Länderberichte
40 Jahre nach dem durch das Eingreifen der USA und der OEA beendeten Bürgerkrieges sind rd. 5,3 Millionen Wählberechtigte der rd. 8,8 Millionen Einwohner des Landes aufgerufen, ihre Stimme für einen der 11 Kandidaten der 23 registrierten Parteien abzugeben. Erst eine Verfassungsreform aus dem Jahre 2002 erlaubt die Wiederwahl des Präsidenten und ermöglichte damit die Teilnahme des gegenwärtiger Präsidenten Hipólito Mejía (2000 – 2004) von der sozialdemokratischen PRD (Partido Revolucionario Dominicano). Daneben kämpften noch Eduardo Estrella von der christlich-demokratischen PRSC (Partido Reformista Social Cristiano) sowie weitere 9 Kandidaten um die Wählerstimmen. Nach dem geltenden Wahlrecht sind für eine Wahl im ersten Wahlgang mehr als 50 % der Stimmen erforderlich, da sonst eine Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidaten stattfindet.
Die wichtigsten Ereignisse des Wahltages vorweg:
- üblicherweise werden trotz erfolgter Reformen noch einige Tage vergehen, bis das Wahlergebnis verkündet wird
- Leonel Fernández von der PLD vereinigte rd. 57 % der Stimmen auf sich und machte damit eine Stichwahl am 30. Juni 2004 überflüssig. Hipólito Mejía von der PRD als Zweitplazierter kam auf rd. 34 % der Stimmen, gefolgt von Eduardo Estrella von der PRSC mit rd. 9 % der Stimmen.
- Die Wahlallianz mit 6 kleineren Parteien sorgte letztendlich mit einem Stimmenanteil von rd. 9 % dafür, daß Leonel Fernández nicht in die Stichwahl muß
- gegenüber vorangegangenen Wahlen kam es zu einzelnen Ausschreitungen, bei denen mehrere Personen getötet wurden. Der am Wahlvortag von dem Kandidaten Leonel Fernández erhobene Vorwurf der Eliminierung von 420.000 Stimmen von der Wahlliste bestätigte sich nicht. Allerdings schloß der Zentrale Wahlvorstand am Abend des Wahltages die politischen Sendungen einiger Fernsehkanäle wegen tendenziöser Berichterstattung zugunsten des Kandidaten Hipólito Mejía. Die Beobachter-Mission der OEA bestätigte einige Unregelmäßigkeiten, zeigten sich jedoch insgesamt befriedigt
- Genaue Zahlen über die Wahlbeteiligung liegen noch nicht vor, jedoch gehen die Schätzungen von über 75 % aus.
Der Wahlablauf
Unter den 5,3 Millionen Wahlberechtigten waren rd. 370.000 Neuwähler und rd. 52.500 Auslands-Dominikaner, die sich erstmalig an den Wahlen beteiligen konnten, obwohl dies seit den 40er Jahren in der Verfassung vorgesehen ist. Insgesamt waren in rd. 3.860 Wahllokalen (darunter 100 im Ausland) 12.200 Urnen aufgestellt. 61.000 Wahlrichter und 35.000 Polizisten und Soldaten sicherten den geordneten Wahlablauf, der zudem von 300 internationalen (u.a. OEA, Centro Carter, CAPEL) und 6.500 nationalen Vertretern (von der NGO Participación Ciudadana) beobachtet wurde. Wie üblich, wurde die Stimmabgabe mit nichtlöslicher roter Tinte am Zeigefinger dokumentiert. Die Stimmabgabe mußte am Geburtsort erfolgen, wozu die Transporte am Wahltag kostenlos waren.
Erstmalig konnten die Frauen zu jeder Tageszeit und in jedem Wahllokal ( zuvor ledig-lich in geschlossenen Wahllokalen) ihre Stimme abgeben, allerdings gab es dazu nach Geschlecht getrennte Schlangen. Um eine Beeinflussung der Wähler am Wahltag zu verhindern, übernahm der Zentrale Wahlvorstand (Junta Central Electoral – JCE) bezüglich der Wahlberichterstattung am Wahlvortag die Kontrolle der Medien.
