Länderberichte
Diese Entwicklung ist für die BJP insofern besorgniserregend, da mehrere Regionalparteien, darunter auch Verbündete, ihren Siegeszug der letzten Jahre als zunehmende Bedrohung für die eigene Existenz sehen und eine Aufkündigung des Bündnisses in Betracht ziehen.
Seitdem Modi bei den Parlamentswahlen 2014 mit der BJP einen deutlichen Sieg erringen konnte, hat die Partei auch die meisten der folgenden Wahlen auf Bundesstaatsebene für sich entscheiden können. Die indische Presse betitelt dieses Phänomen aufgrund der hellorangen Parteifarbe der BJP als „Saffron Surge“ (Safran-Welle). Während die BJP 2014 lediglich in fünf Bundesstaaten an der Regierung beteiligt war, der INC in 13 und die restlichen Bundesstaaten durch Regionalparteien regiert wurden, ist mittlerweile ein deutlicher Wandel zu beobachten. 2018 ist Modis BJP in 20 von 29 Bundesstaaten an der Regierung beteiligt, während die Kongresspartei lediglich noch in vier Staaten in der Regierungsverantwortung ist. Die Veränderungen in den Bundesstaaten haben dabei auch Einfluss auf die nationale Ebene, da die Mitglieder der zweiten Kammer des indischen Parlaments, der Rajya Sabha, durch die Mitglieder der Parlamente der Bundesstaaten gewählt werden. Sowohl der Kongress als auch die Regionalparteien haben also seit 2014 sowohl auf nationaler Ebene als auch auf der Ebene der Bundesstaaten beträchtlich an Einfluss und Bedeutung verloren.
Rolle der Rajya Sabha
Die Rajya Sabha – ähnlich wie der Bundesrat – ist die Vertretung der Bundesstaaten auf nationaler Ebene. Entsprechend dem Bevölkerungsanteil der Bundestaaten wählen deren Parlamente 233 Repräsentanten in die zweite Parlamentskammer. Darüber hinaus werden vom indischen Präsidenten weitere zwölf Mitglieder für die Rajya Sabha nominiert, die sich in Bereichen wie Kunst, Wissenschaft oder Sport um ihr Land verdient gemacht haben. Die Amtszeit der Abgeordneten beträgt sechs Jahre und alle zwei Jahre werden rund ein Drittel der Mitglieder der Rajya Sabha neu gewählt. Bedeutung erlangt die zweite Parlamentskammer dadurch, dass Verfassungsänderungen nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit in der zweiten Kammer möglich sind. Darüber hinaus wirkt sie auch bei der regulären Gesetzgebung mit. Sie kann in wichtigen Fragen Initiativen der Regierungsmehrheit in der Lok Sabha, der ersten Parlamentskammer, blockieren. Dies wurde jüngst bei der sogenannten „Triple-Talaq-Bill“ deutlich. Der von der Regierung initiierte Gesetzesentwurf zur Kriminalisierung einer Praxis aus dem islamischen Scheidungsrecht wurde von einer Mehrheit in der Rajya Sabha abgelehnt und damit nicht umgesetzt.
Bedeutung der Rajya Sabha-Wahlen
Bereits im Vorhinein war abzusehen, dass sich das Machtgefüge in der zweiten Kammer durch die Wahlen nicht wesentlich verändern würde, da sich der Wandel in der politischen Landschaft der Bundesstaaten aufgrund des rollenden Wahlverfahrens erst nach und nach in der Rajya Sabha wiederspiegelt. Die BJP verfügte vor den Wahlen über rund 23 Prozent der Sitze und kam selbst mit ihren in der National Democratic Alliance (NDA) verbündeten Parteien lediglich auf rund 31 Prozent. Die Erlangung der Mehrheit in der zweiten Kammer war bei den Wahlen bereits aufgrund der Zusammensetzung der Parlamente der Bundesstaaten ausgeschlossen. Die Kongresspartei und die vor allem auf Ebene der Bundesstaaten einflussreichen regionalen Parteien würden somit auch nach den Wahlen über eine deutliche Mehrheit in der Rajya Sabha verfügen und damit über die Möglichkeit, wichtige Gesetzesinitiativen der Lok Sabha zu blockieren. Das zeigt, dass die kleineren regionalen Parteien neben den beiden großen Parteien INC und BJP nicht nur auf bundesstaatlicher Ebene über großen Einfluss verfügen, sondern auch auf der nationalen Ebene. Die Möglichkeit Gesetzesinitiativen zu blockieren wurde jedoch nur bedingt in Anspruch genommen. So konnte die BJP auf nationaler Ebene bereits zwei wesentliche Reformprojekte verabschieden, weil auch der INC in der Rajya Sabha die Gesetzesentwürfe unterstützte und sich somit als verantwortungsvolle Oppositionspartei erwies. Dazu gehörten eine Änderung des Versicherungsgesetzes 2015 und die 2017 in Kraft getretene Goods and Services Tax (GST), eine Reform der Steuer für Güter und Dienstleistungen, die der deutschen Mehrwertsteuer ähnelt und ebenfalls von einem Teil der Regionalparteien unterstützt wurde.
