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Länderberichte

Putins Vorstellungen von einem starken russischen Staat

von Dr. Marlies Salazar

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Präsident Putin hat am 8. Juli 2000 in seiner langerwarteten Rede zur Lage der Nation vor der Föderalen Versammlung (Staatsduma und Föderationsrat) schonungslos mit den Entwicklungen der vergangenen 10 Jahre abgerechnet und seine Vision eines starken russischen Staates entworfen.

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Ein schweres Erbe

Putin beklagt sich, daß er von Jelzin einen schwachen Staat geerbt hat, in dem staatliche Funktionen von Privatunternehmen und Clans übernommen worden sind. Eine korrupte Bürokratie und eine kriminelle Wirtschaft haben das Bild Rußlands für zu lange Zeit geprägt. Und viel zu lange habe man sich auf fremde Ratschläge, Hilfe und Kredite gestützt, statt sich auf die eigenen Kräfte zu verlassen. Die Last der Staatsschulden stelle eine Bedrohung für die Entwicklung des Staates dar. Die Bedienung der Schulden verschlingt ein Drittel des Staatshaushalts. Rußland ist wirtschaftlich so schwach, daß es sich auf dem Niveau eines Landes der Dritten Welt befindet. Hinzu kommt, daß die Bevölkerung stetig abnimmt, weil zu wenig Kinder geboren werden. Hier vergaß Putin allerdings zu erwähnen, daß diese Tendenz schon seit über 40 Jahren existiert.

Wirtschaftsreformen

Rußland braucht ein Wirtschaftssystem, das konkurrenzfähig, effizient und sozial gerecht ist, das eine stabile politische Entwicklung garantieren kann. Im Zeitalter der Globalisierung und der Informationsrevolution hat Rußland nicht das Recht, diese Entwicklungen zu verschlafen. Die größten Hindernisse für ein Wirtschaftswachstum sind die hohen Steuern, die Willkür der Beamten, die entfesselte Kriminalität. "Wir sind die Opfer eines wirtschaftlichen Modells, das auf populistischer Politik beruhte. Aus unseren Erfahrungen haben wir etwas über die Rolle des Staates in der Wirtschaft gelernt." Der Staat muß in erster Linie die wirtschaftliche Freiheit schützen. Er darf nicht in bestimmte Wirtschaftszweige expandieren, wie das schon der Fall war, und sollte nicht ausgewählte Großunternehmen, sondern die Privatinitiative und das Privateigentum schützen.

Als erstes muß das Recht auf Eigentum geschützt werden, zweitens die Gleichheit der Konkurrenzbedingungen, drittens müssen die Unternehmer vom administrativen Joch befreit werden. Viertens muß die Steuerlast vermindert werden, denn das bisherige Steuersystem hat zu massiven Steuerhinterziehungen und zum Entstehen einer Schattenwirtschaft geführt. Fünftens muß das Bankensystem reformiert werden. Sechstens muß es eine realistische Sozialpolitik geben. Eine Politik des staatlichen Paternalismus ist heute wirtschaftlich nicht mehr möglich. Man muß die überflüssigen sozialen Verpflichtungen kürzen und sich auf das Wesentliche konzentrieren. Angesichts einer alternden Bevölkerung, die von miserablen Renten leben und oft lange auf sie warten muß, ist eine Reform des Rentensystems besonders wichtig. Aber ansonsten sollte nur noch denen geholfen werden, deren Einkünfte unter dem Existenzminimum liegen.

In diesem wirtschaftlich sehr liberalen Teil spürt man ganz deutlich die Handschrift des wirtschaftlichen Beraters des Präsidenten Andrej Iliarionov. Aber kann man eine liberale Wirtschaftsreform mit den Mitteln eine zentralen administrativen Kontrolle durchführen, die Putin doch offensichtlich anstrebt?

