Länderberichte
I. Die Belgische EU-Präsidentschaft – Schwieriger Weg nach Laeken
Trotz einiger unerledigt gebliebener Dossiers konnte die mit Ende des Jahres 2001 ausgelaufene belgische EU-Ratspräsidentschaft belegen, daß erfolgreiche und zukunftsweisende Europapolitik nicht unbedingt in einer direkten Korrelation mit der Größe des sie betreibenden Staates stehen muß. Mit der Erklärung von Laeken gelang den Belgiern nach einer äußerst ereignisreichen Präsidentschaft, die von diplomatischen "Ausrutschern" nicht ganz verschont blieb, ein versöhnlicher und zukunftsweisender Abschluß, welcher der vielgerühmten französischen Diplomatie im Jahr zuvor, auch durch eigenes verschulden, in Nizza verwehrt blieb.
Viele Diplomaten zeigten sich erstaunt darüber, wie schnell und elegant es der belgischen Verhandlungsführung gelungen war, ein so ehrgeiziges Dokument wie die Erklärung von Laeken durchzusetzen. Die Erklärung von Laeken beinhaltet ein sehr breites Mandat für den Konvent zur Vorbereitung der nächsten Regierungskonferenz. Die noch bei der Einberufung des Konvents herrschende Harmonie, die der belgische Gastgeber –Premierminister Guy Verhofstadt- auch in den Abschluß des Treffens retten wollte, war allerdings schnell verflogen und mündete in einem kleinen Eklat: Italiens Premierminister Silvio Berlusconi verließ wutentbrannt den Saal, nachdem die neue Lebensmittelagentur nicht, wie von ihm verlangt, und nach seinem Einlenken beim europäischen Haftbefehl erhofft, in Parma angesiedelt werden soll. Die Agentur sollte nach einem Vorschlag Verhofstadts nach Helsinki vergeben werden. Um eine Einigung zu ermöglichen, die möglichst vielen Wünschen gerecht werden sollte, hatte der Belgier eine ganze Liste mit EU-Behörden zusammengestellt, die in die verschiedenen Länder vergeben werden sollten – einige dieser Behörden existieren bisher allerdings nur auf dem Papier. Frankreich beansprucht die neue Seeschiffahrtsbehörde, für die sich auch Portugal bewirbt. Der belgische Ministerpräsident und amtierende Ratsvorsitzende, Verhofstadt, zog daraufhin das Paket für die Standorte aller neuen EU-Behörden komplett zurück.
1. Einschätzung der Ergebnisse
Die belgische Regierung legte am 2. Mai 2001 eine Liste mit sechzehn Prioritäten für den belgischen Ratsvorsitz vor. Von vielen Beobachtern wurde der Föderalstaat ob dieser ehrgeizigen Agenda mit einigem Sarkasmus bedacht: zu ambitiös schien dieser selbstauferlegte Arbeitsauftrag zu sein, zu viele verschiedene Themenbereiche sollten in Angriff genommen werden. Insbesondere definierte der belgische Vorsitz sechs sogenannte "Kraftlinien", die richtungsweisend für die politische Arbeit sein sollten:
- Die Vertiefung der Debatte über die Zukunft Europas;
- Die Verbesserung der Arbeitsqualität, die Förderung der Chancengleichheit und die Bekämpfung der Armut und des sozialen Ausschlusses;
- Die Förderung eines dauerhaften Wirtschaftswachstums und einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik;
- Die Schaffung eines europäischen Raums für Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit;
- Die Förderung der dauerhaften Entwicklung und der Lebensqualität;
- Die Erweiterung und die Verstärkung der externen Dimension der Europäischen Union.
Bei den internen Politikbereichen stach selbstverständlich die politische Begleitung der Euro-Einführung hervor, welche den Belgiern terminlich in den Schoß fiel. Diese konnte, dank einer langen Vorbereitungsphase, auch souverän durchgeführt werden. Am 1. Januar 2002 wurde der Euro für die Bürger in den elf Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe eine greifbare Realität. Die - von kleineren Verzögerungen in Italien abgesehen - reibungslose Umstellung der Währungen ist nicht zuletzt der politischen Koordination der in den Mitgliedstaaten parallel verlaufenden Maßnahmen zu verdanken.
