Länderberichte
Kim Jong-Il hat sich zum ersten Mal auch international als akzeptabler Gesprächspartner präsentiert. Er dankte Kim Dae-Jung für seinen Besuch, der es ihm auch ermögliche, die negative Berichterstattung der internationalen Medien über ihn zu korrigieren. Kim Dae-Jung wurde vom Auftritt Kim Jong-Ils sicher überrumpelt, war aber klug genug, sich in seinem Auftreten und Gesprächen zurückzunehmen und dem Gastgeber diese Paraderolle zu überlassen.
Das eigentliche politische Ergebnis des Treffens war die gemeinsame Unterzeichnung einer Vier-Punkte-Erklärung, die in einer strikt bilateralen Tonlage eher vage Bereiche künftiger Zusammenarbeit und Kontakte (Wirtschaftskooperation, Familienzusammenführung, regelmäßige Verhandlungen über mögliche Wiedervereinigungsmodelle) umreißt, ohne jedoch konkrete Vorhaben festzuschreiben. Die Erklärung geht insgesamt weiter als die Gemeinsame Erklärung 1992, fällt aber hinter den Grundlagenvertrag von 1992 zurück.
Sicherheitspolitische Fragen und Fragen der Proliferation von Massenvernichtungswaffen sind erörtert, schriftlich jedoch nicht fixiert worden. Konkrete Termine für weitere Gespräche und der so notwendige Follow-up-Mechanismus sind vermutlich ebenfalls nicht vereinbart worden. Kim Jong-Il hat eine Gegeneinladung nach Seoul angenommen.
Auf Seiten der südkoreanischen Regierung gibt man sich zuversichtlich, dass ein Dialogmechanismus auf allen Ebenen in Gang kommen werde. Hiesige Nordkorea-Experten, Politiker und auch die Presse zeigen sich allerdings weitaus vorsichtiger.
Gemeinsame Erklärung von Süd- und Nordkorea
In Übereinstimmung mit dem erhabenen Wunsch des gesamten Volkes, das sich nach einer friedlichen Wiedervereinigung sehnt, haben der Präsident der Republik Korea, Kim Dae-Jung, und der Vorsitzende des Nationalen Verteidigungsausschusses der Demokratischen Volksrepublik Korea, Kim Jong-Il, vom 13. bis zum 15. Juni 2000 ein historisches Gipfeltreffen abgehalten.
Die Staatsoberhäupter des Südens und des Nordens haben übereinstimmend festgestellt, dass ihr Treffen und ihre Gipfelgespräche von außerordentlicher Bedeutung für die Förderung des gegenseitigen Verständnisses, für die Entwicklung der Süd-Nord-Beziehungen und für die Verwirklichung einer friedlichen Wiedervereinigung sind. Sie haben folgendes erklärt:
- Der Süden und der Norden sind sich einig, dass die Frage der Wiedervereinigung unabhängig und mit den vereinten Kräften des koreanischen Volkes gelöst werden muss.
- Wir haben festgestellt, dass dem Vorschlag des Südens, eine Konföderation ("Korean National Community Formula"), und dem Vorschlag des Nordens, eine lockere Form von Föderation zu bilden ("Plan for the Establishment of the Koryo Democratic Confederate Republic") ein gemeinsames Element zugrunde liegt. Der Süden und der Norden waren sich einig, in diesem Rahmen für eine Wiedervereinigung zu arbeiten.
- Der Süden und der Norden sind übereingekommen, dass man humanitäre Fragen, wie einen Besuchaustausch von getrennten Familienmitgliedern und Verwandten und das Problem der Kommunisten, die eine Absage an ihre Ideologie ablehnen und noch immer Gefängnisstrafen im Süden verbüßen, sofort und zwar anlässlich des "Nationalen Befreiungstages" am 15. August, lösen will.
