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Länderberichte

Italien auf dem Weg zu mehr Föderalismus?

von Dr. Norbert Wagner, Stefan von Kempis
Die internationale Aufmerksamkeit konzentrierte sich während der bislang drei Jahre der zweiten Regierung Berlusconi vor allem auf seinen Regierungsstil und die von ihm durchgesetzten Mediengesetze. Das läßt in den Hintergrund treten, wie tiefgreifend sich Italien derzeit vom zentralisierten Staat zu einem föderalen System wandelt – eine „Devolution“, wie dies in Italien nennt, mit ungewissem Ausgang.

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Die italienische Verfassung von 1947 soll in wichtigen Punkten geändert werden: föderale Strukturen, Direktwahl des Ministerpräsidenten und größere Befugnisse für ihn. Hier die Grundzüge der geplanten Änderungen, die schon zum Beginn der nächsten Legislaturperiode spätestens 2006 in Kraft treten sollen.

Geplante Änderungen

  • Die 20 Regionen (von denen fünf bereits einen Autonomiestatus haben, nämlich Sizilien, Sardinien, Friaul/Julisch-Venetien, Trentino/Südtirol und Aostatal) erhalten die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz im Gesundheits- und Schulwesen und im Bereich der lokalen öffentlichen Sicherheit. In den fünf Jahren nach Inkrafttreten der Reform können – mit vereinfachter Prozedur – neue Regionen entstehen (Voraussetzung: mindestens eine Mio. Einwohner).
  • Verstößt ein Regionalgesetz gegen das nationale Interesse Italiens, kann die Regierung es blockieren. (Auf diesem Passus hat Finis „Alleanza Nazionale“ (AN) bestanden, die gegenüber den Föderalismus-Bestrebungen der „Lega Nord“ mißtrauisch ist und vor einem Zerfall des Landes warnt.) Hält die Region an dem umstrittenen Gesetz fest, kann der Senat den Präsidenten auffordern, es für ungültig zu erklären.
  • Der Senat („Senato“, auch „Palazzo Madama“ genannt) wird zu einer Länderkammer („Senato federale“). Die Senatoren werden künftig gleichzeitig mit den Regionalwahlen nach dem Verhältniswahlrecht gewählt und sollen künftig bestimmte regionale Territorien repräsentieren. Der Bundessenat soll sich mit Gesetzen zu Themen befassen, die in die gemeinsame Zuständigkeit von Zentralstaat und Regionen fallen. Mit Zweifünftelmehrheit darf er außerdem über Gesetze des Abgeordnetenhauses (die in alleinige Zuständigkeit des Staates fallen) debattieren und endgültig darüber abstimmen. Er verliert aber das Recht, dem Ministerpräsidenten das Mißtrauen auszusprechen. Dafür darf er sieben (statt bisher fünf) von insgesamt fünfzehn Verfassungsrichtern bestimmen.
  • Die Reform bringt auch Änderungen mit sich, die direkt nichts mit Föderalismus zu tun haben, die aber mit der „Devolution“ zu einem Paket verschnürt sind. So sinkt die Zahl der Abgeordneten von 630 auf 400 (+12 Abgeordnete, welche die Auslandsitaliener repräsentieren sollen); die Zahl der Senatoren sinkt entsprechend etwa um ein Drittel auf 200 (+6 für die im Ausland lebenden Italiener); die Zahl der „Senatoren auf Lebenszeit“ (u.a. Andreotti) von 5 auf 3. Diese Reduzierung soll aber, im Unterschied zum übrigen, erst 2011 in Kraft treten.
  • Der Präsident der Republik verliert das Recht, das Abgeordnetenhaus aufzulösen bzw. einen Ministerpräsidenten zu benennen. Der Ministerpräsident hingegen wird künftig direkt gewählt und braucht nach seiner Ernennung durch den Präsidenten kein eigenes Votum der Abgeordneten mehr. Er ernennt und entläßt die Minister und darf das Parlament auflösen. Eine gescheiterte Vertrauensfrage bzw. ein erfolgreicher Mißtrauensantrag führen fast automatisch zur Parlamentsauflösung. Volksabstimmungen zu Verfassungs-änderungen werden erleichtert.

