Länderberichte
Nach den Neubesetzungen bei 10 der 13 Intendentes in den Regionen sowie 24 der 52 Provinzgouverneure noch im alten Jahr machte Lagos den ins Kraut sprießenden Spekulationen unmittelbar nach seinen Kurzurlaub Anfang Januar ein Ende und gab auch einen Wechsel im Kabinett bekannt:
Alt | Neu | |||
Ministerium | Minister | Partei | Minister | Partei |
Präsidialamt | Alvaro Garcia | PPD | Mario Fernandez | PDC |
Regierungsministerium | Claudio Huepe | PDC | Heraldo Muñoz | PPD |
Verteidigungsministerium | Mario Fernandez | PDC | Michelle Bachelet | PS |
Öffentliche Bauten | Carlos Cruz | PS | Javier Etcheberry | PPD |
Gesundheitsministerium | Michelle Bachelet | PS | Osvaldo Artazar | PDC |
Planungsministerium | Alejandra Krauss | PDC | Cecilia Perez Diaz | Parteiunabhängig |
Bergbauministerium | bisher auf Staatsekretärsebene im Wirtschaftsministerim | Alfonso Dulanto | Parteiunabhängig |
Im einzelnen bedeutete dies
- zwei Minister rotierten bzw. wechselten das Ressort (Mario Fernandez und Michelle Bachelet,
- ein Staatssekretär (Heraldo Muñoz, bisher im Außenministerium) stieg zum Minister auf,
- ein struktureller Wandel wurde vollzogen: der für Chile eminent wichtige Produktionsbereich Bergbau erhielt ein eigenes Ministerium (bisher unterstand dieser Sektor dem Wirtschaftsministerium und war dort durch einen eigenen Staatssekretär vertreten)
Die neuen Minister
Mario Fernandez (Präsidialamtsminister), PDC
55 Jahre alt, verheiratet, 3 Kinder. Jurist (Universidad de Chile), Promotion (Politikwissenschaften, Philosophie und Internationales Recht) an der Universität Heidelberg (Stipendiat der Konrad Adenauer Stiftung). Bisher Staatssekretär im Verteidigungsministerium (Luftwaffe 1990-95 und Heer 1996-99) sowie Verteidigungsminister (seit März 2000).
Michelle Bachelet (Verteidigungsministerin), PS
50 Jahre alt, verheiratet, 3 Kinder, Kinderärztin, Medizinstudium an der Universidad de Chile sowie an der Humboldt-Universität in Berlin und Studien in USA und Frankreich, Postgraduiertenstudien (Strategie und Taktik, kontinentale Verteidigungspolitik) in Chile und USA. Seit 1998 (bis 2000), Beraterin beim Verteidigungsminister, ab März 2002 Gesundheitsministerin.
Heraldo Muñoz (Regierungsamtsminister), PPD
53 Jahre alt, verheiratet, 1 Kind, Politikwissenschaftler, Postgraduiertenstudium (PhD) im Bereich Internationale Beziehungen in Denver und Harvard, USA. Mitbegründer der PPD; ehemaliger Botschafter bei der OEA und in Brasilien. Seit 2000 Staatssekretär im Außenministerium.
Osvaldo Artazar (Gesundheitsminister), PDC
46 Jahre alt, verheiratet, 3 Kinder, Medizinstudium an der Universidad de Chile (Kinderarzt) mit Weiterbildungen im Ausland, u.a. Großbritannien. Seit 1995 Leiter des Krankenhauses Luis Calvo Mackenna in Santiago, 1998-1999 Berater des Gesundheitsministers.
Javier Etcheberry (Minister für öffentliche Bauten), PPD
54 Jahre alt. Ingenieursstudium an der Universidad de Chile, Promotion an der University of Michigan, USA. Diverse Funktionen im wissenschaftlichen und privatwirtschaftlichen Bereich. Seit 1990 Leiter der chilenischen Steuerbehörde SII.