Unter dem Motto, "Die Europäische Union muß Antworten auf die aktuellen und künftigen Herausforderungen finden", widmete sich der belgische Vorsitz so verschiedenen Politikfeldern wie Arbeitsqualität, Gleichbehandlung, sozialer Integration, Altersversorgung, Nachhaltiger Entwicklung und dem Gemeinschaftspatent. Hier konnten in den meisten Bereichen Fortschritte erzielt werden, auch wenn das Gesetz über ein Gemeinschaftspatent letztendlich primär daran scheiterte, in welchen Amtssprachen der europäische Patentschutz zu verfassen sei – eine Problematik, die gerade den Belgiern, einem Volk mit drei offiziellen Landessprachen, geläufig sein sollte. Auch das europäische Prestigeprojekt "Galileo", ein satellitengestütztes Navigationssystem, ist nach langen Planungen, mangels Zahlungswilligkeit, erst einmal auf Eis gelegt worden.
Bei der Fortsetzung der Erweiterungsverhandlungen kann die belgische Ratspräsidentschaft auf beeindruckende Erfolge verweisen. Vierzig Verhandlungskapitel wurden abgeschlossen, fünfzehn konnten neu eröffnet werden. Die Europäische Kommission konnte im November 2001 die erfreuliche Mitteilung herausgeben, daß bei gleichbleibendem Tempo der in den Kandidatenländern durchgeführten Reformen und bei anhaltender Verhandlungsgeschwindigkeit, zehn Staaten – Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern – in der Lage sein werden, die Verhandlungen bis Ende 2002 fristgerecht abzuschließen. Lediglich Bulgarien und Rumänien sollen zur weiteren Heranführung an die Union eine spezielle Hilfestellung erhalten.
Verhandlungsstand am 15. Januar 2002 | ||||||
Verhandlungskapitel | Polen | Ungarn | Tschechien | Estland | Slowenien | Zypern |
1. Freier Warenverkehr | + | + | + | + | + | + |
2. Freier Personenverkehr | + | + | + | O | + | + |
3. Freier Dienstleistungsverkehr | + | + | + | + | + | + |
4. Freier Kapitalverkehr | O | + | + | + | + | + |
5. Gesellschaftsrecht | + | + | + | + | + | + |
6. Wettbewerbspolitik | O | O | O | + | + | O |
7. Landwirtschaft | O | O | O | O | O | O |
8. Fischerei | O | + | + | + | + | + |
9. Verkehr | O | + | O | O | + | + |
10. Steuern | O | + | + | O | + | O |
11. WWU | + | + | + | + | + | + |
12. Statistik | + | + | + | + | + | + |
13. Soziales/Beschäftigung | + | + | + | + | + | + |
14. Energie | + | + | + | O | + | + |
15. Industriepolitik | + | + | + | + | + | + |
16. Kleine und mittlere Unternehmen | + | + | + | + | + | + |
17. Wissenschaft/Forschung | + | + | + | + | + | + |
18. Bildung/Ausbildung | + | + | + | + | + | + |
19. Telekommunikation | + | + | + | + | + | + |
20. Kultur/Audiovisuelles | + | O | + | + | + | + |
21. Regionalpolitik | O | O | O | O | O | O |
22. Umwelt | + | + | + | + | + | + |
23. Verbraucher-/Gesundheitsschutz | + | + | + | + | + | + |
24. Justiz/Inneres | O | + | + | O | + | + |
25. Zollunion | + | + | + | O | + | + |
26. Außenbeziehungen | + | + | + | + | + | + |
27. GASP | + | + | + | + | + | + |
28. Finanzkontrolle | + | + | + | + | + | + |
29. Haushalt | O | O | O | O | O | O |
30. Institutionen | - | - | - | - | - | - |
31. Verschiedenes | - | - | - | - | - | - |
Kapitel eröffnet | 29 | 29 | 29 | 29 | 29 | 29 |
Kapitel geschlossen | 20 | 24 | 24 | 20 | 26 | 24 |
+ = Verhandlungen vorläufig abgeschlossen
O = Verhandlungen eröffnet
- = Verhandlungen noch nicht eröffnet
Verhandlungsstand am 15. Januar 2002 | ||||||
Verhandlungskapitel | Lettland | Litauen | Slowakei | Rumänien | Bulgarien | Malta |
1. Freier Warenverkehr | + | + | + | - | O | + |
2. Freier Personenverkehr | + | + | + | - | O | + |
3. Freier Dienstleistungsverkehr | + | + | + | - | + | + |
4. Freier Kapitalverkehr | + | + | + | - | + | + |
5. Gesellschaftsrecht | + | + | + | + | + | + |
6. Wettbewerbspolitik | + | + | O | O | O | O |
7. Landwirtschaft | - | - | - | - | - | - |
