Länderberichte
Die belastende Geschichte der Menschenrechtsverletzungen in Guatemala
Schwerste Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Organe haben eine lange Tradition in Guatemala. Während der seit Beginn des 20. Jahrhunderts dominierenden Militärherrschaften wurden die Menschenrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit regelmäßig und systematisch verletzt. Folter, Mord und Verschwindenlassen waren an der Tagesordnung in einem Regime, das keinerlei rechtsstaatliche Kontrolle seines Handelns zu befürchten hatte und jede noch so schreckliche Tat mit dem Kampf gegen den Kommunismus rechtfertigte.
Einen Höhepunkt erreichte diese Politik gegen die Menschenrechte der guatemaltekischen Bevölkerung in den frühen achtziger Jahren, als man im Kampf gegen die Guerrilla die so genannte "Politik der verbrannten Erde" ("Política de la tierra arrasada") anwandte. Diese Politik hatte die Ausschaltung des in den Dörfern des Hochlandes vermuteten Unterstützungspotenzials für die Guerrilla zum Ziel; Instrumente zur Erreichung dieses Zieles waren Siedlungsprogramme und Zivilmilizen zur besseren Kontrolle der Bevölkerung und die Auslöschung ganzer Dörfer durch brutale Massaker, denen auch Alte, Frauen und Kinder zum Opfer fielen. Die schlimmsten Verbrechen gegen die Landbevölkerung geschahen während der Regierungszeit von General Efraín Ríos Montt 1982/83.
Mit dem Übergang zu zivilen, aus Wahlen hervorgegangenen Regierungen seit 1985 und besonders seit dem Friedensschluss zwischen Regierung und Guerrilla am 29. Dezember 1996 sind diese systematischen Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Organe beendet worden.
Die aktuelle Situation der Menschenrechte
Trotz des Endes der Militärdiktatur und des Bürgerkrieges finden in Guatemala weiterhin Verletzungen der elementarsten Menschenrechte statt. Amnesty International berichtet für 1999 gar von einem Anstieg der Menschenrechtsverletzungen im Vergleich zu den Vorjahren. Personen, die sich für die politischen, sozialen oder ethnischen Rechte ihrer Mitbürger einsetzen, müssen oft um Gesundheit und Leben fürchten.
Der jüngste Fall ist das bisher ungeklärte Verschwinden der Universitätsdozentin Mayra A. Gutiérrez Hernández, die seit dem 7. April 2000 nicht mehr auffindbar ist. Sie war zuvor als aktives Mitglied von Frauenorganisationen bekannt und vor drei Jahren an der Erstellung eines Berichtes über illegale Adoptionen in Guatemala beteiligt. In den achtziger Jahren waren bereits drei ihrer Geschwister dem "Verschwindenlassen" zum Opfer gefallen.
Juristen, die sich politisch sensiblen Fällen annehmen, müssen um ihr Leben fürchten: Nacheinander sahen sich zwei ermittelnde Staatsanwälte im Mordfall Bischof Gerardi gezwungen, ihr Land zu verlassen, um sich und ihre Familie vor den Morddrohungen und möglichen weiteren Konsequenzen zu schützen. Einer ist nach Deutschland geflohen. Ende Mai wurden massive Bedrohungen gegen die Richterin im Fall Gerardi bekannt, nachdem diese das Verfahren u.a. gegen zwei Militärs eröffnet hatte.
Insbesondere Gewerkschafter, die sich in ländlichen Regionen engagieren, sind immer wieder massivem Druck ausgesetzt. Einige der Grundbesitzer verfügen über Privatarmeen, die ihre Interessen gegen gewerkschaftliche "Umtriebe" durchzusetzen verstehen. Verantwortliche der Landarbeitergewerkschaft FEDECAMPO machten am 5. Mai auf Morddrohungen und einen Mordversuch gegen ihre Führungskräfte aufmerksam.
In den großen landwirtschaftlichen Betrieben an der Pazifikküste Guatemalas (Mais-, Kaffee- und Zuckerrohranbau) werden organisierte Arbeiter sofort entlassen. Zusätzlich wurde Anfang Mai ein Dokument bekannt, das ein bekannter Rechtsanwalt für Firmen erstellt hatte, um gewerkschaftliche Gruppen in ihren Betrieben zu zerstören. Die Empfehlungen reichen von sofortiger Entlassung über weitgehende Überwachung und soziale Kontrolle bis zur grundsätzlichen Vorsicht mit Abgängern der als "links" eingestuften staatlichen San-Carlos-Universität.
Die Rechte der Schutzlosesten in der Gesellschaft, nämlich der Kinder und Jugendlichen, werden in Guatemala regelmäßig verletzt. Es existiert ein intensives und ständig anwachsendes Geschäft mit illegalen Adoptionen, die hauptsächlich in die USA gehen. Guatemala hat trotz internationaler Kritik (vor allem durch UNICEF) als eines der letzten Länder der Erde noch kein Gesetz zum Kinderschutz und zur Regelung der Adoption verabschiedet. Für 15.000 bis 45.000 US-Dollar kann man ein Neugeborenes in Guatemala "kaufen", das zum Teil willentlich und wissentlich (wegen des Geldes), aber auch gegen den Willen der Mutter (Betrug, Raub) in den Adoptionshandel gekommen ist. Besonders rechtlos sind die Straßenkinder, die immer wieder Opfer von Gewalttaten (Verstümmelungen bis hin zu Mord) werden, hinter denen teilweise eine geplante "soziale Säuberung" vermutet wird. Diese Verbrechen bleiben in der Regel straflos.
