Asset-Herausgeber

Länderberichte

Ministerrücktritt verhindert Regierungskrise in Oslo

von Elisabeth Bauer, Kai Gläser

Sylvi Listhaug (FrP) kommt Misstrauensvotum im Parlament zuvor

Norwegens Justizministerin, Sylvi Listhaug, von der rechtspopulistischen Fortschrittspartei (Fremskrittspartiet) ist nach fast zwei Wochen heftiger Diskussionen um einen von ihr veröffentlichten Facebook-Eintrag und einem angekündigten Misstrauensvotum im norwegischen Parlament (Storting) von ihrem Posten zurückgetreten. Eine zuvor befürchtete Regierungskrise konnte damit in letzter Sekunde abgewendet werden.

Asset-Herausgeber

Nur gut zwei Monate nach dem Zustandekommen der bürgerlich-konservativen Minderheitsregierung um Norwegens Ministerpräsidentin Erna Solberg musste das Dreierbündnis aus konservativer Partei (Høyre), rechtspopulistischer Fortschrittspartei (Fremskrittspartiet) und Liberaler Partei (Venstre) die erste Krise überstehen. Ein im Parlament angekündigtes Misstrauensvotum, welches die Regierung in eine schwere Krise gestürzt hätte, konnte erst im letzten Moment durch den Rücktritt der betroffenen Justizministerin verhindert werden.

Facebook-Post als Auslöser aufgeheizter politischer Debatte

Die Ministerin selbst hatte die Diskussion um ihre Person gut zwei Wochen vor ihrem Rücktritt mit einem provokanten Facebook-Post ins Rollen gebracht. Im Zuge einer Debatte um die Möglichkeit norwegischen Staatsbürgern, welche sich Terrororganisationen angeschlossen haben, ohne entsprechende juristische Rahmung die Staatsbürgerschaft abzuerkennen, kritisierte die Ministerin die oppositionelle Arbeiterpartei (Arbeiderpartiet) für ihre ablehnende Haltung. Konkret warf sie ihr vor, dass ihr die Rechte von Terroristen wichtiger seien als die nationale Sicherheit. Der Post wurde am selben Tag veröffentlicht, wie ein kontrovers diskutierter Film, welcher sich mit den Geschehnissen des 22. Juli 2011 befasst. An diesem Tag hatte der rechtsradikale Anders Breivik durch eine Explosion im Regierungsviertel von Oslo und einen anschließenden Amoklauf auf der Ferieninsel Utøya 77 Menschen getötet, darunter zahlreiche Mitglieder der Jugendorganisation der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, welche sich in einem Ferienlager befanden. Der Angriff gilt als der schlimmste Terroranschlag der seit dem Zweiten Weltkrieg auf norwegischem Boden stattgefunden hat. Der richtige Umgang mit der Erinnerung sorgt immer wieder für Diskussionen in Politik und Gesellschaft.

Empörung und Unverständnis bei politischer Konkurrenz

Die übrigen politischen Parteien reagierten mit Unverständnis auf die Einlassungen der Justizministerin. Jonas Gahr Støre, Vorsitzender der norwegischen Arbeiterpartei, bezeichnete sie als enttäuschend und einer Ministerin unwürdig. Seine Partei sei direkt vom Terror betroffen gewesen und kämpfe nicht zuletzt deswegen aktiv gegen jede Form von Terrorismus. Auch die anderen Oppositionsparteien im norwegischen Parlament schlossen sich dieser Sichtweise in der Folge an. Ministerpräsidentin Solberg wollte sich – ähnlich wie Siv Jensen, Parteivorsitzende der Fortschrittspartei - zunächst nicht zum Post ihrer Justizministerin äußern, kritisierte ihn anschließend jedoch aufgrund des zunehmenden Drucks von außen. Sie vermied es aber Listhaug aufzufordern, den entsprechenden Eintrag zu löschen. Diese als zögerlich wahrgenommene Haltung der Regierungsspitze wurde in der Folge sowohl von der Opposition als auch von Teilen der Gesellschaft scharf kritisiert.

