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Dabei handelt es sich um Ramón "Palito" Ortega (Tucuman, PJ), Angel Pardo (Corrientes, PJ), Eduardo Bauza (Mendoza, PJ), Emilio Cantarero (Salta, PJ), Remo Constanzo (Rio Negro, PJ), Alberto Tell (Jujuy, PJ, Vorsitzender der Senatskommission für Arbeit und Soziale Vorsorge, in der das Gesetz vorverhandelt wurde), Ricardo Branda (Formosa, PJ) sowie Javier Meneghini (Santiago del Estero, UCR). Unter den genannten befinden sich auch die drei Senatoren, die Antonio Cafiero in seiner ersten Aussage vor dem Richter laut Zeitungsberichten genannt haben soll: Bauza, Pardo und Ortega.
Die Ermittlungen Liporacis beschränken sich aber nicht nur auf den Kreis möglicher Empfänger von Zuwendungen, auch potentielle Quellen werden analysiert. Hierzu hat er nun den stellvertretenden Wirtschaftsminister, Mario Vicens vorgeladen, um sich über den Gebrauch sogenannter "fondos reservados" zu informieren, unter denen "Reptilienfonds" zu verstehen sind, über die Leiter von Institutionen und anderen staatlichen Einrichtungen gewöhnlich ohne externe Rechnungslegung verfügen können.
In ihnen sehen denn auch viele Beobachter seit langer Zeit das eigentliche Problem im Umfeld von Korruptionsvorwürfen aller Art. Auch hat Liporaci inzwischen zwei Journalisten als Zeugen gehört, von denen er Aufklärung erhoffte: Joaquín Morales Sola und Maria Fernanda Villosio. Morales Sola, dessen Kommentare in der Zeitung "La Nación" schon vor Wochen erste Hinweise auf mögliche Korruption enthielten, berief sich dabei konsequent auf sein Zeugnisverweigerungsrecht bezüglich seiner Quellen, das ihm die Verfassung von 1994 zugesteht. Seine La Nación-Kollegin Villosio hingegen bekräftigte, ihr gegenüber habe Senator Emilio Cantarero aus Salta in einem Interview zugegeben, selbst Empfänger von Korruptionszahlungen gewesen zu sein. Das Zeugnisverweigerungsrecht von Journalisten war danach selbst Gegenstand der Diskussion: Während Richter Liporaci zunächst meinte, angesichts der Schwere des Falles müsse dieses zurücktreten, vertraten insbesondere Journalistenorganisationen die strikt gegenteilige Auffassung: Gerade bei schwersten Fällen und angesichts eines schwer erschütterten Vertrauens in die Institutionen sei es wichtig, dass sich Zeugen Journalisten anvertrauten und auf deren absolute Diskretion rechnen könnten.
Ungewöhnlich genug war bereits das Verhalten der Zeitung "La Nación" und der Journalistin Maria Fernanda Villosio. Diese hatte zunächst in anonymisierter, allerdings für Kenner durchaus entschlüsselbarer Weise ein Interview mit einem Senator widergegeben, der sich selbst der Annahme von Korruptionsgeldern bezichtigt habe. Allerdings sei Stillschweigen über diese Quelle, ein sogenanntes "off the record" vereinbart worden. Am 31.8. aber, einen Tag nach der ersten Enthüllung, fühlte sie sich an diese Zusage nicht mehr gebunden: "Es war Senator Emilio Cantarero (PJ-Salta), der vorgestern gegenüber ´La Nación´ zugegeben hat, Bestechungsgelder für die Zustimmung zur Arbeitsgesetzgebung angenommen zu haben," war jetzt in "La Nación" zu lesen, und weiter: "Die Aussagen Cantareros, den Kontakt mit dieser Journalistin völlig zu leugnen, zwingen jetzt in Verteidung der Wahrhaftigkeit der Nachricht, den Sachverhalt aufzudecken."
Vorausgegangen war, wie in Fällen von "off the record" absolut normal, eine Leugnung des Journalistenkontakts durch Senator Cantarero. Dieser gibt mittlerweile zu, mit Maria Fernanda Villosio gesprochen zu haben, leugnet aber den Inhalt und erwägt eine Strafanzeige gegen sie und die Zeitung: wegen Verleumdung. Sein Problem in der öffentlichen Meinung: Die Aussage eines Prestigemediums steht gegen die eines Angehörigen der arg diskreditierten "politischen Klasse".
Auch andere Journalisten und Medien spielen in dem Vorgang eine herausgehobene Rolle: Alfredo Gutierrez von "Clarín" war es, der den anonymen Brief mit Skandaldetails, den Vizepräsident Alvarez dann am 15. August vor dem Senat verlas, über das Fax des Presseraums weiterverbreitete. Und Reporter der Zeitschrift "Noticias" schwärmten aus, um mit Beteiligten und Zeugen aufklärende Gespräche zu führen. Was die Gesprächspartner nicht wußten: Alle Aussagen wurden von den Journalisten insgeheim mitgeschnitten. Diese Bänder hat die Zeitschrift, auch dies ein ungewöhnlicher Vorgang, nun offenbar der Justiz zur Verfügung gestellt.
