Länderberichte
Der Papstbesuch wird heute fast einstimmig, was in einer äußerst heterogenen Gesellschaft schon bemerkenswert ist, als epochales Ereignis für ein neues, positives christlich-jüdisches Verständnis und Verhältnis gewertet und deshalb auch als großer Erfolg gewürdigt.
Der Friedensprozess ist dagegen von neuem ins Stocken geraten; ein Friedensvertrag mit Syrien erscheint fast unmöglich, die Verhandlungen mit den Palästinensern werden von beiden Seiten eher pflichtgemäß und lustlos, denn erfolgsorientiert geführt. Darüber hinaus steht die israelische Regierung in einem Dauerkonflikt zwischen säkularen und orthodoxen Juden und dabei ständig und dauerhaft am Abgrund.
Über das absehbare Scheitern dieser Regierung werden bereits Wetten abgeschlossen. Jedenfalls ist die Handlungsfähigkeit der Regierung heute und gerade im Friedensprozess eingeschränkt.
Der Papst kam als Freund der Juden
Wie der Vatikan zuvor immer wieder betont hatte, kam Johannes Paul II. als Pilger zu den christlichen Stätten ins Hl. Land. Und natürlich standen aus christlicher Sicht die Besuche und Gottesdienste in der Verkündigungskirche in Nazareth, in der Geburtskirche in Bethlehem und in der Auferstehungskirche in Jerusalem sowie ein Gottesdienst mit hunderttausend Gläubigen aus der ganzen Region am See Genezareth im Mittelpunkt.
Wirklich historische und politische Bedeutung erhielten aber zwei andere Ereignisse, welche weit über diese Reise hinaus positive Wirkungen und vor allem Tiefgang erreichen werden.
So leitete der vom Papst gewünschte interreligiöse Dialog mit hohen Vertretern des Judentums und des Islam eine neue, positive Wende ein. Zuerst weigerten sich die Vertreter des Islam, sich zusammen mit dem Papst gemeinsam und öffentlich mit den Oberrabbinern zu begegnen.
Zusammen mit der "Eliyah School for the Study of Wisdom in World Religions" veranstaltete die Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem, kurz vor der Ankunft des Papstes eine Interfaith-Konferenz, auf der Juden, Christen und Moslems über Religion und Schuld gemeinsam sprachen und sich vor allem auch zuhörten.
Bereits in der Vorbereitung dieser Konferenz kam es dann in Absprache mit der päpstlichen Nuntiatur doch noch zur Planung einer gemeinsamen Begegnung des Papstes mit jüdischen und moslemischen Führungspersönlichkeiten. Auch wenn ein moslemischer Scheich auf dieser Veranstaltung Vorwürfe gegen die israelische Regierung glaubte loswerden zu müssen, allein die Tatsache, daß Juden, Christen und Moslems dem Papst gemeinsam begegneten und seinen "brüderlich-versöhnenden" Worten lauschten, wurde als Signal für die Möglichkeiten eines Dialoges der drei monotheistischen Religionen in der noch krisenbelasteten Nah-Ost-Region verstanden. Viele, die diesen Dialog als Voraussetzung für Frieden in Jerusalem sahen, wurden ermuntert, auf diesem Wege noch entschlossener weiterzugehen.
Ebenso wichtig war nach dem Schuldbekenntnis des Papstes sein Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Va Shem und an der Klagemauer. Ganz Israel war berührt von der Art und Weise, in der Johannes Paul II. sich vor den Opfern des Holocaust verneigte und seinen Respekt gegenüber dem jüdischen Volk bezeugte. So sprach Israels Ministerpräsident bei diesem Besuch von einer "Reise der Heilung" in den Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und den Juden nach Jahrhunderten bitterer, feindlicher Beziehungen und an den Papst gewandt: "Sie haben mehr als jeder andere getan, um den historischen Wandel in der Haltung der Kirche zu den Juden herbeizuführen."