Die Wahlen in den Bundesstaaten
Bei den Rajya Sabha-Wahlen am 15. und 23. März galt es, 59 Sitze aus 16 Bundestaaten neu zu besetzen. Die gewählten Mitglieder zogen am zweiten April in die Parlamentskammer ein. In lediglich sieben Staaten wurden Wahlen mit Gegenkandidaten durchgeführt. In den restlichen Staaten traten die Kandidaten ohne Konkurrenz an, da eine Gegenkandidatur nicht erfolgsversprechend erschien. Wahlen mit Gegenkandidaten fanden in Uttar Pradesh, Westbengalen, Kerala, Karnataka, Jharkhand, Chhattisgarh sowie in Telangana statt. Besonderheiten bei den Wahlen ergaben sich vor allem in Uttar Pradesh, Karnataka und Jharkahnd, da sich dort Kandidaten durchsetzen konnten, die im Vorfeld nicht über die erforderlichen Stimmen verfügten und von Überläufern anderer Parteien profitierten.
Im bevölkerungsreichsten Bundesstaat Uttar Pradesh stand die Neuwahl von zehn Mitgliedern für die Rajya Sabha an. Sechs Abgeordnete hatte bisher die Samajwadi Party (SP) und zwei die Bahujan Samaj Party (BSP) entsendet, die auch gemeinsam bis 2017 den Bundesstaat regiert hatten. Jeweils einen Abgeordneten hatten INC und BJP entsendet. Durch ihren Erdrutschsieg bei den Bundesstaatswahlen 2017 hatte die BJP bei den Rajya Sabha-Wahlen 2018 mindestens acht Sitze sicher. Sie stellte jedoch neun Kandidaten auf, während SP und BSP jeweils einen Kandidaten nominierten. Dementsprechend musste eine Wahl abgehalten werden, bei der sich der Kandidat der Minderheitenpartei BSP nicht durchsetzen konnte, da einige der BSP-Parlamentarier nicht für den eigenen, sondern für den Kandidaten der BJP stimmten.
Aus Karnataka wurden vier Sitze in der zweiten Parlamentskammer frei. Während die BJP von zwei auf einen Sitz zurückfiel, konnte der INC, der zuvor einen Abgeordneten stellte, nun drei Abgeordnete in die Rajya Sabha entsenden. Obwohl die regional vertretene Janata Dal (Secular) (JD(S)) einen eigenen Kandidaten aufstellte, wurde dieser nicht von all ihren Abgeordneten gewählt. Sieben Parlamentarier der JD(S) hatten angekündigt, zum Kongress überzulaufen und verhalfen damit dessen dritten Bewerber zu seinem Einzug in die Rajya Sabha.
In Jharkhand konnten die BJP und der INC jeweils einen Sitz gewinnen. Zuvor hatten die Kongresspartei und Jharkhand Mukti Morcha (JMM) jeweils einen Rajya Sabha-Abgeordneten gestellt. Zunächst sah es so aus, dass aufgrund von Überläufern auch ein zweiter Kandidat der BJP gewählt werden würde. Jedoch erklärte die Wahlkommission zwei Stimmen für ungültig, woraufhin der Kandidat des INC gewählt wurde.
In den restlichen zehn Bundestaaten fand die Wahl der Abgeordneten mit Einstimmigkeit im Parlament statt. Größere Verschiebungen ergaben sich dabei in den Bundesstaaten Bihar, Gujarat, Maharashtra und Rajasthan. In Bihar verloren die BJP und die mit ihr verbündete JD(U) drei ihrer sechs Abgeordneten, wovon einer an den INC und zwei an die Rashtriya Janata Dal (RJD) gingen. Zwei von vier Sitzen verlor die BJP an den Kongress in Gujarat. In Maharashtra gewann die BJP einen Sitz vom INC und einen von der Nationalist Congress Party (NCP). Die BJP konnte damit drei Abgeordnete nach Neu-Delhi schicken, der INC einen. Jeweils ein Mandat ging an die NCP und Shiv Sena (SS). Zwei weitere Sitze nahm die BJP der Kongresspartei in Rajasthan ab und kann damit ebenfalls alle drei zur Wahl stehenden Abgeordneten stellen.
