Länderberichte
Es war vorauszusehen, dass der Ex-Putschist und Ex-Militär, Lucio Gutiérrez, als er am 15. Januar 2003 das Präsidentenamt ohne politische Erfahrung und Regierungsprogramm übernahm, den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Problemen Ecuadors nicht annähernd würde begegnen können. Der große Hoffnungsträger war er zu diesem Zeitpunkt nur für die indigene und marginalisierte Bevölkerung. Sein Regierungsbündnis stellte gerade 20 von 100 Abgeordneten (davon 6 Abgeordnete der Regierungspartei Partido Sociedad Patriótica und 11 Abgeordnete von der Bewegung Pachakutik, dem politischen Arm der indigenen Verbände). Schon bei der Besetzung der Kabinetts- und Spitzenfunktionen war der Unmut des Bündnispartners groß, weil er nur 5 Posten erhielt und die weiteren nahezu alle unter Familienangehörige, Ex-Militärs und Ex-Putschisten sowie Freunde des Präsidenten aufgeteilt wurden.
Nach einem halben Jahr schon brach das Bündnis auseinander, nachdem teilweise die Kabinettsmitglieder von Pachakutik öffentlich ihren Unmut über die Regierungsunfähigkeit des Präsidenten äußerten und die Regierung unter dem Druck des IWF außerdem die Subventionen von Benzin und Elektrizität aufhob, was die Lebenshaltungskosten v.a. der armen Bevölkerung stark erhöhte. Das Regierungsverhalten lief gleich zu Beginn konträr zu einem zentralen Wahlversprechen von Gutiérrez, nämlich der „oberste“ Korruptions- und Armutsbekämpfer sein zu wollen.
Die Allianz mit Pachakutik war für Gutierrez in der ersten Zeit förderlich, da er das u.a. internationale Image, Indígenas an der Regierung zu beteiligen, für sich nutzen konnte. Ebenfalls gereichte ihm das geringe Protestpotential der CONAIE (Dachverband der indigenen Verbände) während des Bündnisses sehr zum Vorteil.
Mit dem Bruch konnte sich der Präsident nun den ökonomisch starken und rechtskonservativen bzw. populistischen Küstenparteien PSC (Partido Social Cristiano) und PRE (Partido Roldista Ecuadoriano) zuwenden, die ihm von Anfang an mit ihren zusammen 40 Abgeordneten eine starke Opposition androhten. Die PRE erwartet durch ihre Regierungsunterstützung, dass die Strafverfolgung ihres Parteivorsitzenden und Ex-Präsident Bucaram aufgehoben wird und der PSC war wichtig, die gesamte Judikative stark besetzt zu halten und auch Einfluss auf den (Hafen-)Zoll nehmen zu können. Seitdem diesen beiden Parteien dem Präsidenten ihre Unterstützung zusagten, ist der Präsident nur noch die Marionette vom Parteiführer und Caudillo der PSC, Febres Cordero. Dieser Opportunismus des Präsidenten brachte die linken Parteien die ihm beim Wahlkampf unterstützt hatten zusätzlich auf, hatten sie doch geglaubt, dass mit ihm ein Politikstilwechsel stattfinden kann.
Von allen Seiten wird dem Präsidenten außerdem Vetternwirtschaft, Handlungsunfähigkeit und Unglaubwürdigkeit, Politisierung des Militärs und Betrug vorgeworfen.
Tatsächlich hatte der Präsident in seinem ersten Regierungsjahr beinahe alle hohen Regierungsstellen klientelistisch besetzt. Alleine achtzig Militärs und Ex-Militärs besetzten Ministerien und Regierungsstellen, was aber, wegen der starken Kritik, jetzt im zweiten Regierungsjahr auf ca. die Hälfte reduziert wurde. Mit dieser Besetzung von öffentlichen Ämtern, den Privilegien für den „Militärjahrgang“ des Präsidenten und Ernennungen unter Umgehung der militärischen Laufbahn von Militärs auf höhere Militärgrade spaltete er das Militär selbst. Außerdem führte diese starke (Partei-) Politisierung dazu, dass diese bislang geschätzte Institution in der Öffentlichkeit stark an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat.
Auch wenn der Präsident mittlerweile seine Kommunikation in die Öffentlichkeit stärker zu filtern versteht, so verstrickt er sich doch weiterhin in widersprüchliche öffentliche Erklärungen, die viel Angriffsfläche bieten, ihn noch stärker zu demontieren.
Andererseits wurde auch noch nicht bekannt, dass wenigstens irgendeine erwartete Reform erarbeitet wird. Offensichtlich erwartet der Präsident, dass seine Minister von sich aus die an allen Ecken und Enden herrschende Probleme selbst in Griff bekommen. Kabinettssitzungen finden nur äußerst selten statt. Diese Marginalisierung seines Kabinetts hat selbstherrliche Entscheidungen des Präsidenten zur Folge, die meist kontraproduktiv verlaufen, so dass er anschließend die meisten Entscheidungen wieder zurück nimmt. Der Präsident tanzt sprichwörtlich auf allen internationalen Hochzeiten, nur nicht im eigenen Land. In dem verteilt er zur sozialen Befriedung Schaufeln und Hacken. Wenn der Unmut der Bevölkerung zu groß wird, so werden kurzerhand die Minister- bzw. die Kabinettsmitglieder ausgewechselt. Von 15 Ministerien sind noch ganze drei mit Ministern der ersten Stunde besetzt. Die übrigen 12 Ministerien haben mittlerweile schon 36 Minister gesehen, im Schnitt also drei Minister pro Ministerium seit Anfang 2003. Vergleichsweise findet dieser Wechsel auch in anderen hohen Regierungsstellen statt.
