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Länderberichte

Mit einer App gegen den IS?

von Linda Möslein, Dr. Manuel Schubert, Imke Haase

Neue Wege im Kampf gegen Radikalisierung in Jordanien

Die Zahl der terroristischen Anschläge in Jordanien wächst kontinuierlich. Dabei ist das Land längst nicht mehr nur ein Anschlagsziel. Der sogenannte Islamische Staat (IS) rekrutiert auch einen Teil seiner Kämpfer aus Jordanien. Um die fortschreitende Radikalisierung einzudämmen, haben die jordanische Regierung und religiöse Eliten nun eine neue Initiative gestartet: Über eine App soll der Gedanke eines moderaten und positiven Islam verbreitet und dem IS so der Zulauf genommen werden.

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Die „Global Terrorism Databank“ weist für Jordanien einen substantiellen Anstieg der terroristischen Attentate während der vergangenen Jahre aus. Allein im Jahr 2016 wurden neun Anschläge verübt. Das Ausmaß der vereitelten oder nicht erfolgreich durchgeführten Anschläge dürfte um ein Vielfaches höher liegen. Die meisten Attentate gehen auf das Konto des IS, der sich 2016 zu vier Anschlägen bekannte. Anfang Juni wurde ein Mitglied des jordanischen Geheimdienstes von IS-Kämpfern angegriffen. Drei Sicherheitsleute und zwei Geheimdienstmitarbeiter starben in der daraufhin folgenden Auseinandersetzung in der Nähe von Amman. Im Dezember wurden bei einem weiteren Attentat zwölf Menschen getötet.

IS-Sympathisanten hatten sich zunächst in ihrer Wohnung eine Schießerei mit Polizisten geliefert, attackierten dann die Polizeistation in Kerak und verschanzten sich schließlich in der touristischen Hauptattraktion der Stadt: einer Kreuzritterburg. Immer wieder kommt es außerdem zu Selbstmordanschlägen in den informellen Flüchtlingslagern im syrisch-jordanischen Grenzgebiet. In der Nähe des Lagers Rukban, das in der Wüste am Dreiländereck von Syrien, Jordanien und dem Irak liegt, tötete ein Attentäter im Juni letzten Jahres sechs Soldaten. Mittlerweile hat es zwei weitere Anschläge direkt im Lager gegeben, der letzte ereignete sich im Januar 2017.

Problem der Radikalisierung

Die Anschläge sind nur die eine Seite der Medaille. Mindestens genauso bedrohlich für die innere Sicherheit ist die wachsende Radikalisierung der Bevölkerung. Schätzungen zufolge sind in den vergangenen Jahren mehr als 2.000 Jordanier zum IS übergelaufen. Im internationalen Vergleich stellt Jordanien mit 303 Kämpfern pro Million Einwohner den drittgrößten Rekrutierungspool für den IS weltweit. Umfragen gehen zudem davon aus, dass circa 25 Prozent der jordanischen Bevölkerung die Handlungen des IS befürworten. Etwa fünf bis acht Prozent der Jordanier sympathisieren offen mit der Terrormiliz und zwischen 9.000 und 10.000 Personen sollen den IS direkt unterstützen.

Faktoren der Radikalisierung

Die Gründe für Radikalisierung in Jordanien sind äußerst vielfältig und - folgt man der angewandten Forschung dazu - teilweise widersprüchlich. Einer Umfrage in Fokusgruppen zufolge spielen in Jordanien wirtschaftliche Faktoren, wie die hohe Jugendarbeitslosigkeit, eine entscheidende Rolle bei der Radikalisierung. Politisch betrachtet scheinen insbesondere Vetternwirtschaft und Korruption Treiber von Radikalisierung zu sein. Auch generelle Unzufriedenheit über die politische Situation oder Ohnmachtsgefühle hinsichtlich politischer Partizipation seitens der Bevölkerung scheinen die Radikalisierungsneigung der Bevölkerung zu beeinflussen . Andere Studien nennen als weitere mögliche Gründe beispielsweise den Mangel an kulturellen Angeboten, das jordanische Bildungssystem sowie ein unzureichendes Verständnis für den Islam als friedvolle und tolerante Religion. Zudem existieren hot spots in Jordanien – Zentren und Orte, in denen die Unterstützung für dschihadistisches Gedankengut besonders stark ausgeprägt ist.

Die genannten Faktoren werden in der einschlägigen Forschung intensiv diskutiert und ihr Einfluss auf die Radikalisierung der Bevölkerung wird mitunter angezweifelt. Als sicher kann hingegen gelten, dass der IS die Medien sowie insbesondere die sozialen Netzwerke gekonnt zur Manipulation und Rekrutierung der Menschen nutzt. Dabei kommt es der Terrormiliz zugute, dass das Interesse an religiösen Themen wächst. Während es beispielsweise vor 2011 circa 50 religiöse Fernsehsender in Jordanien gab, hat sich die Anzahl inzwischen verdreifacht.