Verschiebungen in der Rajya Sabha
Insgesamt konnte die BJP ihren Anteil von 58 auf 69 Sitze erweitern und mit den verbündeten Parteien der NDA stellt sie nun 35 Prozent der Abgeordneten. Die Kongresspartei verliert vier Sitze und stellt künftig 51 Abgeordnete in der Rajya Sabha. Ihr Parteienbündnis, die United Progressive Alliance (UPA), kommt damit insgesamt auf 57 Abgeordnete, was rund 23 Prozent der Sitze in der Rajya Sabha entspricht. Die kleineren Regionalparteien kontrollieren jedoch gemeinsam 42 Prozent der Sitze. Damit haben sie im Bündnis mit dem Kongress weiterhin die Möglichkeit, Gesetzesinitiativen aus der Lok Sabha zu blockieren. Auch bei dieser Wahl ist das Phänomen von politischen Überläufern wieder deutlich zu Tage getreten. In Uttar Pradesh war lediglich einen Monat vor den Wahlen der Abgeordnete Naresh Agrawal von der SP zur BJP übergelaufen, kurz nachdem er von seiner Partei nicht als Kandidat für die Rajya Sabha aufgestellt wurde. Auch früher schon verließen hochrangige indische Politiker ihre Partei und liefen zu konkurrierenden Parteien über. Dazu gehören Satpal Maharaj, ehemals führender Politiker des INC in Uttarakhand, welcher 2014 zur BJP wechselte oder auch B.S. Anand Singh, ein ehemaliger Minister aus dem Bundestaat Karnataka, welcher in umgekehrter Richtung seine Parteizugehörigkeit tauschte.
Zerbricht die NDA?
Die leichten Verschiebungen bei der Zusammensetzung der Rajya Sabha nach den Wahlen 2018 spiegeln einen größeren Trend wider als auf den ersten Blick deutlich wird. Dies liegt am zuvor beschriebenen rollenden Wahlverfahren, durch das sich die Erfolge der BJP auf Ebene der Bundesstaaten erst zeitlich versetzt in der Rajya Sabha widerspiegeln. In den nächsten 16 Monaten werden weitere 45 Rajya Sabha-Mandate in Bundestaaten neu vergeben, in denen die BJP derzeit regiert. Es ist daher zu erwarten, dass die NDA einer absoluten Mehrheit von 123 Abgeordneten im Oberhaus nahe kommt.
Die aktuellen Wahlergebnisse deuten auf einen weiter anhaltenden Ausbau an Einfluss der BJP und der von ihr geführten NDA auf Ebene der Rajya Sbaha hin, wodurch sich die Zeichen mehren, dass Narendra Modi im Frühling 2019 als Premierminister im Amt bestätigt werden könnte. Dieser Trend muss sich jedoch nicht bis zu den Wahlen für die Lok Sabha 2019 fortsetzen. Seit Beginn von Modis erster Amtszeit haben bereits sechs Parteien die NDA verlassen. Schon 2014 spaltete sich der Haryana Janhit Congress (BL) von der NDA ab, um mit der Kongresspartei gemeinsam in lokalen Wahlen anzutreten. Noch im selben Jahr verließ auch die Marumalarchi Dravida Munnetra Kazhagam (MDMK) die NDA unter dem Vorwurf, die BJP-Regierung in Tamil Nadu würde die Interessen der Tamilen nicht vertreten. In Kerala beendete die Revolutionary Socialist Party of Kerala (Bolshevik) (RSP(B)) 2016 ihre Mitgliedschaft in der NDA, um mit der Kongresspartei gemeinsam bei den Wahlen anzutreten. Erneut in Tamil Nadu verließ 2016 auch die Desiya Murpokku Dravida Kazhagam (DMDK) die NDA, um sich der People's Welfare Front für Wahlen anzuschließen. In Maharashtra kündigte 2017 Raju Shetty mit seiner Partei Swabhimani Paksha (SWP) das Bündnis auf, nachdem er der BJP vorwarf, Modis Regierung hätte ein „Anti-Bauern-Regime“ etabliert. Zuletzt verlor die NDA im März 2018 zudem die Unterstützung der TDP, einer einflussreichen Regionalpartei aus Andhra Pradesh und Telangana. Ihr Anführer Chandrababu Naidu beschwerte sich, Premierminister Modi und seine BJP würden sich nicht um die Interessen ihrer Partner kümmern, sodass diese im Kampf um ihre Rechte im Parlament ganz auf sich allein gestellt seien. Mit dem Ausscheiden der TDP verliert die NDA in der Rajya Sabha sechs Sitze, welches den Erfolg der BJP bei den Wahlen 2018 deutlich schmälert. Zusätzlich haben auch andere Parteien wie Shiv Sena in Maharashtra sich in der Vergangenheit unzufrieden mit der BJP gezeigt. Das ist vor allem damit zu erklären, dass Juniorpartner in Koalitionen auch in Indien das Problem haben, neben dem größeren Koalitionspartner sichtbar zu sein, als gewichtig wahrgenommen zu werden und nicht an Bedeutung zu verlieren. Sollten noch weitere regionale Parteien der BJP ihre Gefolgschaft aufkündigen, könnte dies zumindest eine Gefahr für einen Sieg der BJP bei den Wahlen zur Lok Sabha in knapp einem Jahr sein.