Die Rolle der Regierung Portillo (FRG)
Angesichts dieser immer noch sehr unbefriedigenden Lage der Menschenrechte kommt der Politik der neuen Regierung eine Schlüsselrolle zu. Präsident Alfonso Portillo hat in seiner Antrittsrede und anderen Reden, vor allem wenn internationale Beobachter anwesend waren, mehrfach auf die entschiedene Verfechtung der Menschenrechte durch seine Regierung hingewiesen. Besonders versprach Portillo, die Empfehlungen der Wahrheitskommission (Comisión para el Esclarecimiento Histórico) in Bezug auf den wirksamen Schutz der Menschenrechte umzusetzen.
In der Tat unternahm die Regierung schon bald nach Amtsantritt einige öffentlichkeitswirksame Schritte:
- Der Menschenrechtsbeauftragte der Regierung Portillo erklärte, dass diese Regierung die Verantwortung des guatemaltekischen Staates für 46 schwere Verletzungen der Menschenrechte in den Jahren 1982, 1990 und 1996 anerkenne.
- Am 25. Februar 2000 (exakt ein Jahr nach Vorlage des Berichtes der Wahrheitskommission!) hinterlegte die guatemaltekische Regierung bei der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) die Ratifikation der Interamerikanischen Konvention über das "Verschwindenlassen" und erkannte damit diese Menschenrechtskonvention vom 9. Juni 1994 ausdrücklich an.
Schon seit 1996 existiert ein Gesetzentwurf zum Schutz von Kinder und Jugendlichen gegen Gewalt, Ausbeutung und illegale Adoptionen (Código de la Niñez), der anfänglich laut einem UNICEF-Bericht mit Unterstützung aller Parteien verabschiedet wurde; das Inkrafttreten schob man aber immer wieder hinaus. Nachdem der FRG im November 1999 die absolute Mehrheit im Parlament gewonnen hatte, sorgte der neue Parlamentspräsident Ríos Montt im Februar 2000 dafür, dass dieses Projekt zum Schutz der Rechte der Kinder und Jugendlichen nicht umgesetzt wird.
Schwierige Aufarbeitung einer schwierigen Vergangenheit
Zwar hatte die Wahrheitskommission in ihren Empfehlungen auch gefordert, die Verantwortlichen für die schweren Verletzungen der Menschenrechte während des Bürgerkrieges juristisch zu belangen, doch scheint dies angesichts der derzeitigen Situation der guatemaltekischen Justiz und Politik nicht möglich zu sein. Die Regierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Aufnahme des Berichtes der Wahrheitskommission in die Schulcurricula vorsieht. Nun hängt die Zukunft dieses Entwurfes vom Parlament ab, wo General Ríos Montt als Präsident und Parteivorsitzender des FRG mit 63 der 113 Sitze den Ton angibt.
Die Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú konnte mit ihren bisherigen Klagen gegen Militärs wegen Massakern vor der guatemaltekischen Justiz keine wirkliche Bestrafung erreichen. Im Fall des Massakers in Xamán vom 5. Oktober 1995, wo 11 Zivilisten (darunter Frauen und 2 Kinder) von Soldaten ermordet wurden, endete das Verfahren 1999 mit Haftstrafen von 4 und 5 Jahren, die aber durch Zahlung von 5 Quetzal (ca. 1,30 DM) pro Tag abgegolten werden konnten. In zweiter Instanz wurde selbst diese Strafe gegen die Hälfte der Patrouillenangehörigen inklusive des Kommandanten aufgehoben und diese freigesprochen. Die anderen Angeklagten erhielten immerhin Freiheitsstrafen, die nicht durch Geldzahlungen abgegolten werden konnten. Im April 2000 hob nun das Oberste Gericht alle Urteile auf und ordnete ein neues Verfahren an.
Angesichts dieser Abläufe in der guatemaltekischen Justiz und der Tatsache, dass nur gegen die direkten Täter, aber nicht die Auftraggeber ("autores intelectuales") verhandelt worden war, sah sich Menchú gezwungen, mit weiteren Klagen vor die spanischen Gerichte ausweichen. Dort reichte sie ihre Klage gegen früheren Militärherrscher Guatemalas und andere Verantwortliche für die Verbrechen am 2. Dezember 1999 ein und am 27. März 2000 wurde das Untersuchungsverfahren eröffnet. Die Angeklagten sind neben ehemaligen Staatschefs auch Verantwortliche in Innen- und Verteidigungsministerium, Polizei und Heer.
Nun wird Menchú aus Guatemala der Vorwurf des Landesverrats gemacht und auch vor guatemaltekischen Gerichten gegen sie vertreten. Eine interne rechtliche Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen scheint nicht in Gang zu kommen; das Verfahren in Spanien hat aber zumindest schon eine öffentliche Debatte entfacht, die in jedem Fall fruchtbar für Guatemala sein wird. Ex-Militärherrscher wie Ríos Montt sehen sich in der Defensive und der heutige Parlamentspräsident hat mit Blick auf die Erfahrungen des Chilenen Agusto Pinochet seine geplanten Auslandsreisen abgesagt.
Das Klima, in dem diese Auseinandersetzungen in Guatemala ausgetragen werden, bekamen jetzt auch die spanischen Anwälte von Frau Menchú zu spüren: Eine Reihe von Drohbriefen erreichten sie, weil sie angeblich dem "Landesverrat" von Menchú, der Rückkehr der Anarchie und der kommunistischen Unterwanderung nach Guatemala, den Weg bereiteten.