Im „Krieg der Umfragen“ im Vorfeld der Wahlen gab es Voraussagen für jeden Ge-schmack. Drei internationale Umfragegesellschaften gaben bereits im ersten Wahlgang Leonel Fernández (PLD) als den sicheren Sieger an. So sah ihn z.B. Gallup in seiner letzten Umfrage mit rd. 54 % als den sicheren Sieger, während andere – zumeist nationale - Umfragegesellschaften, wie Burgos Espinal & Asociados, eher ein „technisches“ Unentschieden mit 44 % der Stimmen für Leonel Fernández und 42 % für Hipólito Mejía (PRD) sahen. Übereinstimmung bestand darüber, dass der dritte Kandidat, Eduardo Estrella (PRSC) mit 12 bis 15 % keine Chancen auf einen Einzug in die Stichwahl hat. Ebenso unumstritten war, dass es Hipólito Mejía in den letzen Wochen gelang, durch eine Akzentuierung seiner populistischen Wähler-Angebote die solide Basis seines stärksten Gegners und Vorgängers im Amt, Leonel Fernández aufzuweichen.
Katastrophale Wirtschafts- und Finanzsituation wartet auf Lösung
Die allgemeine Situation des Landes wird gekennzeichnet von einer Wirtschafts- und Finanzkrise, einer Energiekrise, Explosion der Auslandsschulden, einer zunehmenden Inflation auf hohem Niveau, doch auch durch Korruptionsfälle, wie z.B. den betrüge-rischen Zusammenbruch von 4 Banken im Jahre 2003, der die wirtschaftspolitische Situation weiter verschärfte.
Insgesamt baute sich ein allgemeiner Volksunmut auf, der sich bereits in mehreren Generalstreiks (November 2003 und Januar 2004) Luft gemacht hat, bei denen auch Todesopfer zu beklagen waren. Die Inflationsrate stieg im Jahre 2003 auf über 40 % und beträgt im ersten Vierteljahr 2004 bereits über 20 %. Er hat damit bereits das wirtschaftspolitische Ziel der Regierung von 14 % im Jahresablauf weit überschritten. Hinzu kommt eine offene Arbeitslosigkeit von mehr als 16 %.
Die durch die Schwächung der außenwirtschaftlichen Flanke ausgelöste und durch eine fehlgeleitete nationale Wirtschaftspolitik verschärfte Wirtschaftskrise hat nach Angaben des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) allein in den letzten zwei Jahren zu einer Zunahme der Armut von 16 bis 20 % geführt. Damit ist jeder zweite Dominikaner als arm einzustufen. Zusätzlich hat sich bis heute etwa eine Million Dominikaner aus wirtschaftlichen Gründen in die USA oder Spanien abgesetzt. Ihre Überweisungen stellen mittlerweile mit über 2 Mrd US-Dollar nach dem Tourismus die zweitgrößte Einnahmequelle dar und weisen einen Anteil von rd. 10 % am BIP auf. Trotzdem hat sich bislang die Zahlungsbilanz des Lands nicht ausgleichen können. Der Außenwert der dominikanischen Währung sank um mehr al die Hälfte in den letzten vier Jahren.
Mit 5,5 Mrd. US-Dollar haben sich die öffentlichen Auslandsschulden in nur vier Jahren verdoppelt. Die Exporte der Freihandelszone sanken im vergangenen Jahr um 14 % und das Haushaltsdefizit beläuft sich gegenwärtig auf 4,6 % . Für 2004 müssen rd. 1 Mrd. US-Dollar zur Bedienung der Auslandsschulden aufgebracht werden, die Währungsreserven belaufen sich demgegenüber auf knapp 300 Millionen US-Dollar.
Ein Bankenkrach aus dem Jahre 2003 – dessen Nachwirkungen noch nicht beseitigt sind - belastete durch Übernahme der privaten Zahlungsverpflichtungen den Staatshaushalt mit rd. 2,2 Mrd. US-Dollar (2/3 des Staatshaushalts und 12 % des BIP) und verursachte eine Kapitalflucht von mehr als 2 Mrd. US-Dollar. Zur Deckung der entstandenen Haushalts-lücke nahm die Regierung Mejía einen Kredit des Internationalen Währungsfonds von 1 Mrd. US-Dollar in Anspruch. Die Durchführung der umstrittenen Panamerikanischen Spiele im August 2003 belasteten den Staatshaushalt und das Finanzsystem um weitere 130 Millionen US-Dollar.
Obwohl im Jahr 2004 die langsame wirtschaftliche Erholung des Landes begann, rechnet der Internationale Währungsfonds nochmals mit einem wirtschaftlichen Rückgang von 1 %. Doch der Tourismus und die Exporte ziehen langsam an. Allerdings sind enorme An-strengungen für die Rückkehr auf den Wachstumspfad und die Stabilisierung der wirt-schaftlichen Entwicklung erforderlich.
Die Kandidaten
Insgesamt präsentierten sich 11 Kandidaten von 23 Parteien sämtlicher ideologischer Ausrichtungen, von denen jedoch die drei Präsidentschaftskandidaten der drei größten Parteien in den Umfragen allein 99 % der Wählersympathien auf sich vereinigen konnten. Die Wahlkampagne begann vor rd. einem Jahr und war zunächst auf die parteiinternen Wahlmechanismen gerichtet.
