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Vorwahlen in Uruguay

Startschuss in die heiße Wahlkampfphase

Die Vorwahlen am 30. Juni waren der Startschuss in die heiße Wahlkampfphase im Vorfeld der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Herbst im kleinen Land am Rio de la Plata. Dabei haben die Wahlergebnisse im Wesentlichen die Umfragen bestätigt. Überraschungen gab es trotzdem. Besonders der Präsidentschaftskandidat der Partido Nacional (PN), Alvaro Delgado, geht mit der Besetzung seiner Vizekandidatin ein Risiko ein. Bei seinen Mitkoalitionären von der Partido Colorado (PC) ist hingegen nach einem unübersichtlichen Kandidatenfeld ein Generationenwechsel geglückt. Der oppositionellen linken Frente Amplio (FA) ist zwar ein guter Start mit geschlossenen Reihen gelungen, doch auch bei ihr lassen sich schon jetzt Sollbruchstellen finden. Das Rennen im Oktober wird auf jeden Fall spannend.

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Startschuss zum Wahlmarathon

Als am 30. Juni die uruguayischen Wähler in den Vorwahlen zur Stimmabgabe aufgerufen waren, sorgte eine Mischung aus kaltem Wetter, Copa América und Schulferien für die mit 35,3 % niedrigste Wahlbeteiligung seit der Einführung der Vorwahlen im Jahr 1999. Während in Uruguay sonst eine Wahlpflicht gilt, sind die Vorwahlen davon ausgenommen. Diese dienen vor allem dazu, die Präsidentschaftskandidaten der verschiedenen Parteien zu bestimmen. Sie sind aber auch ein wichtiger Indikator für die Kräfteverhältnisse zwischen den verschiedenen innerparteilichen Strömungen. Da in Uruguay keine Wählerregistrierung existiert, kann jeder Wähler an den internen Wahlen einer Partei seiner Wahl teilnehmen. Angetreten waren zum einen die Parteien der aktuell regierenden mitte-rechts Koalition: die Partido Nacional, Partido Colorado, Cabildo Abierto, Partido Independencia; zum anderen die linke Oppositionspartei Frente Amplio. Damit ist der Startschuss für den Wahlmarathon in Uruguay gesetzt, welcher am 27. Oktober mit den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen den nächsten Meilenstein passieren wird und am 24. November in der stattfindenden Stichwahl zwischen den zwei erfolgreichsten Präsidentschaftskandidaten seinen Höhepunkt finden wird. Den Schlussakt werden dann die Regional- und Lokalwahlen im May 2025 setzen.

 

Gewagte Wette in der Partido Nacional

Da der im Land beliebte und international anerkannte Präsident Luis Lacalle Pou laut Wahlgesetzgebung nicht wieder für die Partido Nacional als Präsidentschaftskandidat antreten darf, war schon vor der Wahl seine rechte Hand, Alvaro Delgado (55), als ehemaliger Präsidentialamtsminister der eindeutige Favorit in den internen Wahlen der Partido Nacional. Die in seiner Zeit als Senator und Abgeordneter sorgsam aufgebauten Netzwerke sicherten dem gelernten Tierarzt dabei die Unterstützung großer Teile seiner Partei. Auch entwickelte Delgado in seiner Kampagne eine starke Kontinuitätserzählung zur Regierungszeit Lacalle Pous, um so von der Beliebtheit des aktuellen Präsidenten zu profitieren. Die aussichtsreichste Herausforderin war die zwar noch politisch eher unerfahrene, aber sehr charismatische Wirtschaftswissenschaftlerin Laura Raffo (51). Ihr gelang in dem traditionell links regierten Montevideo bei den Oberbürgermeisterwahlen 2020 ein erheblicher Achtungserfolg. Dem Senator Jorge Gandini (66), der sich ebenfalls um die Präsidentschaftskandidatur bewarb, wurden von Beginn an kaum Chancen ausgerechnet.

