Länderberichte
Steuern, Steuern und andere Maßnahmen
In Übereinstimmung mit dem im August 2015 von der SYRIZANEL-Koalition verabschiedeten dritten „Memorandum of Understanding“ (MoU) zwischen Griechenland und den Gläubiger-Institutionen musste die griechische Regierung im Mai Sparauflagen im Umfang von 5,4 Mrd. Euro beschließen, um die nächste Tranche von 10,3 Milliarden Euro zu erhalten und die Zahlungsfähigkeit des Landes für die nächsten Monate sicherzustellen. Die Auflagen umfassten primär weitere Rentenkürzungen sowie Steuererhöhungen in diversen Sektoren: So wurde unter anderem per 1. Juni die Mehrwertsteuer zum sechsten Mal in sechs Jahren erhöht – von 23 auf 24 Prozent. Zudem musste die Regierung Vorratsbeschlüsse zu weiteren Einsparungen verabschieden. Sollten die Zielvorgaben für den Primärsaldo von 3,5 Prozent bis 2018 verpasst werden, greift eine Art „government shutdown“ für Griechenland: der ohnehin enge Spielraum für Staatsausgaben wird horizontal begrenzt. Sollten Gehälter und Pensionen in der Folge erstmals nicht ausgezahlt werden können, kann mit erneuten Unruhen und Protesten gerechnet werden. Für die SYRIZA-ANEL-Koalition möglicherweise eine nächste kritische Wegmarke.
Gesucht: Glaubwürdigkeit und Stabilität
Juli 2015 wird als vorläufiger Höhepunkt des Populismus in der griechischen Politik sowie als wichtiger Wendepunkt im Parteiensystem in Erinnerung bleiben: Über 61 Prozent der Griechen hatten sich auf Empfehlung der SYRIZA-ANEL-Regierung gegen die von der Troika der Kreditgeber geforderten Reform- und Sparauflagen ausgesprochen – nur um kurze Zeit später der Abstimmung neuer Reformauflagen im griechischen Parlament zusehen zu müssen. Ein Jahr später wirken Akteure, Diskurse und Strategien der beiden Regierungsparteien in weiten Teilen diskreditiert.
Dies wird auch in den Meinungsumfragen widergespiegelt – trotz aller Vorsicht, mit der diese in Griechenland betrachtet werden müssen. Das Bild ergibt kontinuierlich fallende Umfragewerte für SYRIZA, ANEL sowie die jeweiligen Parteispitzen. Anders als noch vor einem Jahr ist die Beliebtheit der Regierung erheblich zurückgegangen. Vor diesem Hintergrund möchte die Koalition jegliche politische Instabilität vermeiden.
Nach dem von größten politischen und finanziellen Turbulenzen, zwei Parlamentswahlen und einem Referendum geprägten Jahr 2015 ist Griechenland inzwischen in eine Phase fragiler Stabilität eingetreten, die von verschiedenen Faktoren positiv sowie negativ beeinflusst wird:
- Schleppende, aber wachsende Kooperation zwischen der SYRIZA-ANEL-Regierung und den Kreditgeber-Institutionen EU-Kommission, EZB, ESM und IWF. Auch in der Zusammenarbeit mit anderen internationalen Akteuren hat sich die Lage – von niedrigstem Niveau im letzten Jahr kommend – stabilisiert. Dies trifft auch auf den Privatsektor zu: wenn auch nach sehr zähem Ringen hat sich beispielsweise die Kooperation der griechischen Regierung mit dem chinesischen Staatskonzern COSCO rund um die weitere Privatisierung des Hafens von Piräus verbessert.
- Starke Fraktions- und Koalitionsdisziplin innerhalb der schmalen Regierungsmehrheit der SYRIZANEL: 144 SYRIZA- und 9 ANEL-Abgeordnete bilden die knappe Mehrheit von 153 der 300 Abgeordneten. Trotz einer Vielzahl politisch sehr heikler Voten über Renten- und Sozialversicherungsreformen stimmen die Parlamentarier geschlossen mit Ministerpräsident Tsipras. Diese Disziplin wird auch bei den bevorstehenden Arbeitsmarktreformen im Herbst 2016 erneut auf die Probe gestellt werden.