Cecilia Perez Diaz (Minister für Planung und Kooperation), parteiunabhängig
35 Jahre alt, unverheiratet, Studium der Sozialwissenschaften an der Universidad de Concepción, Postgraduiertenstudium in Concepción und Bordeaux, Frankreich.Diverse Funktionen auf kommunaler (Stadtverwaltung Concepción) und regionaler Ebene (SERPLAC, MIDEPLAN). Seit 1998 Leiterin der Studienabteilung und Exekutivdirektorin der Nationalen Stiftung zur Armutsbekämpfung.
Alfonso Dulanto (Bergbauminister), parteiunabhängig
57 Jahre alt, verheiratet, 2 Kinder, Ingenieursstudium an der Universidad Católica de Chile. Zwischen 1972 und 1980 leitender Angestellter im Kupferkonzern CODELCO, anschließend im privaten Bergbausektor tätig. Seit März 2000 Intendente der II. Region (Antofagasta)
Die Folgen der Kabinettsumbildung
Die Analyse dieses Kabinettswechsels (der erste in diesem Umfang seit der Amtsübernahme und nach den kleineren Wechseln im Wohnungsbau- und Wirtschaftsministerium) geht vom Wahlergebnis der Parlamentswahl aus.
Hier hatten die Christdemokraten eine deutliche Niederlage erlitten, die das koalitionsinterne Gleichgewicht zu Gunsten der Koalitionspartner PS und PPD verschob.
Lagos verzichtete jedoch klugerweise sowohl bei Intendentes und Gobernadores wie auch bei dieser Kabinettsumbildung auf ein diesbezügliches Signal, was die quantitative Präsenz der PDC im Kabinett angeht, und ging vielmehr selektiv und personenbezogen vor. Das parteipolitische Gleichgewicht blieb weitestgehend erhalten:
Anzahl der Minister
alt | % | neu | % | |
PDC | 7 | 43,75 | 6 | 35,40 |
PPD | 3 | 18,75 | 4 | 23,50 |
PS | 4 | 25,00 | 3 | 17,60 |
PRSD | 2 | 12,50 | 2 | 11,75 |
parteienunabhängig | 0 | 0,00 | 2 | 11,75 |
GESAMT | 16 | 100,00 | 17 | 100,00 |
Dies gilt insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass der neue Bergbauminister zwar formal parteiunabhängig ist, der PDC aber nahe steht und v.a. dass der politische Einfluss der PDC im engeren politischen Zirkel des Regierungspalastes durch Mario Fernandez als Präsidialamtsminister nun stärker ist, als dies in der vorhergehenden Konstellation mit Claudio Huepe als zuweilen unglücklich agierendem Regierungsamtsminister war.
Dieser Schachzug erfolgte allerdings auch mit klarem politischen Kalkül: Für Lagos ist ein möglichst reibungsloses Verhältnis zur PDC gerade angesichts der nun deutlicher zu Tage tretenden Spannungen nach der Wahl eminent wichtig.
Alvaro Garciá (PPD) war es im Grunde nie gelungen, ein engeres Verhältnis zu den Koalitionsparteien allgemein und zur PDC im besonderen aufzubauen.
Dies dürfte nun durch den Christdemokraten Mario Fernandez leichter fallen.
Gerade auch im Kontext der in Kürze anstehenden Neuwahlen der PDC (Ende Januar) und den sich daraus ergebenden Positionierungen (sowohl parteiintern, aber auch im Verhältnis zu Regierung und Opposition) kommt diesem Aspekt eine besondere Bedeutung, was die Stabilität der Regierungskoalition angeht, zu.
Der weitere herausragende Wechsel (der auch von der internationalen Presse vorrangig kommentiert wurde) erfolgte im Verteidigungsministerium.
Mit Michelle Bachelet tritt erstmals in der Geschichte Chiles eine Frau an diese Stelle. Stramm stehende Militärs mit militärischen Gruß ("A sus órdenes, Señora Ministra!“) sind ein nicht nur in der chilenischen Geschichte ungewöhnliches Bild.
Sie tritt damit nicht nur in die Fußstapfen ihres erfolgreichen Vorgängers Mario Fernandez (dem von allen Seiten eine erfolgreiche Amtszeit bescheinigt wurde), sondern symbolisiert in mehrfacher Hinsicht etwas besonderes: Seit Rückkehr zur Demokratie (der letzte sozialistische Verteidigungsminister war Orlando Letelier unter Allende vor rund 28 Jahren) bekleidet erstmals wieder ein Mitglied der Sozialistischen Partei dieses Amt (was nach 12 Jahre christdemokratischer Führung für die konservativen Militärs zunächst einmal gewöhnungsbedürftig sein dürfte).
