Länderberichte
"Wir haben gewonnen, Ihr habt gewonnen, Senegal hat gewonnen, Afrika hat gewonnen!" Mit diesem Ausruf wandte sich der Sieger der senegalesischen Präsidentschaftswahl, Abdoulaye Wade, bereits am späten Abend des zweiten Wahlgangs am 19. März an seine Anhänger, die seinen Wohnsitz in Dakar umlagerten.
Schon die Veröffentlichungen der ersten Ergebnisse aus den Wahlbüros zeigten kurz nach deren Schließung die eindeutige Tendenz: In fast allen Wahlkreisen lag der Herausforderer Abdoulaye Wade vor dem amtierenden Präsidenten Abdou Diouf. Die großen Städte des Landes verzeichneten eine wahre "blaue Welle" - Blau ist die Farbe der PDS, der Partei Abdoulaye Wades. Auch die bislang traditionell der Parti Socialiste von Abdou Diouf treuen ländlichen Zonen schwenkten zu einem beachtlichen Teil zur Opposition über. Am Dienstagmorgen (21. März) wurde das vorläufige Endergebnis des zweiten Wahlgangs bekanntgegeben:
Oppositionsführer Abdoulaye Wade erhielt 58,68 % der Stimmen, der amtierende Präsident Abdou Diouf 41,31%.
Tatsächlich erlebt Senegal mit diesem Sieg der Oppositionskoalition von Abdoulaye Wade eine historische Premiere, die gleichzeitig ein großes Hoffnungszeichen für ein demokratisches Afrika setzt. Nach vierzigjähriger Regierungszeit der Parti Socialiste hat sich Senegal am 19. März in weitgehend ruhigen und friedlichen freien Wahlen für den Kandidaten der Opposition entschieden - der lang ersehnte Wandel "Sopi" (Wandel / Wechsel in der Landessprache Wolof und Motto der PDS) ist eingetreten.
Die Befürchtung vieler ausländischer Beobachter, die Wahlen könnten wieder zu gewaltsamen Ausschreitungen führen, wurden schon im Laufe des ersten Wahlgangs am 27. Februar entkräftet und die vorsichtshalber getroffenen Sicherheitsmaßnahmen verschiedener diplomatischer Vertretungen (Evakuierungspläne usw.) erwiesen sich als obsolet. Der Grund liegt auch in der politischen Tradition Senegals: Trotz aller politischer Divergenzen und Machtkämpfe hat es in diesem westafrikanischen Land noch nie einen Staatsstreich, noch nie auch nur den Versuch militärischer Machtergreifung gegeben. Die fragile ivorische Demokratie hat erst kürzlich wieder bewiesen, wie überraschend leicht ein Militärputsch vonstatten geht und wie schwierig es ist, demokratisches Verhalten bei den politischen Entscheidungsträgern und in der Bevölkerung zu verankern.
In Senegal haben die Medien einen wichtigen Beitrag zur Transparenz und zum friedlichen Verlauf dieser Wahlen geleistet. Seit Beginn der demokratischen Öffnung Senegals im Jahr 1981 hat sich die Zahl der unabhängigen Zeitungen und Radiosender vervielfacht, nur der einzige nationale Fernsehsender unterliegt noch der staatlichen Kontrolle. Der private UKW-Sender SUD FM übertrug live die Ergebnisse aus den einzelnen 8400 Wahlbüros im Rhythmus der Auszählung, und damit war eine nachträgliche Manipulierung der Auszählungsergebnisse so gut wie ausgeschlossen. Die Liberalisierung der Medienlandschaft in Verbindung mit moderner Technik (in ländlichen Gebieten ohne Elektrizität waren die Handys der Journlisten wichtigstes Hilfsmittel) hat einen wirksamen Beitrag zur gelebten Demokratie geleistet.
Friedlich und ruhig - dies ist das Kennzeichen der diesjährigen Präsidentschaftswahlen. Die Wahlen der Jahre 1988 und 1993 waren von zahlreichen Zwischenfällen und Gewalttätigkeiten gekennzeichnet, ebenso wie die Parlamentswahlen von 1998. Jedes Mal wurden die Wahlergebnisse von der Opposition angefochten, jedes Mal wurden zahlreiche Fälle von schwerem Wahlbetrug aufgedeckt und in der Bevölkerung stellte sich eine Haltung zwischen Aggressivität und passiver Ergebenheit ein - "die Parti Socialiste gewinnt ja doch immer". Hinzu kamen die Wahlbefehle verschiedener muslimischer religiöser Führer (Marabouts) zugunsten der Parti Socialiste, die vor allem in den ländlichen Gebieten weitgehend befolgt wurden.
Der diesjährige Wahlerfolg der Opposition in Senegal ist also in vielerlei Hinsicht ein Erfolg der Demokratie. Die Bevölkerung hat erfahren, daß sie mit ihren Wählerkarten durchaus ihre Ziele durchsetzen kann, gemäß dem Slogan einer Kampagne zur Beteiligung an der Wahl: "Meine Wahlkarte, meine Macht!" Schon die Tatsache, daß im ersten Wahlgang kein Kandidat die erforderliche absolute Mehrheit erreichen konnte und ein zweiter Wahlgang notwendig wurde, war eine Premiere in Senegal.