Als am 30. Juni die ersten Hochrechnungen erschienen, die Delgado eindeutig mit 73% als Gewinner präsentierten und Raffo mit 19 % und Gandini mit 5 % auf die Plätze zwei und drei verwiesen,[i] wurde damit auch die bereits in vielen Umfragen ermittelte Prognose bestätigt. Ungeklärt und entscheidend sowohl für die parteiinterne Machtverteilung sowie für die anstehende Präsidentschaftskampagne war die Besetzung der Vizepräsidentschaft. Natürliche Anwärterin dafür wäre die zweitplatzierte Raffo. Mit einigen wenigen Prozentpunkten mehr wäre ihr nach der parteiinternen Logik dies kaum zu verwehren gewesen. Als spät in der Nacht nach ungewöhnlich langen innerparteilichen Verhandlungen überraschend Valeria Ripoll (41) als Vizepräsidentschaftskandidatin an der Seite Delgados angekündigt wurde, war dies eine große Überraschung. Die dreifache Mutter und Beamtin hat für eine Vizepräsidentschaftskandidatin der Partido Nacional eine reichlich ungewöhnliche Karriere hinter sich. Politisch sozialisiert in der kommunistischen Partei, hat die in Uruguay aus Funk und Fernsehen bekannte Ripoll eine Karriere als Gewerkschafterin hinter sich. Nachdem sie sich in den letzten Jahren immer stärker mit der linken Frente Amplio entzweite, war Ripoll 2023 der Partido Nacional beigetreten, um Delgado zu unterstützen. Mit dem gewagten Manöver versucht Delgado für die Partido Nacional in den Wahlen im Oktober auch Wählerschichten links der Mitte und in der Stadt zu erschließen. Zwar läuft die Partido Nacional dadurch andererseits Gefahr Wähler an ihre weiter rechtsstehenden Koalitionspartner zu verlieren, doch – so das Kalkül – spätestens in der Stichwahl gegen den linken Herausforderer der Frente Amplio würden diese Wähler dann doch Delgado zum Präsidenten wählen. Gleichzeitig war die Entscheidung für Ripoll eine deutliche Machtdemonstration Delgados, der diese Kandidatin gegen den Widerstand von erheblichen Teilen seiner eigenen Partei durchgesetzt hat und nun eine Vizepräsidentin ohne eigene Hausmacht an seiner Seite weiß. Innerhalb der an Kompromisse gewöhnte Partido Nacional hat dies selbst in den Sektoren die Delgado unterstützen, einigen Unmut ausgelöst.

Für allgemeine Freude sorgte in der Partei hingegen die Ankündigung, dass Präsident Luis Lacalle Pou als Kandidat für den Senat bereitsteht. Die Partei erhofft sich von diesem prominenten Zugpferd einen Schub in den Parlamentswahlen.

 

Geschlossene Reihen in der Frente Amplio

Bei der oppositionellen Frente Amplio traten erstmals zwei Kandidaten mit echten Chancen auf die Präsidentschaftskandidatur an. Vielleicht auch deswegen gelang es der Frente Amplio trotz der historisch niedrigen Wahlbeteiligung sogar über 100.000 Wähler mehr als beim letzten Mal zu mobilisieren und damit ihr selbst gesetztes Ziel von 400.000 Stimmen zu erreichen. Als Favorit war der Regierungschef (Intendente) der zweitgrößten uruguayischen Provinz, Canelones, Yamandú Orsi (57) gestartet. Ähnlich wie Delgado ist er ein gemäßigt auftretender, kompromissorientierter Politiker. Seine Herausforderin, Carolina Cosse (63), hingegen ist im Ton deutlich schärfer, gilt als weiter links und weiß die Unterstützung der kommunistischen und der sozialistischen Partei hinter sich. Als ehemalige Ministerin und Oberbürgermeisterin (Intendente) von Montevideo kann Cosse bereits auf umfangreiche Regierungserfahrung zurückblicken.

Eindeutiger als von den meisten Umfragen prognostiziert und auch aufgrund der hohen Mobilisierung hat sich Orsi am Wahlabend mit 60% zu 36% gegen seine Konkurrentin deutlich durchgesetzt. Noch früh am Abend und als erste Partei konnte die Frente Amplio verkünden, dass Cosse als Vizepräsidentin an der Seite von Orsi kandidieren werde. Diese Doppelkandidatur von dem unterlegenen Kandidaten als Vize war zwar erwartet worden, trotzdem lieferte die Frente Amplio am Wahlabend ein erstaunlich kohärentes und gut orchestriertes Bild ab. Das paritätische Bündnis aus Mann und Frau, moderat und links, Land und Stadt könnte für den Wahlkampf eine vielversprechende Formel sein. Mit der Mischung von Geschlossenheit und hoher Mobilisierung ist der Opposition allemal ein guter Start in die heiße Phase des Wahlkampfes gelungen.