Kein Zweifel besteht, dieser Besuch Johannes Paul II. hat ein neues, gutes Kapitel in den jüdisch-christlichen Beziehungen eröffnet.
Der Friedensprozess in der Klemme
So wohltuend die Versöhnungsgesten des Papstes von allen gutmeinenden Menschen der Region auch aufgenommen wurden, die graue Alltagspolitik holte sie schnell wieder ein und niemand kann bestreiten, daß der Friedensprozess wieder einmal in der Klemme steckt.
Kein Zweifel, die derzeitige israelische Regierung will
- Frieden mit Syrien,
- einen Friedensvertrag mit Arafat, der zu einem Palästinenserstaat führt,
- den Rückzug israelischer Truppen aus dem Libanon.
Die israelische Regierung ist zur weitestgehenden Rückgabe des Golan aber erst im Rahmen eines umfassenden Friedensvertrages unter Einschluss von Sicherheitsgarantien und Garantien für lebenswichtige Wasserressourcen bereit. Selbst nach dem massiven Einsatz von US-Präsident Clinton ist Syrien nicht bereit, den Rückerhalt des Golan im Rahmen eines Friedensvertrages auszuhandeln. Dem Motto Syriens, erst den Golan, dann erst Verhandlungen (über was?), wird Israel nicht folgen (können).
Damit ist klar: Der Schlüssel für Frieden zwischen Israel und Syrien liegt bei Präsident Assad. Und nach allen Anzeichen und Signalen ist von ihm ein Nachgeben kaum zu erreichen. Daher wird es, Wunder nicht ausgeschlossen, nach menschlichem Ermessen kein Fortkommen auf diesem wichtigen Gebiet geben. Und Premierminister Ehud Barak wird schon heute das Scheitern auf seinem Friedenskurs mit Syrien bescheinigt.
Die Verhandlungen mit den Palästinensern werden dagegen auf neutralem amerikanischen Boden, wenn auch äußerst schwerfällig fortgeführt. Israel hat weitere 6,1% der Westbank an die Palästinenser zurückgegeben, die nun 40% der Westbank unter ihrer Kontrolle haben. Zugleich werden jedoch Zweifel an der Fähigkeit beider Seiten, zu einer Endstatusregelung zu finden, ebenso laut, wie Anzeichen in der palästinensischen intellektuellen Szene deutlicher werden, daß ein eigener Staat kaum lebensfähig sein könne. Auch wird Arafat zunehmend unterstellt, er sei an einer Endstatusregelung deshalb nicht mehr interessiert, weil er dann deutliche Kompromisse - z.B. in der Jerusalem-Frage - gegenüber Radikalen und Fundamentalisten vertreten müsse, wozu er wenig Neigung verspüre.
Den vollen Wahrheitsgehalt derartiger Geschichten aus der orientalischen Gerüchteküche wird niemand beschwören können. Wahr ist aber, daß die israelisch-palästinensische Friedenseuphorie, die mit der Wahl Baraks 1999 aufkam, erheblich an Schwung verloren hat.
Jedenfalls sind entscheidende Verhandlungserfolge auf dem Weg zu einem israelisch-palästinensischen Friedensvertrag in weitere Ferne gerückt und erhebliche Konflikte spätestens bei der wieder einmal, nun für Mitte September avisierten Ausrufung eines palästinensischen Staates vorprogrammiert.
Ein einziges, einseitig geplantes "Friedensziel" will und wird die israelische Regierung in diesem Jahr erreichen: den Rückzug israelischer Truppen aus dem Südlibanon. Inwieweit dieses Vorhaben, das bis Juli begonnen werden soll, Frieden in Südlibanon und im Norden Israels bringen bzw. bewahren wird, wird von einem vielstimmigen Chor unterschiedlicher Meinungen in Israel kommentiert. Nicht nur Falken glauben, daß dadurch sogar ein neuer militärischer Konflikt, im schlimmsten Fall nicht nur mit der Hisbollah, sondern auch mit Syrien provoziert werden könnte. Jedenfalls birgt dieser einseitige Rückzug ohne vertragliche Sicherheitsgarantien erhebliche Risiken und niemand mag sich ausdenken, was passieren könnte, wenn danach Hisbollah-Raketen in Haifa einschlagen würden, was bis heute entfernungsmäßig ausgeschlossen ist.