Zögerliche Reaktion der Regierung führt zu Antrag auf Misstrauensvotum

Auch das schlussendliche Entfernen des Eintrages sowie eine offizielle Entschuldigung im Namen der Regierung konnten die Wogen in der Folge nicht mehr glätten, sodass sich die Oppositionsparteien geschlossen für ein Misstrauensvotum gegen die Ministerin einsetzten. Aufgrund der fehlenden eigenen Regierungsmehrheit im Storting lag Listhaugs Schicksal unmittelbar vor der Abstimmung in den Händen der Christdemokraten (Kristelig Folkeparti), die zwar nicht Teil der Regierung sind, diese aber bei Abstimmungen im Parlament mit den eigenen Stimmen unterstützen. Noch bevor sich die Christdemokraten zu ihrem Abstimmungsverhalten äußerten, erklärte Ministerpräsidentin Solberg, dass sie – sollte Sylvi Listhaug das Misstrauen ausgesprochen werden – die Vertrauensfrage für die gesamte Regierung stellen würde . Als die Christdemokraten sich schließlich am Vorabend der Abstimmung weigerten für die umstrittene Justizministerin zu stimmen, berief die Ministerpräsidentin eine Krisensitzung der drei Regierungsparteien ein, an deren Ende nach offiziellen Verlautbarungen kein Rücktritt der Ministerin zur Debatte stand.

Rücktritt aus freien Stücken zum Wohle der eigenen Partei

Dieser Version schloss sich auch Sylvi Listhaug selbst an, als sie am Morgen des Misstrauensvotums vor die Presse trat und ihren Rücktritt vom Amt der Justizministerin bekanntgab. Dabei bedankte sie sich für die Unterstützung, welche sie aus den eigenen Reihen, allen voran von Finanzministerin und FrP-Parteichefin Siv Jensen erhalten habe, und betonte, dass der Einfluss und die Macht der Fortschrittspartei nicht ihretwegen Schaden nehmen dürfe. Der Opposition um Jonas Gahr Støre warf sie vor, eine Hexenjagd gegen sie veranstaltet und Themen miteinander vermischt zu haben, welche in keinem Zusammenhang stünden . Die Christdemokraten, mit deren Zustimmung sie den Misstrauensantrag im Parlament überstanden hätte, bezeichnete sie als Partei ohne Rückgrat, Führung und ohne Plan für die Zukunft. Mit Blick auf die gesamte Kontroverse sprach sie am Ende der Pressekonferenz von einer „surrealistischen Woche, in der ein Facebook-Eintrag, die norwegische Politik in einen Kindergarten verwandelt hat“.

Per Sandberg wechselt vom Fischerei- ins Justizressort

Nachdem das angekündigte Misstrauensvotum durch den vorherigen Rücktritt der Ministerin abgewendet wurde, bestimmte ihre Partei noch am selben Tag einen Nachfolger für Sylvi Listhaug. Der 58-jährige Per Sandberg, der dem populistischen Flügel der Fortschrittspartei zugerechnet wird, übernimmt den Posten des Justizministers, der in Norwegen auch für die Themenfelder öffentliche Sicherheit und Immigration zuständig ist. Kritiker und politische Gegner sehen Sandbergs Wechsel kritisch, da er 1997 zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, nachdem er während einer Feier in seinem Heimatort einen jugoslawischen Asylbewerber geschlagen hatte. Noch unklar ist, wer seinen bisherigen Posten als Fischereiminister übernimmt. Bis diese Personalie geklärt ist, wird Sandberg zunächst für beide Ressorts zuständig sein.

Fazit

Die rechtskonservative Regierungskoalition um Ministerpräsidentin Erna Solberg hat ihre erste Krise überwunden, steht aufgrund des Umgangs mit dem provokativen Posting der ehemaligen Ministerin Listhaug jedoch unter verstärkter Beobachtung von Opposition und Öffentlichkeit. Die Zielsetzung der Minderheitsregierung dürfte es nun zunächst sein, Ruhe in das zuletzt aufgewühlte Arbeitsumfeld zu bekommen. Auch wird die Frage im Raum stehen, wie die Christdemokraten, ohne deren Zustimmung die Koalition im Parlament nicht mehrheitsfähig ist, auf die Anschuldigungen der aus dem Kabinett ausgeschiedenen Sylvi Listhaug reagieren werden und ob sich dies auf die allgemeine Zusammenarbeit mit der Fortschrittspartei auswirkt.

Asset-Herausgeber

Kontakt

Elisabeth Bauer

Länderberichte
22. Januar 2018
Jetzt lesen
Norwegens Justizministerin Sylvi Listhaug | Foto: Flickr/Fremskrittpartiet/© 2015 Alexander Helberg, © IC Hendel/CC BY-ND 2.0 https://tinyurl.com/y9lb3tnn

comment-portlet

Asset-Herausgeber