Soziale Medien und die örtlichen Moscheen werden vom IS für das Anwerben neuer Sympathisanten genutzt. Und die jordanische Regierung scheint sich dessen durchaus bewusst zu sein. Zwar zielen traditionelle Präventionsmaßnahmen auch in Jordanien eher auf die Verbesserung der persönlichen Verhältnisse ab. Durch den Zugang zu Bildung, größerer politischer Partizipation und dem Aufzeigen von Perspektiven sollen insbesondere junge Menschen davon abgehalten werden, sich dem IS ideologisch anzunähern. Zusätzlich beschreitet Jordanien seit einiger Zeit einen neuen Weg und bietet eine, aus westlicher Sicht, etwas andere Art der religiösen Erziehung an.

Lösungsansätze der jordanischen Regierung

Bereits 2004 lancierte König Abdullah II. die sogenannte „Amman Message“ – einen Aufruf zu mehr Toleranz und Einigkeit zwischen den Muslimen. Im Rahmen des Papiers nahmen 24 der renommiertesten Islamgelehrten zu strittigen Punkten wie der Validität der verschiedenen islamischen Rechtsschulen Stellung. „Die Amman Message zeigt auf, dass wir andere Menschen respektieren sollen – Muslime ebenso wie Nicht-Muslime “, erklärt Prof. Mohammed K. Al-Majali, Vorsitzender der Gesellschaft zur Bewahrung des heiligen Korans und Dozent für Islamstudien an der Universität von Jordanien.

War die „Amman Message“ in erster Linie ein religiös-ideologisches Signal, gerichtet an die Bevölkerungen des Nahen Ostens, wurde sie in den letzten Jahren flankiert durch konkrete Maßnahmen. Im Jahr 2015 forderte das Ministerium für islamische Angelegenheiten den muslimischen Klerus auf, die Botschaft eines friedvollen Islams in den ca. 6.000 jordanischen Moscheen zu verbreiten. Ein solches Eingreifen der Regierung in religiöse Belange ist im Nahen Osten keine Seltenheit und hat insbesondere nach dem sogenannten Arabischen Frühling zugenommen. Zum Teil wurden die Anweisungen des Ministeriums von den Imamen jedoch ignoriert. So weigerten sich einige Imame im Juli 2016, das von den Behörden geforderte gemeinsame Gebet für die während des IS-Anschlags getöteten Jordanier zu sprechen. Die Regierung beschloss daraufhin ein strikteres und zentral organisiertes Moscheeprogramm. Es schreibt vor, dass die Freitagspredigt (Khutbah) nur noch von qualifizierten Imamen gesprochen werden darf. Gleichzeitig wurde das Modell einer einheitlichen Khutbah von den Vereinigten Arabischen Emiraten übernommen. „Das Ministerium gibt das jeweilige Thema der Freitagspredigt vor und verteilt die fertige Khutbah an die Imame. So können persönliche Andeutungen der Imame vermieden werden. Man schafft eine klare Grenzlinie “, betont Amer Al-Sabaileh, jordanischer politischer Analyst, Journalist und Direktor des Instituts für strategische und internationale Studien (MEMPSI). Wichtig ist dabei, dass die Inhalte zwar von der Regierung kommen, dabei aber unpolitisch sind. In den Predigttexten geht es vielmehr um soziale Themen wie Solidarität oder Toleranz.

Zwar lässt sich über die Reformbereitschaft der Imame diskutieren, dass die Umsetzung dieser Regelung nur schleppend verläuft, hängt allerdings auch mit dem akuten Mangel an qualifizierten Imamen zusammen. Lediglich 3.000 ausgebildete Imame stehen dem Ministerium in Jordanien zur Verfügung. Damit wird die Predigt in der Hälfte aller Moscheen von Laien gehalten. Und dieser Mangel trifft in erster Linie die ländlichen Regionen . „Das Problem ist, das gerade die Freiwilligen ihre eigene religiöse Ideologie besitzen. Sie nutzen vor allem die religiösen Fernsehsender, um sich eine Meinung zu bilden“ , erläutert der ehemalige Imam Mostafa Hussein Abo Romman die Situation.

Auch mit den ausgebildeten Imamen gibt es Schwierigkeiten. „Bei der großen Mehrheit der Imame handelt es sich zwar um Beamte, die vom Staat abhängig sind, weshalb es theoretisch einfach sein sollte, sie an den Deradikalisierungsplänen der Regierung zu beteiligen. Zum Teil möchten sie die Botschaft jedoch nicht weitergeben oder aber sie verstehen sie nicht, was mit Deradikalisierung gemeint ist“, sagt Amer Al-Sabaileh. Al-Sabaileh zu Folge fehlt es auch an einer nationalen Deradikalisierungsstrategie, welche die Rolle der Imame – ihre Arbeit, ihr Verhalten sowie ihre kulturelle Einbettung – definiert und konkrete Richtlinien vorgibt. Wenngleich eine solche Strategie bislang nicht vorhanden ist, gibt es dennoch Bestrebungen, die religiöse Erziehung an den Moscheen zu institutionalisieren und zu harmonisieren.

