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Tories weiterhin uneinig über ihren Vorsitzenden

von Thomas Bernd Stehling
Der heftige und öffentlich ausgetragene Streit über die Qualifikation von Iain Duncan Smith als Vorsitzender der britischen Konservativen hat den Parteitag in Blackpool überlagert und wird ihn überdauern. Dabei treten neue inhaltliche Positionen in den Hintergrund, wie sie von Mitgliedern des Schattenkabinetts als Antwort der Tories zu den Problemen der britischen Innenpolitik formuliert wurden. Nachdem Europathemen über fast zwei Jahre hinweg wegen ihrer innerparteilichen Sprengkraft von der politischen Agenda verbannt waren, sind sie jetzt wieder auf die Tagesordnung gesetzt worden - als Teil einer Attacke gegen die Regierung und die Liberaldemokraten sowie als Vehikel zur Rückgewinnung verloren gegangener Zustimmung bei den Wählern.

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Duncan Smith, der erste konservative Parteivorsitzende, der in einer Urwahl von den ca. 300.000 Mitgliedern gewählt wurde, die er vor zwei Jahren gegen Ken Clarke gewann, hatte zu keinem Zeitpunkt seiner bisherigen Amtszeit Rückenwind. Insbesondere aus der eigenen Unterhausfraktion und den Medien schlugen ihm Kritik, Ablehnung und Häme entgegen. Für die einen bleibt unvergessen, wie er gegen seinen eigenen Premierminister John Major intrigierte und agitierte und maßgeblich dazu beitrug, dass die damalige konservative Regierung wichtige Abstimmungen zur Europapolitik im Unterhaus verlor. Für die anderen ist er ein blasser, unbeholfener und etwas schlichter ehemaliger Offizier, dem stets die Stimme versagt, wenn er im Unterhaus einen Angriff gegen Tony Blair anführt.

Politisch totgesagt wurde er schon mehrfach. Im November letzten Jahres sah er sich veranlasst, die eigene Partei vor die Alternative "unite or die" zu stellen und seine Kritiker aufzufordern, den Mund zu halten oder aber die Partei zu verlassen. Bei den Kommunalwahlen im Frühjahr wurden erneut bereits die Totenglocken für Duncan Smith geläutet, aber die Tories schnitten besser ab, als erwartet.

Nun also soll es in der nächsten Woche einen weiteren Versuch geben, jene 25 Briefe von konservativen Unterhausabgeordneten schreiben zu lassen, die dem Vorsitzenden des sog. "1922 Kommittees" der Tory-Hinterbänkler, Sir Michael Spicer, Anlaß gäben, ein förmliches Misstrauensvotum gegen Duncan Smith einzuleiten. Mit einer ungewöhnlichen, öffentlichen Warnung und der Ankündigung, Kritiker von Duncan Smith einzubestellen und über ihre "Karriereplanung" zu sprechen, hat der Chief-Wip, David Maclean, erstmals zugleich eingeräumt, dass es eine ernsthafte Gefährdung für Duncan Smith gibt.

Dabei hat er auch in aller Klarheit das Problem beschrieben, das die Widersacher des Vorsitzenden haben: Die Frage der personellen Alternative. "Es gibt keinen Messias, keinen Vorderbänkler und keinen Hinterbänkler, der über größere Unterstützung verfügen würde. Sie sind alle Namen durchgegangen und jede denkbare Alternative, links oder rechts, europafreundlich, europakritisch. Es gibt kein Traumteam, keine Kombination von Leuten, die erfolgreicher wäre, als Iain."

Dem halten andere Tories entgegen, jeder sei besser, als Duncan Smith.

Aber dieser "jeder" muss zunächst gefunden und gewählt werden. Es darf bezweifelt werden, dass sich Kenneth Clarke einem erneuten Wahlgang stellen würde, bei dem er vermutlich wiederum scheitern dürfte. Gleiches gilt für Michael Portillo. Wen aber würden diese beiden politischen Schwergewichte und ihre Anhänger unterstützen?

