Länderberichte
Vierzig Jahre war das Land von der Parti Socialiste regiert worden, über ein Vierteljahrhundert kämpfte Abdoulaye Wade in der Opposition für mehr Demokratie, und nun wird ihm von seinen politischen Gegnern eine Liste vorgehalten, auf der ein Mangel an demokratischen Verhalten und an tatkräftigem Handeln ganz oben steht. Eine überraschende Entwicklung? Eher nicht.
Das Ende der Wende-Euphorie
Was kann Wade und seiner Regierung vorgeworfen werden? Vielleicht, dass er zu optimistisch war hinsichtlich der Zeitspanne, in der er seine hochfliegenden Pläne würde realisieren können. Vielleicht, dass er zu idealistisch war und die jahrzehntelang praktizierten Fehlverhalten der senegalesischen Beamten, Politiker und Bevölkerung (wie Korruption, Nepotismus, Disziplinlosigkeit) völlig unterschätzt hat. Vielleicht, dass er nicht selten wenig Verständnis für konstruktive Kritik zeigt. Die Zeit der Euphorie ist tatsächlich vorbei, das bittere Erwachen kam mit der Schiffskatastrophe im letzten September, als beinahe 2000 Passagiere mit der Fähre Joola vor der gambischen Küste versanken. Mit ihnen versank auch die Hoffnung auf die schnelle Realisierung der wadeschen Wahlversprechen und auf eine grundlegende Verbesserung der Lage in Senegal. Trotz eines Wirtschaftswachstums von 5 Prozent gehört Senegal immer noch zu den 20 ärmsten Ländern der Welt und nicht zu den „aufsteigenden Nationen“, wie so häufig von Wenn man allerdings bedenkt, dass die Parti Socialiste in 40 Jahren diese Probleme nicht lösen konnte, wäre es vermessen zu fordern, die Koalitionsregierung um Präsident Gravierender ist jedoch die Tatsache, dass sich im unüberschaubaren Konglomerat der Regierungsparteien und insbesondere der PDS (Parti Démocratique Sénégalais) des Präsidenten Bei näherem Hinschauen ist festzustellen, dass es sich hierbei vor allem um frustrierte junge Männer handelt, die aktiv bei den Wahlkampfkampagnen Die Fälle politischer Gewalt, die hier angeführt werden können, bestätigen diese These. Vor zwei Jahren brannte die Gewerkschaftszentrale der CNTS ab, die sich mit der Parti Socialiste verbunden fühlt; angeklagt wurden Mitglieder der CNTS-Abspaltung, die der PDS nahe steht. Der Prozess führte zu Verurteilungen, jedoch nicht wegen Mordes, sondern wegen fahrlässiger Tötung (ein Mann war zu Tode gekommen und zwei Personen schwer verletzt). Im gleichen Jahr wurde bei gewaltsamen Studentenstreiks ein Student erschossen, bis heute ist unklar, ob er von staatlichen Ordnungskräften oder von Mitstudenten getötet wurde. Jedoch wird dieser Fall immer wieder zitiert, um die Gewalttätigkeit des Der letzte Fall politischer Gewalt betraf den ehemaligen Mitstreiter Angesichts der Tatsache, dass die Enquête schleppend vorankommt, erscheint diese Vermutung manchen Beobachtern plausibel. Natürlich wäre es extrem kompromittierend für das Die Meinungs- und Pressefreiheit in Senegal ist intakt, sie wird durch die Verfassung garantiert und im täglichen Leben angewendet. Die Medien kritisieren herzhaft und ohne Vorbehalte – aber kann man nach dem Vorfall „ Der Staat kann sie schützen, wie geschehen, aber er kann die Extremisten nicht knebeln und fesseln. Hier liegt die wahre Herausforderung für die Regierung der Alternance: Es geht darum, den Bürger und besonders den Presseorganen einen maximalen Schutz zu gewähren, und gleichzeitig das Gewaltpotential in den politischen Parteien zu reduzieren. Letzteres ist die schwierigste Aufgabe, aber die Regierung muss sie angehen, denn die politische Gewalt schwebt wie ein Damoklesschwert über der Alternance. Wenn in den Nachbarländern Oppositionspolitiker eingesperrt werden wie in Guinea und in Mauretanien, wo der Herausforderer des Präsidenten vor und nach der Wahl verhaftet, vernommen und eingekerkert wurde, wenn in anderen afrikanischen Ländern Opposition von vornherein als suspekt gilt, wie in Gabun oder in Äquatorialguinea, ist es gewiss übertrieben, Senegal einen Rückfall in vordemokratische Zeiten vorzuwerfen. Die Existenz von 73 politischen Parteien, eine Koalitionsregierung aus 40 Parteien, die Präsenz