Länderberichte
Entgegen den Erwartungen der meisten nationalen und internationalen politischen Beobachter, die nach den zweiten Neuwahlen innerhalb eines Jahres eine schwierige und langwierige Koalitionsbildung vorausgesagt hatten, konnten sich die drei Parteien nach rund dreiwöchigen Verhandlungen in den maßgeblichen Punkten einigen und einen Koalitionsvertrag unterzeichnen. Dennoch betonte die neue Regierungschefin bei der Unterzeichnung der Koalitionsverträge in Reykjavik, dass man sich viel Zeit genommen habe, um eine stabile Regierung zu bilden. „Wir waren uns während der gesamten Verhandlungen der Bedeutung unserer Zusammenarbeit bewusst und wollen die Gräben zwischen den politischen Parteien überbrücken“, so Jakobsdóttir weiter. Auch mit den Parteien der Opposition werde man auf vielfältige Art und Weise zusammenarbeiten . Dieser positiven Bewertung schloss sich auch der bisherige Ministerpräsident Bjarni Benediktsson an, der fortan das Amt des Finanz- und Wirtschaftsministers innehaben wird. Ein Justizskandal in seinem persönlichen Umfeld hatte im September zum Bruch der Koalition und zur Ansetzung von Neuwahlen geführt.
Konservatives und Links-Grünes Lager ohne eigene Mehrheit im Parlament
Sowohl die konservative Unabhängigkeitspartei, die aus den Wahlen als stärkste politische Kraft hervorgegangen war, als auch die Links-Grüne Bewegung waren zuvor mit Bemühungen gescheitert, mit ihren traditionellen Partnern eine Mehrheit im isländischen Parlament (Althing) zu bilden. Vor allem die Links-Grüne Bewegung hatte zunächst ein linksgerichtetes Bündnis mit Fortschrittspartei (Framsóknarflokkurinn), Sozialdemokratischer Allianz (Samfylkingin) und Piratenpartei (Píratar) angestrebt, welches von der Fortschrittspartei jedoch mit Verweis auf die knappe Mehrheit abgelehnt wurde. Das linksgerichtete Bündnis hätte im Parlament nur einen einzigen Sitz mehr gehabt als die Opposition . Die neue Regierung verfügt im 63 Sitze umfassenden Althing nun über 35 Sitze und damit über eine komfortablere Mehrheit als jedes andere denkbare Bündnis. Dass dies möglicherweise von Bedeutung sein könnte zeigte sich bereits bei der Abstimmung über die Koalition, in der sich zwei der insgesamt elf Abgeordneten der Links-Grünen Bewegung gegen den Kurs der Parteivorsitzenden stellten und die Dreierkoalition mit Unabhängigkeitspartei und Fortschrittspartei offen ablehnten.
Ungewöhnliche Koalition bildet breites politisches Spektrum ab
Aufgrund der unterschiedlichen Verortungen der an der neuen Regierung beteiligten Parteien sprach die neue Regierungschefin selbst nach dem Vertragsschluss von einer „höchst ungewöhnlichen“ Konstellation , die jedoch ein breites politisches Spektrum abdecke. Während die Links-Grüne Bewegung ihrem Namen entsprechend eine linksgerichtete Politik verfolgt, vertreten die Unabhängigkeitspartei und die Fortschrittspartei konservative und Mitte-Rechts-Positionen. Ob sich diese Unterschiede im tagesaktuellen Politikgeschehen bemerkbar machen, wird sich wohl erst in den kommenden Wochen und Monaten abschließend beurteilen lassen. Die Koalitionspartner verständigten sich im Koalitionsvertrag auf ein ganzes Bündel von Maßnahmen, welche den fortschrittlichen Geist der neuen Regierung umsetzen soll:
Bildung
Dem Bildungswesen kommt laut dem Koalitionsvertrag eine Schlüsselstellung in der Arbeit der neuen Regierung zu. Da ein effektives Bildungssystem als Grundlage für den Fortschritt des Landes ausgemacht wurde, sollen vor allem die Investitionen in Innovationen und die weitere Entwicklung des Bildungssystems steigen. Bis 2020 will Island die Durchschnittswerte der Bildungsinvestitionen im OECD-Vergleich erreichen, bis 2025 die Durchschnittswerte im Vergleich der fünf nordischen Staaten.
Tourismus
Die neue Regierung verschreibt sich im Koalitionsvertrag vor allem einer besseren Vereinbarkeit von Tourismus und Umweltschutz. Dazu sollen konkrete Pläne in Zusammenarbeit mit der Tourismusbranche erarbeitet werden. Dabei sollen auch mögliche Kapazitätsgrenzen sowie eine Begrenzung des Zuganges zu Naturschutzgebieten eine Rolle spielen.
Außenpolitik
Für die neue Regierung hat die Zusammenarbeit mit den übrigen nordischen Staaten (Nordische Kooperation) oberste Priorität. Zudem sind sich die Kooperationspartner einig, dass Island seine Interessen in Europa am besten außerhalb der Europäischen Union vertreten und durchsetzen kann. Zudem verständigte sich die Koalition auf eine Aufstockung der isländischen Beiträge im Bereich der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Bis 2022 sollen 0,35% des isländischen Bruttoinlandsproduktes in die Entwicklungszusammenarbeit fließen.
Neues Kabinett kommt zu erster Sitzung zusammen
In der ersten Sitzung der neuen Regierung, an der auch Staatspräsident Guðni Th. Jóhannesson teilnahm, wurden die fünf Ministerinnen und sechs Minister erstmals offiziell vorgestellt. Während die Links-Grüne Bewegung neben der Ministerpräsidentin nur zwei weitere Ministerposten besetzt, entfallen auf die Unabhängigkeitspartei fünf Ministerposten, während die Fortschrittspartei drei Ressorts zugesprochen bekam. Auf den Posten des Außenministers, der Justizministerin sowie der Ministerin für Tourismus, Industrie und Innovation ergeben sich keine Veränderungen, da die Minister der Unabhängigkeitspartei angehören und die jeweiligen Positionen bereits in der im September zerbrochenen Vorgängerregierung innehatten. Der links-grüne Minister für Umwelt und natürliche Ressourcen, Guðmundur Ingi Guðbrandsson, ist als einziges Kabinettsmitglied nicht als Abgeordneter ins Parlament gewählt worden.
Fazit
Die neue isländische Regierung stellt mit Blick auf die beteiligten Koalitionspartner ein Experiment dar, welches sich in der Tagespolitik bewähren muss. Aufgrund der Tatsache, dass sich zwei Abgeordnete der Links-Grünen Bewegung bereits offen gegen die neue Regierung gestellt haben, hat die Regierung gegenwärtig eine faktische Mehrheit von einer Stimme im Althing. Damit könnte es mit Blick auf die Stabilität und Handlungsfähigkeit der neuen isländischen Regierung maßgeblich darauf ankommen, wie gut es den drei Parteivorsitzenden gelingt, die eigenen Reihen geschlossen zu halten. Dies wird sich wohl spätestens nach der Weihnachtspause zeigen, wenn die Arbeit der Regierung Fahrt aufnimmt.