Politische Triebkäfte

Hinter der Reform steht vor allem die „Lega Nord“, Berlusconis kleinster Koalitionspartner; nach der schweren Erkrankung ihres Führers Bossi braucht sie unter Reform-Minister Calderoni jetzt einen vorzeigbaren Erfolg, um ihren Platz innerhalb der Regierungskoalition zu behaupten. Schließlich hat sich ja im Sommer die AN im Fall Tremonti durchgesetzt und hat die UDC mit Buttiglione einen EU-Kommissar erhalten. Nach italienischem „do ut des“-Verständnis ist jetzt also innerhalb der Regierungskoalition „Casa delle Libertà“ die „Lega“ am Zug. Scheitert ihre „Devolution“, ist ihr Austritt aus der Koalition wahrscheinlich, was zu Neuwahlen führen könnte.

In Angriff genommen hatten die Föderalisierung aber schon die Mitte-Links-Kabinette von Prodi, d`Alema und Amato. Anlaß war der Untergang der „Democrazia Cristiana“ und des alten Parteiensystems im Kielwasser des „Tangentopoli“-Skandals. Dieser hatte Rom zu Beginn der Neunziger delegitimiert; vor allem im Norden forderten und erhielten die Regionen und die subregionalen Ebenen bis hinunter zu den Gemeinden mehr Zuständigkeiten (u.a. ab 1993 die Direktwahl von Bürgermeistern, Provinz- und Regionenpräsidenten). Der Wunsch, Italien durch eine Modernisierung mehr Gewicht in der EU zu verschaffen, ließ auch linke Politiker das Thema Föderalismus für sich entdecken. Höhepunkt dieser Entwicklung war eine erste Verfassungsreform im Jahre 2001 kurz vor Ende der Legislaturperiode; weil sie nicht mit der nötigen Zweidrittelmehrheit zustande kam, wurde sie dem Volk vorgelegt. Dieses Referendum („referendum confermativo“) vom Oktober 2001, abgehalten schon unter der neuen Regierung Berlusconi, war die erste Volksabstimmung über eine Verfassungsänderung überhaupt seit den vierziger Jahren. Ergebnis: Das Prinzip der Subsidiarität wurde in die Verfassung aufgenommen, die Regionen erhielten mehr Rechte im Schul- und Gesundheitswesen, die Erhebung von Steuern auf lokaler Ebene wurde möglich, und der Vorbehalt des „nationalen Interesses“, mit dem Rom Regionalgesetze blockieren konnte (und der jetzt wiedereingeführt werden soll), wurde abgeschafft.

Vor allem die Tatsache, daß führende Lokal-, Provinz- und Regionalpolitiker nicht mehr in den römischen Parteizentralen bestimmt werden, hat nach 2001 zur Entstehung einer „Kultur des Föderalen“ in Italien geführt. Eine neue politische Klasse mit eigenem Selbstbewußtsein entstand, die sich um regionale Belange kümmert; öffentliche und private Hand, aber auch Gebietskörperschaften kooperieren immer häufiger miteinander, und Netzwerke oder Initiativen werden vor Ort oft wichtiger als die Parteien oder traditionelle Bindungen. Italiens Regionen werden damit zu einem wichtigen Motor der Modernisierung Italiens von unten. Dem steht allerdings eine Verdoppelung der regionalen Verschuldung in den letzten vier Jahren gegenüber, so daß sich zwischen den Erwartungen an Regionen, Provinzen und Gemeinden und dem, was sie tatsächlich leisten können, eine Schere öffnet.

Stand des Gesetzgebungsverfahrens

Am Donnerstag, 16. September 2004, hat das Parlament mit breiter Mehrheit (299:27; Enthaltungen: 182) für das oben skizzierte Reformvorhaben gestimmt; die Enthaltungen vor allem der linken Politiker sind der Tatsache geschuldet, daß ihre Parteien ja das Projekt 2001 ins Rollen gebracht hatten. Daher wollen sie nicht dagegen stimmen, andererseits aber auch nicht Berlusconi zur bedeutendsten Verfassungsreform in Nachkriegsitalien verhelfen. Das Projekt hat nun die Hälfte der parlamentarischen Wegstrecke hinter sich; es muß ein zweites Mal durch den Senat und das Abgeordnetenhaus.