Oliver Letwin, der Schatten-Innenminister, gilt als Repräsentant der jüngeren Generation, undogmatisch und attraktiv auch für Wechselwähler. David Davis, den Duncan Smith über Nacht als Party-Chairman abgesetzt hatte und der jetzt der Schatten-Vizepremier ist, würde vermutlich gegen ihn antreten und dabei auf die Stimmen der Parteirechten setzen. Als Kompromisskandidat wird Michael Howard gehandelt, jetzt Schatten-Schatzkanzler und einer der wenigen aus Duncan Smith's Team mit Regierungserfahrung. Dass dieser ihn ernst nimmt, zeigten die Aufmerksamkeiten, die Duncan Smith Michael Howard entgegenbrachte: Nach Abschluss der Rede des Schatten-Schatzkanzlers eilte Duncan Smith auf die Bühne, um ihm zu gratulieren und den Beifall zu verlängern, als er abzuebben drohte. Und in seiner eigenen Rede erwähnte der Vorsitzende lediglich Howard, Letwin und Michael Ancram namentlich und hob sie damit besonders heraus.

Der "Leader" hat seine Gegner und potentiellen Herausforderer wissen lassen, jede Revolte gegen ihn werde "blutig". Die Sprache in seiner Parteitagsrede war weniger martialisch, aber auch hier war die Botschaft klar: "Denen die zweifeln und denen die noch nachdenklich sind sage ich: Arbeitet nicht für Tony Blair, kommt an Bord oder geht aus dem Weg. Wir haben zu tun."

Und in der Tat dürften angesichts der Rolle, die die Mitglieder bei der Wahl des Vorsitzenden spielen, Unmut und Kritik in der Unterhausfraktion nicht ausreichen, um Letwin, Howard oder einen anderen Kandidaten gegen Duncan Smith antreten zu lassen. Erst wenn auch die Vorsitzenden wichtiger Parteiverbände ihre Zustimmung verweigern und für einen Wechsel eintreten, wird man ernsthaft die Bereitschaft zu einer personellen Alternative erwarten dürfen.

Inzwischen nehmen die Partei und ihre Attraktivität für die Wähler Schaden. Bei den jüngsten Nachwahlen zum Unterhaus in einem Wahlkreis nahe London kamen die Tories nur auf den dritten Rang, nach Liberaldemokraten und Labour. Trotz des überwältigenden Unmuts über Tony Blair und seine Politik dümpeln die Tories in den Umfragen lediglich um die 30%, dicht verfolgt von den Libdems und mittlerweile wieder hinter Labour. Fragt man aber nach den Ursachen für die mangelnde Unterstützung der Wählerschaft, ist die Antwort eindeutig: Es ist der Vorsitzende. Gerade einmal 19% der Befragten würde ihm als Premierminister den Vorzug geben vor dem so sehr angeschlagenen Tony Blair, dem in seiner größten Krise noch immer mehr Führungskraft und Attraktivität zuerkannt werden, als seinem konservativen Herausforderer.

Geradezu verheerend aber wirkten die konzertierten Attacken der Medien auf Duncan Smith im zeitlichen Umfeld des Parteitages. Der liberale "Independent" eröffnete mit einem Bericht, wonach Duncan Smith nach seiner Wahl zum Parteiführer seine Frau Elizabeth, Tochter von Lord Cottesloe, für 18.000 Britische Pfund über mehrere Monate hinweg in seinem Wahlkreis beschäftigt hat - auf Kosten des Parlaments.

Ausgerechnet am Tage der Parteitagsrede von IDS veröffentlichte dann der konservative Daily Telegraph eine neue Umfrage, nach der 53% der befragten Mitglieder der Tories erklärten, es sei ein Fehler gewesen, Duncan Smith zum Vorsitzenden gewählt zu haben.

Bei der Bewertung des Schatten-Kabinetts kommt der Herausforderer von Tony Blair nur auf einen schwachen sechsten Rang (54%), nach Oliver Letwin, Innen (79%), Liam Fox, Gesundheit (79%), Michael Howard, Finanzen(79%), Michael Ancram, Außen (73%), und David Willetts, Soziales(59%). Auf die Frage, ob die front-bench eine effektive Oppositionsrolle spielt, antworten 71% mit "nein".