Föderalismus und die "vertikale Linie"

Putin klagt darüber, daß er einen "dezentralisierten Staat" vorgefunden habe, mit unterentwickelten föderalen Beziehungen, mit "Inseln der Macht", die untereinander nicht verbunden sind, sich gegenseitig bekämpfen und so die rechtliche und wirtschaftliche Einheit der Russischen Föderation zerstören. In der Tat haben viele "Subjekte der Föderation" eigene Gesetze erlassen, die der föderalen Gesetzgebung widersprechen, haben teilweise die Ausfuhr ihrer Produktion in die Nachbarrepubliken verboten und was anderer Eigenmächtigkeiten mehr sind. Um diesen Eigenmächtigkeiten Einhalt zu gebieten, will Putin eine "Vertikale der Macht" einrichten, in der alles streng von oben nach unten geregelt wird. Um die Kontrolle über die "Subjekte der Föderation"zu sichern, hat er sieben Generalgouverneure eingesetzt, die in ihrer Region die Durchführung der Anweisungen von oben kontrollieren sollen. In welche Richtung das geht, zeigt schon die Tatsache, daß die Mehrheit dieser "Generalgouverneure" aus dem KGB kommen oder ehemalige Generäle sind. Außerdem hat er Gesetzesvorschläge eingebracht, durch die die Macht der Gouverneure und die Zusammensetzung des Föderationsrates geändert werden sollen. Hier ist er übrigens für ihn ganz unerwartet auf heftigen Widerstand vonseiten der Gouverneure gestoßen.

Die "Diktatur des Gesetzes"

Dies ist ein Lieblingsausdruck Putins, der fatal an den alten Ausdruck "Diktatur des Proletariats" erinnert. Vielleicht meint er damit ein effizientes Gesetz, das für alle gilt. Andererseits muß man befürchten , daß die "Diktatur des Gesetzes" durch polizeistaatliche Methoden durchgesetzt wird.

Besondere Probleme hat Putin mit der Pressefreiheit. Obwohl er viele hehre Worte zu diesem Thema äußert, und sagt, daß Zensur und Einmischung in die Aktivitäten der Medien durch das Gesetz verboten sind und daß die Behörden sich strikt an diese Prinzipien halten, so widerspricht doch das Eingreifen der Behörden gegenüber den wenigen unabhängigen Medien diesen Aussagen. Der größte Teil der Medien wird sowieso vom Staat kontrolliert , und so mutet es etwas seltsam an, wenn der Generalgouverneur für den Nordwesten Cherkessov davon spricht, ein Regierungsfernsehen für den Nordwesten zu schaffen, damit man einen "einheitlichen Informationsraum" hat. Man tendiert zur Gleichschaltung der Medien, denn Putin empfindet jede Kritik an sich selbst oder an seiner Regierung als Angriff auf den Staat. "L`etat c`est moi" scheint seine Devise zu sein.

Außenpolitische Herausforderungen

Putin träumt von der Wiedergeburt Rußlands als Großmacht. Diese Rhetorik kommt gut an bei einem großen Teil der Bevölkerung und der politischen Elite, die noch nicht das Auseinanderbrechen der Sowjetunion verkraftet hat. Er beschwört eine äußere Bedrohung Rußlands durch Kräfte, die die Welt geopolitisch verändern wollen. Er spricht von Angriffen auf souveräne Staaten unter dem Vorwand von "Humanitären Aktionen" und von der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus. Rußlands staatliche Souveränität und territoriale Integrität seien bedroht. Er beklagt sich darüber, daß es schwierig sei, eine gemeinsame Sprache zu finden. Vielleicht sucht er deswegen jetzt Verständnis und Unterstützung bei so bewährten "Demokratien" wie der Volksrepublik China und Nordkorea.

Es ist übrigens bemerkenswert, daß in seiner Rede nicht einmal die Begriffe "Demokratie", "Menschenrechte" oder "Europa" vorkommen.

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Claudia Crawford

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