Länderberichte
Die Ausgangslage
Das Gesetz über das Wahlverfahren zum Abgeordnetenhaus wird von der ODS und CSSD schon seit einiger Zeit kritisiert. Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass seit dem Jahre 1996 in Tschechien nur Minderheitsregierungen gebildet wurden. Das aktuelle Wahlverfahren, so das Argument der beiden Parteien, erschwere die Regierungsbildung und gefährde die politische Stabilität des Landes, da zu viele kleine Parteien die 5 %-Hürde überwinden können. Ziel der Gesetzesvorlage ist es, durch eine Stärkung der größeren Parteien stabile Mehrheiten zu bekommen. Die Änderung des Wahlgesetzes ist Teil des "Oppositionsvertrages/Toleranzpaktes" zwischen ODS und CSSD.
Inhalt der Gesetzesänderungen
Für die Einführung eines Mehrheitswahlrechtes müsste die Verfassung geändert werden. Politische Beobachter gehen aber davon aus, dass es angesichts des Widerstandes der kleineren Parteien dafür im Senat nicht die notwendige 3/5 Mehrheit geben würde. Eine Kommission von CSSD und ODS, die den Entwurf der Wahlgesetzänderung Ende des Jahres 1999 vorgelegt hat, ging daher davon aus, dass Änderungen nur im Rahmen des Wahlgesetzes möglich sind. Dafür würde dann eine einfache Mehrheit im Abgeordnetenhaus und Senat ausreichen.
Der von der Kommission ausgearbeitete Entwurf enthält zwei grundlegende Änderungen:
- Ausweitung der Wahlkreise von 8 auf 35,
- Einführung des Divisorenverfahrens für die
- Stimmenverrechnung.
Der zu Grunde gelegte Divisor stellt einen Kompromiss zwischen dem d'Hondt'schen und dem Imperiali-Verfahren dar. Die ODS bevorzugte das Imperiali-Verfahren, dass die größeren Parteien noch stärker bevorzugt hätte.
In der dritten Lesung wurden auf Vorschlag und nach sanftem Druck der ODS noch sehr wichtige Änderungen in die Gesetzesnovelle eingefügt, die sich eindeutig gegen die in der "Viererkoalition" zusammengeschlossenen Parteien - US, KDU-CSL, ODA und DEU - richten.
Die bisherige Sperrklausel von 5% soll nun wie folgt festgeschrieben werden:
- für eine Partei 5%
- für eine Koalition von zwei Parteien 10%
- für eine Koalition drei Parteien 15%
- für eine Koalition vier Parteien 20%
Eine weitere Änderung ist die Aufhebung einer 48-Stunden-Sperrfrist für Wahlkampagnen vor dem Wahltag. Ferner sollen im Ausland lebende Tschechen künftig die Möglichkeit haben, ihre Stimme in der Botschaft abgeben zu können.
Die Novelle des "Gesetzes über die Parteien" ist von ebenso großer Bedeutung wie die oben aufgezeigten Änderungen: Sie betrifft die Finanzierung der Parteien. Bisher erhielt jede Partei nach den Wahlen einen staatlichen Zuschuss von 90 Kronen (ca. 4,50 DM) pro abgegebene Stimme. Die Novelle sieht nun einen Zuschuss von 30 Kronen pro Stimme vor. Als Ausgleich sollen die Parteien für jeden gewählten Senator und Abgeordneten 1 Mio. Kronen erhalten. Die Parteien sollen darüber hinaus für jeden Parlamentarier der im November erstmals zu wählenden Regionalparlamente 250.000 Kronen bekommen. Die Gesetzesnovelle bevorzugt eindeutig die größeren Parteien und würde die staatliche Parteiensubvention auf dann 540 Mio. Kronen verdreifachen.
Die Abgeordneten sprachen sich auch für eine schärfere Kontrolle der finanziellen Wahlkampfunterstützung aus. So sollen z. B. anonyme Spenden und solche von ausländischen Firmen verboten werden. Zukünftig sollen legale Spenden jedoch von der Steuer absetzbar sein.
Konsequenzen und Reaktionen der vorgelegten Gesetzänderungen
Eine überschlagmäßige Berechnung der Sitzverteilung im Abgeordnetenhaus auf der Basis der vorgelegten aktuellen Wählerpräferenzen der zwei wichtigsten tschechischen Meinungsforschungsinstitute IVVM und STEM zeigt folgende Sitzverteilung:
Wähler- präferenzen IVVM (in %) | Wähler- präferenzen STEM (in %) | Mandate | ||
neu | alt | |||
"Vierer- koalition" | 23 | 25,9 | 65-75 | 38 |
ODS | 21 | 19,3 | 50-60 | 63 |
KSCM | 16 | 18,7 | 30-40 | 24 |
CSSD | 15 | 17,4 | 30-40 | 74 |
Kleinere Änderungen der Wählerpräferenzen in den Regionen würden sich zukünftig viel stärker als bisher auswirken und so die Verteilung der Mandate beinflussen. Die regionale Aufteilung der Wählerpräferenzen der Parteien würde die ODS in den Wahlkreisen Prag I-IV, die KSCM in einigen nördlichen Kreisen Mährens und die KDU-CSL in den südlichen Kreisen Mährens begünstigen.
Die "Viererkoalition" hat zwar im Abgeordnetenhaus gegen die Wahlgesetzänderung gestimmt, erklärte aber, dass sie die Konsequenzen der Novelle keinesfalls fürchten würde. Angesichts der gegenwärtig zwar hohen, aber ständig schwankenden Wählerpräferenzen der "Viererkoalition", bedeutet die in der Novelle niedergelegte Sperrklausel von 20% für die Viererkoalition dennoch ein Risiko, das nicht unterschätzt werden darf. Die Vertreter der KDU-CSL haben schon ihre Absicht angekündigt, vor den Wahlen die "Viererkoalition" auf die Koalition von drei Parteien zu reduzieren. In Erwägung gezogen wird die Integration der ODA in die US oder eine Verschmelzung der ODA mit der DEU. Der Vorsitzender der DEU, R. Majzlik, wies diesen Vorschlag aber schon zurück. Ein besonderes Problem stellen die Schulden der ODA in der Höhe von 60 Mio. Kronen dar, der bei einem Zusammenschluss übernommen werden müsste.
Kritik an der Änderung des Wahlgesetzes kommt insbesondere von Staatspräsidenten Havel. Er deutete an, sein Veto dagegen einlegen zu wollen. Dies kann aber wiederum mit einfacher Mehrheit des Abgeordnetenhauses überstimmt werden.Präsident Havel könnte darüber hinaus das Verfassungsgericht anrufen. Kritiker der Novelle wiesen bereits daraufhin, dass sie gegen den Verfassungsartikel 18 ("Verhältniswahlrecht") verstoßen würde. Theoretisch könnte nämlich, entsprechend dem vorgelegten Wahlverfahren, bei einer bestimmten Verteilung der Stimmen in den einzelnen Wahlkreisen, die zweitstärkste Partei die Mehrheit aller Mandate gewinnen. Darüber hinaus sei die Sperrklausel von 20% für eine Koalition bei den Wahlen verfassungswidrig.
Schwieriger scheint auch die Zustimmung des Senats zu werden. Fünf Senatoren der CSSD haben bereits angekündigt, gegen die Gesetzesvorlage zu stimmen. Sollten noch zwei weitere Senatoren der ODS oder der CSSD sich diesem Vorhaben anschließen, wäre die Mehrheit für die Vorlage dahin. ODS und CSSD haben zusammen nur 47 der 81 Senatssitze.