Interessant ist die Reihenfolge der von den Befragten bevorzugten Nachfolger, im Falle einer Neuwahl des Parteivorsitzenden:

William Hague25%

Kenneth Clarke13%

Michael Portillo13%

David Davis12%

Oliver Letwin11%

Michael Howard10%

Theresa May4%

Michael Ancram3%

Liam Fox 3%

Der Parteitag in Blackpool kannte kaum ein anderes Thema. Da das offizielle Programm dieser vier Tage jeweils erst gegen Mittag begann und dann auch keine Diskussionen, sondern nur Präsentationen durch die Mitglieder des Schattenkabinetts vorsah, fand der eigentliche Dialog mit und unter den Mitgliedern in den sog. Fringe-Meetings und an der Bar statt. Dort standen - nach übereinstimmenden Berichten der Medien - Abgeordnete und Mitglieder Schlange, um Journalisten von ihrem Frust zu berichten, angesichts der Probleme der Partei.

Die Tories in Blackpool - eine Partei, die aufgegeben hat, zu kämpfen - Mitglieder, die lachen, lästern, intrigieren - Abgeordnete, die die nächste Wahl bereits abgeschrieben haben und lieber das Leben genießen.

Gemessen an dieser Ausgangslage war die Rede des Parteiführers, traditionell am Schluss des Parteitages, ein bemerkenswertes Zeugnis von Disziplin und Selbstvertrauen. Alle Kritik schien an ihm abzuprallen, hier präsentierte sich ein Mann, der von der Richtigkeit seines Kurses überzeugt ist und ihn durchzusetzen beabsichtigt: "Ich werde nichts und niemandem erlauben, sich mir in den Weg zu stellen. Wir müssen diese betrügerische, inkompetente, seichte, ineffiziente, uneffektive, korrupte, verlogene, beschämende, lügende Regierung ein und für allemal vernichten. Und ich sage es zu Ihnen allen heute: Entweder unterstützen Sie mich auf diesem Weg oder Sie wollen Tony Blair. Es gibt keinen dritten Weg."

Mehrfach nannte er Tony Blair einen Lügner und - noch vor Abschluss der Untersuchungen von Lord Hutton - verantwortlich für den Tod von Dr.David Kelly. Deshalb müsse er zurücktreten.

Er kritisierte die Regierung für ihre gebrochenen Versprechungen, sechzig Steuererhöhungen, die "Plünderung" der Pensionskassen, die ansteigende Kriminalität, die Probleme in Schulen und Krankenhäusern, das tägliche Verkehrschaos auf Straße und Schiene.

Der Parteitag feierte ihn für solche Aussagen mit stehenden Ovationen. Aber ob seine neu einstudierte Rhetorik und Körpersprache sowie die Aggressivität seiner Angriffe auf jedermann, der anderer Ansicht ist, Kritiker und Wähler zu überzeugen vermag, bleibt abzuwarten.

Als inhaltliche Alternative der Tories kündigte er Steuersenkungen an. Dies ist innerhalb der Führung der Partei angesichts der Kosten ihrer Vorhaben zur Verbesserung der öffentlichen Dienstleistungen umstritten.

Zugleich unterstrich er die Reformvorhaben, die zuvor von den zuständigen Mitgliedern des Schattenkabinetts dem Parteitag präsentiert wurden:

  • Abschaffung der Studiengebühren

  • mehr Wahlfreiheit für Patienten und Schüler durch die Einführung eines Pass- bzw. Gutscheinsystems, dass auch die Inanspruchnahme privater Schulen, Krankenhäuser und Ärzte teilfinanziert

  • Kampf gegen Kriminalität und Asylmissbrauch; Schaffung von 40.000 zusätzlichen Planstellen für Polizisten, Kürzung der Zahl der jährlichen Asylbewerber um 80.000

  • Förderung von einkommensschwachen Familien beim Hauskauf

  • Erhöhung der Grundrente und Koppelung der staatlichen Rente an die Entwicklung der Löhne.