- Der Süden und der Norden sind übereingekommen, durch die Förderung einer ausgewogenen Entwicklung der Wirtschaft, durch wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Förderung der Zusammenarbeit auf allen anderen Gebieten wie auf der sozialen und kulturellen Ebene, im Bereich des Sports, im Gesundheitswesen und in Umweltfragen das gegenseitige Vertrauen zu festigen.
Der Süden und der Norden haben beschlossen, dass es in naher Zukunft zwischen den betreffenden Behörden Gespräche geben soll, um die oben erwähnten Beschlüsse prompt zu verwirklichen.
Präsident Kim Dae-Jung hat den Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsausschusses, Kim Jon-Il, nach Seoul eingeladen. Der Vorsitzende Kim wird Seoul zu einem geeigneten Zeitpunkt besuchen,
15. Juni 2000
Kim Dae-Jung
Präsident der Republik Korea
Kim Jong-Il
Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsausschusses der Demokratischen Volksrepublik Korea
Beide Seiten erklären die Annäherung auf der koreanischen Halbinsel und den Prozeß einer künftigen Wiedervereinigung zu einer ausschließlich innerkoreanischen Angelegenheit. Zentrale internationale und sicherheitspolitische Aspekte wie beispielsweise ein häufig von Nordkorea geforderter Abzug der US-Truppen aus Südkorea wurden aus den Gesprächen ausgeklammert. Sicherheitsfragen sollen nur unter vier Augen erörtert worden sein.
Des weiteren haben beide Seiten ihre Vorstellungen von Zusammenarbeit und einer möglichen Wiedervereinigung vorgestellt: So schwebt Südkorea eine aus dem Commonwealth bekannte lockere Konföderation vor, Nordkorea dagegen eine sehr vage Föderation.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang die spezifisch koreanische Art und Weise, innerkoreanische Angelegenheiten selbst zu regeln und ausländische Intervention unter allen Umständen abzulehnen.
Vor diesem Hintergrund wurde die Einstellung der südkoreanisch-amerikanischen Militärmanöver gefordert. Außerdem wurde von den Südkoreanern die Abschaffung gesetzlicher Regelungen aus der Zeit des Kalten Krieges gefordert - ein klarer Hinweis auf die seit langem von Pjönjang geforderte Abschaffung des restriktiven Nationalen Sicherheitsgesetzes zur Abwehr nordkoreanischer Agitation in Südkorea.
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Kim Dae-Jungs Berlin Erklärung vom 09. März 2000 beinhaltet Gedankengänge von Annäherung und den Aufbau vertrauensbildender Maßnahmen in Richtung einer losen Föderation. Dies will man künftig betonen und in Verhandlungen schrittweise umsetzen.
Präziser sind die humanitären Fragen, vor allem die Familienzusammenführung abgefasst. So sollen bereits am 15. August, dem Tag der Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft, in beiden Ländern gleichsam ein Feiertag, die erste Familienzusammenführung stattfinden. Dies ist ein für Kim Dae-Jung wichtiges Ergebnis, mit dem er aus Pjöngjang zurückkehren und sich seinen Bürgern präsentieren wollte.
Für den Norden war die Freilassung der wegen ihrer kommunistischen Ideologie einsitzenden Gefangenen ein wichtiger Verhandlungspunkt. Außerdem soll die Frage der südkoreanischen kommunistischen Langzeitgefangenen, die bereits alle auf freiem Fuß sind, geklärt werden. Ob dies auch eine mögliche Repatriierung einzelner Personen in den Norden beinhalten wird, ist offen und mehr als fraglich.
Hinsichtlich des Zeithorizonts für die Umsetzung der getroffenen Vereinbarungen geben sich die südkoreanischen Regierungsvertreter eher zurückhaltend. Man hofft jetzt vor allem auf die Einrichtung eines regelmäßigen Dialogs beider Regierungen auf Minister- und Arbeitsebenen und die Abhaltung regelmäßiger Gipfeltreffen.