 

Generationswechsel in der Partido Colorado

Am unübersichtlichsten war das Kandidatenfeld bei der Partido Colorado, dem zweitgrößten Koalitionspartner innerhalb der Regierung. Hier konnten sich vor den Wahlen gleich vier Kandidaten Chancen auf einen Sieg ausrechnen. Durchgesetzt hat sich am Wahlabend dann doch mit knapp 40% und damit überraschend eindeutig der gerade erst 40 Jahre junge Andrés Ojeda. Der gelernte Strafverteidiger repräsentiert innerhalb der Partido Colorado einen Generationenwechsel. Die traditionsreiche Partei, welche über 100 Jahre die Präsidenten Uruguays stellte, ist bei Umfragewerten von um die zehn Prozent mittlerweile nur noch ein Schatten ihrer selbst. Mit einem telegenen Auftreten gelang es Ojeda dank einem für Uruguay ungewöhnlich großen Wahlkampfbudget und einer professionellen Social-Media-Kampagne, sich im Laufe des Jahres an seinen Mitbewerbern vorbeizuschieben. Die im Wahlkampf aufgekommenen Fragen nach der Finanzierung der Ojeda-Kampagne hielten den zweitplatzierten Robert Silva (54) nicht davon ab, die Vizepräsidentschaftskandidatur anzunehmen. Noch am Wahlabend präsentierte Ojeda seine Partei als entscheidendes Bollwerk, um einen Wahlsieg der linken Frente Amplio zu verhindern; gleichzeitig warb er offen um all jene Wähler der Partido Nacional, die sich nicht mit der Vizekandidatin Ripoll identifizieren können.

 

Populistisches Plebiszit

Neben dem Thema der inneren Sicherheit, welches bereits die letzten Wahlkämpfe dominiert hat, wird besonders das gleichzeitig mit den Parlaments-, Senats- und Präsidentschaftswahlen zur Wahl stehende Volksbegehren die Wahlkampfdynamik in den nächsten Monaten bestimmen. Der größten Gewerkschaft des Landes (PIT-CNT) war es gelungen, Unterschriften von zehn Prozent der Wahlberechtigten beim Wahlgericht einzureichen, um so ein Plebiszit über die verfassungsrechtliche Absenkung des Renteneintrittsalters auf 60 Jahre bei gleichzeitiger Anhebung der Mindestrente zu erzwingen. Während sich die Regierungskoalitionäre geschlossen gegen das Referendum stellen, könnte gerade für die Frente Amplio dies zur Zerreißprobe werden. Auch die Ökonomen innerhalb der Frente Amplio stimmen mit der Einschätzung der meisten Experten überein, dass die Forderungen des Plebiszits die Wirtschaftskraft Uruguays bei weitem überfordern würde und die Sozialsysteme diese deutliche Mehrbelastung nicht tragen könnten. Dennoch stellten sich wichtige Teile der Frente Amplio, insbesondere die kommunistische Partei, immerhin zweitstärkste Kraft, hinter das Plebiszit. Während sich der Präsidentschaftskandidat Orsi bereits gegen die geplanten Änderungen aussprach, versucht seine Vize Cosse eine klare Positionierung zu vermeiden. Für das Regierungslager ergibt sich hier die Chance, auf diese Sollbruchstelle in der sonst so geschlossenen Frente Amplio zu verweisen. Dennoch ist noch nicht ausgemacht, dass das Volksbegehren am 27. Oktober auch wirklich bei den Wählern durchfällt.

Mit allen drei Spitzenkandidaturen – Delgado für die Partido Nacional, Orsi für die Frente Amplio und Ojeda für die Partido Colorado – zielen die Parteien auf die politische Mitte ab, wo in Uruguay klassischerweise Wahlen gewonnen werden. Damit wird Uruguay wieder seinem Ruf als stabile, konsensorientierte Demokratie mit Vorbildcharakter in der Region gerecht. Unter welchen politischen Vorzeichen das Land allerdings die nächsten Jahre regiert wird, werden die kommenden Monate zeigen. Alle Umfragen deuten auf ein knappes Rennen zwischen der Frente Amplio (43%) und der Regierungskoalition (50%) hin.[ii] Die Regierungskoalition am Rio de la Plata hat also bis zu einer möglichen Wiederwahl noch einen steinigen Weg vor sich.


[i]       Alle Wahlergebnisse sind dem Corte Electoral zu entnehmen, der offiziellen Wahlbehörde. Abzurufen unter https://www.gub.uy/corte-electoral/. Zugriff 04.07.2024.

[ii]      Alle Umfragewerte aus der jüngsten Umfrage der Firma EQUIPOS Consulting von Juni 2024. Abzurufen unter https://equipos.com.uy/noticias/. Zugriff 04.07.2024.

 

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