All dies mag dazu beigetragen haben, daß Richter Liporaci seine Einschätzung der Beweislage inzwischen revidieren konnte: Hatte er noch vor einigen Tage gemeint, die Beweisschwäche sei total, ließ er nun verlauten, er sehe "schwerwiegende, übereinstimmende und präzise Indizien, das Korruption im Spiel war" und nannte "staatliche Quellen" als Ausgangspunkt (La Nación, 2.9.2000).
Allerdings werden auch ihm nicht nur lautere Motive unterstellt, da gegen ihn selbst derzeit gleich fünf sogenannte "juicios políticos" , Aufklärungsverfahren mit dem Ziel der Amtsenthebung, vor dem "Consejo de la Magistratura" laufen. Er soll dabei erklären, wie sich seine persönlichen Vermögensverhältnisse und der Besitz eines auf einen Wert von 1,5 Millionen Dollar geschätzten Hauses rechtfertigen. Vorwurf: Unrechtmäßige Bereicherung im Amt.
Pikant dabei ist, daß dem "Consejo de Magistratura" mit Ricardo Branda ausgerechnet einer der Senatoren angehört, die auf Liporacis Verdächtigenliste zu stehen scheinen. Will der Richter durch besonders hartes Durchgreifen der Öffentlichkeit nun seine Unabhängigkeit demonstrieren? Sucht er Verhandlungsspielraum in eigener Sache? Alles Fragen, die sich die argentinische Öffentlichkeit im allgemeinen Mißtrauen gegen Politik und Justiz mit Nachdruck stellt. In einer Ibope-Umfrage, veröffentlicht in der Zeitschrift "Noticias" vom 2.9. nannten auf die Frage, wer bei der Aufklärung der Vorgänge am glaubwürdigsten sei, 44,7 Prozent die Presse, aber nur 19,5 Prozent die Justiz, 9,5 % den Senat selbst und 8,8 % das Antikorruptionsbüro des Justizministeriums. 17,5 % wollten sich nicht festlegen. Besonders schlimm für die Politik: Nach einer Umfrage des gleichen Instituts, veröffentlicht in "La Nación" vom 2.9., halten 94,7 % der Bevölkerung diese Art von Korruption für etwas alltägliches, nur ein Prozent finden sie außergewöhnlich!
Der Senat selbst macht bei der Aufklärung der Vorgänge bisher eine eher unglückliche Figur: Hatte er noch am 30.8. einstimmig beschlossen, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, wurde dies kurze Zeit später hinfällig. Die UCR-Vertreter verweigerten eine Mitarbeit. Gleichzeitig äußerten Senatoren des Partido Justizialista (PJ) in einer Erklärung, die von 28 Fraktionsmitgliedern unterschrieben war, die Vermutung eines Komplotts. Vizepräsident Carlos "Chacho" Alvarez sei der Urheber, um den Präsidenten zu verdrängen. PJ-Fraktionschef Augusto Alasino laut "Clarín" (31.8.) : "Wir haben keinen Zweifel, daß diese Operation direkt darauf abzielt, die Figur des Präsidenten zu destabilisieren. Man muß prüfen, wer davon profitiert und wer dabei verliert. Es handelt sich um einen nicht-traditionellen Staatsstreich."
Gerade angesichts des Absenders aber wollte an diese "Verschwörungsthese" so recht niemand glauben. Vier seiner Senatskollegen, Eduardo Menem (La Rioja, PJ), Jorge Yoma (La Rioja, PJ), Raúl Galvan (La Rioja, UCR) und Eduardo Arnold (Santa Cruz, PJ) traten mittlerweile von ihren Ämtern zurück, allerdings lediglich gegenüber den Gesetzgebungskörperschaften ihrer Provinzen, von denen Senatoren anstatt einer Direktwahl bisher entsandt werden. Ihr Ziel: ein erneuertes Vertrauen in der Heimatprovinz. Dies ist nicht zuletzt für solche Senatoren besonders wichtig, die sich 2001 einer Wiederwahl stellen wollen.
Eine Veränderung der Zusammensetzung des Senats geht davon zunächst nicht aus und gerade sie ist das Problem bei der Debatte um die Aufhebung der Immunität von acht Mitgliedern, wie sie Richter Liporaci fordert: Diese ist in Argentinien üblicherweise mit einem Verzicht auf die Amtsausübung eines Parlamentariers verbunden, wie dies über zwei Jahre bei den Korruptionsermittlungen gegen den UCR-Senator Eduardo Angeloz vorexerziert wurde. Bei momentan sieben betroffenen Peronisten und nur einem UCR-Vertreter aber würde dies die Mehrheitsverhältnisse völlig außer Kraft setzen, etwas, womit die Oppositionspartei verständlicherweise ihre Schwierigkeiten hat.