Erstmals nahmen Fragen der künftigen Ordnung Europas wieder breiten Raum in einer Parteitagsrede des Vorsitzenden und in zahlreichen Fringe-Meetings ein. Dabei hatten sich die Gegner und Befürworter eines weiteren Zusammengehens der Staaten Europas vorher darauf verständigt, gemeinsam für ein Referendum in Großbritannien zum Europäischen Verfassungsvertrag einzutreten. Welche Position die Tories dann einnehmen, falls es zu diesem Referendum kommt, war nur aus den Reden der Kritiker abzulesen.

Duncan Smith verwies in seinen Anmerkungen zu Europa zunächst auf die Liebe der Briten zu ihrem Land. Nur Labour wollte aus dem Land etwas anderes machen, sei verlegen über den Charakter des Inselreiches. Das sei vermutlich der Grund, weshalb Blair die Prosperität Großbritanniens gefährde, wenn er das Pfund abzuschaffen trachte.

"Aber jede europäische Regierung, die bislang ein Referendum zur Einführung des Euro durchgeführt hat, musste erleben, das die Bevölkerung dies ablehnte. Deshalb hat Blair nicht den Mumm, ein Referendum zum Euro durchzuführen."

Jetzt aber gehe es um etwas noch Größeres: Einen Anschlag auf den Kern der britischen Nationalstaatlichkeit. "Der Euro würde uns die Macht nehmen, über unsere Wirtschaftspolitik zu entscheiden. Aber die Europäische Verfassung nähme uns die Macht, darüber zu entscheiden, wer Großbritannien regiert. Wir könnten nicht mehr die Einwanderung kontrollieren, nicht mehr unsere Verbündeten auswählen, nicht mehr unsere Soldaten einsetzen zum Schutz unserer Interessen in der Welt. Nicht gewählte Kommissare hätten Entscheidungen in nahezu jedem unserer Ministerien zu treffen, die unser tägliches Leben berühren."

Deshalb wollen die Konservativen jetzt eine landesweite Kampagne starten, in jedem Wahlkreis und in jedem Ort Unterschriften für eine Petition sammeln, um der Bevölkerung das Recht zu geben, über den Europäischen Verfassungsvertrag zu entscheiden. Blair halte die Macht nicht für immer in den Händen. Er habe nicht das Recht, diese Macht an Europa abzugeben.

Sollte sich die Regierung einer landesweiten Petition verweigern, sei dies nicht das letzte Wort. "Ich werde mit aller meiner Kraft dafür kämpfen, das Recht unseres Volkes zu verteidigen, sich selbst zu regieren. Und ich werde kämpfen, kämpfen und immer wieder kämpfen, um das Land zu retten, das ich liebe."

Die Konservativen wollten ein "neues Europa" aufbauen. Nicht einen europäischen Staat mit eigener Währung und Verfassung, sondern ein Europa unabhängiger Staaten, das mit den heutigen Problemen fertig zu werden habe, nicht mit denen der Gründerväter Europas: Dem Kampf gegen Verschuldung, Krankheiten und Terrorismus, Umweltzerstörung und Armut.

Noch krasser waren die Töne in den überfüllten Treffen, auf denen Europafragen diskutiert wurden. So sagte der notorische Europagegner Bill Cash, als Schatten-Justizminister einer der einflussreichsten Ratgeber von Duncan Smith, der europäische Verfassungsvertrag sei "ein Anschlag auf unsere Freiheit, auf Ihre Familie und auf Sie. Er nimmt uns unsere parlamentarischen Rechte und zerstört unser tägliches Leben. Europa ist korrupt und undemokratisch und deshalb müssen wir jetzt in jedem Wahlkreis für das Referendum kämpfen."

Die Tories stünden für ein Europa des Handels und der Zusammenarbeit, aber gegen eine europäische Regierung.

Die Befürworter des europäischen Verfassungsvertrages nahmen entweder überhaupt nicht an den Debatten am Randes des Parteitages teil oder zogen sich auf mehr formale Positionen zurück. Stephen Dorell, früherer Gesundheitsminister und Vorsitzender der Tory Reform Group, unterstützte das Referendum, auch mit Blick auf andere Länder Europas, wo eine Volksabstimmung durchgeführt werde. Man könne nicht "die Regeln ändern, ohne die Wähler zu fragen." Es gäbe jetzt schon erhebliche Legitimationsprobleme der europäischen Institutionen.

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30. Oktober 2003
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