- Eine apologetische Rhetorik der SYRIZA-ANEL-Regierung: Man könne ihr für die ersten sechs Monate im Amt durchaus vorwerfen, von falschen Vorstellungen ausgegangen zu sein; aber nicht, die Bevölkerung belogen zu haben, so der – sicherlich diskussionswürdige – Tenor. Insgesamt setzt die Kommunikation von SYRIZA und ANEL immer noch bei dem Argument an, für die Bevölkerung kontinuierlich zu kämpfen; und auch wenn dieser Kampf an vielen Fronten verloren wird, sichert dieses Argument bis heute einen Grundsockel an Sympathie in der griechischen Bevölkerung.
- Wenig Protest und oppositionelle Bewegung in der Bevölkerung, wie es noch bis 2014 der Fall war und die Regierungsarbeit der Zeit maßgeblich beeinflusst hat – unter starker Mitwirkung der damaligen Oppositionspartei SYRIZA.
- Sachbezogene Kooperationsbereitschaft der Opposition, die u.a. auch die Verabschiedung des dritten MoU im August 2015 mittrug. Fundamentalopposition wurde bisher nur in wenigen Bereichen vorgebracht. Oppositionsseitig dominiert die Kritik an den Abläufen und fehlenden Strategien der SYRIZA vor der Kritik an den Maßnahmen selbst.
- Die parallele Agenda der SYRIZANEL in Themenbereichen, die nicht unmittelbar der Kontrolle durch die Institutionen unterworfen sind: Hier versucht sich die Regierung z. B. mit Maßnahmen wie der Wahlrechtsreform oder der Limitierung der Rundfunklizenzen bei ihren Anhängern als Anti-Establishment-Koalition zu profilieren.
- Trotz erstaunlicher – vor allem nach den Ereignissen des Jahres 2015 – „Grundsympathie“ eine kontinuierlich sinkende Popularität der SYRIZANEL bei der Bevölkerung: inzwischen sind laut Umfragen 86 Prozent unzufrieden mit der Arbeit der Regierung; lediglich 7 Prozent äußern sich noch positiv. Zugleich befindet sich die Nea Dimokratia (ND) als größte Oppositionspartei mit wachsendem Abstand von über 10 Prozent vor den übrigen Parteien im Aufstieg. Die Wahl des neuen Parteivorsitzenden Kyriakos Mitsotakis beendete hier eine lange und schwierige Phase sinkender Popularität und parteiinterner Querelen.
- Wachsender Europa- und Euroskeptizismus in der griechischen Bevölkerung - vermutlich noch verstärkt durch den Ausgang des britischen Referendums: so sprechen sich beispielsweise inzwischen nur noch knapp 54 Prozent der Griechen für den Euro als Währung aus; 37 Prozent würden eine nationale Währung für geeigneter halten. Das ist nach über Jahre andauernder Zustimmung zu der Gemeinschaftswährung – trotz der massiven Krise – eine sehr bedenkliche Entwicklung.
- Eine weiterhin sich verschlechternde ökonomische und soziale Situation der griechischen Bevölkerung: die im vergangenen Jahr eingeführten Kapitalverkehrskontrollen wurden leicht gelockert, dauern aber nach wie vor an; die Arbeitslosigkeit bleibt mit über 23 Prozent hoch (im Vergleich zu rund 25 Prozent im Sommer 2015) und betrifft immer noch besonders stark die junge Bevölkerung Griechenlands.
- Die Migrationskrise und der in weiten Teilen wenig konstruktive Umgang der SYRIZA-ANEL-Koalition mit diesem Thema hat Griechenland in einem weiteren Krisenfeld sehr stark exponiert und unter Druck gesetzt; auch hier herrscht im Lichte der unklaren Zukunft des EU-Türkei-Abkommens sowie inexistenter griechischer Integrationspolitik für die über 56.000 im Land befindlichen Flüchtlinge nur fragile Stabilität vor. Sie belastet das bereits ökonomisch schwache Land zusätzlich.
Neues politisches Koordinatensystem
Mit dem Beginn dieser neuen Stabilität auf niedrigem Niveau sind die in Griechenland politisch dominierenden Elemente der Periode 2010-15 komplett verschwunden: Sie bestanden aus einer politischen Landschaft, die von sehr harten Verhandlungen intern wie extern geprägt war; einer ständigen Vorwahl-Situation (allein in der genannten Periode fanden in Griechenland vier Parlamentswahlen statt); der Aufteilung des Parteienspektrums in Befürworter und Gegner der sogenannten „Memorandumspolitik“; einer Logik des „Wir gegen die konservativ-neoliberale EU“; sowie die große Anhängerschaft einer „Theorie eines anderen Weges für Griechenland und Europa“.
