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Länderberichte

Wahlen in Venezuela vom obersten Gericht ausgesetzt

von Michael Lingenthal
Am Nachmittag des 25. Mai 2000 hat das "Tribunal Supremo de Justicia" (TSJ) die "Megawahlen" vom 28. Mai 2000 ausgesetzt. Nach Angaben der Obersten Wahlbehörde in der mündlichen Anhörung, können die Wahlen in der technischen Durchführung nicht garantiert werden. Dies bedeutet eine schwere Niederlage für die Oberste Wahlbehörde, die noch am Vortag vollmundig eine Garantie für saubere Wahlen abgegeben hatte. Auch Präsident Chávez hatte sich in der Schlußkundgebung seiner Wahlkampagne diese Aussage zu eigen gemacht und besonders die gute Arbeit der Obersten Wahlbehörde gelobt.US-Firma massiv beschuldigt – Ablenkungsmanöver vom Versagen der Obersten Wahlbehörde und vom massiven politischen Druck der Regierungspartei

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Am Abend haben der Präsident der Obersten Wahlbehörde und der Präsident des "Congresillo" (benanntes und MVR, d.h. Partei von Chávez, dominiertes Gremium das derzeit legislative Funktionen ausübt, da kein gewähltes Parlament existiert), Luis Miquelena, massiv eine US-Softwarefirma die Schuld für das Debakel zugeschoben. Die Firma hätte Daten nicht rechtzeitig übermittelt.

Wenn das Thema der Wahlverschiebung nicht so ernst wäre, könnten operettenhafte Züge nachgezeichnet werden.

Alle Proben des Wahlablaufs und der automatischen Auszählung scheiterten. Ursache sollten falsch programmierte Chips der US-Firma sein. Am Mittwoch (24.05.) wurden in einer Blitzaktion der venezolanischen Luftwaffe neue Chips, Computer und Spezialisten aus Nebraska (USA) eingeflogen. Die Oberste Wahlbehörde versicherte, daß damit die Garantie der Wahlen und der Auszählung gegeben sei. Nach verschiedenen Quellen, u.a. dem Präsidentschaftskandidaten Claudio Fermín, soll aber die Regierungspartei von Chávez über die Oberste Wahlbehörde noch am Mittwochabend geänderte Daten an die US-Firma gegeben haben. Unter diesen Umständen war eine rechtzeitige Umprogrammierung der Chips sowie der notwendige Probelauf nicht möglich.

Reaktionen

Kirche und demokratische Gruppen fühlen sich in ihren veröffentlichten Besorgnissen über den Wahlablauf bestätigt. Die Kirche hatte massiv transparente Wahlen und sorgfältige Vorbereitungen und rechtzeitige und breite Information der Wahlberechtigten gefordert. Dafür war sie sowohl von Chávez, wie auch von der Obersten Wahlbehörde, polemisch angegriffen und der Angstkampagne beschuldigt worden.

Das "Carter-Zentrum" in sehr offener Form und diplomatischer auch die OEA-Delegation hatten festgestellt, daß die technische Durchführung der Wahlen nicht möglich sei und zudem die Bevölkerung nur völlig unzureichend informiert wurde.

Rolle des Obersten Gerichts im Vorfeld der Entscheidung von heute

Das Oberste Gericht mußte de facto die Abweisung einer Klage zur Verschiebung des Wahltermins revidieren. Nach Art. 290 der neuen Verfassung muß zwischen Wahlverkündigung und Wahl ein Zeitraum von 6 Monaten liegen, damit die Wahlen ordnungsgemäß vorbereitet und durchgeführt werden können. Nachdem der Congresillo nur mit einer Frist von drei Monaten das Wahldatum auf den 28. Mai 2000 festgelegt hatten, klagten zwei renommierte Verfassungsrechtler wegen Verfassungswidrigkeit. Diese Klage hatte das Oberste Gericht trotz klarer Rechtslage zu Gunsten der Kläger abgelehnt und hatte damit den Forderungen von Chávez und seiner Partei nachgegeben.

