Länderberichte
Gekommen waren vielmehr auch die Präsidenten Venezuelas und Mexiko, denn mit Venezuela sollte ein Assoziierungsabkommen unterschrieben werden und mit Mexiko sollten die Verhandlungen über eine künftige Assoziierung zum MERCOSUR aufgenommen werden. Doch nicht dieses zukunftsweisende Projekt einer substantiellen Erweiterung des MERCOSUR oder andere wichtige Vereinbarungen markierten das Treffen und die Aufmerksamkeit der Beobachter, sondern der Streit um neue Handelsbarrieren zwischen Argentinien und Brasilien
Der MERCOSUR lebt in einem ständigen Wechselbad der Gefühle. Auf Momente der Zufriedenheit über Fortschritte des Integrationsprozesses und euphorischer Erwartungen hinsichtlich weiterer Schritte zur Konsolidierung und Erweiterung des Integrationsprozesses folgen immer wieder kleinere oder größere Streitigkeiten, die bei vielen Akteuren Frustration und Depression über den Zustand und die Zukunft des Integrationsprojektes auslösen.
Nachdem im Dezember vergangenen Jahres wichtige Schritte zur institutionellen Konsolidierung des Integrationsbündnisses vereinbart worden waren, sollte auf dem Gipfeltreffen in Puerto Iguazu eine breite Agenda verhandelt und verabschiedet werden, die nicht nur die interne Zusammenarbeit weiter fördern, sondern den MERCOSUR als
regionalen und internationalen Akteur stärken sollte. Auf der Tagesordnung standen:
- die Einrichtung eines dauerhaften Schiedsgerichts mit Sitz in Asunción, Paraguay,
- der Antrag Mexikos, dem MERCOSUR als assoziiertes Mitglied beizutreten,
- die Unterzeichnung eines Rahmenvertrages zur Aufnahme von Verhandlungen mit Ägypten über Handelspräferenzen,
- eine Vereinbarung über die Freizügigkeit des Personenverkehrs innerhalb des MERCOSUR,
- Abstimmungen hinsichtlich der Verhandlungen eines Handelsabkommens mit Indien und Südafrika,
- Vorabsprachen über die eventuelle Aufnahme von Verhandlungen über ein Handelsabkommen mit China und Japan,
- Absprachen im Hinblick auf die abschließende Etappe der Verhandlungen über ein Abkommen mit der Andengemeinschaft,
- Gespräche über einen argentinischen Vorschlag, Mechanismen zur „Anpassung des Handels“ innerhalb des MERCOSUR zu vereinbaren, um eine „Invasion“ von Produkten aus einem der Mitgliedsländer zu verhindern,
- Gespräche über den Fortschritt der Verhandlungen des Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union,
- Gespräche über eine Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen innerhalb des MERCOSUR.
Besonderes Gewicht erhielt das Gipfeltreffen durch die Anwesenheit der Präsidenten der bereits mit dem MERCOSUR assoziierten Länder Chile, Bolivien und Peru, des Präsidenten Venezuelas und insbesondere durch die Teilnahme des mexikanischen Präsidenten Vicente Fox, der den Antrag seines Landes auf eine Assoziierung mit dem MERCOSUR vertrat. Zudem waren auch der Außenminister und weitere Kabinettsmitglieder Kolumbiens anwesend sowie Vertreter Ägyptens und Japans. Allein die Anwesenheit von neun Präsidenten unterstrich die politische Bedeutung des MERCOSUR in und für Lateinamerika. Der brasilianische Präsident Lula da Silva übernahm turnusgemäß von seinem argentinischen Kollegen Kirchner für das kommende halbe Jahr die Präsidentschaft des Integrationsbündnisses.
Die anspruchsvolle Agenda wurde zwar verhandelt und zu den einzelnen Punkten wurden die vorbereiteten Entscheidungen getroffen. Dabei erwies sich naturgemäß der
Assoziierungsantrag Mexikos als ein kompliziertes Unterfangen; denn Mexiko ist bereits Mitglied der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) und es wird in der Praxis schwierig sein, die Termini für eine Kompatibilität der Zugehörigkeit Mexikos zur NAFTA und seiner Assoziierung mit dem MERCOSUR zu finden. Auch wenn dem Wunsch Mexikos generell entsprochen wurde, ist mit langwierigen Verhandlungen zu rechnen, ehe eine Assoziierung tatsächlich vereinbart wird. Das politische Signal des mexikanischen Antrages ist für den MERCOSUR einerseits zwar außerordentlich wichtig, weil es die Bedeutung und Attraktivität der Gemeinschaft unterstreicht (wobei man jedoch auch nicht übersehen sollte, dass Mexiko insbesondere an einem erleichterten Zugang auf den brasilianischen Markt interessiert ist). Andererseits muss man jedoch vor einer übereilten Erweiterung noch erhebliche Anstrengungen in die Konsolidierung der Gemeinschaft investieren, damit sie überhaupt zur Integration weiterer Mitglieder in der Lage ist. Dass es in dieser Hinsicht noch gravierende Probleme gibt, belegt der jüngste Handelsstreit zwischen Argentinien und Brasilien.