Michelle Bachelet hat zudem sehr unterschiedliche Beziehungen zum Bereich des Militärs: Einerseits war sie Beraterin des Verteidigungsminister Perez Yoma (PDC) und hat sich vielfältig auf wissenschaftlicher Ebene mit Sicherheits- und Verteidigungsfragen befasst. Damit steht ihre fachliche Eignung außer Frage. Auf der anderen Seite stammt sie aus einer Militärfamilie: Ihr Vater war Luftwaffengeneral unter Allende, wurde 1973 verhaftet und starb in der Haft.
Ihr wird allerdings auch ein exzellentes Verhältnis zum neuen Oberkommandierenden des Heeres, General Cheyre nachgesagt, so dass davon auszugehen ist, dass hier keine revanchistische Vergangenheitsbewältigung ansteht (wie von einigen Politikern der Opposition kolportiert wurde), sondern vielmehr ein Fortschreiten des bisherigen Weges in Richtung einer Modernisierung der Streitkräfte und eine weitere Einbindung in das demokratische System angestrebtwird.
Bei den Wechseln von Alejandra Krauss und Claudio Huepe spielten eher fachliche Gründe eine Rolle.
Alejandra Krauss war es im Planungsministerium nicht gelungen, die latenten Indianerprobleme (v.a. mit den Mapuche im Süden) zu lösen, und Claudio Huepe litt in seiner Funktion als Regierungssprecher v.a. unter dem Regierungsstil Lagos, der nach dem Motto verfuhr: Good news are President-News, bad news are speakers news.
Durch den Wechsel von Heraldo Muñoz vom Außenministerium in das Amt des Regierungsamtsministers löste Lagos auch den schwelenden Konflikt zwischen der Außenministerin Soledad Alvear (PDC) und ihrem Staatssekretär Heraldo Muñoz (PPD).
Seit Regierungsantritt war es zwischen beiden zu einem permanenten Kompetenzgerangel gekommen, wobei v.a. Muñoz, der sich nach dem Regierungswechsel 2000 als persönlicher Freund des Staatspräsidenten berechtigte Hoffnung gemacht hatte, selbst als Außenminister nominiert zu werden, nie mit der untergeordneten Rolle des Staatssekretärs abgefunden und damit diesen Streit auch auf die Funktionärsebene des Ministeriums getragen hatte.
Soledad Alvear ging auch aus diesem Streit wieder als Siegerin hervor (auch wenn Muñoz nun in den inneren Zirkel der Moneda aufsteigt), da sie nun mit dem Karrierediplomat Cristian Barros (ehemaliger Botschafter in London) einen loyaleren Staatssekretär zur Seite haben wird. Ihre Position innerhalb der Regierung wurde damit weiter gefestigt und damit steigen auch ihre Chancen, den Zeitpunkt ihres Rücktritts aus der Regierung selbst zu wählen und sich damit die Option auf eine eventuelle Präsidentschaftskandidatur 2005 offen zu halten.
Für Aufsehen sorgte auch der neue Gesundheitsminister. Osvaldo Artazar muss nicht nur eine erfolgreiche Vorgängerin (Michelle Bachelt) beerben. Auch sein äußeres Erscheinungsbild ist in der chilenischen Ministerriege sicher ungewöhnlich: farbenfrohe Hemden, meistens ohne Jacke sowie mit Zopf und Sandalen blieb er auch im neuen Amt seinem Stil treu.
Als ehemaliger Krankenhausdirektor ist er zweifelsohne nicht fachfremd, steht aber vor einer außerordentlich komplizierten Herausforderung: Die umfassende Gesundheitsreform soll eine der zentralen Reformen in dieser neuen Etappe der Regierung Lagos werden. Dabei stehen die unterschiedlichsten Interessen im Konflikt gegeneinander: Von den mächtigen privaten Krankenkassen (Isapres) über das staatliche Gesundheitssystem (FONASA) bis hin zur Ärztevereinigung reichen die Lobbyisten, mit denen es der neue Minister bei dieser Aufgabe zu tun bekommt.