8. Fischerei | + | + | + | + | + | O |
9. Verkehr | + | + | + | - | O | + |
10. Steuern | O | O | - | O | O | - |
11. WWU | + | + | + | - | - | + |
12. Statistik | + | + | + | + | + | + |
13. Soziales/Beschäftigung | + | + | + | O | O | + |
14. Energie | + | - | + | - | O | + |
15. Industriepolitik | + | + | + | - | + | + |
16. Kleine und mittlere Unternehmen | + | + | + | + | + | + |
17. Wissenschaft/Forschung | + | + | + | + | + | + |
18. Bildung/Ausbildung | + | + | + | + | + | + |
19. Telekommunikation | O | + | + | O | + | + |
20. Kultur/Audiovisuelles | + | + | + | O | + | + |
21. Regionalpolitik | O | O | O | - | O | O |
22. Umwelt | + | + | + | - | O | - |
23. Verbraucher-/Gesundheitsschutz | + | + | + | + | + | + |
24. Justiz/Inneres | O | O | O | - | O | O |
25. Zollunion | + | + | + | O | O | - |
26. Außenbeziehungen | + | + | + | + | + | + |
27. GASP | + | + | + | + | + | + |
28. Finanzkontrolle | + | + | - | - | O | + |
29. Haushalt | O | O | O | - | O | O< /td> |
30. Institutionen | - | - | - | - | - | - |
31. Verschiedenes | - | - | - | - | - | - |
Kapitel eröffnet | 28 | 27 | 26 | 15 | 27 | 28 |
Kapitel geschlossen | 23 | 23 | 22 | 9 | 14 | 20 |
Quelle: Uniting Europe, No. 170, 14. Januar 2002, S. 8f
Der externen Dimension der belgischen Ratspräsidentschaft kam durch die Geschehnisse des 11. September 2001 eine unerwartete Bedeutung sowie eine nicht zu unterschätzende Brisanz zu. Die Terroranschläge in den Vereinigten Staaten wurden zum alles beherrschenden Ereignis der letzten sechs Monate und änderten mit einem Schlag auch die außenpolitische Agenda des belgischen Premiers Guy Verhofstadt und seines wortgewaltigenAußenministers, Louis Michel. Die EU reagierte ungewöhnlich schnell und stellte innerhalb von zehn Tagen einen Katalog von 68 Einzelmaßnahmen zusammen, welche die Dossiers Finanz-, Wirtschafts-, Verkehrs-, Innen- und Justizpolitik umfassen. Ein Großteil dieser Maßnahmen, welche den europäischen Haftbefehl, eine gemeinsame Definition strafbarer Terrorakte, eine gemeinsame Liste über terroristische Organisationen, die engere Zusammenarbeit der europäischen Nachrichtendienste und die Übertragung einer wichtigeren Rolle an Europol beinhalten, wurde bereits während desbelgischen Vorsitzes abgearbeitet. Zu einer undankbaren Aufgabe geriet die Außenvertretung der Union, welche sich die beiden belgischen Amtsinhaber mit dem Hohen Beauftragten für die gemeinsame Außenpolitik, Javier Solana, teilten. Die offen zur Schau getragene, rein bilateral abgestimmte nationale Krisenpolitik der drei großen Unionsmitglieder, Großbritannien, Frankreich und Deutschland, sorgte allerdings demgegenüber bei den anderen EU-Regierungen für Verstimmung. Auch ließ dieses Gebaren die, nicht zuletzt von der deutschen Bundesregierung regelmäßig vorgetragenen, wortreichen Erklärungen zu einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), verstärkt durch eine schlagkräftige Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), im harten Schlaglicht der sicherheitspolitischen Realität als das erscheinen, was sie sind: Sonntagsreden zu einer europäischen Idee, deren Zeit eigentlich schonlängst gekommen ist, zu deren Realisierung den maßgeblichen Regierungen – hier muß leider noch einmal ausdrücklich die deutsche Regierung erwähnt werden - jedoch der politische Gestaltungswille und der finanzielle Durchsetzungswille fehlen. Für die EU hätte sich die Situation nach dem 11. September als Chance dargeboten, ein Beispiel für eine koordinierte und wirksame Außenpolitik zu präsentieren. Statt dessen konnte man einen unrühmlichen Wettlauf nach Washington zwischen Blair, Chirac und Schröder miterleben, die sich bei den Vereinigten Staaten mit (von Großbritannien abgesehen) voreiligen und unerwünschten (weil nicht benötigten) militärischen Hilfsangeboten vorstellten.
