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Präsident Chávez setzt auf das Militär, Opposition beharrt auf Neuwahlen

von Michael Lingenthal
Der Kampf um die politische Macht in Venezuela wird zwischen Opposition und Oficialismo auch an Weihnachten 2002 weitergeführt. Präsident Chávez setzt zum Brechen der Streikfront, besonders im Öl- und Transportsektor, auf militärische Macht. Die Opposition drängt unter internationaler Vermittlung auf schnellstmögliche Neuwahlen. Im Kern geht es um das Überleben der „Bolivarianischen Revolution“ oder um die Rückkehr Venezuelas zu einem westlich geprägten Demokratiemodell.

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In einem sind sich Präsident Chávez und die Opposition einig: die Krise Venezuelas muß so schnell wie möglich gelöst werden. Das ist aber die einzige Übereinstimmung, die es gibt.

Präsident Chávez setzt zur Beendigung des Ölstreiks und der Proteste auf das Militär. Die einstweilige Verfügung - keine Entscheidung in der Hauptsache - zur Arbeitsverpflichtung der Streikenden im Ölsektor, Präsidialdekrete und das neue Streitkräftegesetz geben ihm den „rechtlichen Rahmen“. Ein neugebildetes „Kommando PROMAR“ vereinigt unter Führung des Verteidigungsministers die Streitkräfte und die für diese Form der Krisenlösung wichtigsten Ministerien.

Im Gegensatz zu anderen demokratischen Staaten, wo Krisenkräfte den zivilen Organen unterstellt werden, führt jetzt das Militär die Aktionen. Das Kommando „PROMAR“ soll das „vitale Interesse Venezuelas in der Ölindustrie“ sichern. Die Ölindustrie, so Präsident Chávez, ist einem Angriff internationaler Interessengruppen ausgesetzt. Absicht des Ölstreiks sei letztlich nicht die Lösung nationaler Probleme, sondern den „Ausverkauf der PDVSA an das internationale Kapital“. Venezuela steht demnach in der Gefahr, an das Ausland ausgeliefert zu werden und seine Souveränität zu verlieren.

Mit dieser Argumentationskette versucht Chávez das Militär an sich zu binden und die Vorbehalte gegen seine „Bolivarianische Revolution“ zu überwinden. Der Präsident sucht keine politische Lösung des Konflikts im Konsens mit der Opposition. Mit seinem Kurs ist er auf das Wohlwollen des Militärs angewiesen. Er begibt sich also immer mehr in die Hände des Militärs. Das Militär seinerseits betont seine Rechts- und Verfassungstreue, aber auch seine Bereitschaft die nationalen Interessen durchzusetzen. Der rechtliche Rahmen dafür wird in dem Sinne geschaffen, dass letztlich die „Bolivarianische Revolution“ realisiert werden kann.

Die Opposition fordert immer wieder Rücktritt und Neuwahlen und ist sich dabei im Klaren. dass für Neuwahlen ein Zeitraum von mindestens drei Monaten erforderlich ist. Auch wenn Teile der Opposition, vor allem die Streikführer Carlos Ortega und Carlos Fernández, ihre Sprache immer mehr verschärfen (Herr Diktator), lehnt die Opposition in ihrer Gesamtheit Gewalt und Putsch als Lösung der Krise ab.

Mitten in diese immer wiederholten Bekenntnisse, hat der neue COPEI-Vorsitzende, Eduardo Fernández, der Opposition einen „Bärendienst“ erwiesen. COPEI ist Mitglied der „Coordinadora Democrática“ und daher in alle Vorgänge zum „Zivilen Ungehorsam“, einschließlich der ebenfalls kritisierten Verkehrsblockaden, eingebunden. In einem Zeitungsinterview hat der COPEI-Vorsitzende „bestätigt“, dass es in der Coordinadora einen Teil von Putschbefürwortern gibt.

Auch wenn Mitglieder der Coordinadora diese Aussage in schärfster Form zurückgewiesen haben, hat der „Oficialismo“ jetzt seinen „Kronzeugen“ für die immer wieder vorgetragene Behauptung, dass die Opposition mit ihrer Streikstrategie in Wahrheit eine Putschabsicht hat. Alle weiteren Aussagen von Dr. Fernández zur inzwischen fehlenden Legitimität der Regierung Chávez und zur Lösung der Krise über Wahlen, fallen gegenüber der Aussage zu den Putschkräften im eigenen Lager kaum mehr ins Gewicht.

So fällt es Präsident Chávez leicht, den Versuch der Spaltung der Opposition zu erreichen, indem er erklärt, daß er mit den moderaten Kräften der Coordinadora eine Übereinkunft sucht.

Präsident Chávez verspricht täglich neu, dass der Streik im Ölsektor binnen kurzer Zeit gebrochen und überwunden ist. Die Opposition erklärt das genaue Gegenteil. Noch scheinen die kilometerlangen Schlangen vor Tankstellen, die Rationierung von Haushaltsgas und die internationale Klassifizierung der venezolanischen Ölhäfen als „Sicherheitsrisiko“der Opposition recht zu geben. Wie lange die Opposition aber dem Einsatz militärischer Macht widerstehen kann, ist fraglich.

Noch aber hat die Opposition die Mehrheit des Volkes hinter sich, welches bereit ist, auf die Straße zu gehen. Das Verhältnis zwischen Regierungsanhängern und Opposition beim öffentlichen Protest ist etwa 1 : 10 zu Gunsten der Opposition. Ihre Proteste erreichen zudem alle wichtigen Regionen des Landes. Am 20. Dezember versammelten sich in Caracas über 1,5 Millionen Menschen zum friedlichen Protest und in allen Regionen zusammen noch einmal knapp eine Million dazu. Es ist schon gewaltig, diese „putschende und terroristische“ Menge zu beobachten, wie sie mit ihren „armas largas“ (Waffen mit langem Lauf = Gewehre) operiert, wobei die „armas larges“ ihre Plastikstangen sind, von denen das „Meer von Nationalflaggen“ gehalten wird.