Politische Polizei im Einsatz zur Einschüchterung und Kontrolle

Die politische Polizei, DISIP; hat in der Obersten Wahlbehörde zu Beginn und während der Woche interveniert. Angebliches Ziel war die Garantie der Wahlen.

Zusätzlich ist die DISIP am 24. Mai in den Morgenstunden in den Amtssitz des Gouverneurs Dávila (Ministerpräsidenten) des Bundesstaates Mérida eingedrungen. Als Grund wurde Verdunkelungsgefahr wegen Korruptionsverdacht angegeben. Gouverneur Dávila ist Sozialdemokrat, Vorsitzender der Gouverneurskonferenz und liegt in den Umfragen in seinem Bundesstaat vorn. Der Einsatz ist in der Reihe von Untersuchungen und Beschuldigungen gegen andere Gouverneure und Bürgermeister zu sehen, die nicht zu Chávez gehören und bereits in den letzten Wochen seitens des "Congresillo" massiv interveniert wurden.

Andere Gouverneure rechnen ebenfalls mit Interventionen. Damit soll offensichtlich ihre Populärität gebrochen und Wahlkampfhilfe für die Kandidaten von Chávez geleistet werden.

Schlußkundgebung von Chávez: von Revolution bis Mißbrauch des Vaterunser

Am Abend des 24. Mai hat Chávez an seinen politischen Zielen keinen Zweifel gelassen. Verwirklichung der "bolivarianischen Revolution" auf allen Ebenen. Chávez hat Volk, Kirche und Streitkräfte zu Gefolgsleuten und Wächtern der Revolution bestimmt.

Chávez hat mit seinem Mitputschisten von 1992 und aktuellem Gegenkandidat, Arias Cardenas, abgerechnet und ihn des Bündnisses mit den abgewirtschafteten Altparteien der Sozial- und Christdemokraten beschuldigt. Er hat ihn mit Judas verglichen, für den kein Platz in der Nähe des Herrn ist.

Chávez hat wieder massiv die kath. Kirche verunglimpft. Er sprach davon, daß die Kirche hinter seiner Revolution stehe und nur "3 bis 4 Bischöfe" gegen ihn stehen. Er verkennt dabei, daß die Stellungnahme der Bischofskonferenz von allen Bischöfen unterschrieben wurde. Wieder hat Chávez damit den Versuch unternommen, die Kirche in Revolutionäre und Gegner der Revolution zu spalten. Und wiederum hat er Jesus und Gott für seine Revolution vereinnahmt, wenn er sagt "daß ohne jeden Zweifel Gott auf Seiten der Revolution steht".

Makabares Ende seiner mehr als dreistündigen Rede war nach Nationalhymne und Feuerwerk sein Gebet für das venezolanische Volk, wobei der Gott um Vergebung bat, daß Bischöfe sich gegen das Volk stellen. Mit seinem roten Fallschirmjägerbarett in der hochgestreckten linken Faust beendete er die Veranstaltung mit dem "Vaterunser".

Gespannte Lage mit Vorteilen für Chávez

Das neue Wahldatum steht noch nicht fest. Es soll so früh wie möglich sein. Der Wahlkampf ist ausgesetzt, was wiederum in erster Linie dem Präsidenten Vorteile bringt, weil er seine Möglichkeiten und Mittel wieder massiv einsetzen kann.

Die politische Situation in Venezuela bleibt explosiv. Die Haltung der Streitkräfte wird entscheidend sein, ob eine Rückkehr zur Institutionalität möglich ist, oder ob die Praxis des Präsidenten mit massivem politischen Druck und der Vereinnahmung von Volk und Streitkräften für die Revolution letztlich bei den Wahlen Erfolg bescheinigt wird.

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Henning Suhr

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