Die Hürde für Verfassungsänderungen ist allerdings so hoch, daß seit über zehn Jahren alle Anläufe zu einer umfassenden Reform – obwohl sie in fast allen Spektren der Gesellschaft und der Politik als überfällig bezeichnet wird - immer wieder gescheitert sind, und zwar letztlich wegen der Instabilität der politischen Verhältnisse. Bei linken Politikern mehren sich die Stimmen, die auch diese Reform ganz zu Fall bringen wollen. Der frühere Ministerpräsident Amato schlägt mittlerweile (im Einklang mit dem Arbeitgeberverband „Confindustria“) vor, den Prozeß zu stoppen und einen Konvent nach dem Vorbild des Herzog-Konvents, der die Grundrechte-Charta erarbeitete, mit dem Thema zu befassen. Amato war auch Autor eines Grundsatzpapiers der Mitte-links-Parteien („bozza Amato“). Darin schlug er Elemente direkter Demokratie vor, um die von ihm befürchtete Schwächung des Parlaments auszugleichen. Nach dem Votum vom 16. September 2004 wirkt die Linke tief gespalten und verunsichert in ihrer Haltung zur Reform. Sollte das Reformpaket auch bei seiner abschließenden Lesung in der Kammer nicht die nötige Zweidrittelmehrheit bekommen, wird die Regierung wohl eine Volksabstimmung darüber ansetzen. Diese Aussicht beunruhigt die Linke, obwohl sie vor drei Jahren selbst erstmals diesen Weg gegangen ist.

Aber auch viele „AN“- und „UDC“-Politiker haben Bedenken gegenüber dem „Lega“-Projekt der „Devolution“ und könnten die Regierungslinie beim weiteren Procedere noch aufweichen. Die Regierung hat die Gesetze zur „Devolution“ (die 2002 schon einmal, in etwas anderer Form, einzeln vorgelegt wurden und damals Kammer und Senat passiert haben) mit in die große Verfassungsreform hineingenommen; die Föderalismus-Reform ist damit vom Schicksal des Gesamtpaketes abhängig – und sie ist dabei, wie in diesem September die über 70 Änderungsanträge der Opposition und die fast 40 Änderungsanträge aus dem Regierungslager gezeigt haben, noch nicht einmal der umstrittenste Teil des Reformwerks.

Die Bedenken gegen das Reformprojekt

  • Unklarheit, wohin genau der Staatsumbau führt. Vor allem die wachsende Macht des Ministerpräsidenten ändert die bisherige Statik des politischen Systems spürbar; das Parlament wird vom Ministerpräsidenten abhängiger als bisher. Viele bezweifeln, daß der Senat wirklich zu einem Bindeglied zwischen nationaler und regionaler Ebene wird; eine echte Mitbestimmung der Regionen fehle, und die Gleichzeitigkeit der Wahl von Regions-Räten („consiglio regionale“) und Senatoren allein garantiere noch keine echte Bindung der Senatoren an regionale Politik. Vielmehr lasse das wiedereingeführte Verhältniswahlrecht fürchten, daß die Parteien im Bundessenat den Ton angäben. Auch die Tatsache, daß die Senatoren wieder unter Berufung auf „nationales Interesse“ Regionalgesetze blockieren können, werde ihre Bindung an die regionale Ebene verhindern. Damit hätten die Regionen in Rom keine echte Interessenvertretung, zumal die Präsidenten der Regionen nicht automatisch einen Sitz im Senat haben sollen.
  • Angst vor einer Lähmung der Republik oder sogar separatistischen Tendenzen. Zwar bekennt sich die „Lega“ in diesen Tagen demonstrativ zur Einheit Italiens, aber sie ist ja nur Teil eines größeren Aufbegehrens gegen das zentralistische Rom, wovon Gruppen wie die „Bewegung der Bürgermeister“ zeugen. Und obwohl der Senat künftig nicht mehr gleichrangig zum Abgeordnetenhaus wäre, könnte er in der Hand von Parteien zu einem Instrument der Blockade nationaler Politik werden, zumal er Zugriff auf Gesetze behält, die in die Alleinzuständigkeit der nationalen Ebene fallen. „Gefährlich“ erscheint vor allem die Zeit zwischen 2006 und 2011, also vor Inkrafttreten der Verkleinerung von Abgeordnetenhaus und Senat.
  • Partei-Strategien: Die Mitte-links-Parteien wurden bis zur Europawahl in diesem Jahr im Norden des Landes nicht für ihren Einsatz für Föderalismus belohnt und sind gegen die geplante Aufwertung des Ministerpräsidenten, solange dieser Berlusconi heißt. Die „Forza Italia“ (FI) hingegen, die von oben gegründet wurde, nicht von unten gewachsen ist, ist regional und kommunal noch weniger verwurzelt und organisiert als andere Parteien. Ihre „Hochburgen“ zwingen sie außerdem zu einem Eiertanz bezüglich des Föderalismus: Der Nordwesten um die Lombardei ruft nach Steuersenkungen und Liberalisierung, der Süden mit Sizilien nach einem starken Staat, der kräftig fördert und investiert.
  • Mehr Bürokratie und Kompetenzwirrwarr. Schon seit dem ersten Föderalismus-Gesetz von 2001 häuft sich die Zahl der Kompetenzkonflikte; derzeit sind über zweihundert entsprechende Klagen beim Verfassungsgericht anhängig.
  • Finanzielle Bedenken. Manche behaupten, daß eine Übernahme neuer Kompetenzen durch die Regionen zwischen 50 und 90 Milliarden Euro zusätzlich kosten wird; Berlusconi hält dagegen, daß eine „richtig gemachte Föderalisierung“ ein „Nullsummenspiel“ sein werde. Andere glauben, daß ohne einen von Rom gesteuerten Länderfinanzausgleich der Bruch zwischen reichem Norden und armem Süden zementiert wird; vor allem linke Politiker malen für Italien künftig zwanzig verschiedene (regionale) Schul- und Gesundheitssysteme an die Wand. Die Debatte über die Kosten der Föderalisierung hat sich mittlerweile mit der „Teuro“-Debatte in der italienischen Öffentlichkeit vermengt; das Thema Föderalismus wird mehr und mehr unter diesem Gesichtspunkt wahrgenommen.