Religiöse Kriterien hatten zur Erleichterung vieler Beobachter beinahe keine Bedeutung mehr: Die drei islamistisch geprägten Kandidaten des ersten Wahlganges erhielten insgesamt weniger als vier Prozent der Wählerstimmen und die Wahlbefehle von drei mächtigen religiösen Führern hatten kaum Einfluß auf das Wählerverhalten. Die gesamte senegalesische Bevölkerung, nicht nur die alphabetisierten Stadtbewohner, sondern auch die nicht lesekundigen Bauern, hat ein demokratisches Selbstbewußtsein erlangt, das religiöser Manipulierung oder den früher oft praktizierten Einschüchterungsmanövern keine Chance mehr gibt. Selbstbewußt und nur vor ihrem Gewissen verantwortlich haben die Senegalesen gewählt - dies ist der wahre Erfolg der Demokratie.
Anhänger der Parti Socialiste empfanden die Tatsache, daß der amtierende Präsident Abdou Diouf nicht gleich im ersten Wahlgang gewählt wurde, offensichtlich als Affront, als eine Art Majestätsbeleidigung. Die Niederlage, vielmehr die nicht mehr automatische absolute Mehrheit Dioufs war den PS-Mitgliedern schlicht unvorstellbar. Aus dieser Fassungslosigkeit folgte eine tiefe Demoralisierung der PS, die auch dem amtierenden Präsidenten Diouf bei seinen Wahlkampfauftritten vor dem zweiten Wahlgang anzumerken war. Nach vierzig Jahren Herrschaft fällt es der PS ausgesprochen schwer, ihre Machtposition abzugeben und sich mit dem Gedanken abzufinden, mindestens einige Jahre in die Opposition gehen und auf ihre sorgsam gepflegten Pfründe verzichten zu müssen.
Abdou Diouf nahm seine Niederlage hingegen mit Würde und einem in Afrika ganz neuen Demokratiebewußtsein hin: Schon am Montagvormittag - noch bevor die offiziellen Wahlergebnisse bekannt waren - gratulierte er telefonisch dem Wahlsieger Abdoulaye Wade und wünschte ihm viel Glück und Erfolg bei seinen neuen Aufgaben. Diese Geste von herausragender demokratischer Bedeutung wurde dem scheidenden Präsidenten nicht nur in Senegal hoch angerechnet. Führende Politiker und Oppositionspolitiker der Nachbarländer beglückwünschten Senegal zum "Sieg der Demokratie", der von Ländern wie z. B. Guinea, Elfenbeinküste oder Niger als beispielhaft empfunden wird.
Abdoulaye Wade, der in diesem Jahr im Alter von 74 Jahren zum fünften Mal gegen die Parti Socialiste antrat, steht endlich vor der Erfüllung seines politischen Traumes. Die wechselvolle Laufbahn dieses nicht nur an Jahren ältesten senegalesischen Oppositionsführers hat ihn zum einer Symbolfigur der Opposition in Afrika schlechthin gemacht. 1974 gründete er die liberale PDS, 1978 trat er gegen Senghor an, dann 1983, 1988 und 1993 gegen Abdou Diouf. Zwei Mal mußte er nach Wahlunruhen als "Volksverhetzer" ins Gefängnis, zwei Mal wirkte er als Staatsminister in einer erweiterten Koalitionsregierung. Wade ist aber nicht nur Politiker, seinem Beruf - Universitätsprofessor für Rechts- und Wirtschaftswissenschaften und internationaler Anwalt - ging er "nebenher" nach und finanzierte u. a. die Wahlkämpfe aus seinem Privatvermögen. Wade ist einerseits charismatischer und gelegentlich populistischer Volkstribun, andererseits aber auch pragmatischer Politiker und anerkannter Jurist und Wirtschaftswissenschaftler.
Sein wichtigster Koalitionspartner, Moustapha Niasse, ehemaliger PS-Staatsminister, der erst vor neun Monaten mit seinem Austritt aus der Regierungspartei und der Gründung der "Allianz der Fortschrittskräfte" für ein politisches Erdbeben sorgte, gilt vielen Wählern als Stabilitätsgarantie und Ausgleichskraft. Wade hat ihm vor den Koalitionsverhandlungen den Posten des Premierministers zugesichert, und die Konstellation des charismatischen politischen Kämpfers mit dem renommierten Staatsmann und erfahrenen Unternehmer hat sicher zu dem Wahlerfolg der Koalition beigetragen.
Nachdem Senegal in Fragen der Demokratieentwicklung von einigen Nachbarländern (Mali, Guinea Bissau) schon überholt schien, präsentiert es sich wieder als demokratisches Musterland, ein Land, in dem eine dynamische und pluralistische Demokratie funktioniert. Das Paradox einer Demokratie mit freien Wahlen, aber ohne Chance für einen politischen Machtwechsel, wurde durch diese Präsidentschaftswahlen aufgehoben. Eine echte Demokratie ist möglich, ein friedlicher und demokratischer Machtwechsel ist machbar - diese Erfahrung und Überzeugung führt zu einer optimistischen Aufbruchsstimmung in der senegalesischen Bevölkerung.
Wade und seine Mitstreiter aus insgesamt zehn Parteien stehen jetzt vor der nächsten und eigentlichen Herausforderung: den Erwartungen und Bedürfnissen ihrer Wähler gerecht zu werden und die Entwicklung Senegals zu einem auch wirtschaftlich und sozial erfolgreichen Staat voranzutreiben.