Auf der Suche, dieser Handlungsunfähigkeit des Präsidenten ein Ende durch einen verfassungsgemäßen Rücktritt zu bereiten, wurde aufgedeckt, dass seine Partei nicht deklarierte Wahlspenden von einem Drogenhändler und Wahlplakate in großem Ausmaß von der PT in Mexiko erhielt, die zudem betrügerisch den Zoll passierten. Diese Vorwürfe, die die Partei betrafen, aber nicht den Präsidenten, waren nicht ausreichend, um einen Rücktritt voranzutreiben. So wurde unter den Parteien und auch der indigenen Bewegungen erst mal ein Stillhalteabkommen vor den zwei internationalen Großereignissen, der Miss-Universumwahl im Mai und der Vollversammlung der OAS Anfang Juni, die in Quito stattfanden, vereinbart. Ende Mai schlugen die Wellen aber erneut hoch, als der Ehefrau des engsten Freundes und Sozialministers von Gutiérrez die Einreise in die USA - ohne Kommentar vonseiten der USA - verweigert wurde, was sofort mit Drogengeschäfte und Korruption in Verbindung gebracht wurde. Vor allem die sozialdemokratische ID (Izquierda Democratica) und Pachakutik forderten den sofortigen Rücktritt des Präsidenten. Verhandlungen fanden hinter verschlossenen Türen statt, wobei man sich aber auf keinen neuen Präsidentschaftskandidaten einigen konnte und die Persönlichkeiten, die angesprochen wurden, wie z.B. der frühere Bürgermeister von Quito, nichts von einem Verfassungsbruch wissen wollten. Dem Vizepräsident selbst, wurde die nötige Führungsstärke abgesprochen. Andere Parteien forderten vorgezogene Wahlen wegen „mangelnder Staatsführung“. Auch in den Streitkräften rumorte es bzgl. eines Putsches, was jedoch durch die Spaltung des Militärs verhindert wurde.
Bei der Rückkehr aus Mexiko von dem EU - Lateinamerikagipfel soll der Präsident außerdem die Idee eines „autogolpes“ (Eigenputsch) mitgebracht haben, was die amerikanische Botschafterin aber zu verhindern wusste. Wenigstens wurde ihr diesbezüglich in einem Nebensatz eines Abgeordneten gedankt.
Vor der OAS-Vollversammlung kehrte dann wieder etwas Ruhe in die Politik ein, wobei aber die CONAIE und die marxistisch - kommunistischen Gruppen beschlossen, während der Vollversammlung zu Massendemonstrationen gegen die Regierung aufzurufen, die v.a. regionale Demonstrationen mit anschließendem Sternmarsch auf Quito zur Besetzung der Regierungsinstitutionen sein sollten. CONAIE hat sich aber überschätzt. Der Dachverband, der früher mit Massenmobilisierungen das Land lahm legen, ja selbst einen Präsidenten stürzen konnte, ist seit der kurzen Regierungsbeteilung von Pachakutik in interne Flügelkämpfe involviert. Außerdem verstand der Präsident nach Beendigung des Regierungsbündnisses, einzelne Verbände und die evangelischen Indigenas, die durch FEINE repräsentiert sind, mit materiellen Anreize auf seine Seite zu ziehen. So wurden die regionalen Demonstrationen und Straßensperren nach drei Tagen aufgehoben und die ca. 1000 Indigenas, die sich für drei Tage in Quito aufhielten, richteten nicht aus.
Ecuador hat sich in den letzten Jahren daran gewohnt, seine Präsidenten durch Putsch oder verfassungswidrig abzusetzen. Dabei waren immer die Massenmobilisierungen der indigenen und sozial marginalisierten Bevölkerung ausschlaggebend. Da diese nun aber offensichtlich nicht mehr zustande kommen - die Popularität von Präsident Gutiérrez ist inzwischen niedriger als die der beiden zuvor gestürzten Präsidenten - bedeutet dies, dass das Protestpotential bald in politische Gewalt umschlagen kann. Nicht von ungefähr hat der bolivianische Indigenaführer, Felipe Quispe, vor nicht allzu langer Zeit bei einer Veranstaltung in Ecuador dazu aufgerufen, das soziale, wirtschaftliche und politische Recht notfalls mit Waffen zu erkämpfen.
Außer den geringen makroökonomischen Erfolgen der Regierung Gutiérrez hat sich in Ecuador vieles unter ihr verschlechtert. Die steigende Arbeitslosigkeit und die eingefrorenen Gehälter der öffentlich Bediensteten (die Militärs bekamen den letzten Monat eine Gehaltserhöhung!) haben die Kaufkraft im Land stark verringert. Lt. dem letzten PNUD-Bericht leben mittlerweile 65 % der Haushalte unterhalb der Armutsgrenze. Die jetzige Regierung gibt keinen Anlass zu glauben, dass sich irgendeine, sei es wirtschaftliche, soziale oder politische, Besserung einstellt. So wird sich das Land wohl politisch die nächsten Jahre in einer permanenten Krise befinden, in der eine Amtenthebung oder ein Eigenputsch des Präsidenten nicht auszuschließen ist.