Mit Verabschiedung des dritten MoU hat die SYRIZANEL-Koalition den konfrontativen Kurs gegenüber der EU und den internationalen Partnern zusehends hinter sich gelassen und auch ihre Rhetorik angepasst. Der Eurogruppen-Beschluss vom 25. Mai 2016 ließ die links-rechts-Regierung die erste Überprüfung des neuen Programms – mit viel politischem Willen von allen Seiten – erfolgreich abschließen und stellte somit finanzielle Stabilität für die kommenden Monate sicher. Diese neue politische Realität wurde noch drei Tage zuvor mit der Abstimmung des benötigten Gesetzespakets im griechischen Parlament mit Regierungsmehrheit bestätigt: Umfassende Steuererhöhungen sowie Privatisierungen wurden beschlossen – ein jahrzehntelanges Tabu in der griechischen Politik, für die bis anhin linksradikale SYRIZA allzumal. Die Reaktionen auf diesen ideologischen Bruch der Linken blieben inner- wie außerhalb des Parlaments übersichtlich; ein Phänomen, das immer häufiger zu beobachten ist. Lediglich eine SYRIZA-Abgeordnete stimmte nicht mit – legte sofort ihr Mandat nieder und wurde ohne weiteres Aufhebens durch einen Nachrücker ersetzt.
Ringen um das Profil
Während sich die Regierung inzwischen auf die Notwendigkeit der Privatisierung von jahrzehntelang desaströs geleiteten Staatsbetrieben eingelassen zu haben scheint, ist sie bisher nicht in der Lage, diese aus dem MoU abgeleiteten Maßnahmen mit einer wirtschaftspolitischen Strategie für Griechenland sinnvoll zu verbinden und das Land auf den Wachstumspfad zu bringen. Es fehlt dabei vor allem an Anreizen und besseren Rahmenbedingungen für den Privatsektor. Stattdessen werden durch die jüngst beschlossenen Steuererhöhungen Gesellschaft wie auch Wirtschaft weiter belastet. Dieser Trend drückt sich auch in den wirtschaftlichen Prognosen von zwischen minus 0,3 (EU-Kommission) und minus 1 Prozent (Wirtschaftsforschungsinstitut IOBE) BIP-Wachstum aus.
Währenddessen versucht SYRIZA mit Hilfe von neuen politischen Spielfeldern die Existenz und Zustimmungsfähigkeit als linke Partei zu bewahren. Jüngster Vorstoß war die Reform des Wahlgesetzes unter Einführung des einfachen Verhältniswahlrechts, d.h. der Abschaffung des 50-Sitze-Bonus für die stärkste Partei im Parlament. Dieses System hat in Griechenland bisher politische Regierungsstabilität und -fähigkeit sichergestellt – nicht zuletzt für die SYRIZA-ANEL-Koalition in ihren Anfängen 2015. Vor dem Hintergrund stark gesunkener Zustimmungswerte und geringer Wahrscheinlichkeit, die nächsten Parlamentswahlen noch zu gewinnen, hatte SYRIZA diesen Vorstoß nun zugunsten der vielen kleineren Parteien im inzwischen reichlich fragmentierten griechischen Parlament lanciert. Die Koalition bemühte sich dabei intensiv um die benötigte 2/3-Mehrheit von 200 Stimmen (unter Werben um Zustimmung der neofaschistischen Chrysi Avgi, die sich jedoch schließlich dagegen entschied), um diese Änderung schon zur nächsten Parlamentswahl wirksam werden zu lassen. Mit 179 Stimmen scheiterte das Unterfangen, die Änderungen haben nun erst in der übernächsten Legislaturperiode Wirkung; es ist das erste Scheitern eines Abstimmungsvorhabens der SYRIZANEL im Parlament.
Eine weitere politisierte Baustelle der Regierung ist die Reduzierung der bisher acht Rundfunklizenzen für Privatsender auf vier. Damit möchte sich die Koalition abermals gegen das langjährige Establishment der „Metapolitefsi“, d.h. der Phase der Zweiparteienherrschaft von ND und PASOK nach der Militärdiktatur, profilieren. Manche vermuten hinter dem Schritt vielmehr eine Offensive gegen die – gerade nach dem Referendum 2015 – gegenüber SYRIZANEL sehr kritisch eingestellten Journalisten.