Neue Medien gegen die Radikalisierung

Die Imame sind jedoch nicht die einzige Anlaufstelle für religiöse Themen. Laut einer Umfrage wenden sich bei religiösen Fragen und Unklarheiten 44% der Befragten an die örtliche Moschee und 33% kontaktieren das sogenannte Ifta‘a-Amt , welches seit Januar 2017 dem Großmufti Mohammad Khalaileh untersteht. Die Behörde geht im Austausch mit den Gläubigen durchaus mit der Zeit und bietet auf ihrer Homepage verschiedene Dienstleistungen für religiöse Fragen des Alltags an. „Wir sind per Telefon, E-Mail, WhatsApp, Telegram, SMS oder persönlich zu erreichen “, erklärt Dr. Hassan, einer der Muftis des Amtes.

Seit etwa zwei Jahren verfügt die religiöse Einrichtung auch über eine eigene App, die unter Jordaniern großen Zuspruch findet. Über 861.000 Menschen haben das Programm bereits auf ihren Smartphones installiert.

Und auch außerhalb des Königreiches wird die App genutzt. Neben Ländern wie Saudi-Arabien oder Syrien findet die App auch in Afrika und im europäischen Ausland Anwendung. In Deutschland wurde sie bislang 19.340 Mal heruntergeladen. Die App ist ausschließlich auf Arabisch verfügbar und bietet im Kern zwei Funktionen an: Erstens können sich die Nutzer direkt mit religiösen Fragen an das Ifta’a-Amt wenden, zweitens besteht die Möglichkeit, bereits veröffentlichte, anonymisierte Fragen und Antworten bzw. die entsprechenden Fatwas der Muftis über die App nachzulesen.

Das Themengebiet ist dabei sehr breit angelegt. Alltag, religiöse Ethik und Extremismus – es gibt keine Frage, die nicht gestellt werden kann. Was sind legitime Gründe für ein vorzeitiges Fastenbrechen während des Ramadan? Wie wird das islamische Eherecht praktisch gelebt? Oder ist beispielweise die Verbreitung von Witzen über den Islam in Sozialen Medien erlaubt? Die Antworten der Muftis fallen meist sehr klar, wenngleich nach westlichen Maßstäben recht streng aus: Soziale Medien sollten zur Verbreitung von Glück und Freundlichkeit genutzt werden, sämtliche Scherze mit Religionsbezug sind aber verboten .

Auch Extremismus wird konkret angesprochen. Ein Nutzer fragte nach der genauen Definition von Extremismus und dessen Abgrenzung zum moderaten Islam. Und auch in diesem Fall liefern die muslimischen Rechtsgelehrten öffentlich einsehbare Antworten über die Fatwa-App.

Durch den Service der Muftis haben die Muslime in schwierigen Situationen die Möglichkeit, sich an einen kompetenten Ansprechpartner zu wenden und kurzfristig eine islambezogene Beratung zu erhalten. „Unser Ziel ist es, jederzeit und von überall aus erreichbar zu sein, um die Menschen mit unserem Fachwissen unterstützen zu können “, betont Dr. Hassan. Die Nutzer öffnen die App, geben ihre Frage auf Arabisch in das Kontaktfeld ein und erhalten daraufhin eine Antwort vom Ifta‘a Amt. „Wie zügig wir uns beim Nutzer melden, hängt von der jeweiligen Frage ab. In der Regel wenden sich die Menschen mit ähnlichen Fragen an uns und wir antworten entsprechend schnell “, erklärt Dr. Hassan.

Fazit

Die genannten Beispiele zeigen, dass nicht nur der Regierung, sondern auch den jordanischen Muftis daran gelegen ist, gegen die Radikalisierung im Land vorzugehen. Insbesondere in Bezug auf Jugendliche könnten innovative und moderne Initiativen wie die des Ifta’a Departments ein Schritt in die richtige Richtung sein. Ob dieser angesichts der vielfältigen Ursachen für Extremismus ausreicht, ist allerdings fraglich. Es existiert keine empirische Evidenz über ihren Einfluss auf die (De-)Radikalisierung der Bevölkerung. Auch Al-Sabaileh betont, dass die App allein nicht ausreichen wird, um Jordaniens innere Sicherheit zu gewährleisten: „Um der Radikalisierung entgegenzuwirken benötigen wir einen Plan, der nicht nur den religiösen Sektor umfasst, sondern auch akademische Lehrpläne, die wirtschaftliche Entwicklung und das kulturelle Leben“ . Ähnlich argumentiert Neven Bondokji, Wissenschaftlerin am WANA-Institut. Sie weist darauf hin, dass islamische Narrative bzw. religiöse Erziehung vermutlich nur einer von vielen Radikalisierungsfaktoren sei . Nichtsdestotrotz könnte die Fatwa-App eine Idee sein mit Entwicklungspotential und helfen, Licht ins Dunkel der individuellen Radikalisierungsursachen zu bringen: Eine semantische Analyse der App könnte wichtige Einblicke in innergesellschaftliche Diskurse und Trends geben. Es liegt an den jordanischen und internationalen Behörden und Forschungsinstituten, ihre Bemühungen in den Bereichen der Prävention und Ursachenforschung auf die nächste Stufe zu he

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Dr. Annette Ranko

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