Über die gemeinsame Erklärung hinaus gab es keine weiteren konkreten Vereinbarungen. Weder hat man sich über die Wiedereinrichtung telehonischer "hot-lines" zwischen beiden Regierungen noch über die Einrichtung von "liaison offices" einigen können. Auch eine viel ventilierte Wiederherstellung einer Eisenbahnlinie zwischen Pjöngjang und Seoul wurde nicht verabredet.
Gerüchte, die südkoreanische Regierung wolle sich, bei gutem Fortgang der bilateralen Gespräche, für einen Beobachterstatus Nordkoreas beim ASEM-Gipfel im Oktober in Seoul einsetzen, wurden sofort dementiert. Auch über Wirtschaftsprojekte wurden keine Absprachen getroffen. Allerdings sollte die Privatwirtschaft ihrerseits Kontakt mit Pjöngjang aufnehmen und Kopperationsmöglichkeiten ausloten. Der Gründer des Hyundai-Konzerns, Chung Ju-Young, war inzwischen in Nordkorea und hat erste Gespräche über eine mögliche Errichtung von Produktionsanlagen geführt. Konkrete Ergebnisse stehen allerdings noch aus.
Die Wertung des Gipfeltreffens
Mit dem dreitägigen Besuch in Pjöngjang hat Präsident Kim Dae-Jung seine "Sonnenscheinpolitik" gekrönt. Er ist das erste südkoreanische Staatsoberhaupt, dem es in den 55 Jahren der Teilung des Landes gelungen ist, nordkoreanischen Boden zu betreten. Dass er dabei auf das Entgegenkomm Kim Jong-Ils getroffen ist, der sein eigenes Interesse am Gipfel wahrgenommen hat, macht den Erfolg komplett.
Kritik an seiner Annäherungspolitik und vor allem die häufig gestellte Frage nach den Kosten dieser nordkoreanischen Schritte und der Einhaltung einer gewissen Reziprozität in den Verhandlungen mit dem Norden werden jetzt für eine Weile hinter den strahlenden, fast familiären Bildern dieser Tage zurücktreten.
Die große Frage aber bleibt, welche Folgen dieser Gipfel tatsächlich haben wird. Dies wird wesentlich davon abhängen, welche Vorteile sich Kim Jong-Il ausrechnen kann. Er hat die Gelegenheit jedenfalls genutzt, sich sowohl der gesamten koreanischen Öffentlichkeit, als auch international erstmals als ein Führer mit menschlichen Zügen zu präsentieren. Außerdem kann er für sich in Anspruch nehmen, das begonnene Werk seines Vaters vollendet und sich damit endgültig als unumstrittene Führungsfigur in seinem Staat etabliert zu haben.
International bringt ihn der Auftritt an der Seite des weltweit geschätzten Kim Dae-Jung beträchtlichen Kredit und Imagegewinn - Faktoren also, die er brauchen wird, um auch künftig stärkeres außenpolitisches Profil zu zeigen. Der angekündigte Besuch des russischen Präsidenten und der mögliche Beitritt Nordkoreas zum ARF noch im Sommer stehen für einen solchen neuen Kurs.
Sicher ist jedenfalls, dass Kim Jong-Il mit der Preisgabe eines bewährten Feindbildes vom südkoreanischen "Marionettenregime" ein politisches Risiko eingegangen ist, denn der Großteil der Legitimation seiner rigiden Militärdiktatur mit ihren materiellen Engpässen speist sich aus dieser nach innen gerichteten Bedrohungsperzeption.
Auch wenn er in Zukunft die Anti-Seoul-Propaganda bei Bedarf wieder etwas verschärfen sollte, wird das Regime im Norden nicht mehr zur Intransigenz der Vergangenheit zurückkehren können. Ob dieser weitreichende Schritt durch die schieren wirtschaftlichen Zwänge diktiert war oder ein Zeichen dafür ist, wie sicher sich Kim Jong-Il seiner Machtposition mittlerweile ist, bleibt unklar.
Der Ansehensgewinn scheint ihm immerhin dieses Risiko wert gewesen zu sein.