Zudem lancierte Ministerpräsident Tsipras zuletzt, noch nicht einmal eine Woche nach dem Scheitern der unmittelbaren Wahlgesetzanpassung, eine ambitionierte Verfassungsreformagenda. Mit zahlreichen Anspielungen an eine „neue Metapolitefsi“ bezeichnete er diese vergangene Phase als gescheitert und stellte umfassende Neuerungspläne vor: Einführung von mehr Bürgerbeteiligung durch Referenden; Direktwahl des Präsidenten der Republik, der in seinen Kompetenzen gestärkt werden soll; Begrenzung von Abgeordnetenmandaten auf zwei Legislaturperioden; stärkere Trennung von Kirche und Staat etc. Auch hier versucht sich die Regierung mit einer Agenda jenseits der für das Land brennenden ökonomischen Fragen weiterhin als linke Anti-Establishment-Partei zu profilieren.
Wandlungen in der Parteienlandschaft
SYRIZA
Der linke Koalitionsführer hat von seiner Rhetorik nach Regierungsübernahme im Januar 2015 bis zur Verabschiedung des dritten MoU im August desselben Jahres inzwischen nichts mehr übrig behalten. Die in Oppositions- wie ersten Regierungsmonaten kultivierte Argumentationsführung der Fundamentalopposition gegen die Reformen ist vollständig verschwunden – ohne dass die beteiligten Akteure mit allzu großen Glaubwürdigkeitsproblemen konfrontiert zu sein scheinen. Mit der Ausgründung der bei den letzten Wahlen an der der Dreiprozenthürde gescheiterten, linksradikalen „Volkeinheit“ (LAE) um den ehemaligen Energieminister Lafazanis sowie Parlamentspräsidentin Konstantopoulou, und nach dem Ausscheiden von Ex-Finanzminister Varoufakis ist die SYRIZA-Fraktion eine äußerst homogene Gruppe: Die Abgeordneten werden von Tsipras stark kontrolliert und stehen mit erstaunlicher Geschlossenheit hinter seinen – mit ihren ursprünglichen Überzeugungen erheblich kontrastierenden – politischen Plänen. Darüber hinaus ist inzwischen jegliche europäische Linkorientierung der SYRIZA abhanden gekommen: Ursprünglich angestrengte Kontakte zur Linkspartei in Deutschland und Podemos in Spanien werden nicht weiterverfolgt. Stattdessen sucht die Partei erkennbar Anschluss an die europäische Sozialdemokratie. Ebenso nicht weiter verfolgt wird die Intensivierung der politischen Kontakte nach China, Russland und Venezuela – die noch 2015 von SYRIZA immer wieder als Alternativen zum europäischen „neoliberalen“ Weg angepriesen wurden.
NEA DIMOKRATIA
Die ND hat die schwierige Phase der Bestimmung eines neuen Parteivorsitzenden im Januar 2016 erfolgreich beendet. Der jugendlich wirkende Vorsitzende Kyriakos Mitsotakis bemüht sich, die ND mit viel Dynamik zu modernisieren und für die Regierungsübernahme inhaltlich, organisatorisch und finanziell von Grund neu aufzustellen. Dieser Kurs wurde auf dem Parteitag im April 2016 bestätigt. Dabei steht die konservative Oppositionspartei vor sehr großen Herausforderungen: Anpassung der Partei an die neuen politischen und sozialen Realitäten im Land – auf dem Weg zu einer modernen europäischen Volkspartei; Erarbeitung eines glaubwürdigen Parteiprogramms, das eine funktionsfähige Wachstumsstrategie für Griechenland umfassen muss; Neuaufbau der ideologischen und sozialen Identität der ND bei gleichzeitigem Erhalt der Stammwählerschaft; Neugründung der Parteistruktur, inklusive Verlagerung der Parteizentrale in günstigere Gebäude, Sicherstellen des Geschäftsbetriebs mit erheblich reduziertem Personal; neue Kommunikationswege der Partei mit der Bevölkerung, mit besonderem Fokus auf Nutzung der Sozialen Medien etc. Das ist eine umfassende Reformagenda, die es unter extrem schwierigen Rahmenbedingungen umzusetzen gilt. Gleichwohl scheint die ND die kritische Phase überstanden zu haben, in der die vormals etablierten Parteien vollkommen in der öffentlichen Meinung diskreditiert waren.