Da sind andere Forderungen angesichts des Glaubwürdigkeitsverlust des gesamten Senats schon naheliegender. "Man muß den Senat schließen, der von Metastasen der Korruption zerfressen ist und einen Mechanismus des massiven Rücktritts suchen, der vorgezogene Neuwahlen ohne `listas sabanas´ ermöglicht", meint zum Beispiel der Vorsitzende der Partei "Nueva Dirigencia", Gustavo Beliz. Nach Einschätzung anderer Kommentatoren wie James Neilson aber steht kaum eine neue Generation hoffnungsvollerer Politiker bereit, die dann die freiwerdenden Plätze einnehmen könnte. Auch bliebe die Frage ungeklärt, welche Konsequenzen der Skandal denn bei den möglichen Absendern von Korruptionszahlungen in der Exekutive hätte?
Dort übt Präsident Fernando de la Rúa momentan demonstrativ den Schulterschluß mit seinem Vize "Chacho" Alvarez. Er werde im Falle von Beweisen unbarmherzig gegen überführte Funktionäre vorgehen, sagte der Präsident, sprach aber gleichzeitig seiner Umgebung das uneingeschränkte Vertrauen aus. "Ermittlungen", so de la Rúa, "schwächen die Institutionen nicht, sondern stärken sie." Kabinettsumbildungen werde es nicht geben. Auch begab er sich, Normalität demonstrierend, auf eine elf-tägige Auslandsreise nach Mexiko, den USA, Kanada und China und überließ die Amtsgeschäfte derweil Alvarez.
Nicht wenige in Buenos Aires vermuten derweil, daß hinter den Kulissen die Suche nach einer "politischen Lösung" bereits in vollem Gange ist. Von einer "Operation Make up" spricht "Noticias" und insinuiert, im Verein mit anderen Medien, eine Ablösung der Senatsführungen von PJ und UCR (Alasino und Genoud) sowie letztlich doch eine Kabinettsumbildung: Der Chef des Geheimdienstes SIDE, Fernando de Santibañez, und Arbeitsminister Alberto Flamarique könnten dabei ihre Posten verlieren, begleitet vom amtsmüden Erziehungsminister Llach, den keiner mit dem Skandal in Verbindung bringt, dessen Rücktritt der Sache aber einen unverfänglicheren Anstrich geben könnte.
Die Frage ist nur, ob solche "Bauernopfer" in den Augen der Öffentlichkeit ausreichen, Glaubwürdigkeit in die "politische Klasse" zurückzugewinnen. Auch ist fraglich, ob die mittlerweile bei Medien und Justiz wirksame Eigendynamik so ohne weiteres wieder gebremst werden kann, selbst unter Aufbietung aller Kräfte der etablierten Parteien. Und schließlich: Können sich Personen wie Senator Cafiero und Vizepräsident Alvarez, die sich quasi an die Spitze der "Saubermänner" gestellt haben, damit anfreunden, daß letztlich alles wie gehabt im Sande verläuft? Alvarez zumindest hat mehrfach öffentlich erklärt, seine verfassungsmäßige Funktion des Senatspräsidenten, die er als Vizepräsident auszuüben hat, bei diesem Senat nicht mehr wahrnehmen zu wollen. Nicht ausgeschlossen wird, daß er selbst das Vizepräsidentenamt aufgeben und sich als Senator für die Wahlen im Jahre 2001 präsentieren könnte, als Zugpferd einer FREPASO, die moralische Erneuerung auf ihre Fahnen geschrieben hat. Auch Cafiero scheint solcherlei Ambitionen nicht auszuschließen, auch wenn er bisher in den Kandidatendiskussionen seiner Partei für 2001 keine Rolle spielt.
Während parallel täglich neue Spekulationen über die Herkunft möglicher Korruptionsgelder auftauchen - am 4. September berichtete die Zeitung "Ambito Financiero" von einer möglichen Verstrickung des Gewerkschaftsdachverbandes CGT und auch interessierte Unternehmerkreise fanden sich unter den Verdächtigen - fehlt in der Debatte ein traditioneller Akteur lateinamerikanischer und auch argentinischer Politik völlig: das Militär.
Zwar meldet sich ein Veteranenverband mit kryptischen Andeutungen über "anarchische Zustände" zu Wort, in der Öffentlichkeit aber haben diese Stimmen kein Gewicht. Systematisch hatte Präsident Carlos Menem zu Beginn seiner Amtszeit den "militärisch-industriellen Komplex" entflochten, den Militärs personelle und finanzielle Ressourcen entzogen, ihnen aber gleichzeitig mit verstärktem Engagement bei Blauhelm-Missionen der UNO Bausteine einer neuen Identität mit auf den Weg gegeben. Diese historische Leistung verdient, gerade mit Blick auf andere südamerikanische Länder und inmitten der derzeitigen schweren Vertrauenskrise in demokratische Einrichtungen, ganz besondere Anerkennung.