Aussichten

Ob sich die „Lega“ mit ihrem Föderalismus-Plan durchsetzt, ist derzeit noch nicht abzusehen. Klar ist: Die Regierung Berlusconi steht und fällt mit diesem Thema, und es könnte die kommenden Parlamentswahlen 2005 oder 2006 bestimmen, erst recht, wenn es zu einer Volksabstimmung über die Reformen kommen sollte. Auf der Ebene der Gemeinden, Provinzen und Regionen aber hat sich der Föderalismus seit der ersten Öffnung 2001 längst eingespielt. Diese Entwicklung ist kaum noch umzukehren – auch, weil Italien genauso wie Deutschland eine „verspätete Nation“ ist. In seinen Provinzen gehört ein Grundmißtrauen gegenüber Rom zur Erbschaft der Geschichte. Sollten aber Reformversuche scheitern und die Instabilität des Parteien- und Koalitionssystems auf nationaler Ebene anhalten, könnten die föderalen Ansätze auf subnationaler Ebene durchaus in separatistische Tendenzen umschlagen und sich gegen den Zentralstaat wenden.

Konrad-Adenauer-Stiftung leistet Beitrag zur Föderalismus-Debatte in Italien

Als Referenzländer werden in Italien im Rahmen der Föderalismus-Debatte immer wieder Deutschland und Spanien angeführt. Aus diesem Grunde hatte der Präsident des Senats Marcello Pera, zugleich Ehrenvorsitzender der Fondazione Magna Carta zu einem internationalen Kolloquium zum Thema „Federalismo. Noi e gli altri (Föderalismus – wir und die anderen) eingeladen. Das Kolloquium fand in Rom am 14. September 2004, zwei Tage vor der ersten Abstimmung im Parlament, statt. Hauptredner waren Jordi Pujol, ehem. Präsident von Katalonien, Roberto Formigoni, Präsident der Region Lombardei, sowie Prof. Dr. Bernhard Vogel, Ministerpräsident a.D. und Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung.

In seinem Vortrag erläuterte Prof. Vogel die Ursprünge und die bisherige Entwicklung des föderalen Systems in der Bundesrepublik Deutschland. Einen Schwerpunkt seines Vortrages bildete die aktuelle Debatte in Deutschland über die Notwendigkeit und Möglichkeit der Reform des föderalen Systems. Diese Erläuterungen waren für die italienische Debatte von großem Nutzen, weil sie zum einen die Mechanismen eines etablierten föderalen Systems aufzeigten, aber auch die Widerstände und Schwierigkeiten nicht verschwiegen, welche dessen Funktionsfähigkeit einschränken können. So ergaben sich zahlreiche Parallelen zu den unterschiedlichen Streitpunkten, welche die italienische Debatte gegenwärtig bestimmen.

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Kontakt

Dr. Nino Galetti

Dr

Leiter des Auslandsbüros Italien

nino.galetti@kas.de +39 06 6880-9281 +39 06 6880-6359

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