„Krieg der Kühlschränke“
Überschattet war das MERCOSUR-Gipfeltreffen in Puerto Iguazu von einem neuerlichen Handelsstreit zwischen Argentinien und Brasilien, der die übrigen Tagesordnungspunkte in den Hintergrund drängte. Eine Woche vor dem Gipfeltreffen hatte der argentinische Präsident Kirchner überraschenderweise Handelsbarrieren gegen den Import brasilianischer Haushaltsgeräte angekündigt. Einen Tag vor dem Gipfel drohte er damit, die Barrieren auch auf den Import brasilianischer Textilwaren zu erweitern. Und kurz vor seiner Ankunft in Puerto Iguazu erklärte er „Der MERCOSUR muss dazu nützen, dass sich die Industrien gleichmäßig entwickeln und nicht, dass ein Land allein davon profitiert. Wenn nicht, nutzt er nichts“.
Auf brasilianischer Seite haben die Ankündigung der Handelsbarrieren und die Verlautbarungen von Kirchner große Irritationen hervorgerufen. In Wirtschaftskreisen und den Medien äußerte sich zum Teil scharfe Kritik; schon wurde vom „Handelskrieg“ gesprochen und grundsätzlicher Zweifel am MERCOSUR geäußert. Seitens der Regierung allerdings wurden kritische Äußerungen vermieden und man wartete auf die Begegnung in Iguazu, um dort die Wogen zu glätten und eine für beide Seiten gangbare Vereinbarung zu treffen.
Anlass für die argentinische Ankündigung waren einige ungünstige konjunkturelle Entwicklungen, aber auch strukturelle Probleme innerhalb des MERCOSUR. Nach einer Zeit des Handelsüberschusses mit Brasilien erlebte Argentinien in den letzten Monaten einen Überschuss von Importen aus dem Nachbarland. Ursache dafür sind die wirtschaftliche Erholung in Argentinien, die die Nachfrage nach Importen belebte, sowie die lahmende Wirtschaft in Brasilien, die die Nachfrage nach argentinischen Produkten drückte; zudem gibt es in Brasilien einige exportfördernde steuerliche und finanzielle Anreize, die die Ausfuhren u.a. nach Argentinien begünstigten. Mit zunehmender Erholung der brasilianischen Wirtschaft werden diese konjunkturellen Elemente für das Handelsungleichgewicht zwischen den Nachbarn wieder an Bedeutung verlieren. Die strukturellen Probleme hängen damit zusammen, dass die argentinische Industrie noch nicht genügend wettbewerbsfähig ist.
In intensiven Gesprächen brasilianischer Kabinettsmitglieder mit dem argentinischen Wirtschaftsminister Lavagna wurde schließlich in Puerto Iguazu eine Aussetzung der
angekündigten Handelsbarrieren vereinbart. Innerhalb vereinbarter Fristen wollen beide Regierungen und Vertreter der Wirtschaft beider Länder einvernehmliche Lösungen finden, die wahrscheinlich auf einige Restriktionen hinauslaufen, die sich die brasilianische Industrie auferlegt, um die Exporte nach Argentinien zu bremsen. Vorerst ist damit der neuerliche Konflikt innerhalb des MERCOSUR gelöst.
Trotz des Bemühens um eine Streitschlichtung war das Klima auf dem Gipfeltreffen ausgesprochen unterkühlt. Bezeichnenderweise wurde der Handelskonflikt als „Krieg der Kühlschränke“ bezeichnet. Von diesen eisigen Gesprächstemperaturen waren auch die übrigen Gipfelteilnehmer betroffen. Vor allem zwischen den Delegationen aus Uruguay und Brasilien gab es heftige beiderseitige Anschuldigungen; während die Brasilianer die uruguayischen Vorbehalte bei einigen Verhandlungsgegenständen kritisierten, monierten die Uruguayer, dass Brasilien weniger an einer Wirtschaftsintegration interessiert sei, sondern den MERCOSUR nur für die Durchsetzung seines politischen Führungsanspruchs in der Region missbrauche. Das argentinische Präsidialamt veröffentlichte keine Fotos, auf denen Präsident Kirchner zusammen mit Präsident Lula zu sehen war – auch das ein Hinweis für die unterkühlte Begegnung.
Wer sich noch daran erinnert, wie herzlich sich beide Präsidenten vor Jahresfrist begegneten und welche Erwartungen sie im Hinblick auf die Zukunft des MERCOSUR weckten, mag von den jetzigen Umgangsformen überrascht sein. Allerdings wissen beide Präsidenten, ihre Regierungen und die maßgeblichen Repräsentanten aus Politik und Gesellschaft beider Länder, dass es letztlich zum MERCOSUR keine Alternative gibt. Man wird daher nicht umhinkommen, weiter auf die „Perfektionierung“ der Integrationsgemeinschaft hinzuarbeiten.
Dazu dient nicht zuletzt das nun endgültig ins Leben gerufene permanente gemeinsame Schiedsgericht mit Sitz in Asunción, von dem erwartet wird, dass es manche Konflikte, die bisher nur auf der politischen Ebene mit viel Lärm gelöst werden konnten, im Rahmen transparenter rechtlicher Verfahren regelt.
Auch hat beispielsweise die Parlamentarische Kommission des MERCOSUR, die aus Parlamentariern der vier Mitgliedsländer besteht, dem MERCOSUR-Rat (CMC) den Vorschlag für ein Protokoll zur Gründung eines Gemeinschaftsparlaments mit beschränkten Funktionen vorgelegt. Dieses Projekt ist zwar noch nicht entscheidungsreif, zeigt aber, dass es bei allen Kontroversen auch eine Vielzahl gemeinsamer Interessen gibt.