OAS-Mission vor dem Aus?

Hat die Regierung ein ernsthaftes Interesse an den Vermittlungsbemühungen der OAS? Einiges spricht dagegen, nicht nur die Lösungsstrategie mit Hilfe des Militärs (s.o.), sondern auch die Verhandlungsführung bei der OAS-Vermittlung. Letzte Provokation der OAS und der Verhandlungspartner war das Fernbleiben der Regierungsdelegation am Verhandlungstisch am 20. Dezember, als OAS und Oppositionsdelegation mehrere Stunden vergeblich auf das Eintreffen des Oficialismo warteten.

Auch von Präsident Chávez geht keine wirkliche Initiative zu einer friedlichen Lösung aus, trotz aller Massenproteste, denen er sich gegenübersieht. Gegen alle Warnungen des Auslands vor Reisen nach Venezuela sowie gegen den Rückruf ihrer Staatsangehörigen anredend, zelebriert Präsident Chávez die internationale Unterstützung für ihn und seine Regierung. Seien es die „Hilfsangebote“ der OPEC, die „Rückenstärkung“ durch die OAS, die Solidaritätsadresse der Gründen im Europaparlament, die außenpolitische Mission der neuen brasilianischen Regierung Lula. Er sieht sich sicher in seiner Position und will auch gegen die Angriffe des internationalen Kapitals die Schlacht für sich entscheiden.

Venezuela – Krise im normalen demokratischen Rahmen ?

Immer wieder gibt es Anfragen, warum die Opposition jetzt auf Neuwahlen drängt und nicht bis zum Abberufungsreferendum im August 2003 wartet, warum die privaten Medien eine eindeutig parteiische Haltung gegen Präsident Chávez einnehmen, warum der Ölsektor jetzt auch um den Preis des Zusammenbruchs bestreikt wird.

Die Fragen werden vor dem Hintergrund einer „normalen“ demokratischen Auseinandersetzung westlichen Stils gestellt. Diese Rahmenbedingungen existieren aber heute nicht mehr in Venezuela. Vielmehr ist es wichtig und richtig, den Prozess als den zu nehmen, den Präsident Chávez selbst immer erklärt, nämlich als „revolutionären Prozess“.

Hierbei geht es letztlich nicht um Wahlsieger und Wahlverlierer in einer Bundestagswahl, sondern um „Revolution“ und „Konterrevolution“. Für Präsident Chávez hat sich zudem die Konterrevolution mit dem internationalen Kapital verbündet, um das Land zu treffen, in dem eine revolutionäre Gegenbewegung zu Globalisierung und Ungerechtigkeit beginnt, sich erfolgreich zu entfalten.

Noch vor 1 ¾ Jahren war ein Korrespondent einer international angesehenen Zeitung erstaunt, als der Berichterstatter empfahl, Präsident Chávez und seine Revolution mit den Elementen „Gott“, „Volk“ und „Militär“ mit der Komponente der kulturellen Wurzeln sowie dem „Führerprinzip“ (caudillo) doch ernst zu nehmen. „Sie sind der erste, der mir diesen Rat gibt, alle anderen halten die Revolution schon für gescheitert bzw. für „tropical“.

Chávez wird immer noch an seinem Makel gemessen, dass er das Scheitern des Putsches vom 4. Februar 1992 zu verantworten hat. Aus dieser Perspektive heraus wird er von vielen noch immer nicht richtig ernst genommen, sondern abfällig beurteilt. Wenige machen sich die Mühe, seine Ansprachen und „Aló Presidente“ zu verfolgen und zu beurteilen. Vielen reicht dazu die Zeitungszusammenfassung.

Und so wundern sich nicht wenige, dass Chávez sich noch immer auf Militärs stützen kann und Streikwoche für Streikwoche politisch überlebt. Aber wer mehr als 10 Jahre offen in der Armee konspiriert hat, kann so unfähig nicht sein, wie ihm manche unterstellen wollen. Und es bleibt auch die Frage unbeantwortet, warum ein Großteil der Verantwortlichen der 80er und 90er Jahre in Politik und Armee, wissend um Ziele und Ausmaß der Verschwörung, Chávez und seine Mitverschwörer nicht ausschalten wollten oder konnten.

Die Opposition sieht die Gefahr, dass Präsident Chávez auf legalem Weg, durch Dekrete, Gerichtsentscheidungen, Wahlgesetz, Partizipationsgesetz sowie Streitkräftegesetz, seine Macht und die Revolution so absichert, dass es im Rahmen „normaler Demokratienormen“ keinen Weg zurück mehr gibt. Ein Abberufungsreferendum im August, selbst wenn es erfolgreich für die Opposition wäre, würde zu viel Zeitraum für den Oficialismo bedeuten, als dass eine „demokratische Gegenwehr“ nach Meinung der Opposition noch möglich wäre.

Präsident Chávez weiß natürlich um seine Vorteile und um die Furcht der Opposition. Deshalb wird der Entscheidungskampf um die politische Macht in Venezuela in diesem Jahr auch an Weihnachten so energisch geführt. Deshalb wird Venezuela nicht eher zur Ruhe kommen, als bis die Machtfrage geklärt ist.

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23. Dezember 2002
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