Auf der Ebene der Staatssekretäre bestätigte Lagos unmittelbar nach dem Kabinettswechsel alle Personen in ihren Ämtern. Durch die Ministerwechsel wurden jedoch einige Veränderungen auch auf dieser Ebene erforderlich, um zwischen Ministern und Staatssekretären auch weiterhin eine parteipolitische Balance zu halten.
Nach der Ernennung von Staatssekretär Barros im Außenministerium machte Staatssekretär Eduardo Dockendorff (PDC) im Präsidialamt den Anfang, der von sich aus seinen Rücktritt einreichte und für den der Sozialist Gonzalo Martner ernannt wurde. Ähnlich wurde im Gesundheitsministeriumverfahren. Mit dem Einzug des Christdemokraten Artazar reichte Ernesto Behnke (PDC) seinen Rücktritt ein, er wurde durch Gonzalo Navarrete (PPD) ersetzt.
Lediglich im neuen Bergbauministerium wurde die bisherige Staatssekretärin Jacqueline Saintard (PDC), die dieses Amt schon im Wirtschaftsministerium inne hatte, auch im neuen Ministerium bestätigt. Weitere Wechsel bei den Staatssekretären sind jedoch in den nächsten Wochen nicht auszuschließen, ggf. nach dem Wechsel im Parlament am 11. März.
Kabinettsliste des Präsidenten RICARDO LAGOS (ab 18.1.02)
Ministerium | Minister | Partei | Staatssekretäre | Partei |
Innenministerium | José Miguel Insulza | PS | Jorge Correa S. (Inneres) | PDC |
Francisco Vidal (Regionalentwicklung) | PPD | |||
Regierungsministerium | Heraldo Muñoz | PPD | Maria Eliana Arntz | PS |
Präsidialamtsministerium | Mario Fernandez | PDC | Gonzalo Martner | PS |
Finanzministerium | Nicolás Eyzaguirre | PPD | María Eugenia Wagner | PDC |
Außenministerium | Soledad Alvear | PDC | Cristian Barros | PPD |
Ministerium für Wirtschaft und Energie | Jorge Rodriguez Grossi | PDC | Alvaro Díaz (Wirtschaft) | PS |
Vivianne Blanlot (Energie) | PPD | |||
Felipe Sandoval (Fischerei) | PDC | |||
Verteidigungsministerium | Michelle Bachelet | PS | Nelson Haddad (Luftwaffe) | PDC |
Patricio Morales (Polizei) | PRSD | |||
Gonzalo Miranda (Kriminalpolizei) | Parteiunabhängig | |||
Angel Flisfisch (Marine) | PPD | |||
Gabriel Gaspar Tapia (Heer) | PS | |||
Bergbauministerium | Alfonso Dulanto | Unabh. | Jacqueline Saintard | PDC |
Erziehungsministerium | Mariana Aylwin | PDC | José Weinstein | PPD |
Gesundheitsministerium | Osvaldo Artazar | PDC | Luis Gonzalo Navarrete | PPD |
Justizministerium | José Antonio Gómez | PRSD | Jaime Arellano | PDC |
Ministerium für öffentliche Bauten, Transport und Telekommunikation | Javier Etcheberry | PPD | Juan Carlos Latorre (öffentliche Bauten) | PDC |
Patricio Tombolini (Transport) | PRSD | |||
Cristián Nicolai (Telekommunikaiton) | PDC | |||
Arbeitsministerium | Ricardo Solari | PS | Yerko Ljubetic (Arbeit) | PDC |
María Ariadna Hornkohl (Sozialversicherung) | PDC | |||
Planungsministerium | Cecilia Perez Diaz | Unabh. | Humberto Vega | PS |
Landwirtschaftsministerium | Jaime Campos | PRSD | Arturo Barrera | PDC |
Frauenministerium | Adriana Delpiano | PPD | Karen Herrera | PDC |
Ministerium für Wohnungsbau und nationale Güter | Jaime Ravinet | PDC | Sonia Tschorne (Wohnungsbau) | PS |
María Paulina Saball (nationale Güter) | Parteiunabhängig |