Darüber hinaus wurde die mangelnde Koordination der europäischen Außenpolitik noch exemplarisch zur Schau gestellt, als der belgische Außenminister den Medien am ersten Tag des Gipfels von Laeken eine gesamteuropäische EU-Interventionstruppe für Afghanistan, unter Beteiligung aller Mitgliedstaaten, verkündete, nur um von seinen Kollegen (nicht zuletzt vom britischen Außenminister) umgehend dahingehend berichtigt zu werden, daß es sich ausschließlich um eine internationale UN-Truppe, unter britischerFührung, handele.
Die Verkündung der Operationalität der schon länger geplanten Schnellen Europäischen Eingreiftruppe, die ab dem Jahre 2003 imstande ist, ca. 60.000 Soldaten innerhalb von drei Monaten für ein Jahr lang in jedem Einsatzgebiet der Welt zu unterhalten, konnte nur eingeschränkt festgestellt werden. Aufgrund mangelnder militärischer Zuwendungen der Mitgliedstaaten und aufgrund der Rivalität zwischen Griechenland und der Türkei, die ein Abkommen der EU mit der NATO, von der sich die EU militärische Mittel und Kapazitäten "ausleihen" möchte, erschweren, wird sich dieser Zustand wohl auch nicht kurzfristig ändern lassen.
Was bleibt, ist die Hoffnung, daß dieses die letzten noch benötigten Lektionen auf dem Weg zu der Einsicht sind, daß Europa es endlich bewerkstelligen muß, auf internationaler Ebene auch politisch und sicherheitspolitisch mit einer klaren, und somit auch dem wirtschaftlichen Gewicht angemessen, einflußreichen Stimme zu sprechen.
2. Die Erklärung von Laeken
In der Erklärung von Laeken haben die europäischen Staats- und Regierungschefs ein äußerst breit angelegtes und ehrgeiziges Reformwerk angestoßen, welches fast sämtliche Politiken und Strukturen der Union einschließt. In der Erklärung heißt es zu recht, die Union stünde "an einem Scheideweg, einem entscheidenden Moment ihrer Geschichte". Mit der Erweiterung schickt sich die EU an, eines der dunkelsten Kapitel der europäischen Geschichte, die künstliche Teilung Europas, endlich hinter sich zu lassen. Der externen Herausforderung der Union, in Form von Erweiterung und mangelnder außenpolitischer Gestaltungsfähigkeit, steht die interne Herausforderung des Mangels an Effizienz und Transparenz gegenüber.
Mit der Erklärung von Laeken wurde ein Prozeß in Gang gesetzt, der zur Schaffung einer europäischen Verfassung, zur direkten Wahl eines Präsidenten der Europäischen Kommission, zu öffentlichen Sitzungen des EU-Ministerrats und zu direkten Einflußmöglichkeiten nationaler Parlamente auf EU-Ebene führen könnte. Es werden mehr als 50 detaillierte Fragen an die Zukunft der Europäischen Union gestellt, deren Beantwortung sich der "Konvent" widmen soll. Darunter befinden sich auch so politisch sensitive Aspekte wie die Einschränkung der Vetorechte der Mitgliedstaaten (und damit die Ausweitung der Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit), der zukünftige Aufbau der Europäischen Kommission und die mögliche Zusammenlegung der Positionen des Hohen Beauftragten für die Gemeinsame Außenpolitik und des Kommissarsfür Außenbeziehungen.