Chrysi Avgi
Mit dem Ende der Anti-MoU-Kontroversen ist die neofaschistische Goldene Morgenröte im Parlament vollständig isoliert: Nachdem sich SYRIZA und ANEL der Reformagenda zugewendet haben, hat Chrysi Avgi keine parlamentarisch aktive Rolle mehr. Außerdem sind die zuvor stark auf die Straße orientierten Aktivitäten der Partei durch das laufende Verbotsverfahren gegen sie erheblich reduziert. Dennoch kann sich Chrysi Avgi der kontinuierlichen Unterstützung eines Teils der griechischen Bevölkerung versichern, der sie derzeit in Umfragen nach wie vor als drittstärkste Partei positioniert.
Dimokratiki Symparataxi – PASOK/DIMAR
Dagegen kämpft die sozialdemokratische PASOK, eine der beiden politischen Kräfte der „Metapolitefsi“, nach wie vor um ihre Existenz. Parlamentarisch hat sie sich mit DIMAR, dem 2010 abgespalteten sozialdemokratischen Flügel der SYRIZA, zur Dimokratiki Symparataxi zusammengetan. Nichtsdestotrotz bleibt die Gruppierung in Umfragen im mittleren einstelligen Prozentbereich. Positiv mag sich für sie die sinkende Attraktivität der SYRIZA für die bürgerlichen, an sich eher sozialdemokratisch orientierten Wähler der Mittelschicht auswirken – sie treffen die neuen Steuerlasten massiv.
KKE
Im linken Parteispektrum ist nach der „Erdung“ der SYRIZA die kommunistische KKE als einzige Protestpartei übriggeblieben. Damit wird sie zusehends für die sich von der SYRIZA abwendende linke Wählerschaft attraktiv. Ihre parlamentarische Rolle ist traditionell jedoch allein auf Fundamentalopposition beschränkt: dies geht sogar so weit, dass KKE in der Abstimmung über die jahrzehntelang von ihr selbst propagierte Abschaffung des 50 Sitze-Bonus gegen den Vorschlag stimmte. Dennoch erfreut sich die Partei in der Bevölkerung steter Beliebtheit und bei den jüngsten Wahlen zu den politischen Vertretungen an den Universitäten konnte die Studierendenorganisation der KKE sogar das zweithöchste Ergebnis erzielen.
To Potami
Die noch junge liberale Partei steht ebenfalls vor großen Problemen. Nach den enttäuschenden Wahlergebnissen bei beiden Wahlgängen 2015 und Tsipras‘ Entscheidung gegen die Partei, die sich Hoffnung auf die Juniorpartnerschaft in einer SYRIZA-Regierung gemacht hatte, kämpft die Gruppe um ihr politisches Überleben. Zumal nach Übernahme des ND-Parteivorsitz durch Mitsotakis viele der liberal und wirtschaftsfreundlich orientierten Wähler sich von To Potami abgewendet und der ND angeschlossen haben. To Potami gelingt es derweil nicht, ein neues Narrativ jenseits der Botschaft „wir stehen als Koalitionspartner für jede pro-europäisch orientierte Partei zur Verfügung“ aufzubauen.
ANEL
Die ursprüngliche politische Agenda der rechtspopulistischen „Unabhängigen Griechen“ ist seit ihrer Regierungszugehörigkeit vollkommen verschwunden: die Partei folgt ihrem linken Koalitionspartner SYRIZA treu in allen Punkten – sogar bei der für die nationalistische Partei sehr problematischen, liberalen Migrationspolitik. ANEL ist mit ihren gerade einmal neun Abgeordneten mit Kabinettsposten sehr reich bedacht worden: die fünf Minister- und Vizeministerposten mögen die hohe Loyalität der Rechtspopulisten mit der linken SYRIZA erklären.
Enosi Kentroon / Zentrumsunion
Die Überraschung der aktuellen Legislaturperiode, die quasi profillose „Zentrumsunion“, erfreut sich stabiler Zustimmung eines kleinen, loyalen Teils der Bevölkerung. Dies liegt vor allem am Parteivorsitzenden Vasilis Leventis, der eine lange Tradition antisystemischer Opposition auf sich vereint – schließlich war die Partei bisher mit geringen Zustimmungswerten nur außerparlamentarisch aktiv. Die Positionen der Partei bleiben in vielen Bereichen sehr fluide und wenig ausdefiniert – am klarsten ist ihr Eintreten für eine große Koalition der nationalen Einheit.