In den veröffentlichten Regierungsprogrammen ist der außen- und integrationspolitische Bereich nicht zu finden. Zu sehr steht die Lösung nationaler Probleme im Vordergrund.
Auch sucht man vergeblich nach einer konzeptionellen Einbettung der vorgeschlagenen Einzelmaßnahmen.
Der Kandidat der vom mehrfachen Ex-Präsidenten Balaguer gegründeten christlich-demokratischen PRSC (politische Mitte, 1985 als Fusion der Partido Revolucionario und der Partido Revolucionario Social Cristiano entstanden, dem christlich-demokratischen Parteiverbund ODCA angeschlossen), der 49-jährige Bauingenieur Eduardo Estrella, führte zwar nach Meinung von Experten den saubersten Wahlkampf, konnte aber nicht seine gesamte Partei hinter sich vereinigen. Wichtige Führungspersönlichkeiten unterstützten den PLD-Kandidaten Leonel Fernández. Er wurde unterstützt von der Partido Nacional de Veteranos in Civiles.
Die wirtschaftspolitischen Vorstellungen von Eduardo Estrella werden geleitet von dem Bemühen um makroökonomische Stabilität im Rahmen einer sozialmarktwirtschaftlichen Ordnung. Die Investititonstätigkeit soll durch transparente Verfahren bei der Genehmigung und Senkung der Zinsen gefördert werden. Speziell im Bankenbereich beabsichtigt er den bestehenden Grantiefonds für die Anleger zu stärken. Inflationsbekämpfung und Programme gegen die Armut sollen bei einem ausgeglichenem Staatshaushalt im Mittelpunkt der öffentlichen Bemühungen stehen. Bezüglich der Auslandsschulden strebt er eine Umschuldung an, um die Zahlungsbelastungen für den Staatshaushalt zu senken. Auf dem Energiesektor schlägt Eduardo Estrella die Einrichtung einer obersten Energie-behörde zur Überwachung des Sektors sowie Ivestitionsprojekte in erneuerbare Energieträger vor. Für den Landwirtschaftssektor sehen seine Vorstellungen die Verkürzung der Händlerkette durch die Integration der ländlichen Produktsammelstellen in die städtischen Märkte vor, um die Preise zu stabilisieren.
Dem 63-jährigen Agrarexperten und Bauernsohn Hipólito Mejía gelang es, die von Ex-Präsident Bosch 1939 gegründete PRD (mitte-links, der Sozialistischen Internationalen angeschlossen) hinter sich zu einigen. Er hoffte von Anfang an auf eine Stichwahl, bei der er sich durch eine Allianz mit dem unterlegenen christlichen Demokraten Eduado Estrella Vorteile gegenüber dem in der ersten Runde erwarteten Sieger Leonel Fernández ausrechnete. Er wird unterstützt von Teilen der PRSC und von 5 kleineren Parteien: Partido Quisqueyano Demócrata Cristiano, Partido Renacentista Nacional, Partido de la Unidad Nacional, Unidad Democrática, Partido Humanista Dominicano.
Seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen sind populistischer und widersprüchlicher Natur. Seine Wahlversprechen haben sich während des Wahlkampfes intensiviert. Er kann als Vertreter einer staatsinterventionistischen Linie angesehen werden. Seine Wahlversprechen gehen von einer allgemeinen Gehalts- und Lohnerhöhung von 30 % im öffentlichen Sektor über die Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen gegenüber natio-nalen Lieferanten, kostenlosen Landtiteln bis zu “weichen” Krediten für alle. Im Zuge der Haushaltspolitik verspricht er die Beseitigung des Defizits, Beschränkung der Einkommensteuer auf höchstens 10 % sowie der Einfuhrzölle auf höchstens 15 %. Die Geld-politik soll streng nach dem Ziel der Inflationsbekämpfung ausgerichtet werden. Für die Infrastrukturmaßnahmen der öffentlichen Hand verspricht er 5 % des BSP mit Schwerpunkt auf Fertigstellung von rd. 1.500 begonnenen öffentlichen Investitionen im ganzen Land. Der Energiesektor soll mit Hilfe der Weltbank und der Unternehmen selbst reorga-nisiert werden. Senkung der Tarife, Beseitigung der hohen Subventionen sowie neue Betriebsformen für die unter seiner Regierung verstaatlichten Energieunternehmen stellen dabei die wesentlichen Instrumente dar. Im sozialen Bereich will der sozialdemokratische Kandidat neben der Lohn- und Gehaltserhöhung im öffentlichen Sektor die Subventionen für den Transport und den Wohnungsbau beibehalten sowie die Unterstützungszahlungen für Mütter erhöhen. Die Landwirtschaft soll wettbewerbsfähig gemacht und für den Ex-port Nischen gesucht und gefördert werden.
