder, drastischer ausgedrückt, zwischen Hammer und Amboss: auf der einen Seite ein gestärktes Russland, das die Ukraine enger an sich zu binden versucht, obwohl sich eine wenn auch knappe Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung für die „europäische Wahl“ in Richtung EU-Integration ausgesprochen hat, und auf der anderen Seite eine Europäische Union, die die Ukraine auf noch unbestimmte Zeit auf Distanz hält.

Zudem wollen wichtige EU- Länder ihre guten Beziehungen mit Moskau nicht aufs Spiel setzen. Schließlich winken lukrative Aufträge für die Wirtschaft aus einem Land, dass sich in verhältnismäßig kurzer Zeit von einem „Hort des Bösen“ zu einem Wallfahrtszentrum für westliche Politiker mauserte. Hinzu kommt, dass Russland spätestens seit dem 11. September 2001 in den Olymp der engagiertesten Kämpfer gegen den internationalen Terrorismus aufgestiegen ist und seine Unnachgiebigkeit tagtäglich in Tschetschenien mit unter Beweis stellt.

Das russische Wahlergebnis ist auch für die politische Opposition in der Ukraine in hohem Maße beunruhigend. Sowohl die „Union der rechten Kräfte“ wie auch „Jabloko“ sind von der politischen Bildfläche zumindest für die nächsten vier Jahre verschwunden. Die Erkenntnis, dass es vielleicht doch besser gewesen wäre, sich zu vereinen und als eine Partei in den Wahlkampf zu ziehen, setzte sich leider zu spät durch.

Auch die Ukraine steht im kommenden Herbst vor einer richtungsweisenden Wahl. Anders als in Russland werden die Wähler zwar nicht zu Parlaments-, sondern zu Präsidentschaftswahlen aufgerufen. Aber auch in diesem Fall gilt: Einheit macht stark. Die Opposition sollte aus dem russischen Fiasko ihre Lehren ziehen, indem sie sich möglichst bald auf einen einheitlichen Kandidaten und ein für alle Verbündeten vertretbares Kandidatenprogramm verständigen und als geschlossenes Team gegen die geballte Macht der „administrativen Ressourcen“ und gelenkten Medien antreten.

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Gabriele Baumann

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Leiterin des Projekts Nordische Länder

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