Die innenpolitische Krise
Während alle Welt auf Friedensfortschritte in Nahost hofft, ist die israelische Regierung zunehmend in eine mittelschwere innenpolitische Krise geraten. Natürlich wird die Stagnation des Friedensprozesses Ministerpräsident Ehud Barak persönlich angelastet, selbstredend auch von denen, die diesen Kurs abgelehnt haben.
Entscheidend für den schlechten Zustand der Regierung ist allerdings der Streit zwischen säkularen und orthodoxen Protagonisten in der 8-Parteien-Koalition Baraks. Dabei geht es vor allem um die Liberalisierung des Schulwesens durch den Meretz-Minister Yossi Sarid und den Kampf der Shas-Partei um mehr Einfluss auf das Bildungswesen. Man kann es auf einen kurzen Nenner bringen: Während die orthodoxe Shas-Partei jede Zustimmung zum Friedensprozess von politischen und finanziellen Zugeständnissen im Bildungsbereich abhängig macht, will die linksliberale Meretz-Partei die Regierung nur unterstützen, wenn der Einfluss der Orthodoxen in Schule und Gesellschaft zurückgedrängt wird.
Damit ist ein Dilemma des Premierministers umschrieben, das dieser beim Start seiner Regierung möglicherweise unterschätzt hat.
Ehud Baraks Wahlversprechen und sein Regierungsprogramm richteten sich zentral auf die Überwindung der Stagnation im Friedensprozess. Deshalb hat er der orthodoxen Shas-Partei bei der Bildung seiner Regierungskoalition den Vorzug vor dem Likud gegeben.
Nun spielen Syrien und die palästinensische Autonomieregierung nicht so mit, wie Barak dies erhofft und erwartet hatte. Er ist aber bei seiner Friedenspolitik abhängig von Syrien und den Palästinensern und von deren Bereitschaft zu Kompromissen. Diese Bereitschaft läßt zu wünschen übrig, gleichwohl verlangen die Orthodoxen ihren Preis für ihre Beteiligung an der Regierung, den die Linken und Säkularen in der Regierung zu zahlen nicht bereit sind.
Wegen der neuen Stagnation im Friedensprozess bekommen die innenpolitischen Streitfragen wiederum größeres Gewicht. Dabei geht es bei der Frage, ob der säkulare oder der orthodoxe Einfluss auf das Bildungswesen wächst, letztlich darum, ob die Zukunft Israels mehr in Richtung jüdisch-theokratische oder demokratisch-pluralistische Gesellschaft geht. Es geht, wie viele Israelis sagen, um nicht weniger als einen Kulturkampf.
Diesen kann diese Regierung unter der Beteiligung orthodoxer Parteien kaum bestehen. Dies spüren die Wahlbürger. Nach neuesten Umfragen ist der Sympathiewert Baraks von 56% (Wahl ´99) auf 42% gesunken, während der Wahlverlierer Netanyahu, obwohl aus der Politik ausgeschieden, inzwischen auf den gleichen Zustimmungsgrad kommt. Zwar treten nur 28% für die Auflösung der derzeitigen Koalition und 26% für ihr Weiterbestehen ein, aber schon 43% für Neuwahlen und dies nach nur einem Jahr Barak-Regierung.
Die Regierung ist also im schwierigen Fahrwasser. Premierminister Barak wird mit viel Mut und Glück seine Politik neu definieren und in absehbarer Zeit einen Partnerwechsel in der Koalition oder ggf. nach dem Rückzug aus dem Südlibanon Neuwahlen unter dann günstigeren Vorzeichen nähertreten müssen.