Der 50-jährige Rechtsanwalt Leonel Fernández von der PLD (mitte-rechts, 1973 zunächst als linke Abspaltung der PRD gegründet, international keinem Parteienverbund angeschlossen) profitierte von der schlechten wirtschaftlichen Lage und seiner Oppositionsrolle, zehrt aber auch von seiner Regierungszeit (1996 – 2000), die von relativer makro-ökonomischer Stabilität gezeichnet war. Haushaltsdisziplin, niedrige Inflation, Privatisie-rung und Marktöffnung waren wichtige Meilensteine seiner Regierung. Das Wirtschaftswachstum belief sich auf rd. 8 % jährlich. Er gilt als Verfechter marktwirtschaftlicher Vorstellungen und setzte von Anfang an auf einen Sieg im ersten Wahlgang. Leonel Fernández wurde unterstützt von 6 kleineren Parteien: Partido de los Trabajadores Dominicanos, Bloque Institucional Social Demócrata, Partido Liberal de la República Dominicana, Unión Demócrata Cristiana, Fuerza Nacional Progresista, Alianza por la Democracia.
Über seine Stiftung Fundación Global Democracia y Desarrollo konnte er in der Zwischenzeit internationale Kontakte knüpfen und programmatische Vorarbeiten leisten. Er erscheint heute als der Fähigste unter den drei Präsidentschaftskandidaten, wird jedoch als „Neoliberaler“ abgestempelt.
Seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen entsprechen damit denen seiner ersten Regierung und sind schwer von den grundlegenden Vorstellungen im aktuellen Programm des Internationalen Währungsfonds zu unterscheiden. Leonel Fernández sprach sich während des Wahlkampfes stark für eine Steuersenkung und Haushaltsdisziplin über Ausgaben-kontrollen des Staates aus. Ebenso fordert er eine Umschuldung der Auslandsschulden, eine auf Inflationsbekämpfung aufbauende Geldpolitik sowie die Verbsserung der Rahmenbedingungen für eine Beschäftigungspolitik. Im Landwirtschaftssektor will er sich auf die Stärkung der exportorientierten Agrarindustrie und die Sicherung der landwirtschaftlichen Grundnahrungsmittel konzentrieren. Für den Energiesektor sieht er eine Stärkung der Staatsaufsicht, kostendeckende Tarife und die Rohstoffsicherung vor.
Ausblick
Mit dem Wahlergebnis tritt die politische Entwicklung in der Dominikanischen Republik wohl endgültig aus dem Schatten der Caudillos heraus. Die beiden Kandidaten der traditionellen, von den Caudillos Balaguer und Bosch gegründeten Parteien PRSC und PRD waren nicht in der Lage, dem Bürger ein akzeptables Wahlangebot zu unterbreiten. Stattdessen gewann mit Leonel Fernández ein Politiker, der im Jahre 1973 aus Protest gegen die autoritäre Parteiführung durch Juan Bosch die PRD verließ und die PLD gründete, mit der er 1996 die Präsidentschaftswahlen gewann.
Mit Leonel Fernández wählten die Dominikaner den Kandidaten zu ihrem Präsidenten, dem aufgrund seiner Kenntnisse, Erfahrungen und inter nationalen Beziehungen am ehesten zuzutrauen ist, das Land aus der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte herauszuführen und zu einer neuen Vereinbarung mit dem Internationalen Währungsfonds zu kommen.
Der gewählte Präsident wird mit einer politischen Minderheit im Kongress regieren müssen. Gegenwärtig verfügt die PLD im Repräsentantenhaus über 41 von 150 Sitzen und im Senat über 2 von 32 Senatoren. Damit könnte es nach einer üblichen Schonfrist angesichts der zu erwartenden tiefen strukturellen Reformen, vor allem im Wirtschaftsbereich, zu ernsten Problemen für die Regierungsfähigkeit kommen. Bereits in seiner ersten Regierungszeit hatte sich Leonel Fernández mit einer politischen Oppositionsmehrheit im Kongress auseinanderzusetzen. Aufgrund seiner dialogorientierten und gewandten Art gelang es ihm jedoch, diese prekäre Situtation zu meistern. In Bezug auf seine nun zweite Regierungszeit kann er sich im Falle einer erfolgreichen Politik eine eigene politische Mehrheit bei den nächsten Kongresswahlen sichern, die bereits im Mai 2006 stattfinden werden.