von 10 Oppositionsparteien im Parlament, das Florieren einer geschriebenen Presse, die häufig sehr kritisch ist, und die unzählbaren nationalen und lokalen Radiosender widerlegen diese Vermutungen deutlich. Es wäre vorschnell ge- bzw. verurteilt, wenn die aufgetretenen Fälle politischer Gewalt als Beweis für eine gewaltbereite Intoleranz der Regierungsparteien gewertet würde. Sie kommen allerdings der Opposition sehr gelegen, die mittlerweile aus ihrem Winterschlaf erwacht ist. Nach der politischen Wende bluteten die einstigen Regierungsparteien und ihre Abspaltungen erst einmal aus, viele ihrer Mitglieder wanderten zur vielversprechenderen PDS ab und die restlichen Parteimitglieder leckten ihre Wunden. Mittlerweile hat sich die Parteilandschaft aber wieder normalisiert: die Parti Socialiste bewährt sich jetzt hervorragend in ihrer Oppositionsrolle und ist dabei, Oppositionsführerin zu werden. Auch die Parteien der ehemaligen Mitstreiter Ein Beweis für die neue Dynamik der senegalesischen Opposition war der Demonstrationszug gegen politische Gewalt Anfang November. Das Kollektiv der wichtigsten Oppositionsparteien CPC (Cadre permanent de concertation) hatte zu einer Anti-Gewalt-Demonstration aufgerufen und am 6. November marschierten zwischen 2.500 (nach Angaben der Polizei) und 10.000 (nach Angaben der Organisatoren) Demonstranten von der nationalen Rundfunk- und Fernsehanstalt durch die belebtesten Straßen der Dakarer Innenstadt bis zum Regierungsviertel. Einträchtig gingen die Parteiführer Die Demonstration war gleichzeitig auch ein Beweis für die Kompetenz des vor einigen Wochen neu ernannten Innenministers. Nachdem seit den letzten Regierungsjahren der PS und in den ersten Jahren unter Die in- und ausländische Presse wertete diese Demonstration aber vor allem als ein Zeichen der wieder auflebenden Opposition, als ein Kräftebeweis und ein Versuch, die verschiedenen Oppositionsparteien zu einigen. So stellten die Fälle politischer Gewalt den Anlass, den Auslöser dar, der zu der ersten Machtdemonstration der Oppositionsparteien führte. Dieser Protestmarsch war das Zeichen einer wiedererwachenden, einer sehr dynamischen Opposition, ohne die eine wahre Demokratie nicht denkbar ist. Es ist ein positives und hoffnungsvolles Zeichen, dass die Opposition aus ihrer Lethargie erwacht ist, und es ist zu vermuten, dass die nächsten Wahlen wesentlich nuanciertere Ergebnisse zeitigen werden. Wer befürchtete, die PDS würde - wie vormals die Parti Socialiste - ihr System zu einer Parteihegemonie ausbauen und politisch widerstrebende Kräfte in den Hintergrund drängen, hat sich getäuscht. Die senegalesische Bevölkerung ist politisch reifer geworden, sie lässt sich nicht mehr bevormunden und nicht nur die politischen Parteien, auch die Zivilgesellschaft und der einfache Bürger treten immer mehr und immer aktiver für ihre demokratischen Rechte ein. Was hinsichtlich der Meinungsfreiheit senegalesischer Medien wahr ist, gilt aber offenbar nicht für ausländische Presseorgane, wie die kürzlich vorgenommene Ausweisung der RFI-Journalistin Es ist bekannt, dass in dem südlichen Landesteil Senegals, der durch die Enklave Gambia vom Rest des Landes abgetrennten Casamance, seit 20 Jahren ein Separatistenkonflikt herrscht. Es ist der Regierung In diesem Kontext fuhr nun die RFI-Journalistin Die Empörung der Franzosen beruht jedoch letztendlich auf einem tiefer liegenden Grund. Der immer noch wichtigste Geldgeber der senegalesischen Regierung ist in letzter Zeit mehrmals frustriert worden, als nämlichDie Ungeduld des alten Mannes
Gefahr durch gewaltbereite Kräfte
Freie Meinungsäußerung und politische Gewalt?
Die neue Dynamik der Opposition
Pressefreiheit und diplomatische Verwicklungen: der Fall RFI
Die weltpolitische Öffnung und die internationale Akzeptanz des senegalesischen Präsidenten missfällt der ehemaligen Kolonialmacht aus verständlichen Gründen, aber die jahrhundertlangen diplomatischen und vor allem wirtschaftlichen Beziehungen werden vermutlich keinen Schaden nehmen, zu eng sind die Verflechtungen zwischen Frankreich und Senegal.