In den Zielsetzungen der Erklärung von Laeken werden erstaunlich integrationistische Töne angeschlagen. Zwar wird eine Neubewertung der Kompetenzverteilung innerhalb der Union eingefordert; es soll geklärt werden, welche neuen Gestaltungsmöglichkeiten auf die EU-Ebene verlegt werden, und welche von der EU auf die nationale Ebene rückübertragen werden sollen. Die spezifischen Ansprüche weisen jedoch auf eine stärkere und engere Union hin: eine kohärentere Gemeinsame Außenpolitik; ein weiterer Spielraum für die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik; weitere Integration bei derInneren Sicherheit; Ausbau der Koordination in der Wirtschaftspolitik, sowie intensivere Zusammenarbeit in den Ressorts Sozial-, Umwelt-, Gesundheitspolitik und Verbraucherschutz. Dieser Katalog wird noch mit den Forderungen nach Institutionen, welche effektiver, transparenter und besser demokratisch legitimiert sein sollen, abgerundet. Der Konvent kann sich somit über einen Mangel an Aufgaben wahrlich nicht beklagen!
3. Der Konvent
Der Konvent ist dem ersten EU-Gremium dieser Art nachgebildet, das im vergangenen Jahr unter dem Vorsitz des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Herzog eine Charta der europäischen Grundrechte ausgearbeitet hat. Diesem zweiten Konvent werden dreißig Vertreter der nationalen Parlamente, sechzehn Delegierte des Europäischen Parlaments,fünfzehn Entsandte der Regierungen sowie zwei EU-Kommissare angehören. Ferner werden Vertreter der Beitrittskandidaten als "aktive Beobachter", jedoch ohne Stimmrecht, den Beratungen des Konvents folgen können. "Ein Verfassungsentwurf, der diesen Namen verdient, wäre das ideale Ergebnis", sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder vor Journalisten.
Die Beratungen des Konvents, der seine Arbeit am 28. Februar 2002 aufnehmen soll, werden sich voraussichtlich in zwei Phasen gliedern. In der ersten Phase, welche ungefähr bis Oktober 2002 andauern soll, wird eine Problemanalyse erfolgen, auf die in der zweiten Phase, die nach Brüsseler Expertenmeinung schon im Juni 2003 abgeschlossen sein könnte, die Erstellung des Berichts folgt. Dieser könne auf dem Europäischen Gipfel im Juli 2003 präsentiert und, nach der Sommerpause, von der anschließenden Regierungskonferenz beraten werden.
Mit dem Ziel einer umfassenden Grunderneuerung der Europäischen Union setzten die Regierungschefs auf einen prominenten Repräsentanten der europäischen Vergangenheit: Der 75-jährige französische Ex-Staatspräsident Valéry Giscard D’Estaing soll dem Konvent vorsitzen, der ab kommenden März Vorschläge für eine grundlegende Reform erarbeiten soll. Ihm an die Seite wurden mit den früheren Regierungschefs Belgiens und Italiens, Jean-Luc Dehaene und Guiliano Amato, zwei weitere Politiker gestellt, deren breite europapolitische Erfahrung ebenfalls aus den Zeiten einer hinter verschlossenen Türen operierenden Union stammt. Alle drei seien "wegen ihrer europapolitischen Visionen" ausgewählt worden, versicherte der belgische Gipfelgastgeber Guy Verhofstadt.
Mangelnde Visionskraft läßt sich dem Trio um Giscard D’Estaing kaum vorwerfen. Der 75-jährige Franzose zählt zu den Vätern der Europäischen Einigung. Er gilt als europaerfahren und durchsetzungsfähig genug, um den 15 Staats- und Regierungschefs pragmatische Lösungsvorschläge für ihr Dilemma an die Hand zu geben. Es wird den EU-Spitzen schwer fallen, sich an den Ergebnissen, die der Konvents präsentieren wird, vorbeizulavieren. Bereits zu diesem Zeitpunkt werden auch die ersten Beitrittskandidaten kräftig an die Tür des europäischen Hauses klopfen. Den großen Worten müssen dann endlich Taten folgen. Davon ist die Gemeinschaft aber de facto zur Zeit noch weitentfernt.